BT-Drucksache 18/7371

Für eine faire und transparente private Altersvorsorge und ein stabiles Drei-Säulen-System

Vom 27. Januar 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/7371
18. Wahlperiode 27.01.2016
Antrag
der Abgeordneten Markus Kurth, Nicole Maisch, Dr. Gerhard Schick, Kerstin
Andreae, Corinna Rüffer, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Ekin Deligöz,
Dr. Thomas Gambke, Anja Hajduk, Sven-Christian Kindler, Renate Künast,
Brigitte Pothmer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für eine faire und transparente private Altersvorsorge und ein stabiles
Drei-Säulen-System

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der damalige Bundesarbeitsminister Walter Riester zeigte sich vor gut 15 Jahren
überzeugt: „Wir haben die größte Reform einer langfristigen Alterssicherung, die in
der Republik jemals gemacht worden ist. […] Es gibt im Kern nur Gewinner.“ (DER
SPIEGEL, Juni 2000).
Die Hoffnung, das zentrale rentenpolitische Ziel der Lebensstandardsicherung künf-
tig auch über Kapitalmärkte erreichen zu können, nährte in den Jahren um die Jahr-
hundertwende ein doppeltes Versprechen. So sollte die Riester-Rente nicht nur die
Entwicklung der Rentenbeitragssätze stabilisieren, sondern in Ergänzung der gesetz-
lichen Rente auch ein Gesamtversorgungsniveau gewährleisten, das insgesamt dau-
erhaft dem damaligen Leistungsniveau der Rentenversicherung entspricht oder sogar
darüber hinausgeht (siehe Plenarprotokoll 14/133 vom 16. November 2000). Es war
diese Prämisse, die damals die Entscheidung nach sich zog, das Sicherungsniveau
der Rentenversicherung stufenweise abzusenken.
Doch die Riester-Rente wird ihrer Sicherungsfunktion im ursprünglich gedachten
Sinn heute nicht gerecht. Sie ist in ihrer bisherigen Form gescheitert. Die Annahmen
der Jahrtausendwende haben sich als unrealistisch erwiesen. Ein durchschnittlicher
Altersvorsorgeaufwand von 4 Prozent, eine jährliche Verzinsung von 4 Prozent und
Verwaltungskosten in Höhe von 10 Prozent, wie bis in die Gegenwart in den Ren-
tenversicherungsberichten der Bundesregierung vorausgesetzt, sind heute alles an-
dere als der Regelfall. Einzig das Ziel der Beitragssatzstabilisierung konnte durch
die Senkung des Rentenniveaus durchgesetzt und erreicht werden. Bis 2030 werden
die gesetzlich vereinbarten Ziele für Beitragssätze und Rentenniveau gehalten wer-
den können. Dies bedeutet, dass das Rentenniveau bis 2030 weiter absinken, aber
über dem Prognosewert der Rürup-Kommission bleiben wird und der Rentenbei-
tragssatz steigt, aber voraussichtlich die Prognosen der Rürup-Kommission unter-
schreiten wird.
Die Zahl der Riester-Verträge stagniert seit Jahren auf niedrigem Niveau. Bei mehr
als 30 Millionen potentiellen Riester-Sparerinnen und -Sparern, die in toto vom Ab-

