BT-Drucksache 18/6429

Situation von geflüchteten Frauen in Deutschland

Vom 14. Oktober 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/6429
18. Wahlperiode 14.10.2015

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Cornelia Möhring, Sigrid Hupach, Matthias W. Birkwald,

Eva Bulling-Schröter, Nicole Gohlke, Annette Groth, Dr. Rosemarie Hein,

Ulla Jelpke, Susanna Karawanskij, Kerstin Kassner, Katja Kipping, Jan Korte,

Caren Lay, Sabine Leidig, Norbert Müller (Potsdam), Petra Pau, Harald Petzold

(Havelland), Martina Renner, Dr. Petra Sitte, Kersten Steinke,

Dr. Kirsten Tackmann, Azize Tank, Frank Tempel, Kathrin Vogler, Halina

Wawzyniak, Harald Weinberg, Katrin Werner, Birgit Wöllert, Jörn Wunderlich,

Sabine Zimmermann (Zwickau), Pia Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Situation von geflüchteten Frauen in Deutschland

Die Gründe für Frauen, sich mit oder ohne Kinder auf die Flucht zu begeben, sind
vielfältig. Sie fliehen vor Krieg und Vertreibung, Hunger, Armut, Folter und den
Folgen von Umweltkatastrophen. Frauen können zudem spezifischen Menschen-
rechtsverletzungen in ihren Heimatländern und auf der Flucht ausgesetzt sein.
Dies schließt sexuelle und häusliche Gewalt ein. Massive physische und psychi-
sche Probleme bis hin zu Traumata sind die Folge.

Im Zufluchtsland angekommen, wird die Situation von geflüchteten Frauen durch
zum Teil unsichere Unterkunfts- und Hygienemöglichkeiten, langwierige Asyl-
verfahren und fehlende Präventions- und Interventionskonzepte bei Gewalt in Ge-
meinschaftsunterkünften und Erstaufnahmeeinrichtungen noch verschlimmert.

Eine schnelle und flüchtlingsfreundliche Umsetzung der Standards aus der Auf-
nahmerichtlinie der Europäischen Union (EU) in nationales Recht ist dringend
geboten. Insbesondere für Geflüchtete, die besonders schutzbedürftig sind, ist die
Umsetzung existenziell. Denn gerade sie haben laut dieser EU-Richtlinie das
Recht auf eine entsprechende medizinische und psychologische Versorgung. Zu
der Personengruppe der besonders schutzbedürftigen Menschen zählen nicht nur
Frauen, die Opfer schwerer Gewalt, von Folter oder anderen Menschenrechtsver-
letzungen geworden sind, sondern unter anderen auch Geflüchtete mit schweren
psychischen und physischen Erkrankungen.

Das Deutsche Institut für Menschenrechte konstatiert in dem von Heike Rabe im
August 2015 veröffentlichten Policy Paper „Effektiver Schutz vor geschlechts-
spezifischer Gewalt – auch in Flüchtlingsunterkünften“, dass „insbesondere der
Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt und sexueller Belästigung in Unter-
künften … derzeit kaum thematisiert“ wird und dass die „Verortung geschlechts-
spezifischer Gewalt ... auf der Schnittstelle zwischen Flüchtlings- und Frauenbe-
ratung, zwischen Zivil- und Ausländerrecht“ dazu führt, dass Gewalt gegen ge-
flüchtete Frauen in beiden Unterstützungssystemen eine marginale Rolle spielt
(Seite 3).

Drucksache 18/6429 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

 

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Ist der Bundesregierung das in der Vorbemerkung der Fragesteller benannte
Policy Paper „Effektiver Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt – auch
in Unterkünften“ von Heike Rabe vom Deutschen Institut für Menschen-
rechte bekannt, und wenn ja, welche Rückschlüsse werden aus den skizzier-
ten Problemlagen

a) fehlende Präventions- und Interventionskonzepte bei sexueller Gewalt,

b) fehlende Schutzräume,

c) unzureichende Kooperation mit Beratungsstellen,

d) keine geregelten Beschwerdeverfahren

gezogen?

2. In welchem Zeitrahmen hat die Bundesregierung die Ratifikation der Istan-
bul-Konvention des Europarates gegen Gewalt gegen Frauen und häusliche
Gewalt geplant?

Bis wann soll das Verfahren spätestens abgeschlossen sein?

3. Wie viele geflüchtete Frauen haben Leistungen nach dem Asylbewerberleis-
tungsgesetz (AsylbLG) im Bereich der psychiatrischen und psychotherapeu-
tischen Behandlung in Anspruch genommen?

