BT-Drucksache 18/6550

Frauen verdienen gleichen Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit

Vom 4. November 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/6550
18. Wahlperiode 04.11.2015

Antrag
der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Ulle Schauws, Dr. Franziska
Brantner, Katja Dörner, Katharina Dröge, Kai Gehring, Sven-Christian Kindler,
Maria Klein-Schmeink, Renate Künast, Markus Kurth, Irene Mihalic, Brigitte
Pothmer, Tabea Rößner, Claudia Roth (Augsburg), Corinna Rüffer, Elisabeth
Scharfenberg, Hans-Christian Ströbele, Dr. Harald Terpe, Dr. Julia Verlinden,
Doris Wagner, Beate Walter-Rosenheimer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Frauen verdienen gleichen Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Frauen sind auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt. Sie verdienen im Durchschnitt nach
wie vor rund 22 Prozent weniger als Männer. Und dieser sogenannte „Gender Pay
Gap“ zeigt, dass Arbeit in unserem Land viel zu häufig nicht entsprechend ihres
Wertes entlohnt wird. Frauen werden unmittelbar benachteiligt, wenn sie bei glei-
cher Tätigkeit im gleichen Unternehmen weniger Lohn als ihre männlichen Kollegen
verdienen. Darüber hinaus wird in frauendominierten Berufen der Dienstleistungs-
oder Sozialbranche deutlich schlechter bezahlt als in männerdominierten klassischen
Industriebranchen. So beträgt etwa der Lohnunterschied zwischen einer Erzieherin
und einem KFZ-Mechaniker nach 40 Jahren, berechnet nach dem Lohnspiegel der
Böckler-Stiftung, rund 211.000 Euro. Auf diese Weise werden Frauen auf dem Ar-
beitsmarkt mittelbar diskriminiert.

Schlecht bezahlte Arbeit ist zu einem großen Teil weiterhin Frauensache. Der un-
längst eingeführte Mindestlohn war überfällig, denn davon profitieren Frauen beson-
ders. Trotzdem sagt die Entlohnung nichts über den tatsächlichen Wert der Arbeit
aus. Unlängst hat der Tarifkonflikt bei den Sozial- und Erziehungsberufen eine breite
öffentliche Diskussion über den Wert von Arbeit angestoßen. Die Beschäftigten in
den Erziehungs- und Sozialberufen streikten für die überfällige Aufwertung ihres
Berufsfelds und dabei erfuhren sie Solidarität und Unterstützung in breiten Teilen
der Gesellschaft.

Die Forderung „gleicher Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit“ ist nicht nur
gerecht, sondern auch aus anderen Gründen dringend notwendig. Denn niedrige Ein-
kommen führen zu niedrigen Rentenbeiträgen und kleinen Renten. Frauen sind auch
deswegen besonders von Altersarmut bedroht. Nach einer Untersuchung im Auftrag
des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend liegt der soge-
nannte „Gender Pension Gap“ in Deutschland bei 59,6 Prozent. Das heißt, in

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Deutschland beziehen Frauen um 59,6 Prozent geringere eigene Alterssicherungs-
einkommen als Männer.

Ein großer Teil der Entgeltlücke ist auf unterschiedliche Bildung und Ausbildung,
Berufswahl, Teilzeitarbeit oder Erwerbsunterbrechungen aufgrund von Kindererzie-
hungs- oder Pflegezeiten zurückzuführen. Die Gründe erscheinen auf den ersten
Blick als selbst gewählte Mechanismen. Tatsächlich sind individuelle Anpassungs-
strategien an strukturelle Gegebenheiten, wie mangelnde Kinderbetreuungsange-
bote, zu wenig Pflegeinfrastruktur und traditionellen Rollenvorstellungen die
Gründe. Der verbleibende Gender Pay Gap aber ist definitiv die Folge von unmittel-
barer Entgeltdiskriminierung, d. h. Frauen erhalten bei gleicher Qualifikation und
gleicher Berufserfahrung für die gleiche Tätigkeit weniger Geld als Männer. Der
bereinigte Gender Pay Gap unterschätzt aber dennoch das Ausmaß der Entgeltdis-
kriminierung, denn er ignoriert, dass Tätigkeiten in den frauendominierten Berufen
gegenüber den klassischen Industrieberufen mit mehr männlichen Beschäftigten
nicht „gleichwertig“ entlohnt werden. Die Lohnunterschiede aufgrund mittelbarer
Entgeltdiskriminierung sind statistisch noch gar nicht erfasst.

