BT-Drucksache 18/7699

DDR-Altübersiedlerinnen und -Altübersiedler sowie DDR-Flüchtlinge vor Rentenminderungen schützen -Gesetzliche Regelung im SGB VI verankern

Vom 25. Februar 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/7699
18. Wahlperiode 25.02.2016
Antrag
der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Roland Claus, Sabine Zimmermann
(Zwickau), Katja Kipping, Azize Tank, Kathrin Vogler, Harald Weinberg, Birgit
Wöllert, Pia Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.
sowie der Abgeordneten Markus Kurth, Corinna Rüffer, Dr. Wolfgang
Strengmann-Kuhn, Brigitte Pothmer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

DDR-Altübersiedlerinnen und -Altübersiedler sowie DDR-Flüchtlinge vor
Rentenminderungen schützen – Gesetzliche Regelung im SGB VI verankern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Erwerbsbiografien von Übersiedlerinnen und Übersiedlern sowie Flüchtlingen
aus der DDR, die in der Bundesrepublik Deutschland lebten, wurden rentenversiche-
rungsrechtlich nach dem Fremdrentengesetz (FRG) bewertet und damit jenen origi-
närer Bundesbürgerinnen und -bürger gleichgestellt: Den Betroffenen wurde eine
fiktive westdeutsche Erwerbsbiografie zugeordnet, die sich an der ehemals ausgeüb-
ten beruflichen Tätigkeit in der DDR orientierte. Die Zuordnung der FRG-gestützten
fiktiven Erwerbsbiografie bedeutete die Zuordnung einer bestimmten „Rangstelle“
(Entgeltpunkte) im System der gesetzlichen Rentenversicherung. Im Zuge der deut-
schen Einheit wurden die in den Rentenkonten der eingegliederten Übersiedlerinnen
und Übersiedler sowie der Flüchtlinge enthaltenen Daten nach den Kriterien der
Rentenüberleitung neu bewertet, was sehr oft mit einer deutlichen Rentenminderung
verknüpft ist.
Die Transformation der DDR-Erwerbsbiografien der Übersiedlerinnen und Über-
siedler sowie der Flüchtlinge im Zuge ihrer individuellen Eingliederung waren
Rechtsakte, auf deren Bestand sich die Betroffenen verlassen haben. Schließlich wa-
ren mit der Aberkennung bzw. Entlassung aus der DDR-Staatsbürgerschaft alle Ver-
bindlichkeiten gegenüber der DDR gelöscht, auch die gegenüber der DDR-Sozial-
versicherung. Mit dem Renten-Überleitungsgesetz (RÜG) erhielten die Übersiedle-
rinnen und Übersiedler, die bis zum 18. Mai 1990 in die Bundesrepublik Deutsch-
land kamen und nicht unter die Vertrauensschutzregelung fallen, zwar wieder An-
sprüche aus der Sozialversicherung der DDR, diese können aber zumeist die finan-
ziellen Verluste bei der Rente durch die Neubewertung nicht ausgleichen.
Aus der Gesetzesbegründung zum RÜG (Bundestagsdrucksache 12/405) geht her-
vor, dass die Bewertung von rentenrechtlichen Zeiten im Beitrittsgebiet nach dem
Fremdrentenrecht ihre Berechtigung verloren hat und für die Rentenberechnung
künftig die tatsächlichen individuellen Entgelte maßgebend sein sollen. Nicht ent-