Drucksache 18/7371 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
sinken des gesetzlichen Rentenniveaus betroffen sind (vgl. Bundestagsdrucksa-
che 18/3628, S. 4), sorgen nur etwa 6,4 Millionen Menschen im Sinne des Riester-
Konzepts, also bei voller Ausnutzung der Förderleistungen, vor (Antwort der Bun-
desregierung auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Markus Kurth im Rahmen
der Fragestunde am 3. Dezember 2014). Lediglich diese Gruppe wäre – theoretisch
– in der Lage, mithilfe der Riester-Rente die Niveauabsenkung auszugleichen. Die
dafür notwendigen 4-prozentigen Kapitalrenditen erscheinen indes spätestens seit
der Finanzkrise in der Breite unrealistisch. Dies gilt nicht zuletzt auch mit Blick auf
die nach wie vor häufig zu hohen Abschluss- und Vertriebskosten sowie die Kosten
im Falle eines Wechsels. Hinzu kommt das verbraucherpolitische Problem der man-
gelhaften Transparenz vieler Riester-Produkte. Auch das mit dem Altersvorsorge-
Verbesserungsgesetz verpflichtend eingeführte Produktinformationsblatt hat die
Vergleichbarkeit und Verständlichkeit der Produkte kaum verbessert.
Was der ersten Säule der Alterssicherung an Tragkraft verloren ging, konnte die er-
gänzende Vorsorge bisher nicht auffangen. Hier herrscht Handlungsbedarf, sowohl
für die gesetzliche Rentenversicherung als auch für die Zusatzvorsorge. Die Siche-
rung des Lebensstandards im Alter und die Vermeidung von Altersarmut setzen ei-
nen abgestimmten Dreiklang voraus – aus einer starken Rentenversicherung, einer
flächendeckenden betrieblichen Altersversorgung und einer dritten Säule, die eine
faire und transparente private Altersvorsorge ermöglicht. Neben den in diesem An-
trag geforderten Reformen zur dritten Säule ist es daher an der Zeit, neu über Bei-
tragssatz und Rentenniveau zu diskutieren und die gesetzliche Rentenversicherung
in ihrer Funktion als wesentliche Säule zu stärken. Nicht zuletzt sorgen eine Rente
oberhalb des Grundsicherungsniveaus sowie die Grüne Garantierente dafür, dass
sich die private Altersvorsorge auch für Geringverdienerinnen und Geringverdiener
lohnt. Die Betriebsrenten müssen zudem in Zukunft auch für all diejenigen Beschäf-
tigten attraktiver werden, die bislang faktisch ausgeschlossen sind (dies gilt insbe-
sondere für Geringverdienerinnen und Geringverdiener und Beschäftigte in kleinen
und mittleren Unternehmen).

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Möglichkeit einer fairen und transparenten
privaten Altersvorsorge eröffnet. Hierzu gilt es,
1. ein einfaches und kostengünstiges Basisprodukt in Form eines Pensionsfonds

als Standardweg der kapitalgedeckten Altersvorsorge einzuführen, bei dem
Ein- sowie Auszahlungsweg staatlich organisiert werden und der Staat die Rah-
menbedingungen für die Anlage festlegt,

2. eine Neuregulierung der bisherigen Riester-Förderung vorzunehmen, indem
a. die Förderung von Neuverträgen auf eine reine Zulagenförderung umge-

stellt wird, wobei die Grundzulage (§ 84 EStG) spürbar zu erhöhen ist,
sodass die Förderung für breite Einkommensschichten, insbesondere für
Geringverdienerinnen und Geringverdiener, deutlich attraktiver wird,

b. der Mindestbeitragssatz zur Inanspruchnahme der vollen Förderung pro-
gressiv gestaffelt wird, um so Geringverdienerinnen und Geringverdiener
und Personen mit mittleren Einkommen zu fördern,

c. die Zulagenförderung künftig auch denjenigen zugutekommen kann, die
alternativ zur privaten Altersvorsorge freiwillige Beiträge in die gesetzli-
che Rentenversicherung zahlen,

3. über verbraucherpolitische Maßnahmen die Transparenz der bestehenden Ries-
ter-Produkte zu erhöhen und die mit ihnen verbundenen Kosten zu minimieren,
nämlich

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/7371

a. die standardisierte Offenlegung von Provisionen in Euro und Cent vorzu-
schreiben und eine bessere und zentrale Aufsicht im Finanzvertrieb zu ge-
währleisten,

b. separate Rechnungen für Beratungsleistung und Produktprämie für alle
Vertriebsformen vorzugeben,

c. ein produktübergreifendes Berufsbild der unabhängigen Honorarberatung
zu schaffen,

d. eine wirkungsvolle gesetzliche Kostenbegrenzung vorzusehen,
e. Produkttransparenz auch über transparente und realistische Sterbetafeln

herzustellen,
f. die Verteilung von Risiken und Erträgen in der Lebensversicherung fair

zu gestalten,
g. indem die Zertifizierung von geförderten Altersvorsorgeprodukten künftig

unter inhaltlichen statt unter formalen Gesichtspunkten erfolgt und dabei
auch ethische, soziale und ökologische Aspekte berücksichtigt werden,

4. eine säulenübergreifende, integrierte Vorsorgeinformation einzuführen und zu
standardisieren.