Die Entgeltdiskriminierung ist Realität, obwohl in Deutschland Gesetze in Kraft
sind, welche die diskriminierende Entlohnung von Frauen verbieten, wie der Gleich-
behandlungsgrundsatz aus Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes und der Artikel 157
des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Das Teilzeit
und Befristungsgesetz (TzBfG) verbietet die Diskriminierung von Teilzeit und be-
fristet Beschäftigten. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) bestimmt in
§ 2 Absatz 1 und § 8 Absatz 2, dass Beschäftigte bei der Vergütung nicht benachtei-
ligt werden dürfen. Angesichts der Entgeltlücke zwischen Männern und Frauen in
Deutschland zeigt sich, dass weitere gesetzliche Regelungen mit konkreten Verfah-
ren und Sanktionen notwendig sind, um Entgeltdiskriminierung von Frauen endlich
zu beenden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

der grundgesetzlichen Verantwortung gerecht zu werden und Frauen vor Entgeltdis-
kriminierung zu schützen. Das Gleichstellungsgebot „gleicher Lohn für gleiche und
gleichwertige Arbeit“ muss durch weitergehende gesetzliche Regelungen durchge-
setzt werden. Dazu müssen folgende Maßnahmen ergriffen werden:

1. Die Bundesregierung legt ein Gesetz für mehr Entgeltgleichheit vor, das fol-
gende Eckpunkte enthält:

a) Die Tarifpartner müssen alle zukünftigen und innerhalb einer Frist von
fünf Jahren alle bestehenden Tarif- und Firmentarifverträge eigenverant-
wortlich auf Entgeltdiskriminierungen überprüfen. Gleiches gilt für die
Entgeltregelungen von tarifungebundenen Betrieben.

b) Die Betriebe – auch diejenigen, die dem Tendenzschutz unterliegen – und
der gesamte öffentliche Dienst sind aufgefordert, in eigener Verantwor-
tung die innerbetriebliche Umsetzung von diskriminierungsfreien Tarif-
und Firmentarifverträgen sowie nichttarifliche Entgeltregelungen transpa-
rent auf Entgeltdiskriminierung zu überprüfen. Betriebs- oder Personal-
räte, Mitarbeitervertretungen, Gleichstellungs- oder Datenschutzbeauf-
tragte sind dabei einzubinden. Die Überprüfung ist zunächst für Betriebe
ab zehn Beschäftigten verpflichtend mit dem Ziel, sie nach einer Evaluie-
rung auf alle Betriebe auszuweiten.

c) Die Überprüfung der tariflichen und nichttariflichen Entgeltregelungen
sowie die Umsetzungspraxis vor Ort müssen mit Hilfe eines analytischen
Arbeitsbewertungsverfahrens durchgeführt werden, das bei angemesse-
nem Aufwand auf Basis einheitlicher Kriterien neben dem Grundgehalt

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auch alle weiteren Entgeltbestandteile wie Stufensteigerungen, Leistungs-
vergütungen, Erschwerniszuschläge und Zuschläge für Nacht- und
Schichtarbeit sowie Überstunden berücksichtigt.

d) Ergeben die Überprüfungen, dass Tarifverträge, nichttarifliche Entgeltre-
gelungen oder die Umsetzungspraxis vor Ort Diskriminierungen enthal-
ten, müssen diese innerhalb einer festgelegten Frist beseitigt werden.

e) Bei der Überprüfung und auch bei der Beseitigung von Diskriminierungen
in Branchentarifverträgen und Firmentarifverträgen kann die Antidiskri-
minierungsstelle des Bundes (ADS) den Tarifpartnern beratend zur Seite
stehen und im Konfliktfall auch als Schlichtungsinstanz angerufen wer-
den. Bei der Überprüfung bzw. bei der Beseitigung von Diskriminierun-
gen in nichttariflichen betrieblichen Entgeltregelungen und bei der Um-
setzungspraxis vor Ort können die Beteiligten hingegen eine Einigungs-
stelle entsprechend dem Betriebsverfassungsgesetz und im öffentlichen
Dienst entsprechend der Bundes- bzw. Landespersonalvertretungsgesetze
einrichten, die die Verhandlungen moderiert und letztendlich auch ent-
scheiden kann.

