BT-Drucksache 18/6838

Die sogenannte Negativliste im CETA-Abkommen

Vom 24. November 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/6838
18. Wahlperiode 24.11.2015

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Klaus Ernst, Caren Lay, Karin Binder, Christine Buchholz,

Eva Bulling-Schröter, Annette Groth, Heike Hänsel, Inge Höger, Andrej Hunko,

Susanna Karawanskij, Jutta Krellmann, Katrin Kunert, Sabine Leidig,

Thomas Lutze, Birgit Menz, Thomas Nord, Richard Pitterle, Michael Schlecht,

Dr. Axel Troost, Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

Die sogenannte Negativliste im CETA-Abkommen

Bei dem CETA-Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada „wird die
größtmögliche Handelsliberalisierung angestrebt“ (vgl. CETA-Verhandlungs-
mandat vom 24. April 2009). In CETA wird der NAFTA-Ansatz einer Negativ-
liste übernommen. Das heißt, es wird ein allgemeines Liberalisierungsgebot ein-
geführt. Alles, das nicht der Liberalisierung unterworfen werden soll, muss expli-
zit gelistet werden nach dem Prinzip „list it or lose it“. Diese Vorbehalte zu den
in den Kapiteln „Investment“ und „Cross-Border Trade in Services" festgelegten
Liberalisierungsverpflichtungen finden sich in den Annexen I und II des CETA-
Abkommens (Bezug ist jeweils der am 26. September 2014 in englischer Fassung
veröffentlichte Vertragstext goo.gl/cM4BE7).

Annex I enthält Vorbehalte, die sich aus aktuellen Regulierungsmaßnahmen er-
geben (Reservations for Existing Measures and Liberalisation Commitments).
Für Bereiche, die nur in Annex I eingetragen sind, dürfen zukünftig keine neuen
oder restriktiveren Maßnahmen eingeführt werden (Standstill- bzw. Stillhalte-
klausel). Demnach sind dort zukünftige Maßnahmen unzulässig, die Zugang zu
Märkten begrenzen oder ausländische Dienstleister und Investoren „diskriminie-
ren“. Zukünftige Liberalisierungen einer Vertragspartei werden automatisch zu
geltenden CETA-Verpflichtungen, die später nicht mehr zurückgenommen wer-
den können (Ratchet- bzw. Sperrklinkenklausel). Annex II enthält Beschränkun-
gen für zukünftige Maßnahmen (Reservations for Future Measures) und soll da-
mit dem Gesetzgeber Handlungsspielräume eröffnen. Nur für die im Annex II
aufgeführten Bereiche wäre der Gesetzgeber weiter in der Lage, regulierend tätig
zu werden. Es ist allerdings zu befürchten, dass hier einige Lücken bestehen.
Gleichzeitig ist die Unübersichtlichkeit des Negativlisten-Ansatzes ein großer
Kritikpunkt.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Dienstleistungen unterfallen nach der aktuellen Fassung des CETA-
Vertragstextes in der EU bzw. in Deutschland der vollständigen Liberalisie-
rung (bitte einzeln nach der UN-Wirtschaftszweigklassifikation ISIC
Rev. 3.1-Codes auflisten, unstats.un.org/unsd/publication/seriesm/seriesm_
4rev3_1e.pdf)?

Drucksache 18/6838 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

 

2. Welche Dienstleistungen sind in der aktuellen Fassung des CETA-Ver-
tragstextes in der EU bzw. in Deutschland von den drei Liberalisierungsver-
pflichtungen Marktzugang, Inländerbehandlung und Meistbegünstigung so-
wohl hinsichtlich Investitionen als auch hinsichtlich grenzüberschreitenden
Dienstleistungen ausgenommen (bitte einzeln nach ISIC Rev. 3.1-Codes auf-
listen)?

3. Haben die Regelungen in CETA Auswirkung auf die Entscheidungsspiel-
räume nationaler, regionaler und lokaler öffentlicher Stelle bei der Auswahl
eines Dienstleistungsanbieters, wenn

a) die Tätigkeit, nur durch juristische Personen des öffentlichen Rechts
wahrgenommen werden darf, und wenn

b) die Tätigkeit nur durch juristische Personen des öffentlichen Rechts wahr-
genommen werden darf, aber durch Public-Private-Partnership-Konstruk-
tionen bereits Unternehmen in (teilweise) privater Hand in die Aufgaben-
wahrnehmung eingebunden werden?

4. Welche Voraussetzungen ermöglichen die unterschiedliche Behandlung von
öffentlichen und privaten Dienstleistungsanbietern im Hinblick auf die in
CETA definierte Inländerbehandlung, und welche Rolle spielen dabei die
privat- oder öffentlich-rechtliche Unternehmensform, die Eigentumsstruktur
in öffentlicher und/oder privater Hand oder die jeweilige Tätigkeit?

