BT-Drucksache 18/7236

Selbstbestimmungsrechte von Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern stärken

Vom 12. Januar 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/7236
18. Wahlperiode 12.01.2016
Antrag
der Abgeordneten Cornelia Möhring, Ulla Jelpke, Sigrid Hupach, Matthias W.
Birkwald, Christine Buchholz, Nicole Gohlke, Dr. André Hahn, Dr. Rosemarie
Hein, Susanna Karawanskij, Katja Kipping, Jan Korte, Norbert Müller
(Potsdam), Petra Pau, Harald Petzold (Havelland), Martina Renner, Kersten
Steinke, Dr. Kirsten Tackmann, Azize Tank, Frank Tempel, Kathrin Vogler,
Halina Wawzyniak, Harald Weinberg, Katrin Werner, Birgit Wöllert, Jörn
Wunderlich, Sabine Zimmermann (Zwickau), Pia Zimmermann und der
Fraktion DIE LINKE.

Selbstbestimmungsrechte von Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Mit dem „Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten“ (Prostitu-
tionsgesetz – ProstG) aus dem Jahr 2002 wurde durch die Aufhebung der Sittenwid-
rigkeit ein wichtiger Schritt hin zu einer Entkriminalisierung des Gewerbes beschrit-
ten, die Grundlage für faire Arbeitsbedingungen und den Schutz der Beschäftigten
sein kann. Seither können Entgeltforderungen vor Gericht geltend gemacht werden
und es sind abhängige Beschäftigungsverhältnisse und damit der Zugang zum So-
zialversicherungssystem möglich.
Das ProstG hält dafür ausdrücklich fest, dass das eingeschränkte Weisungsrecht des
Arbeitgebers dem abhängigen Beschäftigungsverhältnis in der Prostitution nicht ent-
gegensteht. Das ProstG hat die Rechtsposition von Sexarbeiterinnen und Sexarbei-
tern gestärkt und damit auch einen Wandel in der gesellschaftlichen Bewertung des
Berufs vorangebracht.
Inzwischen hat sich jedoch gezeigt, dass sich das im Prostitutionsgesetz beabsich-
tigte Modell des abhängigen Beschäftigungsverhältnisses in Prostitutionsstätten in
der Praxis nicht etabliert hat, weil ein Weisungsrecht letztlich immer die sexuelle
Selbstbestimmung zu stark gefährden würde und ein Beschäftigungsverhältnis ohne
Weisungsrecht für einen Arbeitgeber wirtschaftlich und rechtlich nicht umzusetzen
ist. Hier geht es also praktisch eher um eine selbständige Tätigkeit in Ausübung se-
xueller Dienstleistung.
Vor diesem Hintergrund ist jedoch zu verstehen, dass eine zentrale Problemstellung
für Prostituierte noch immer die soziale Absicherung ist, die im Rahmen einer all-
gemeinen Verbesserung für alle Selbständigen dringend gelöst werden muss. Hinzu
kommen der Mangel an bezahlbaren Arbeitsräumen und die anhaltende gesellschaft-
liche Stigmatisierung von Personen, die sexuelle Dienstleistungen erbringen.

Drucksache 18/7236 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Seit einigen Jahren wird nun von konservativen Kräften in Politik und Medien für
eine verschärfte Reglementierung des Gewerbes plädiert. Aktuell plant die Bundes-
regierung eine Gesetzesnovelle. Dabei werden Forderungen aufgestellt, die in
Grundrechte wie die Berufsfreiheit, die Unverletzlichkeit der Wohnung oder das
Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingreifen. Anlass der Novelle ist eine
unzulässige Vermischung von Prostitution/Sexarbeit als selbstgewählter Tätigkeit
und Straftatbeständen wie dem Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeu-
tung und jenem der Vergewaltigung. Umgesetzt würden sie der ohnehin noch immer
vorhandenen Stigmatisierung und Diskriminierung von Sexarbeiterinnen und Sexar-
beitern weiter Vorschub leisten, ohne ihnen jedoch einen erhöhten rechtlichen
Schutz zu bieten.
Die geplante Novelle sieht repressive Maßnahmen wie etwa eine Registrierungs-
pflicht und verpflichtende Gesundheitsberatung vor. Doch für jene Menschen, die
sich aufgrund der anhaltenden Stigmatisierung ein Outing nicht leisten können, sind
diese Regelungen mit großen Problemen verbunden. Es ist zu erwarten, dass dadurch
viele von ihnen in die Illegalität getrieben werden.
Geeigneter Schutz kann jedoch immer nur durch einen Ausbau an Rechten wirken,
auf die sich Betroffene im Zweifelsfall stützen können. Wenn es Regelungsbedarf
gibt, muss er sich auf die Stärkung der Rechte und eine Verbesserung der Arbeits-
bedingungen von Prostituierten beziehen, die ihre sexuelle Selbstbestimmung garan-
tieren.
Zum allergrößten Teil sind Frauen in der Sexarbeit tätig. Daher wird im Blick auf
die gesetzliche Gestaltung häufig vernachlässigt, dass auch Männer, Transsexuelle
und Transgender in dieser Branche arbeiten. Hierzu fehlen – wie insgesamt für die
Branche – verlässliche Studien, die auch Aufschluss über den besonderen Bedarf
liefern können und somit Aufschluss über notwendige Regelungen geben.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen konkreten Maßnahmenkatalog zu unterbreiten, der das Selbstbestimmungs-
recht von Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern garantiert, die Arbeitsbedingungen ver-
bessert und Stigmatisierungen entgegenwirkt. Dabei sind insbesondere folgende
Punkte zu beachten:
1. Für alle Selbständigen, somit auch für Prostituierte, müssen perspektivisch be-

