BT-Drucksache 18/7761

Neuregelung der Arbeitszeit für Soldatinnen und Soldaten

Vom 25. Februar 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/7761
18. Wahlperiode 25.02.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Doris Wagner, Agnieszka Brugger, Dr. Tobias Lindner,
Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen), Dr. Franziska Brantner,
Uwe Kekeritz, Tom Koenigs, Omid Nouripour, Cem Özdemir,
Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Jürgen Trittin,
Doris Wagner, Sven-Christian Kindler, Beate Müller-Gemmeke und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Neuregelung der Arbeitszeit für Soldatinnen und Soldaten

Die Bundesministerin der Verteidigung, Dr. Ursula von der Leyen, will die Bun-
deswehr nach eigenen Worten „zu einem der attraktivsten Arbeitgeber in
Deutschland“ (Interview mit BILD, 12. Januar 2014) machen. In diesem Zusam-
menhang kündigte sie bereits im September 2014 an, die Arbeitszeit von Solda-
tinnen und Soldaten gesetzlich regeln und beschränken zu wollen (Süddeutsche
Zeitung, 12. September 2014). Denn mit einem Durchschnitt von 48,2 Stunden
(KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft: Abschlussbericht der Studie zur
Entwicklung von attraktiven und konkurrenzfähigen Dienstzeit- und Dienstzeit-
ausgleichsmodellen für Soldatinnen und Soldaten, Berlin, Juni 2013) lag die Wo-
chenarbeitszeit in den Streitkräften noch 2012 nicht nur deutlich über dem deut-
schen Durchschnitt, sie stand auch im Widerspruch zur so genannten Europäi-
schen Arbeitszeitrichtlinie (Richtlinie 2003/88/EG).
Sowohl ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom Dezember
2011 (BVerwG, 15. Dezember 2011 – 2 C 41.10) als auch eine Studie der Unter-
nehmensberatung KPMG vom Juni 2013 (Interview mit BILD, 12. Januar 2014)
kamen zu dem Ergebnis, dass eine Umsetzung der Arbeitszeitrichtlinie für die
Streitkräfte zumindest im Grundbetrieb möglich und geboten sei. Vor diesem
Hintergrund wurde mit dem Bundeswehr-Attraktivitätssteigerungsgesetz, das der
Deutsche Bundestag am 26. Februar 2015 verabschiedet hat, auch für Soldatinnen
und Soldaten eine regelmäßige Arbeitszeit von 41 Stunden in der Woche einge-
führt.
Hochrangige Vertreterinnen und Vertreter des Bundesverteidigungsministeriums
und der Bundeswehr betonen seither, welch tiefen Einschnitt die gesetzliche Be-
schränkung der Arbeitszeit für Kultur und Praxis der Bundeswehr bedeute: Das
Bild von der rund um die Uhr einsatzbereiten Truppe werde endgültig abgelöst
von der Erkenntnis, dass Soldatinnen und Soldaten genau wie andere Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer Anspruch auf den Schutz ihrer Gesundheit haben.
Gleichzeitig, so wird ebenfalls betont, werfe die Arbeitszeitregelung eine ganze
Reihe von technischen und organisatorischen Problemen auf, die gelöst werden
müssen, damit die Soldatinnen und Soldaten tatsächlich von der Reduzierung der
Arbeitszeit profitieren können. Zu nennen sind hier etwa die Erfassung der Ar-
beitszeit, die Vergütung von Mehrarbeit oder die Bewachung von Schiffen und
Kasernen.

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Obwohl seit Verabschiedung des Bundeswehr-Attraktivitätssteigerungsgesetzes
im Frühjahr 2015 bekannt ist, dass die Neuregelung der Arbeitszeit bereits zum
1. Januar 2016 in Kraft tritt, ist es dem Bundesverteidigungsministerium nicht
gelungen, die zur Umsetzung erforderlichen Entscheidungen zu treffen und ent-
sprechende Maßnahmen zeitgerecht einzuleiten: Die notwendige Rechtsverord-
nung wurde erst am 16. November 2015 tatsächlich erlassen. Wichtige Durchfüh-
rungsbestimmungen wie etwa die Soldatenmehrarbeitsvergütungsverordnung
stehen noch immer aus. Presseberichten (vgl.: Die Soldaten fürchten nicht den IS,
sondern die 41-Stunden-Woche, DIE WELT, 6. Dezember 2015) zufolge fehlt es
an den Standorten nicht nur an der technischen Ausstattung, um die Arbeitszeit
der Soldatinnen und Soldaten präzise zu erfassen. Bisher hat das Bundesministe-
rium offenbar auch kaum Hilfe bei der Erstellung von Dienst- und Übungsplänen
unter den neuen Bedingungen geleistet. Darüber hinaus herrscht eine große Un-
sicherheit bei Vorgesetzten wie Untergebenen, wie die neuen Vorschriften ange-
wendet werden sollen (Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten – Jahresbe-
richt 2015 – 57. Bericht, Bundestagsdrucksache 18/7250, S. 23).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Abteilung ist innerhalb des Bundesministeriums der Verteidigung