Berlin, den 26. Januar 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Begründung

Zu Nummer 1:
„Gute Angebote sind leider viel zu selten“, konstatiert „Stiftung Finanztest“ in seiner Ausgabe von Oktober 2015,
in der Kosten, Transparenz, Anlageerfolg und Flexibilität von Riester-Lebensversicherungen bewertet und ver-
glichen wurden. Nur vier der geprüften 23 Verträge erhielten die Note „gut“. Ähnlich ernüchternde Ergebnisse
kennzeichnen vergleichbare Testreihen regelmäßig.
Die Einführung eines Basisprodukts als Standardweg in der privaten Altersvorsorge nimmt sich dem zentralen
Problem an, dass es der Versicherungswirtschaft auch nach eineinhalb Jahrzehnten nicht gelungen ist, in der Breite
(von positiven Ausnahmen abgesehen) ein alterssicherungspolitisch vertretbares Tableau an Vertragsangeboten
vorzulegen.
Ein Basisprodukt ersetzt die bestehenden Riester-Angebote nicht, sondern stellt eine in aller Regel bessere, das
heißt transparentere, kostengünstigere und sicherere Alternative dar.
Die staatliche Förderung ist analog zu derjenigen der übrigen Riester-Produkte auszugestalten und soll allen Bür-
gerinnen und Bürgern, also abhängig Beschäftigten, Selbständigen, Beamtinnen und Beamten sowie Erwerbslo-
sen, offen stehen. Ein- und Auszahlungswege im Kontext des einzurichtenden Pensionsfonds sollen öffentlich
organisiert sein.
In Schweden ist ein Basisprodukt-Modell seit Jahren etabliert und erfolgreich. Hierbei investieren die Verbrau-
cherinnen und Verbraucher einen Teil ihres Einkommens in staatliche Fonds. Diese sind ausschließlich den An-
lageinteressen der Vorsorgenden gewidmet und unterliegen gesetzlich normierten Anlagegrundsätzen sowie Ef-
fizienzkontrollstrukturen. Die sog. Premiepension ist unter anderem dank der daraus resultierenden Kostenstruk-
tur für die Verbraucherinnen und Verbraucher günstiger als die auf dem deutschen Altersvorsorgemarkt angebo-
tenen Produkte. Sie wird von einer eigens für diesen Zweck geschaffenen Behörde verwaltet, die transparente
Informationen über die zur Auswahl stehenden Produkte beziehungsweise über die individuelle Fondsentwick-

