BT-Drucksache 18/6510

Rolle und Kontrolle der Wirtschaftsprüfer im VW-Skandal

Vom 21. Oktober 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/6510
18. Wahlperiode 21.10.2015

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Klaus Ernst, Caren Lay, Herbert Behrens, Karin Binder,

Susanna Karawanskij, Jutta Krellmann, Sabine Leidig, Thomas Lutze,

Thomas Nord, Richard Pitterle, Michael Schlecht, Dr. Kirsten Tackmann,

Dr. Axel Troost und der Fraktion DIE LINKE.

Rolle und Kontrolle der Wirtschaftsprüfer im VW-Skandal

Zu den Aufgaben der Wirtschaftsprüferkammer (WPK) zählen die Berufsaufsicht
und Qualitätskontrolle der Wirtschaftsprüfer nach § 4 der Wirtschaftsprüferord-
nung. Beaufsichtigt wird die WPK durch die Abschlussprüferaufsichtskommis-
sion (APAK), die unter der Rechtsaufsicht des Bundesministeriums für Wirt-
schaft und Energie steht. Abschlussprüfer der Volkswagen AG (VW) ist seit Jah-
ren die PricewaterhouseCoopers AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (PwC). Die
PwC bestätigte auch den Jahresabschluss und den Konzernabschluss sowie den
gemeinsamen Lagebericht 2014. Zusätzlich analysierte die PwC das Risikoma-
nagementkontrollsystem und das Interne Kontrollsystem. Die Aufgabe des Ab-
schlussprüfers im Rahmen der Abschlussprüfung beinhaltet nicht nur die Fest-
stellung der Richtigkeit und der Ordnungsmäßigkeit des Zahlenwerks; die Voll-
ständigkeit aller Bilanzposten – Verbindlichkeiten und Rückstellungen – ist
ebenso sicher zu bewerten, um ein uneingeschränktes Testat zu erteilen. Weiter
muss der Lagebericht den Regeln des Deutschen Rechnungslegungsstandards
Nummer 20 entsprechen.

Laut der PwC hat VW in den Jahren 2014 und 2015 den AutomotiveINNOVA-
TIONS Award erhalten, der von der PwC ausgelobt und verliehen wird. In § 43 –
Allgemeine Berufspflichten – heißt es in der Wirtschaftsprüferordnung aber unter
anderem: „Der Wirtschaftsprüfer hat seinen Beruf unabhängig, gewissenhaft, ver-
schwiegen und eigenverantwortlich auszuüben. Er hat sich insbesondere bei der
Erstattung von Prüfungsberichten und Gutachten unparteiisch zu verhalten.“ Das
wirft die Frage auf, wie unabhängig und unbefangen die PwC als VW-Abschluss-
prüfer überhaupt sein kann und ob die Berichterstattung über die Abschlussprü-
fung im Jahr 2014 unparteilich war. Diese Klärung ist auch angesichts der Dop-
pelfunktion von der PwC als Beratungsdienstleister und Abschlussprüfer überfäl-
lig. Laut VW-Geschäftsbericht 2014 betrugen etwa die Aufwendungen für die
Jahresabschlussprüfung 13 Mio. Euro (Vorjahr 12 Mio. Euro). Für die Beratung
und für sonstige Bestätigungsleistungen erhielt die PwC im gleichen Jahr 17 Mio.
Euro (Vorjahr 10 Mio. Euro). Darin enthalten sind nicht die Vergütungen für
Steuerberatungsleistungen an PwC-Deutschland, denn auch der VW-Konzern be-
auftragte für die „LuxLeaks-Steuerberatung“ ein Netzwerkmitglied von PwC-
Deutschland (www.wp.net-verband.de „Justizministerium umgeht strenge Anfor-
derungen der EU-Verordnung“). Die letzte bekannte Summe für die jährliche
Steuerberatungsleistung wurde im Jahresabschluss 2008 von VW mit
418 000 Euro ausgewiesen.