federführend für die Umsetzung der neuen Arbeitszeitregelung nach § 30c
des Soldatengesetzes zuständig?

2. Welche Gründe haben dazu geführt, dass der erste Referentenentwurf für die
neue Soldatenarbeitszeitverordnung (SAZV) bereits im Sommer 2015 vor-
lag, die SAZV jedoch erst am 16. November 2015 erlassen wurde?

3. Wie ist die große Anzahl von Einwänden bezüglich der Rechtsförmlichkeit,
die das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz offenbar
gegen den ersten Referentenentwurf der SAZV geltend gemacht hat, nach
Ansicht der Bundesregierung zu erklären, und welche Schlussfolgerungen
zieht das Bundesministerium der Verteidigung hieraus?

4. Welche Durchführungsbestimmungen sind im Zusammenhang mit der neuen
Arbeitszeitverordnung neu zu fassen (bitte auflisten), und wann ist mit der
Fertigstellung und dem Erlass der einzelnen Vorschriften zu rechnen?

5. Welche Konsequenzen wird die neue Arbeitszeitverordnung nach Ansicht
der Bundesregierung für die Aufgabenerfüllung der Bundeswehr nach sich
ziehen?
Welche Aufgaben werden künftig nicht mehr von der Bundeswehr zu leisten
sein?

6. Welche Unterstützung hat das Bundesministerium der Verteidigung den ein-
zelnen Teilstreitkräften und Organisationsbereichen bei der Umstellung von
Dienstplänen gemäß der neuen Arbeitszeitverordnung geleistet?

7. Wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesministeriums der
Verteidigung sind mit wie vielen Arbeitsstunden in der eigens geschaffenen
Ansprechstelle für offene Fragen zur Arbeitszeitverordnung (FüSK III 1) im
Bundesministerium eingesetzt?

8. Wie viele Anfragen haben die entsprechenden Mitarbeiterinnen und Mitar-
beiter bisher täglich erhalten (bitte nach Teilstreitkräften aufschlüsseln)?

9. Welche bisherigen Aufgaben der Bundeswehr plant das Bundesministerium
der Verteidigung künftig durch gewerbliche Dienstleister erbringen zu las-
sen, und wie weit ist der Ausschreibungs-/Auswahlprozess in den einzelnen
Bereichen bereits fortgeschritten?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/7761

10. Wann genau ist die Ausschreibung für die Entwicklung der technischen Ge-

räte und der Software zur Arbeitszeiterfassung der Soldatinnen und Soldaten
erfolgt, und wann war das Verfahren mit der Auftragsvergabe abgeschlos-
sen?

11. Auf welchem Weg soll die individuell geleistete Arbeitszeit der Soldatinnen
und Soldaten bis zur Fertigstellung der in Auftrag gegebenen technischen
Ausstattung erfasst werden?

12. Auf welche Weise hat das Bundesministerium der Verteidigung die Vorge-
setzten an den Standorten in die Lage versetzt, die Arbeitszeit ihrer Unterge-
benen auch ohne ein System der automatisierten Zeiterfassung zu erfassen
(Information, ggf. Schulung, Ausstattung)?

13. Wie ist der aktuelle Stand der Ausschreibung/Beschaffung der technischen
Geräte (Kameras etc.), die künftig zur Sicherung und Bewachung von Mari-
neschiffen nötig sein werden?

14. Wie viel Prozent der Soldatinnen und Soldaten, die bis zum 31. Dezember
2015 auf Schiffen der Marine wohnten, sind seit dem 1. Januar 2016 in Ka-
sernen der Bundeswehr untergebracht?