zahlbare Wege in die Zweige der Sozialversicherungssysteme (Rente, Gesund-
heit und Pflege, Arbeitslosenversicherung) geschaffen werden. Die Beitragszah-
lungen müssen sich dabei an den tatsächlichen Einkommen orientieren. Eine fi-
nanzielle Überforderung ist auszuschließen.

2. Für vernünftige Arbeitsbedingungen, in denen das Selbstbestimmungsrecht von
Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern garantiert werden kann, ist die Formulierung
klarer Anforderungen an die Betreibenden von Prostitutionsstätten erforderlich,
an die die Erteilung einer Erlaubnis für den Betrieb gebunden wird.
Diese gesetzlich zu verankernden Mindeststandards (beispielsweise bezüglich
Sicherheit, Hygiene oder Miethöhe) können und dürfen nur gemeinsam mit Be-
rufsverbänden von Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern (und Betreibenden) für die
im Vorfeld zu definierenden unterschiedlichen Arten von Prostitutionsstätten
festgelegt werden, erforderlichenfalls in der Zusammenarbeit mit den Ländern.
Die Verpflichtung zur Gewährleistung der genannten selbständigen Tätigkeit von
Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern in den Prostitutionsstätten muss unter der wei-
testgehend möglichen Wahrung der sexuellen Selbstbestimmung geschehen.
Diese Anforderungen sind dann als rechtssichere Grundlage für Konzession,
Kontrolle und ggf. die Verhängung von Ordnungswidrigkeiten, wenn geregelte
Arbeitsbedingungen nicht gewährleistet sind, anzuwenden.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/7236
3. Aufsuchende Beratungs- und Informationsangebote in verschiedenen Sprachen

für Prostituierte sowie auf freiwillige anonyme Inanspruchnahme gerichtete Di-
agnose- und Behandlungsmöglichkeiten bei sexuell übertragbaren Krankheiten
(STI) (abgestimmt auf alle jeweiligen Geschlechter) müssen in Zusammenarbeit
mit den Ländern ausgebaut und bedarfsgerecht und sicher finanziert werden.
Zudem sind auch Informationsangebote für die Kundschaft zur Verfügung zu
stellen. Diese sollten leicht verständliche Informationen über Übertragungsrisi-
ken der verschiedenen STI und Verhaltensempfehlungen enthalten.

4. Alle Maßnahmen, die zur Regulierung der Branche ergriffen werden, sind spezi-
fisch daraufhin zu prüfen, dass sie der Stigmatisierung von Sexarbeiterinnen und
Sexarbeitern entgegenwirken.

Der Maßnahmenkatalog ist regelmäßig zu evaluieren, mindestens im Abstand von
drei Jahren. Um eine informierte Grundlage hierfür zu schaffen, sind Studien in Auf-
trag zu geben, die Aufschluss über die Auswirkungen der Regelungen geben. Dar-
über hinaus sind runde Tische einzuberufen, die sich mit den spezifischen Belangen
der Prostituierten befassen, deren aktuelle Bedarfe ermitteln und für eine zeitnahe
Übermittlung von Regelungsbedarfen an den Gesetzgeber sorgen.

Berlin, den 12. Januar 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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