Drucksache 18/7371 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
lung gewährleistet. Die anhand der schwedischen Praxis gewonnenen Erkenntnisse könnten in Teilen für die deut-
sche Umsetzung berücksichtigt werden (vgl. Haupt, Marlene/Kluth, Sebastian 2012: Das schwedische Beispiel
der kapitalgedeckten Altersvorsorge. Ein Vorbild für Deutschland?, in: Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsfor-
schung, 2/2012, S. 213 ff.).
So zahlen in Schweden alle Förderberechtigten automatisch in einen Pensionsfonds ein. Um die Entscheidungs-
freiheit zu wahren, ist allerdings, anders als in Schweden, die Möglichkeit vorzusehen, sich aktiv gegen das Ba-
sisprodukt zu entscheiden, also stattdessen ein „konventionelles“ Riester-Produkt zu nutzen, freiwillig Beiträge
in die gesetzliche Rentenversicherung zu zahlen oder auch auf eine zusätzliche geförderte Altersvorsorge gänzlich
zu verzichten. Insbesondere das Wettbewerbsrecht ist bei der Einrichtung eines Basisprodukts in Verbindung mit
einer derartigen freiwilligen Opting-Out-Regelung zu berücksichtigen.
Dem schwedischen Modell entsprechend sollte die Verwaltung des Basisfonds durch eine öffentliche Stelle er-
folgen, die die Minimierung oder Vermeidung von Vertriebs- und Abschlusskosten sicherstellt. Die Verwaltung
des Fondsvermögens sollte dabei von der öffentlichen Stelle im Einzelfall auch an externe Auftragnehmer über-
tragen werden können, um eine hohe Professionalisierung der Vermögensverwaltung zu sichern. Die Verwal-
tungsstelle sollte in regelmäßigen Abständen Mitteilungen veröffentlichen, in denen die Verwaltungskosten sowie
die Zusammensetzung des Anlagevermögens transparent ausgewiesen werden.
Zweckmäßig erscheint ferner eine passive Anlagestrategie. Auf diesem Weg können die Verwaltungskosten im
Vergleich zu derzeitigen Riester-Produkten erheblich gesenkt werden. Denkbar ist es, die Anlageform an das
Lebensalter anzupassen, also etwa zunächst den Aktienmarkt zu nutzen, um das Guthaben im rentennahen Alter
kontinuierlich bis zur Verrentung in Rentenfonds umzuschichten.
Sichergestellt werden muss darüber hinaus, dass die Veranlagung soziale, ökologische und ethische Maßstäbe
transparent einbezieht, die damit zu einer echten Entscheidungsgrundlage für die Verbraucherinnen und Verbrau-
cher werden.
In Deutschland hat die Rentenversicherung Baden-Württemberg bereits vor einigen Jahren die Einführung eines
Basisprodukts gefordert. Auch vonseiten der Verbraucherzentralen liegen Vorschläge vor (vgl. Tuchscherer,
Claudia 2014: Das Vorsorgekonto: Ein Ansatz gegen (Alters-)Armut und zur Flexibilisierung der Übergänge in
die Rente, in: Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung 3/2014, 57 ff.). Auf der Grundlage der dargelegten
Rahmenbedingungen und der vorliegenden Konzepte gilt es, das Basisprodukt-Konzept in seinen Einzelheiten
auszugestalten. Grundsätzliches Interesse haben jüngst auch drei hessische Landesminister bekundet, indem sie
einen Vorschlag für ein neues Standardprodukt („Deutschland-Rente“) vorgelegt haben (Frankfurter Allgemeine
Zeitung, 23.12.2015).

Zu Nummer 2:
„Die Gewinner sind vor allem sozial Schwache, auf deren Situation sich die Reform einstellt. Sie bietet Hilfe an.“
(Walter Riester, Plenarprotokoll 14/133 vom 16. November 2000, S. 12756).
Erklärtes sozialpolitisches Ziel der Riester-Reform war es, über finanzielle Anreize besonders Geringverdiene-
rinnen und Geringverdiener sowie Personen mit Kindern beim Aufbau einer privaten Altersvorsorge zu unterstüt-
zen.
Die Förderung der Riester-Rente erfolgt auf zwei Wegen: Über die sog. Altersvorsorgezulage (§§ 83 ff. EStG)
sowie über steuerliche Förderung, den Sonderausgabenabzug gemäß § 10a EStG. Um die volle Förderung zu
erhalten, bringt die oder der Vorsorgende als Mindesteigenbeitrag 4 Prozent des Bruttoarbeitslohns auf, höchstens
jedoch 2.100 Euro jährlich. Er oder sie erhält eine Grundzulage (bei voller Förderung derzeit in Höhe von
154 Euro jährlich) sowie gegebenenfalls Kinderzulagen (im Fall der vollen Förderung: 185 Euro jährlich für jedes
bis 2007 geborene Kind bzw. 300 Euro jährlich für jedes ab 2008 geborene Kind). Die in die Riester-Vorsorge
investierten Mittel lassen sich zudem steuerlich geltend machen. Die zusätzliche steuerliche Ersparnis liegt bei
hohen Einkommen aufgrund der Steuerprogression prinzipiell höher als bei niedrigen. Eine unverheiratete und
kinderlose Person mit einem jährlichen Bruttoarbeitsentgelt von 20.000 Euro würde beispielsweise mit einer jähr-
lichen Steuerersparnis von 49 Euro rechnen können, bei einem Einkommen von 30.000 Euro mit 202 Euro. Ein
leitender Angestellter mit einem Jahresbruttolohn von 80.000 Euro erzielte bei ansonsten gleichen Voraussetzun-
gen hingegen eine Steuerersparnis von jährlich 768 Euro. Während BezieherInnen höherer Einkommen somit
insbesondere von der steuerlichen Förderung profitieren, sind für Geringverdienerinnen und Geringverdiener in
erster Linie die Zulagen relevant.