15. In wie vielen Fällen hat das Bundesministerium der Verteidigung einzelne
Soldatinnen und Soldaten angesprochen, ob sie bereit wären, an einer so ge-
nannten Opt-out-Regelung nach § 30c Absatz 3 des Soldatengesetzes teilzu-
nehmen und regelmäßig deutlich mehr als die vorgesehenen 41 Stunden pro
Woche zu arbeiten?

16. In wie vielen Fällen haben die angesprochenen Soldatinnen und Soldaten ei-
ner solchen Opt-out-Regelung nicht zugestimmt?

17. Hat das Bundesministerium der Verteidigung bereits eine Bestimmung der
Arbeitsbereiche vorgenommen, die für die Erprobung von Langzeitarbeits-
konten in Betracht kommen (§ 17 SAZV), und wenn ja, um welche Bereiche
handelt es sich?

18. Wie viele Anträge auf die Einrichtung eines persönlichen Langzeit-
arbeitskontos sind seit Unterzeichnung der Rahmenvereinbarung im
September 2015 beim Bundesministerium der Verteidigung
a) von Beamtinnen und Beamten des Bundesministeriums der Verteidigung

oder der Bundeswehrverwaltung bzw.
b) von Soldatinnen und Soldaten eingegangen?

19. Hat das Bundesministerium der Verteidigung inzwischen klare Definitionen
entwickelt, in welchen Bereichen des Grundbetriebs von einzelnen Vor-
schriften der SAZV abgewichen werden kann und wo nicht, um die diesbe-
züglich offenbar bestehende Rechtsunsicherheit bei den Vorgesetzten zu be-
seitigen (vgl. Jahresbericht 2015 des Wehrbeauftragten, S. 23)?

20. Nach welchen Kriterien und Bestimmungen werden etwaige Meinungsver-
schiedenheiten zwischen Vorgesetzten und Untergebenen darüber entschie-
den, ob eine Abweichung von den Vorschriften der SAZV „aus dienstlichen
Gründen“ gerechtfertigt ist oder nicht?
a) Welche Einspruchsmöglichkeiten haben die Soldatinnen und Soldaten?
b) Welche disziplinarrechtlichen Konsequenzen müssen Vorgesetzte fürch-

ten, die in einem solchen Streit unterliegen?

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21. Wie stellt die Bundeswehr sicher, dass nunmehr keine Flucht in der Be-

reichsausnahme des § 6 Absatz 1 Satz 3 SAZV (Ausnahmen für bestimmte
Regelungen der SAZV im Grundbetrieb) und damit die Umkehr des Regel-
Ausnahme-Prinzips stattfinden?

22. Geht die Bundeswehr davon aus, dass es durch die Anerkennung des Arbeit-
nehmerbegriffs in der Bundeswehr auch einen Annahmeverzug des Arbeit-
gebers besteht, wenn z. B. äußere Einflüsse die Erbringung der geschuldeten
Arbeitszeit unmöglich machen (z. B. widrige Witterungsbedingungen auf
dem Truppenübungsplatz oder auf der Schießbahn)?
a) Wenn nein, warum geht die Bundeswehr dann davon aus, dass dieser

Grundgedanke des Arbeitsrechts hier keine Geltung erlangt?
b) Wenn ja, welche Einflüsse könnten dies sein?

23. Gerade bei Dienststellen mit Schichtbetrieb erfordert die SAZV die Umstel-
lung von einem Zwei-Schicht-Betrieb auf drei Schichten. Wieso findet nicht
bei allen Dienststellen, die einen Dienstbetrieb 24 Stunden an sieben Tagen
(24/7-Betrieb) in der Woche anbieten müssen, eine neue Soll-Org-/STAN-
Verhandlung statt, und warum erhält nur das Gefechtsübungszentrum den
erforderlichen Personalbedarf zur Aufrechterhaltung des 24/7-Betriebs?

24. Wann und auf welcher Basis soll überprüft werden, ob Anpassungen mit
Blick auf Ausnahmeregelungen zur angewandten Arbeitszeitverordnung für
einzelne Bereiche der Teilstreitkräfte, Organisationsbereiche oder im Bun-
desministerium vorzunehmen sind?

Berlin, den 23. Februar 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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