Drucksache 18/6510 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

 

Laut „Handelsblatt“ wurde der VW-Konzern im Jahr 2014 durch die US-Behör-
den über den Verdacht auf manipulierte Abgaswerte informiert (vgl. Tatort
Volkswagen; Oktober 2015, S. 54). Die Kenntniserlangung über die Manipulati-
onen bis zur Unterzeichnung des uneingeschränkten Bestätigungsvermerks durch
die PwC am 18. Februar 2015 muss Konsequenzen für den Jahresabschluss und
Lagebericht haben. Denn für die Abschlussprüfer stellt sich damit konkret die
Frage nach dem Widerruf des Testats für das Jahr 2014, wie dies in den Grunds-
ätzen für die ordnungsmäßige Erteilung von Bestätigungsvermerken bei Ab-
schlussprüfungen (IDW PS 400, Tz 111-115) formuliert ist. Der Wideruf des
Testates käme u. a. dann in Frage, wenn die PwC die Sachlage unter „Berück-
sichtigung wertaufhellender Tatsachen“ (IDW PS 203 n.F.) gründlich analysieren
würde.

Das uneingeschränkte VW-Testat vom 18. Februar 2015 wirft zudem die Frage
auf, ob die VW-Konzernführung und das verantwortliche Management den Ab-
schlussprüfer der PwC über die Verfehlungen und Gesetzesverstöße informierte
und wie die PwC dies bei der Jahresabschlussprüfung 2014 berücksichtigte.
Sollte die PwC nicht unterrichtet worden sein, ist belastbar zu klären, ob der Ab-
schlussprüfer seine Berufspflichten eingehalten hat und gemäß IDW PS 230
(Kenntnisse über die Geschäftstätigkeit sowie das wirtschaftliche und rechtliche
Umfeld des zu prüfenden Unternehmens im Rahmen der Abschlussprüfung) und
IDW PS 261 (Feststellung und Beurteilung von Fehlerrisiken und Reaktionen des
Abschlussprüfers auf die beurteilten Fehlerrisiken) sowie der umfassenden Ex-
pertise im PwC-Team und der Branchenkenntnisse mit einer eigenen Abteilung
für den Bereich Automotive (Automobilindustrie) selbst das Risiko hätte geson-
dert prüfen und Prüfungen veranlassen müssen.

Der finanzielle Schaden für den VW-Konzern aus den Verstößen wird aktuell mit
rund 10 bis 50 Mrd. Euro prognostiziert. Folglich wäre die Nichtberücksichtigung
dieser Risiken und finanziellen Dimensionen in der Abschlussprüfung ein we-
sentlicher Schaden, der aufgrund der Wirtschaftsprüferordnungsvorschriften
nicht von der Berufsaufsicht (WPK und APAK), sondern von der zuständigen
Generalstaatsanwaltschaft Berlin zu bearbeiten wäre. Hier wäre u. a. dezidiert zu
prüfen, ob die PwC die Berufspflichten für Wirtschaftsprüfer verletzt hat, da vom
VW-Konzern nicht ausreichend Rückstellungen gebildet und die Risiken der Ge-
setzesverstöße im Lagebericht 2014 nicht umfassend dargestellt wurden. Sollte
die PwC vom VW-Konzern absichtlich nicht unterrichtet worden sein, ist zu klä-
ren, warum das Testat nicht widerrufen wurde bzw. das Mandat nicht wegen Ver-
trauensbruchs und wissentlicher Abgabe einer falschen Vollständigkeitserklärung
oder wegen Verstoßes gegen die Allgemeinen Auftragsbedingungen von der PwC
gekündigt wurde.

Ungeachtet dessen ist im Fall des VW-Konzerns davon auszugehen, dass weder
der Jahresabschluss noch der Lagebericht 2014 (Risikobericht und Corporate
Governance Kodex) richtig und vollständig waren. Nach Kenntnis der Fragestel-
ler sind bisher weder die WPK noch APAK in dieser Angelegenheit aktiv tätig
geworden. Der aktuelle VW-Skandal sowie die Rolle der Abschlussprüfer berührt
allerdings umittelbar die Aufsichtspflicht der WPK, der APAK und die Rechts-
aufsicht durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi), das
Bundesministerium der Finanzen (BMF) und das Bundesministerium der Justiz
und für Verbraucherschutz (BMJV).