http://www.deutsche-rentenversicherung.de/BadenWuerttemberg/de/Inhalt/6_Wir_ueber_uns/Unternehmen/Unternehmensprofil/Nachrichten/Vorsorgekonto.html
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/7371
Die Zulagenförderung hatte im Jahr 2014 eine fiskalische Belastung von rund 2,7 Milliarden Euro zur Folge. Im
Veranlagungsjahr 2011 beliefen sich die Steuerermäßigungen aufgrund des Sonderausgabenabzugs auf 885 Mil-
lionen Euro (Antwort des Bundesministeriums der Finanzen auf die Schriftliche Frage des Abgeordneten Markus
Kurth, November 2015).
Zwar haben die gegebenen Förderstrukturen durchaus erhoffte Anreizwirkungen. So lässt sich ein signifikanter
positiver Einfluss von Kindern auf die Wahrscheinlichkeit, eine Riester-Rente in Anspruch zu nehmen, feststellen.
Allerdings sorgen gerade Menschen mit geringen Einkommen unterdurchschnittlich häufig riestergefördert für
ihr Alter vor (vgl. Blank, Florian 2011: Die Riester-Rente – Überblick zum Stand der Forschung und sozialpoli-
tische Bewertung nach zehn Jahren, in: Sozialer Fortschritt, 6/2011, S. 112; siehe auch: Geyer, Johannes 2011:
Riester-Rente: Rezept gegen Altersarmut, in: DIW-Wochenbericht Nr. 45.2011; Coppola, Michela/Reil-Held,
Anette 2009: Dynamik der Riester-Rente: Ergebnisse aus SAVE 2003 bis 2008, MEA Discussion Paper 195-
2009).
Dies bestätigen auch neuere Studien. So konnten Ingo Bode und Felix Wilke auf der Basis von Datenauswertun-
gen des Sozioökonomischen Panels zeigen, dass nur in rund jedem fünften Haushalt des unteren Einkom-
mensquintils ein Riester-Vorsorgevertrag abgeschlossen wurde (Bode, Ingo/Wilke, Felix 2014: Private Vorsorge
als Illusion: Rationalitätsprobleme des deutschen Rentenmodells, Frankfurt am Main, S. 224 f.). Darüber hinaus
konnte festgestellt werden, „dass seit 2007 zunehmend auch die untere Mittelschicht in den Sparaktivitäten für
private Vorsorge zurückfällt“ (ebd., S. 225). Die dem Deutschen Bundestag von der Bundesregierung im Rahmen
der Kleinen Anfrage der Grünen Bundestagsfraktion zur Verfügung gestellten Daten belegen diese Tendenz (Bun-
destagsdrucksache 18/3467, Frage 9).
Jüngst arbeiteten Wissenschaftler des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung und der Freien Universität
Berlin heraus, dass vor allem die wohlhabenderen Haushalte von der Riester-Förderung profitieren, während Ge-
ringverdienende unterrepräsentiert sind. So kommen 38 Prozent der Gelder den oberen 20 Prozent der Einkom-
mensskala zugute. Lediglich 7 Prozent der Mittel fließen hingegen an die unteren beiden Einkommensdezile (Cor-
neo, Giacomo/Schröder, Carsten/König, Johannes 2015: Distributional Effects of Subsidizing Retirement Savings
Accounts: Evidence from Germany, Freie Universität Berlin, School of Business & Economics, Discussion Paper
2015/18).
Um diesem Problem zu begegnen und besonders Menschen mit geringem Einkommen besser als bisher zu unter-
stützen, sind verschiedene Maßnahmen notwendig: Hierzu zählen die Realisierung des Basisprodukt-Konzepts,
verbraucherpolitische Verbesserungen, eine säulenübergreifende Vorsorgeinformation sowie die Einführung der
steuerfinanzierten Garantierente, bei der Leistungen aus geförderten privaten Vorsorgeverträgen rentensteigernd
wirken. Damit dieses Maßnahmenbündel überhaupt Wirksamkeit entfalten kann, ist eine zielgenaue Neujustie-
rung der Riester-Förderung bei Neuverträgen unbedingt erforderlich. Diese sollte die Förderung stärker auf Ge-
ringverdienende fokussieren, ihnen zusätzliche Anreize für den Aufbau einer eigenen kapitalgedeckten Alters-
vorsorge geben und dabei insgesamt aufkommensneutral bleiben.
Wünschenswert ist insbesondere eine entsprechende Anpassung des § 84 EStG, also eine Erhöhung der Grund-
zulage, deren bisheriges Fördervolumen nach Angaben des Bundesfinanzministeriums auf insgesamt etwa 1,3
Milliarden Euro zu taxieren ist (siehe Antwort des BMF auf die Schriftliche Frage des Abgeordneten Markus
Kurth, November 2015). Dies erscheint auch vor dem Hintergrund sinnvoll, dass die Höhe der Altersvorsorgezu-
lagen seit 2008 unverändert ist und mithin faktisch inflationsbedingt eine schleichende Erosion der Zulagenhöhe
stattfindet. Angesichts der angestrebten Zielgenauigkeit der Maßnahme zur Förderung von Menschen mit gerin-
gem Einkommen ist eine Erhöhung der Grundzulage gegenüber einer Anhebung der Kinderzulage vorrangig.
Zudem würden auch für Eltern aus dem vorgeschlagenen Schritt finanzielle Vorteile erwachsen.