5. Inwieweit gilt die Inländerbehandlung in CETA für zukünftige – nicht in An-
nex I und II gelistete – neue Dienstleistungen?

6. Inwiefern besteht bei nicht unter Vorbehalt gestellten Dienstleistungen unter
CETA noch ein rechtsklarer Ermessensspielraum der nationalen, regionalen
und lokalen Behörden in der Frage, wie Dienste von allgemeinem wirtschaft-
lichem Interesse auf eine den Bedürfnissen der Nutzer so gut wie möglich
entsprechende Weise zur Verfügung zu stellen, in Auftrag zu geben und zu
organisieren sind (im Sinne des Protokolls Nr. 26 AEUV)?

7. An welcher Stelle im CETA-Kapitel zur öffentlichen Beschaffung (Kapi-
tel 21) findet sich eine Ausnahme für Dienstleistungskonzessionen des Was-
sersektors, wie sie nach starker Kritik in das reformierte EU-Richtlinienpaket
zum Vergabewesen aufgenommen wurde, und inwiefern wird diese Aus-
nahme im Rahmen der Inländerbehandlung berücksichtigt?

8. Welche einzelnen Dienstleistungssektoren und -subsektoren erachtet die
Bundesregierung als zum geschützten Bereich der „Public Utilities“-Klausel
zugehörig (nach ISIC Rev. 3.1-Codes, bitte begründen)?

9. Wie verhält sich die Bundesregierung dazu, dass der von der EU unter An-
nex II aufgeführte „Public Utilities“-Vorbehalt sich nur auf „public monopo-
lies“ und „exclusive rights granted to private operators“ bezieht, während der
Großteil der öffentlichen Dienstleistungen weder als „öffentliches Monopol“
noch als „ausschließliches“ Recht privater Anbieter erbracht wird?

10. Ist in den vom „Public Utilities“-Vorbehalt geschützten Sektoren die zukünf-
tige Einrichtung von öffentlichen Monopolen und öffentlichen Dienstleistun-
gen uneingeschränkt auch dort erlaubt, wo bereits private Anbieter neben öf-
fentlichen Dienstleistern tätig sind?

11. Wie verhält sich die Bundesregierung dazu, dass sich der von der EU unter
Annex II aufgeführte „Public Utilities“-Vorbehalt nur auf Marktzugang und
nicht auf die Inländerbehandlung, die Meistbegünstigung und die Investiti-
onsschutzstandards bezieht?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/6838

 

12. Welche Anforderungen können sich daraus ergeben, dass sich der von der
EU unter Annex II aufgeführte „Public Utilities“-Vorbehalt nicht auf „Per-
formance Requirements“ sowie „Senior Management and Boards of Direc-
tors“ bezieht?

13. Wie verhält sich die Bundesregierung dazu, dass sich der von der EU unter
Annex II aufgeführte „Public Utilities“-Vorbehalt nur auf Investitionen und
nicht auf den grenzüberschreitenden Dienstleistungshandel, etwa über das
Internet, bezieht?

14. Wie konkret bringt sich die Bundesregierung ein, um die in Fragen 9, 11 und
13 angesprochenen Lücken zu schließen (bitte begründen)?

15. Warum beschränkt sich die deutsche Ausnahme für das Abfallmanagement
auf Monopole und „exclusive service suppliers“, so dass im Wettbewerb ste-
hende öffentliche Entsorger, die weder ein Monopol darstellen noch „exklu-
sive“ Dienstleistungsanbieter sind, von diesem Vorbehalt ausgeschlossen
sind?

16. Warum bezieht sich auch die deutsche Ausnahme für das Abfallmanagement
inkl. Abwasserentsorgung nur auf den Marktzugang und nicht auf die Inlän-
derbehandlung, die Meistbegünstigung und die Investitionsschutzstandards?

17. Warum wurde überhaupt ein deutscher Vorbehalt für das Abfallmanagement
eingeführt, wo doch „environmental services“ ohnehin das Abfallmanage-
ment umfassen und „environmental services“ durch den „Public-Utilities“-
Vorbehalt geschützt werden?

18. Ist nach Einschätzung der Bundesregierung sichergestellt, dass bei dem von
der EU unter Annex II aufgeführten Vorbehalt für Bildungs-, Gesundheits-
und soziale Dienste Gebühren, die zwar staatlich verordnet, aber von Leis-
tungsempfängern zu zahlen sind, nicht als private Finanzierung betrachtet
werden und geschützt sind (bitte begründen)?