f) Der Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit“ muss
verbindlich durchgesetzt werden. Deshalb müssen im Gesetz angemessen
hohe und abschreckende Sanktionen für den Fall verankert werden, dass
der Pflicht nach Überprüfung und Beseitigung von Diskriminierungen
nicht nachgekommen wird.

g) Beschäftigte müssen grundsätzlich über ihre Löhne reden können. Des-
halb werden diesbezügliche Verschwiegenheitsklauseln in Arbeitsverträ-
gen untersagt.

2. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) erhält aufgrund ihres fachli-
chen Zuschnitts besondere Befugnisse im Rahmen des Gesetzes für mehr Ent-
geltgleichheit und wird dementsprechend personell besser ausgestattet:

a) Die ADS beruft einen Kreis von Expertinnen und Experten, die den Tarif-
partnern und Betrieben beratend und schlichtend zur Seite stehen.

b) Im Rahmen des Gesetzes für mehr Entgeltgleichheit erhält die ADS eine
Kontrollbefugnis, damit sie die Überprüfung bzw. die Beseitigung von
Entgeltdiskriminierungen in einzelnen Tarif- oder Firmentarifverträgen
stichprobenartig kontrollieren kann. Dafür soll sie ein zertifiziertes
Prüfsystem entwickeln und anwenden.

c) Bei der ADS wird eine Beschwerdestelle eingerichtet. Bei konkreten Ver-
dachtsmomenten kann sie nichttarifliche Entgeltregelungen oder die Um-
setzungspraxis in den Betrieben bzw. im öffentlichen Dienst kontrollieren.

3. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) wird reformiert, um wirksa-
mer gegen Entgeltdiskriminierung vorgehen zu können:

a) Im AGG wird ein Verbandsklagerecht für Antidiskriminierungsverbände,
Gewerkschaften, Betriebs- sowie Personalräte und Mitarbeitervertretun-
gen aufgenommen.

b) Die Frist für die schriftliche Geltendmachung einer Diskriminierung und
die Klagefrist wird jeweils auf sechs Monate ausgeweitet und mit einer
hemmenden Wirkung für die Zeit, in der die ADS den Fall bearbeitet, un-
terlegt.

c) Die Regelungen zu Schadensersatz und Entschädigung werden entspre-
chend der Vorgaben der EU-Richtlinien gegen Diskriminierung ausgestal-
tet.

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Berlin, den 3. November 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Begründung

Der Gender Pay Gap von 22 Prozent ist noch immer Realität. Deutschland ist damit bei der Entgeltgleichheit
seit Jahrzehnten zusammen mit Tschechien, Österreich und der Slowakei Schlusslicht in Europa. Selbstver-
pflichtungen der Wirtschaft und Freiwilligkeit haben zu nichts geführt. In der Konsequenz muss das Gebot
„gleicher Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit“ mit einem Gesetz durchgesetzt werden. Dabei sind ge-
setzliche Regelungen weder ein Eingriff in die Tarifautonomie noch in die unternehmerische Freiheit, sondern
vielmehr eine konsequente Umsetzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Frauen, zu dem der Staat
durch das Grundgesetz und durch europäisches Recht verpflichtet ist.

Die Ungleichbehandlung von Frauen beim Arbeitsentgelt resultiert aus unmittelbaren und mittelbaren Lohn-
diskriminierungen. Eine Frau ist dann von unmittelbarer Diskriminierung betroffen, wenn sie bei gleicher Tä-
tigkeit im gleichen Unternehmen weniger Lohn als ihr männlicher Kollege verdient. Das betrifft nicht nur
Vollzeitbeschäftigte, sondern auch Beschäftigte in Teilzeit und Minijobs. Frauen sind von einer mittelbaren
Diskriminierung betroffen, wenn so genannte Frauenberufe schlechter entlohnt werden als typische Männer-
berufe, weil sich hinter vermeintlich neutral formulierten Anforderungen Kriterien verbergen, die Frauen beim
Einkommen benachteiligen.