b.
Zusätzlich zu den genannten Maßnahmen soll eine Progression der Riester-Beitragssätze bessere Möglichkeiten
für Geringverdienerinnen und Geringverdiener sowie für Menschen mit mittlerem Einkommen eröffnen, die ge-
förderte private Altersvorsorge in Anspruch zu nehmen. Bislang stellen die finanziellen Voraussetzungen, um in
den Genuss der vollen Förderung zu kommen, oft eine Hürde besonders für Menschen mit kleineren Einkommen
(und ohne bzw. mit nur einem Kind) dar.
Verringerte Beitragssätze für diese Personengruppe können über eine progressive Staffelung des Mindestbeitrags-
satzes (unterhalb von 4 Prozent) zur vollen Förderung erreicht werden. Der Beitragssatz steigt dabei sukzessiv
mit zunehmendem Bruttoarbeitsentgelt. Der bisher allgemein zugrunde gelegte Wert von 4 Prozent wird erst ab
einer noch zu bestimmenden Einkommensgrenze erreicht. Die somit von Geringverdienerinnen und Geringver-

Drucksache 18/7371 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
dienern durch die vergleichsweise geringen eigenen Aufwendungen nicht erbrachten Einzahlungen auf das Ries-
ter-Konto sind über höhere Zulagen, die sich spiegelbildlich zum skizzierten erneuerten Beitragssatzmodell de-
gressiv entwickeln, auszugleichen. Bei der Ausgestaltung dieses Progressivansatzes sind die finanziellen Spiel-
räume, die durch die Einstellung der steuerlichen Förderung entstehen, sowie die mit der Erhöhung der Grundzu-
lagen (siehe a.) entstehenden Kosten zu berücksichtigen.