Drucksache 18/7699 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
halten ist die Absicht einer Neubewertung der bereits transformierten rentenrechtli-
chen Zeiten der eingegliederten Übersiedlerinnen und Übersiedlern sowie der
Flüchtlinge aus der DDR.
Im Staatsvertrag vom 18. Mai 1990 war festgelegt worden, dass ab diesem Stichtag
keine Eingliederungsverfahren mehr stattfinden sollten. Entsprechend der Forderung
des Einigungsvertrages vom 31. August 1990 verabschiedete der Deutsche Bundes-
tag am 21. Juni 1991 (verkündet am 25. Juli 1991) das Renten-Überleitungsgesetz,
mit dem die Renten und Rentenanwartschaften der Versicherten des Beitrittsgebietes
in die gesetzliche Rentenversicherung der Bundesrepublik Deutschland überführt
werden sollten. Für Übersiedlerinnen und Übersiedler, die bis 1995 eine Rente der
gesetzlichen Rentenversicherung beantragten, galten aus Vertrauensschutzgründen
nach § 259a des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der Fassung des
RÜG weiterhin die Tabellenentgelte nach der Anlage 1 bis 16 des FRG. Mit dem
Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetz vom 24. Juni 1993 wurde die Vertrauens-
schutzregelung abgeändert, in dem diese nun für die rentennahen Jahrgänge bis ein-
schließlich 1936 galt.
Bestandsübersiedlerinnen und -übersiedler sowie Flüchtlinge der Jahrgänge ab 1937
sind damit rentenrechtlich zumeist schlechter gestellt. Diese Schlechterstellung darf
nicht mehr hingenommen werden, auch wenn die rechtlichen Regelungen vor der
Gerichtsbarkeit standhalten. Denn aus den Unterlagen zur Gesetzgebung zum RÜG
geht zumindest nicht hervor, ob die sich durch die Ablösung des FRG für Übersied-
ler ergebenden Folgen absehbar und gewollt waren.
Bestandsübersiedlerinnen und -übersiedler sowie Flüchtlinge, deren Anwartschaften
zunächst nach dem FRG berechnet werden sollten (erteilte Feststellungsbescheide
im Eingliederungsverfahren durch die RV-Träger), konnten darauf vertrauen, dass
ihre Eingliederung in das westdeutsche Rentenrecht auch nach der Wiedervereini-
gung Bestand haben würde. Genau hier liegt die Möglichkeit für eine Abgrenzung
zu jenen DDR-Übersiedlerinnen und Übersiedlern, die nach dem Mauerfall übersie-
delten. Wohnortswechsel waren nunmehr möglich und nicht mehr mit dem Abbruch
aller (rentenversicherungsrechtlichen) Rechte und Pflichten verbunden. Daraus lässt
sich auch die Berechtigung für eine Ausnahmeregelung für DDR-Flüchtlinge ablei-
ten, die vor dem Mauerfall ausreisten.
Das RÜG sowie die Ablösung des FRG werden bisher von der Gerichtsbarkeit nicht
beanstandet. Dennoch ist zweifelhaft, ob die Regelungen zur Rentenüberleitung tat-
sächlich auf Bestandsübersiedlerinnen und -übersiedler anzuwenden sind: Es sollte
sichergestellt werden, dass diejenigen, die nach Schließung des Staatsvertrags am
18. Mai 1990 in der Bundesrepublik Deutschland ihren Wohnsitz nahmen, keine
Renten nach dem FRG beantragen konnten. Diese Regelung ist grundsätzlich nicht
in Frage zu stellen. Eine Ausnahme ist jedoch für jene Versicherten vorzusehen, die
vor dem Mauerfall aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland umsiedelten,
die Voraussetzungen für den geltenden Vertrauensschutz aber nicht erfüllen, weil sie
nach 1936 geboren sind. Sie dürfen rentenrechtlich nicht unter das RÜG fallen. Die
Ergänzung des bestehenden Vertrauensschutzes ist daher notwendig.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

eine Regelung für Bestandsübersiedlerinnen und -übersiedler zu schaffen, die vor
dem Mauerfall ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland hatten. Die Bun-
desregierung hat dabei die Möglichkeiten für die konkrete Ausgestaltung der Aus-
nahmereglung nach folgenden Maßgaben zu prüfen:

A. Grundlage der Regelung – Stichtag Mauerfall
• Es ist zu gewährleisten, dass die Rentenansprüche von Altübersiedlerinnen und