Neben der ungerechten Entlohnung von Frauen gibt es auch in anderen Bereichen Entgeltungleichheit. Die
Tarifflucht von ArbeitgeberInnen führt bei Löhnen und Gehältern insgesamt zu Problemen. Hier gilt der Grund-
satz gleicher Lohn für gleiche Arbeit nicht mehr, wenn Beschäftigte mal Tariflohn bekommen und mal unter-
tariflich entlohnt werden. Und auch Beschäftigte in der Leiharbeit bekommen immer noch weniger Lohn, als
ihre festangestellten Kolleginnen und Kollegen.

Entgeltgleichheit entsteht nur, wenn alle Beteiligten dafür Verantwortung übernehmen - Unternehmen, Be-
triebe, Gewerkschaften, Personal- und Betriebsräte, Mitarbeitervertretungen, Arbeitgeberverbände, Gleichstel-
lungsbeauftragte, die Antidiskriminierungsstelle des Bundes und letztendlich auch die beschäftigten Frauen
und Männer selbst. Freiwillig wird Entgeltgleichheit aber nicht durchgesetzt und auch die Tarifautonomie
reicht dafür nicht aus, denn rund zwei Drittel der Betriebe sind nicht an Tarifvereinbarungen gebunden. Deshalb
muss der Gesetzgeber endlich seiner Verantwortung gerecht werden und Frauen vor Entgeltdiskriminierung
schützen. Transparente Lohnstrukturen und Bewertungsverfahren allein, wie die Bundesregierung plant, rei-
chen aber nicht aus. Nur wenn geschlechtsneutrale Kriterien für die Bewertung von Arbeit und verbindliche
Überprüfungen eingeführt werden, kann das Gebot „gleicher Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit“ durch-
gesetzt werden.

Zu 1.: Gesetz für mehr Entgeltgleichheit

a) In einem ersten Schritt müssen die Betriebe ihre Entgeltregelungen auf Entgeltdiskriminierung überprüfen.
Dabei kommt den Branchentarifverträgen und Firmentarifverträgen eine große Bedeutung zu, denn sie gelten
für rund 60 Prozent der Beschäftigten. Die Kriterien bei der Bewertung von Tätigkeiten innerhalb von Tarif-
verträgen und zwischen Tarifverträgen einer Gewerkschaft müssen von den Tarifpartnern in eigener Verant-
wortung überprüft werden. Es muss nachgewiesen werden, dass die Entgeltregelungen transparent und nach-
vollziehbar sind, die Tätigkeiten „ihrem Wesen nach“ bewertet werden und die Kriterien somit diskriminie-
rungsfrei gewählt sind, also für Frauen und Männer gleichermaßen gelten. Auch die Betriebe, die nicht nach
Tarifvertrag bezahlen, müssen ihre Entgeltregelungen in eigener Verantwortung überprüfen. Denn gerade
diese nichttariflichen Entgeltregelungen unterliegen – anders als bei Tarifverträgen - keinerlei Kontrollmecha-
nismen bezüglich Entgeltdiskriminierung. Und nur so kann verhindert werden, dass diese gesetzliche Regelung
zu einem weiteren Anreiz für Tarifflucht führt.

b) Überprüfte und diskriminierungsfreie Tarifverträge, Firmentarifverträge sowie nichttarifliche Entgeltrege-
lungen reichen alleine aber nicht aus. Auch die diskriminierungsfreie Anwendung der Entgeltsysteme vor Ort

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im (Tendenz)Betrieb und im Öffentlichen Dienst muss gewährleistet sein. Dabei geht es beispielsweise darum,
dass Beschäftigte auch gemäß ihrer Qualifikation und Tätigkeit eingruppiert werden, eine korrekte Beurteilung
von Erschwerniszuschlägen vorliegt oder Betriebsvereinbarungen diskriminierungsfrei genutzt werden. Des-
halb müssen die Betriebe auch in eigener Verantwortung die betriebliche Umsetzungspraxis überprüfen, damit
nicht neue Diskriminierungen auf betrieblicher Ebene entstehen. Die diskriminierungsfreie Umsetzung muss
transparent mit allen betrieblichen AkteurInnen durchgeführt und öffentlich gemacht werden. Zunächst ist die
Überprüfung für Betriebe ab 10 Beschäftigten verpflichtend. Diese Praxis soll evaluiert werden. Ziel ist, nach
einer gewissen Zeit auch die Betriebe mit weniger als 10 Beschäftigten zu befähigen, eine Überprüfung ihrer
Entgeltstrukturen durchzuführen.