c.
Laut Berechnungen der Deutschen Rentenversicherung wird die Rendite der gesetzlichen Rentenversicherung,
wie bereits heute, auch bis weit in die Zukunft positiv bleiben. So sei eine langfristige Rendite zwischen 3 und
3,4 Prozent anzunehmen (siehe Kleine Anfrage der Grünen Bundestagsfraktion, Bundestagsdrucksache 18/3467,
Antwort zu Frage 6). Vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll, freiwillige Beitragszahlungen einschließlich der
bislang im Rahmen der Riester-Rente vorgesehenen Zulagenförderung in die gesetzliche Rentenversicherung aus-
nahmslos zulassen. Dies würde unter anderem die Möglichkeit eröffnen, die mit einem Teilrentenbezug einher-
gehenden Abschläge besser als bisher verringern zu können. Zwar ist dies durch eine Einmalzahlung schon heute
möglich. Die Beiträge sind allerdings in der Regel so hoch, dass viele Beschäftigte davon absehen. Die dargestellte
Regelung trägt zum Erfolg der Kombination aus Teilzeitbeschäftigung und Teilrente bei und lässt sich als echte
Wahlmöglichkeit für den gleitenden Übergang in den Ruhestand ausgestalten (siehe Bundestagsdrucksa-
che 18/5212).

Zu Nummer 3:
Zusätzlich zu den genannten Maßnahmen sind verbraucherpolitische Schritte notwendig, um auch den bestehen-
den Markt der geförderten privaten Altersvorsorge im Sinne einer größeren Transparenz und Kosteneffizienz
zugunsten der Verbraucherinnen und Verbraucher zu gestalten.
Die mangelhafte Regulierung des Finanzvertriebs, systemimmanente Fehlanreize bei der Provisionsberatung, un-
zureichende Möglichkeiten der anbieterunabhängigen Beratung sowie überhöhte Abschluss- und Vertriebskosten
konterkarieren die Intention der Riester-Rente. Der Vertrieb der Produkte muss so geregelt werden, dass Interes-
senkollisionen zwischen Beraterinnen und Beratern und Kundinnen und Kunden unterbunden werden und ein-
deutige Transparenz über die Kosten der Beratungsleistung hergestellt wird. Notwendig sind darüber hinaus eine
wirkungsvolle Begrenzung der Kosten und die stärkere Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten bei geför-
derten Altersvorsorgeverträgen.

a.
Der Anreiz zur Vermittlung provisionsträchtiger Finanzprodukte kollidiert mit dem Interesse der ratsuchenden
Verbraucherinnen und Verbraucher. Die Anforderungen an die provisionsbasierte Finanzvermittlung sind, so-
lange ein grundsätzliches Verbot von Vertriebsprovisionen nicht mehrheitsfähig ist, wenigstens zu schärfen. Dies
betrifft einerseits die Offenlegungspflichten für Provisionen und andere Zuwendungen. Denn Kundinnen und
Kunden haben einen Anspruch darauf, klar zu erkennen, dass die vermeintlich kostenlose Finanzvermittlung nicht
umsonst ist.
Zudem ist es notwendig, im Rahmen der provisionsgetriebenen Beratung künftig eine effektive und kontinuierli-
che Aufsicht durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) sowie durch einen Finanzmarkt-
wächter sicherzustellen (siehe Bundestagsdrucksache 17/6503).
Schließlich muss die provisionsunabhängige Honorarberatung endlich als echte Alternative zur provisionsbasier-
ten Finanzvermittlung gesetzlich etabliert werden, das heißt auf alle Produktgruppen (Versicherung, Geldanlage,
Darlehen) erweitert werden.

b.
Um die Kosten der Beratungsleistung bei der Provisionsvermittlung wie bei der Honorarberatung gleichermaßen
transparent und bewusst zu machen, sollen die Beratungskosten für die Kundinnen und Kunden künftig in einer
separaten Rechnung ausgewiesen werden. Damit wird sichergestellt, dass die Kundin oder der Kunde realisiert,
wie viel Geld sie oder er für die Beratung zahlt und welcher Betrag tatsächlich in die Altersvorsorge fließt.