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/6510

 

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Hat die Bundesregierung, namentlich das Bundesministerium für Wirtschaft
und Energie zur Kenntnis genommen, dass VW bereits Mitte 2014 von den
US-Behörden über den Verdacht gefälschter Abgaswerte informiert worden
ist?

2. Welche Konsequenzen sind im Jahr 2014 und in den folgenden Monaten von
der Rechtsaufsicht im Hinblick auf die Wirtschaftsprüfung des VW-Kon-
zerns gezogen worden?

3. Wurde die Bundesregierung, namentlich die ministerielle Rechtsaufsicht und
insbesondere das federführende Bundesministerium für Wirtschaft und Ener-
gie, von der APAK über Verdachtsmomente und mögliche Schritte der
APAK und der WPK unterrichtet?

4. Wurde wegen der Schwere des möglichen Verstoßes gegen Berufspflichten
der Wirtschaftsprüfer und zur unabhängigen juristischen Aufklärung die Ein-
schaltung der Generalstaatsanwaltschaft durch die Rechtsaufsicht erwogen?

Wenn nein, warum nicht?

5. Hat die Bundesregierung, namentlich das Bundesministerium für Wirtschaft
und Energie, selbständig Informationen über die Verdachtsmomente und
möglichen Schritte der WPK und der APAK eingeholt?

6. Liegen der Bundesregierung Beschlüsse und Ergebnisse von Sitzungen der
APAK zur VW-Prüfung vor, da sie nach § 4 der Geschäftsordnung der Kom-
mission für die Aufsicht über die Abschlussprüfer in Deutschland über ihre
Sitzungen Niederschriften anzufertigen hat und Beschlüsse der APAK in der
Sitzung im Wortlaut protokolliert und sogleich vom vorsitzenden Mitglied
als Teil der Niederschrift unterzeichnet werden müssen?

7. Wenn die Bundesregierung die Fragen 3 bis 6 verneint, wann und wie wer-
den die zuständigen Bundesministerien (BMWi, BMF und BMJV) in ihrer
Funktion als ministerielle Rechtsaufsicht aktiv tätig?

8. Sieht die Bundesregierung die Gefahr, dass durch Verzögerungen der APAK
und der WPK sowie der Rechtsaufsicht mögliches Beweismaterial zur Auf-
klärung des VW-Skandals, der Verantwortlichkeiten und des Verhaltens der
Wirtschaftsprüfer des Konzerns in den letzten Jahren vernichtet worden ist
bzw. werden könnte?

Wenn nein, warum nicht?

9. Was wurde nach Kenntnis der Bundesregierung von der APAK und der
Rechtsaufsicht unternommen, um notwendige Ermittlungen der Staatsan-
waltschaft nicht zu gefährden?

10. Gab es nach Kenntnis der Bundesregierung wegen des VW-Skandals zwi-
schen der APAK bzw. der WPK und PwC entsprechenden Schriftverkehr
sowie Treffen zur Klärung offener Fragen und zur Beweissicherung, und ist
dies der Rechtsaufsicht bekannt bzw. nahmen oder nehmen deren Vertreter
daran teil, und was sind die vorläufigen Ergebnisse?

11. Ist der Bundesregierung bekannt, ob die APAK entsprechend ihrer Ge-
schäftsordnung (§ 11 − Internationale Zusammenarbeit), die zuständigen
US-Behörden konsultiert und eine Zusammenarbeit angeboten hat, bzw. ist
sie ihrerseits von den US-Behörden informiert worden?

Wenn bisher nicht geschehen, wann und wie wird nach Kenntnis der Bun-
desregierung die APAK tätig bzw. die Rechtsaufsicht aktiv?