c) Bei der Überprüfung von Entgeltsystemen und Umsetzungspraxis reichen summarische Arbeitsbewertungs-
systeme nicht, die die Anforderungskriterien lediglich als Summe pauschal bewerten ohne die Gewichtung
einzelner Kriterien deutlich zu machen. Untersuchungen haben gezeigt, dass nur die Anwendung von analyti-
schen Arbeitsbewertungssystemen Diskriminierungen in Entgeltregelungen und bei der Umsetzungspraxis
wirklich identifizieren können. Analytische Arbeitsbewertungsverfahren brauchen vor allem einheitliche Kri-
terien. Diese sollen von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes in Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern
entwickelt werden. Der Aufwand für die Überprüfung darf aber nicht so groß ausfallen, dass er für kleine
Betriebe zu einer unangemessenen Belastung wird. Bei dem analytischen Arbeitsbewertungssystem ist auch
wichtig, dass nicht nur das Grundgehalt bewertet wird, sondern auch alle weiteren Entgeltbestandteile Berück-
sichtigung finden. So müssen laut einem EuGH-Urteil aus dem Jahre 1990 auch Stufensteigerungen, Leis-
tungsvergütungen, Erschwerniszuschläge und Zuschläge für Nacht- und Schichtarbeit sowie Überstunden ge-
sondert in die Überprüfung einbezogen werden. Nur so wird gewährleistet, dass durch die Überprüfung alle
unmittelbaren und mittelbaren Entgeltdiskriminierungen entdeckt werden.

d) Wenn die Überprüfungen der Entgeltregelungen und der Umsetzungspraxis Entgeltdiskriminierungen erge-
ben, dann müssen diese in einer angemessenen Frist beseitigt werden. Damit verändern sich zwangsläufig die
Lohnstrukturen. Die Tarifpartner regeln die notwendigen Veränderungen gemeinsam in Tarifverhandlungen.
Bei betrieblichen Regelungen besteht Bestandschutz in der Form, dass Löhne nicht abgesenkt werden.

e) Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) kann den Tarifpartnern und Betrieben mit Firmentarif-
verträgen beratend zur Seite stehen und im Konfliktfall auch als Schlichtungsinstanz dienen. Bei Konflikten in
der Umsetzungspraxis können die Beteiligten eine Einigungsstelle entsprechend dem Betriebsverfassungsge-
setz und im Öffentlichen Dienst entsprechend den Bundes- bzw. Landespersonalvertretungsgesetzen einrich-
ten.

f) Ein Gesetz für mehr Entgeltgleichheit braucht wirksame Sanktionen, um Lohngleichheit tatsächlich herzu-
stellen. Deshalb sind verbindliche Mechanismen und angemessene Sanktionen notwendig, wenn Sozialpartner
oder Betriebe ihren gesetzlichen Pflichten nicht nachkommen.

g) In manchen Unternehmen dürfen die Beschäftigten nicht über ihre Löhne sprechen. Durch diese vertragli-
chen Regelungen können Entgeltdiskriminierungen nur schwer aufgedeckt werden, denn nur im Vergleich
werden Diskriminierungen sichtbar. Solche Verschwiegenheitsklauseln müssen gesetzlich ausgeschlossen
werden.

Zu 2.: Aufgaben und Befugnisse der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS)

Der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) räumen wir aufgrund ihres fachlichen Zuschnitts einen be-
sonderen Stellenwert bei der Durchsetzung von Entgeltgleichheit ein. Weil sich die Aufgaben der ADS damit
ausweiten, ist es unerlässlich, dass eine personelle Aufstockung erfolgt.

a) Die ADS ist die richtige Stelle, um mit ihrer Kompetenz einen Kreis von Expertinnen und Experten zu
berufen. Bei Bedarf sollen diese den Tarifpartnern und Betrieben bei der Überprüfung und bei der Beseitigung
von Diskriminierungen unterstützend und zudem schlichtend zur Seite stehen.