c.
Verbraucherinnen und Verbraucher, die für ihr Alter vorsorgen, wissen durch die Beratung noch nicht unbedingt,
welche Produktart für sie am sinnvollsten ist. Es ist daher nicht sinnvoll, die Honorarberatung nach Produktkate-
gorien zu segmentieren. Es braucht ein einheitliches Berufsbild der Honorarberatung: unabhängige Berater und
Beraterinnen, bei denen die Verbraucherinnen und Verbraucher zu allen finanziellen Fragen Rat erhalten.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/7371
d.
Die Kosten bei einem Riester-Vertragswechsel sind in Zukunft insofern zu begrenzen, als dass es Verbraucherin-
nen und Verbrauchern möglich sein muss, ohne nennenswerte wirtschaftliche Schäden von ihrem Wechselrecht
Gebrauch zu machen. Mit dem Altersvorsorge-Verbesserungsgesetz wurde dieses Ziel nicht erreicht. Insbeson-
dere die anfallenden Abschluss- und Vertriebskosten beim neuen Anbieter müssen stärker gedeckelt werden.

e.
Versicherungsunternehmen kalkulieren nach wie vor mit undurchsichtigen Sterbetafeln und somit auch mit in-
transparenten Biometriekosten im Rentenbezug. In Zukunft sollen die Versicherer verpflichtet werden, sich im
Kontext der Sterbekalkulation an den bisher noch als Empfehlungen ausgearbeiteten Kalkulationsgrundlagen der
BaFin zu orientieren.

f.
Das bestehende intransparente System der Überschussbeteiligung bei Lebensversicherungen muss zugunsten der
Versicherungsnehmerinnen und -nehmer novelliert werden. Die Verteilung von Risiken und Erträgen in der Le-
bensversicherung muss fairer ausgestaltet werden.

g.
Transparenz bedeutet auch, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher Informationen über ökologische, soziale
und ethische Kriterien von Altersvorsorgeprodukten erhalten. Zwar sind die Anbieter von geförderten Altersvor-
sorgeverträgen heute formal dazu verpflichtet, den Anlegern zu berichten, wie ethische, soziale und ökologische
Belange bei der Verwendung der eingezahlten Beiträge berücksichtigt werden (§ 7 Abs. 4 des Altersvorsorgever-
träge-Zertifizierungsgesetzes). Diese Berichtspflicht ist jedoch in der Realität weitgehend wirkungslos. Die An-
bieter haben die Möglichkeit, ihre Produkte mit dem einmaligen Hinweis, dass diese keine ökologische, soziale
oder ethische Dimension haben, von der Berichtspflicht zu befreien. Nach wie vor gibt es sehr wenige nachhaltige
Riester-Produkte auf dem deutschen Markt. Deshalb braucht es als ersten Schritt eine Aufstellung von Negativ-
kriterien, durch die eine Zertifizierung als Riester-Produkt von vornherein ausgeschlossen wird, die Entwicklung
von Positivkriterien, eine Erweiterung der Offenlegungspflichten für Nachhaltigkeitsaspekte sowie eine regelmä-
ßige Qualitätsprüfung durch eine öffentliche Einrichtung.

Zu Nummer 4:
Eine säulenübergreifende Altersvorsorge ist das politische Leitbild. Eine säulenübergreifende Vorsorgeinforma-
tion für Verbraucherinnen und Verbraucher gibt es jedoch bislang nicht. Um den Verbraucherinnen und Verbrau-
chern einen gezielten Überblick über ihre eigene Absicherung im Alter und das Leistungsspektrum der verschie-
denen Säulen zu ermöglichen, sollten die verschiedenen Mitteilungen über erworbene Altersvorsorgeansprüche
bei privaten und gesetzlichen Trägern bei einer Stelle (z. B. der Deutschen Rentenversicherung) zusammengeführt
und in einer säulenübergreifenden, einheitlichen Vorsorgeinformation den Verbraucherinnen und Verbrauchern,
bei Bedarf auch in einfacher Sprache, zur Verfügung gestellt werden. Selbstverständlich sind datenschutzrechtli-
che Belange hierbei zu berücksichtigen.

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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