Altübersiedlern, die nach dem 31. Dezember 1936 geboren und bis zum Fall der

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Mauer am 9. November 1989 in die Bundesrepublik Deutschland gekommen
sind, nach den Tabellenwerten 1 bis 16 des FRG zu bewerten sind. Die beste-
hende Vertrauensschutzregelung nach § 259a SGB VI bleibt bestehen, muss
aber entsprechend ergänzt werden. Die neue Regelung soll dem Flüchtlings-
bzw. Übersiedlerstatus Rechnung tragen. Damit genießen auch jene Übersiedle-
rinnen und Übersiedler Vertrauensschutz, die tatsächlich noch nicht mit der Auf-
lösung der DDR und der Wiedervereinigung rechnen konnten. Diese Gruppe
vertraute auf die Möglichkeit einer völligen gesellschaftlichen Eingliederung in
die Bundesrepublik Deutschland mit allen Konsequenzen.

• Ausreisezeitpunkt als Nachweis (Entlassungsurkunde der DDR, Aufnahmebe-
scheid eines Notaufnahmelagers der Bundesrepublik Deutschland)
Die hohen finanziellen Verluste in der gesetzlichen Rente erklären sich nicht
allein aus der vorgenommenen Neubewertung nach dem RÜG, sondern sind
schon im Flüchtlings- bzw. Übersiedlerstatus angelegt: So konnten im Gegen-
satz zu den in der DDR verbliebenen Bürgerinnen und Bürger die Übersiedle-
rinnen und Übersiedler nicht damit rechnen, dass ihre in der DDR erworbenen
Rentenansprüche einschließlich einer möglichen höheren Versicherung des Ein-
kommens durch die FZR (Freiwillige Zusatzrentenversicherung) erfüllt würden.
Ihre Ansprüche gegenüber der DDR-Sozialversicherung gingen mit der Flucht
bzw. mit der Übersiedlung verloren. Daher verzichteten viele Übersiedlerinnen
und Übersiedler auch auf Beiträge zur FZR, was sich heute wegen des fehlenden
Vertrauensschutzes im FRG nachteilig auswirkt.
Außerdem war nach dem vor dem Beitritt der DDR geltenden renten-rechtlichen
Rahmen sichergestellt, dass die Bundesrepublik Deutschland die eingezahlten
Beiträge zur FZR nicht berücksichtigen würde – es galt schließlich das FRG,
das eine Anerkennung der Beiträge zur FZR ausdrücklich ausschließt.

B. Fremdrentengesetz oder Renten-Überleitungsgesetz – Vergleichsberechnung
Nach Ausführungen des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages kann die
Minderung der Rente bis zu 250 Euro betragen. Damit aber keine Schlechterstellung
durch die Ausnahmeregelung erfolgt, muss auf Antrag eine Vergleichsberechnung
erfolgen. Zu empfehlen ist außerdem ein Stichtag, bis zu dem ein Antrag auf Ver-
gleichsberechnung erfolgen muss. Damit ist auch der Verwaltungsaufwand mög-
lichst gering zu halten: Nur die Versicherten, die unter die Ausnahmeregelung fallen
und einen Antrag auf Neuberechnung bzw. eine Vergleichsberechnung bis zum
Stichtag stellen, „produzieren“ einen Mehraufwand für die Verwaltung.
• Weil sich die Anwendung der FRG-Tabellenentgelte auch ungünstig auf den

individuellen Rentenanspruch auswirken kann, müsste eine gesetzliche Neure-
gelung – vergleichbar der Regelung des § 309 SGB VI – eine Neufeststellung
der Renten auf Antrag vorsehen.

• Um Versicherten wie auch Rentenversicherungsträgern einen verbindlichen
Rahmen zu geben, ist für die Beantragung ein Stichtag festzulegen, bis zu dem
Anträge eingereicht werden können. Die Betroffenen sind über diese Möglich-
keit hinreichend zu informieren.

Berlin, den 24. Februar 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion
Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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