b) Selbstverpflichtungen der Wirtschaft und Freiwilligkeit haben bislang bei der Verhinderung von Entgeltdis-
kriminierungen keinen Erfolg gezeigt. Eine effiziente Kontrolle ist also notwendig und deshalb soll die ADS
eine Befugnis zur stichprobenartigen Kontrolle für Tarif- und Firmentarifverträge erhalten. Dafür muss die
ADS ein zertifiziertes Prüfsystem entwickeln und anwenden. Das ist notwendig, weil das Gesetz zwar einen
analytischen Ansatz aber kein einheitliches Arbeitsbewertungsverfahren vorschreibt. In der Folge werden un-
terschiedliche Systeme Anwendung finden, die nur durch ein Kontrollsystem unbürokratisch und einheitlich
kontrolliert werden können.

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c) Darüber hinaus ist es sinnvoll, eine Beschwerdestelle bei der ADS einzurichten, an die sich Betroffene un-
bürokratisch wenden können. Entscheidet die ADS, dass es sich dabei um konkrete Verdachtsmomente handelt,
dann kann sie ebenfalls nichttarifliche Entgeltregelungen und die Umsetzungspraxis in den Betrieben und im
Öffentlichen Dienst kontrollieren.

Zu 3.: Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG)

Eine Überprüfung sämtlicher Betriebe ist nicht machbar und auch nicht gewollt. Notwendig ist aber, dass die
Beschäftigten, die Betriebs- oder Personalräte sowie die Mitarbeitervertretungen und die zuständigen Gewerk-
schaften in die Lage versetzt werden, gegen Diskriminierungen rechtlich vorgehen zu können. Der bisher mög-
liche individuelle Klageweg ist für die Beschäftigten risikoreich und unüberschaubar. Daher wird gar nicht
oder erst zum Ende des Beschäftigungsverhältnisses geklagt. Und selbst wenn die Klage erfolgreich war, be-
deutet das nicht, dass andere Beschäftigte davon profitieren. In der Konsequenz muss das AGG an einigen
Stellen reformiert werden.

a) Im AGG wird ein Verbandsklagerecht verankert, damit Antidiskriminierungsverbände, Gewerkschaften,
Betriebs- sowie Personalräte und Mitarbeitervertretungen stellvertretend für die Betroffenen klagen können.
Entgeltdiskriminierung darf nicht weiter als individuelles Problem angesehen und behandelt werden. Die be-
troffenen Frauen müssen gestärkt werden.

b) Bisher muss ein Anspruch auf Schadensersatz oder auf eine angemessene Entschädigung auf Grund von
Diskriminierung innerhalb von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden. Das ist viel zu kurz, denn
es braucht Zeit bis Betroffene nach der Aufdeckung der Ungleichbehandlung sich zum Handeln durchringen.
Die Frist für eine schriftliche Geltendmachung muss auf sechs Monate ausgeweitet werden. Die darauf fol-
gende Klagefrist soll ebenfalls auf sechs Monate verlängert werden. Wenn Betroffene sich wegen des Ver-
dachts einer Benachteiligung an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes wenden, soll der Beginn der Frist
für die schriftliche Geltendmachung gehemmt sein, bis die Antidiskriminierungsstelle den Fall abschließend
bearbeitet hat. Gleiches soll für den Beginn der Klagefrist gelten.

c) Die EU-Antidiskriminierungsrichtlinien sehen bei Verstößen gegen das Diskriminierungsverbot vor: „Die
Sanktionen, die auch Schadenersatzleistungen an die Opfer umfassen können, müssen wirksam, verhältnismä-
ßig und abschreckend sein.“ (Art. 1, Abs. 2 Nr. 7 der Richtlinie 2002/73/EG vom 23. September 2002 zur
Änderung der Richtlinie 76/207/EWG des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung
von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen
Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen; Art. 17 der Richtlinie 2000/78/EG vom 27. November
2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäfti-
gung und Beruf; Art. 15 der Richtlinie 2000/43/EG vom 29. Juni 2000 zur Anwendung des Gleichbehand-
lungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft; Art. 14 der Richtlinie
2004/113/EG vom 13. Dezember 2004, zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Män-
nern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen.) Dies ist im AGG
bisher nicht ausreichend umgesetzt.

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