Drucksache 18/6510 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

 

12. Wird die Rechtsaufsicht die APAK dazu anregen bzw. anweisen, eine Son-
deruntersuchung im Fall PwC und VW einzuleiten?

Wenn nein, warum nicht?

13. Sieht die Bundesregierung im Falle einer möglichen Sonderuntersuchung die
Unabhängigkeit der APAK dadurch infrage gestellt bzw. nicht gewährleistet,
dass einer der stellvertretenden Abteilungsleiter für Sonderuntersuchungen
der APAK beruflich eng mit PwC verbunden war bzw. ist, ebenso wie fünf
der 17 für die Sonderuntersuchungen der APAK zuständigen Referenten
(www.wp-net.com/EU/APAK/APAK-SU-Organigramm.pdf)?

14. Kann die Rechtsaufsicht ausschließen, dass die ehemaligen PwC-Wirt-
schaftsprüfer in der APAK keine „engen Kontakte“ mit ihrem ehemaligen
Arbeitgeber haben und damit Interessenkonflikte verstärkt werden?

15. Hat die APAK nach Kenntnis der Rechtsaufsicht qualifizierte, unabhängige
und unparteiische Wirtschaftsprüfer aus der Automotive Branche, um den
vorliegenden VW-Skandal und die Rolle von PwC aufzuklären?

Wenn nein, wie soll dies sichergestellt werden?

16. Ist für die Bundesregierung die Unabhängigkeit und Unbefangenheit des Ab-
schlussprüfers des VW-Konzerns gewährleistet, wenn dieser zugleich Preise
im Automobilsektor auslobt und Preise an Volkswagen verleiht
(www.pwc.de „Automotive INNOVATIONS Award 2014: Volkswagen und
Daimler bringen die meisten Innovationen“ vom 8. Mai 2014 sowie „Volks-
wagen als weltweit innovativster Automobilkonzern ausgezeichnet“ vom
29. April 2015)?

Wenn ja, kennt die Bundesregierung die Prozessabläufe der Ausschreibung
des Preises und die Beurteilungskriterien?

17. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus dem Betrug von VW im Hinblick auf den Lagebericht des VW-Kon-
zerns, in dem auch der Corporate Governance Bericht eingestellt ist und in-
nerhalb dessen die Einhaltung zahlreicher Compliance Regeln durch PwC
geprüft und bestätigt wurden, in denen „Normen“ guter Unternehmensfüh-
rung formuliert sind?

18. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem VW-Skandal für
die Abschlussprüfung von Unternehmen des öffentlichen Interesses?

19. Welchen Nachbesserungsbedarf sieht die Bundesregierung im Hinblick auf
mögliche Versäumnisse der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft des Konzerns,
der WPK und APAK sowie im Hinblick auf die Organisation und Kontrolle
durch die Rechtsaufsicht bei der Berufsaufsicht und dem System der Sonder-
untersuchung?

20. Will die Bundesregierung beim Abschlussprüfungsreformgesetz (AReG)
nachbessern und hier nachträglich die klare Trennung von Prüfung und Be-
ratung in den Gesetzentwurf aufnehmen, um die Interessenskollission zu ver-
hindern, die hohe Beratungserlöse verursachen können?

Wenn nein, warum nicht, und wie soll alternativ das Problem gelöst werden?

21. Will die Bundesregierung die Trennung von Prüfung und Beratung, u. a.
durch das Verfahren des Joint Audit, gesetzlich verankern?

Wenn nein, warum nicht, und wie soll alternativ dieses Problem gelöst wer-
den?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/6510

 

22. Sieht die Bundesregierung durch den VW-Skandal die Notwendigkeit, die
Unabhängigkeit der Leitung der APAK gegenüber den großen Beratungs-
und Prüfungsgesellschaften (Big Four) zu stärken, und welche strukturellen
Lösungen jenseits der „Angliederung“ der APAK an das Bundesamt für
Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle werden notwendig sein und durchgesetzt
werden?

Berlin, den 21. Oktober 2015

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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