19. Wie ist sichergestellt, dass bei dem von der EU unter Annex II aufgeführten
Vorbehalt für Bildungs-, Gesundheits- und soziale Dienste, eine Dienstleis-
tung mit Mischfinanzierung aus öffentlichen und privaten Quellen als öffent-
lich finanziert gilt (bitte begründen)?

20. Ist nach Ansicht der Bundesregierung sichergestellt, dass die Entgeltfinan-
zierung über die Sozialversicherung sowie die Leistungserbringung im Rah-
men des sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses unter den Begriff der öffent-
lich finanzierten Dienstleistungen im Sinne des Abkommens fallen (bitte be-
gründen)?

21. Wie wird sichergestellt, dass die zuweilen bestehende Privilegierung der tra-
ditionellen, gemeinnützigen freien Träger bei der öffentlichen Bezuschus-
sung nicht über die CETA-Bestimmungen zum Investitionsschutz (insbeson-
dere den Investitionsschutzstandard „fair and equitable treatment“) angegrif-
fen werden kann?

22. Warum bezieht sich die deutsche Ausnahme zu Gesundheits- und sozialen
Dienstleistungen, die die Finanzierung der Sozialversicherung schützen soll,
nur auf Investitionen und nicht auf den grenzüberschreitenden Dienstleis-
tungshandel?

23. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass dadurch über das Internet
angebotene Versicherungsprodukte ein Schlupfloch für internationale Versi-
cherungskonzerne mit kanadischen Niederlassungen darstellen können?

24. Teilt die Bundesregierung die Forderung der Bundesarbeitsgemeinschaft der
Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW; vgl. goo.gl/NucXVc), dass die Investiti-
onsschutzbestimmungen in TTIP kein einklagbares Recht auf Marktzugang

Drucksache 18/6838 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

 

umfassen sollen (bitte begründen) - zumal laut CETA-Vertragstext eine In-
vestoren-Eigenschaft bereits dann vorliegen soll, wenn eine Investition noch
gar nicht getätigt wurde, sondern es ausreicht, wenn eine Investition nur an-
gestrebt wird („Investor means a party, a natural person or an enterprise of a
Party […] that seeks to make […] an investment in the territory of the other
Party.“, S. 150) ?

25. Wie ist nach Ansicht der Bundesregierung sichergestellt, dass durch CETA
keine sozial-ökologische Reform des Beschaffungswesens, vor allem der
Vergabe- und Tariftreuegesetze der Bundesländer, behindert wird, ange-
sichts dessen, dass die klare Definition von Sozialstandards (vgl. z. B. Arti-
kel IX.6 „Technical Specifications and Tender Documentation“) fehlt?

26. Wie verhält sich die Bundesregierung dazu, dass der Annex II-Vorbehalt der
EU zu Strom- und Gasübertragungssystemen nicht die kommunalen Strom-
und Gasnetze erfasst, die derzeit in vielen Städten rekommunalisiert werden?

27. Warum hat die Bundesregierung nicht wie etwa Belgien spezifische Ausnah-
men für die Energieverteilung aufgenommen, die auch die örtlichen Netze
einschließen?

28. Wie schützt die Bundesregierung die Rekommunalisierungsmöglichkeit von
Strom- und Gasnetzen?

29. Warum enthält die Verpflichtungsliste keinerlei Ausnahmen der EU oder
Deutschlands die Telekommunikation betreffend?

30. Warum lässt die Bundesregierung eine Einschränkung des politischen Hand-
lungsspielraumes hinsichtlich Universaldienstverpflichtungen zu, indem der
aktuelle CETA-Text festschreibt, dass diese „nicht belastender als nötig“
sein dürfen (Artikel X.7.2 Universal Service), was einer nicht objektiv über-
prüfbaren und daher nicht leistbaren Begründungspflicht entspricht?

31. Wie ist die EU-, Bundes-, Landes- und kommunale Gesetzgebung zur Nut-
zung von Gewässern (u. a. Wasserrahmenrichtlinie, Wasserhaushaltsgesetz,
Wassergesetze der Länder, kommunale Satzungen) gegenüber den CETA-
Liberalisierungsverpflichtungen abgesichert, wo es im Sonderartikel X.08
auf Seite 14 in Absatz 3 über Rechte und Verpflichtungen bezüglich Wasser
heißt: „Where a Party permits the commercial use of a specific water source,
it shall do so in a manner consistent with the Agreement“, während die Be-
zeichnungen „permit“, „commercial use“ und „a specific water source“ offen
gelassen sind, so dass weitreichende Auslegungen im Sinne von Investoren
denkbar sind?

Berlin, den 24. November 2015

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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