Wurden dabei Dolmetscherinnen oder Dolmetscher zur Verfügung gestellt
(bitte nach dem Zeitraum der Jahre 2005 bis 2015, nach Krankenkassen,
Bundesländern sowie der Dauer der Behandlungen aufschlüsseln; falls keine
genauen Daten erfasst werden, bitte behelfsweise nach § 4 und § 6 AsylbLG
aufschlüsseln)?

4. Wie wurden geflüchtete Frauen in den letzten Jahren darüber informiert, dass
sie Leistungen nach dem AsylbLG im Bereich der psychiatrischen und psy-
chotherapeutischen Behandlung in Anspruch nehmen können (bitte nach In-
formationsmaterialien und Übersetzung in welche Sprachen und Umfang
und Art der Verteilung auflisten)?

5. Wie viele Traumazentren oder vergleichbare Einrichtungen existieren nach
Kenntnis der Bundesregierung, die sich auf die besondere Situation von ge-
flüchteten Frauen, insbesondere von Gewalt betroffenen geflüchteten
Frauen, spezialisiert haben, wo befinden sich diese, und wie ist ihre finanzi-
elle Situation und strukturelle Finanzierung?

6. Wird sich die Bundesregierung für eine Aufstockung der Mittel für die Per-
sonalausstattung in Traumazentren im nationalen und EU-weiten Asyl-,
Migrations- und Integrationsfond einsetzen?

Wenn ja, in welcher Höhe?

Wenn nein, warum nicht?

7. Welchen konkreten Reformbedarf im Bereich der Gesundheitsleistungen für
Grundleistungsbeziehende nach dem AsylbLG sieht die Bundesregierung
zur Umsetzung der EU-Aufnahmerichtlinie?

8. Welche konkreten Indikatoren sind ausschlaggebend, damit bis zur Umset-
zung der EU-rechtlichen Vorgaben im geltenden AsylbLG psychotherapeu-
tische Behandlungsleistungen gewährt werden?

9. Wie wird sichergestellt, dass die Situation von schutzbedürftigen Frauen und
Frauen mit Kindern bei der Aufnahme, Unterbringung und Versorgung im
Sinne der EU-Aufnahmerichtlinie ausreichend beachtet wird?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/6429

 

10. Wie wird sichergestellt, dass die Situation von schutzbedürftigen Flüchtlin-
gen mit besonderen Bedürfnissen, insbesondere von LGBTIQ-Personen
(LGBTIQ: Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transsexuelle, Intersexuelle und
Queere), bei der Aufnahme, Unterbringung und Versorgung im Sinne der
EU-Aufnahmerichtlinie ausreichend beachtet wird?

11. Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um eine winterfeste Unter-
bringung, die den oben genannten Kriterien entspricht, zu gewährleisten?

12. Welche Maßnahmen und Konzepte haben das Bundesministerium des Innern
(BMI) und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in den
letzten Jahren ergriffen, um geflüchtete Frauen, und besonders geflüchtete
alleinstehende Frauen, vor sexueller Gewalt zu schützen, und durch welche
Informationsmaterialien haben das BMI und das BAMF Frauen über Mög-
lichkeiten des Schutzes vor sexueller Belästigung, Einschüchterung und Ge-
walt informiert (bitte die Informationsmaterialien auflisten, auch unter dem
Hinweis, in welchen Sprachen diese Materialien zur Verfügung stehen und
wie sie an geflüchtete Frauen in Aufnahmeunterkünften verteilt worden
sind)?

13. Welche Kenntnisse besitzt die Bundesregierung über die Existenz spezifi-
scher Angebote für geflüchtete Frauen in den Erstaufnahmeeinrichtungen
und Gemeinschaftsunterkünften?

Wie wird über diese spezifischen Angebote informiert?

14. Welche Kenntnisse besitzt die Bundesregierung über die Finanzierung und
die Träger der spezifischen Angebote für geflüchtete Frauen?

Nach welchen Kriterien werden diese ausgesucht?

15. Welche Kenntnisse besitzt die Bundesregierung über die Existenz spezifi-
scher Angebote zur Unterbringung, wie abschließbare und separate Schlaf-
räume, abschließbare Sanitäranlagen usw., geflüchteter Frauen in den Erst-
aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften?

Wie wird über diese spezifischen Angebote informiert?

16. Welche Kenntnisse besitzt die Bundesregierung darüber, welches Informati-
onsangebot über den Zugang zu Beratungsstellen für geflüchtete Frauen exis-
tiert?

Welche Beratungsstellen für geflüchtete Frauen werden in welcher Höhe fi-
nanziert?

17. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung dafür, Räume zum Schutz
vor Gewalt, häuslicher und sexualisierter Gewalt für geflüchtete Frauen und
Kinder in Einrichtungen zu gewährleisten?

18. Welche Kenntnisse besitzt die Bundesregierung über den Zugang von Frauen
zu Informationsmaterial in verschiedenen Sprachen zum Thema Gewalt-
schutz in Gemeinschaftsunterkünften?

19. Wird das bundesweite Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ auch in Einrich-
tungen der Flüchtlingshilfe beworben?

Wenn ja, welche Erfahrungen wurden damit gemacht?

Wenn nein, warum nicht?

20. Wie viele dolmetschende Personen mit welchen Sprachen stehen beim bun-
desweiten Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ zur Verfügung?

21. Wurden erhöhte Bedarfe an anderen als den vom bundesweiten Hilfetelefon
angebotenen Sprachen festgestellt?

Wenn ja, welche Sprachen betraf dies?

Drucksache 18/6429 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

 

22. Ist geplant, das Sprachangebot beim bundesweiten Hilfetelefon um die zu
erwartenden Bedarfe der Flüchtlinge zu erweitern?

Wenn ja, in welchem Zeitraum, für welche Sprachen ist dies geplant, und
welche finanziellen Mittel werden dafür zur Verfügung gestellt?

Wenn nein, warum nicht?

23. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über Meldungen bzw. Anzeigen
von Gewalt und sexualisierter Gewalt gegenüber geflüchteten Frauen und
Kindern in Gemeinschaftsunterkünften?

24. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung zur Unterbringung von Frauen,
die von häuslicher oder sexueller Gewalt betroffen sind, außerhalb der Ge-
meinschaftsunterkunft oder Erstaufnahmeeinrichtung

a) als Sofortmaßnahme zum Schutz der Frauen,

b) als langfristige Perspektive?

25. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Inanspruchnahme von
Leistungen von Frauenhäusern durch geflüchtete Frauen?

26. Plant die Bundesregierung, die zu erwartenden Mehrbedarfe in Frauenhäu-
sern, Fachberatungsstellen und anderer Unterstützungsangebote, welche laut
dem Bericht der Bundesregierung „Bestandsaufnahme zur Situation der
Frauenhäuser, Fachberatungsstellen und anderer Unterstützungsangebote für
gewaltbetroffene Frauen und deren Kinder“ lückenhaft und unterfinanziert
sind, finanziell aufzufangen, und wenn ja, in welchem Umfang?

27. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Inanspruchnahme von
Dolmetscherinnen und Dolmetschern, um die Hilfsangebote der Frauenhäu-
ser nicht aufgrund einer Sprachbarriere nicht in Anspruch nehmen zu kön-
nen?

28. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Finanzierung des Auf-
enthalts von geflüchteten Frauen in Frauenhäusern?

29. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Möglichkeiten von ge-
flüchteten Frauen mit Residenzpflicht, in Frauenhäusern zu wohnen?

30. Wie viele geflüchtete Frauen wurden nach Kenntnis der Bundesregierung in
den letzten 15 Jahren in Frauenhäusern betreut (bitte in Jahresringe und nach
Bundesländern aufschlüsseln)?

31. In wie vielen Fällen wurde der Flüchtlingsstatus von Frauen und LGBTIQ-
Personen anerkannt, die geschlechtsspezifischer Gewalt und der Verfolgung
ausgesetzt sind (bitte nach Geschlecht, Grund der Bewilligung und Art des
Aufenthaltsstatus aufschlüsseln)?

32. Welches Informationsangebot zu den Möglichkeiten der medizinischen Ver-
sorgung existiert für schwangere geflüchtete Frauen?

33. Welches Informationsangebot zu den Möglichkeiten der Empfängnisverhü-
tung und deren Kostenübernahme existiert für geflüchtete Frauen?

34. Welches Informationsangebot zu den Möglichkeiten des Schwangerschafts-
abbruchs und dessen Kostenübernahme existiert für geflüchtete Frauen?

35. Werden insbesondere schwangeren geflüchteten Frauen Dolmetscherinnen
oder Dolmetscher bei medizinischen Besuchen gestellt?

Wenn ja, existiert ein Recht auf die Inanspruchnahme von Dolmetscherin-
nen?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/6429

 

36. Können insbesondere schwangere geflüchtete Frauen ihre Ärztin oder ihren
Arzt frei wählen?

Wenn ja, existiert ein Recht auf die Inanspruchnahme von weiblichem me-
dizinischem Personal?

37. Wie wird die medizinische Grundversorgung nach § 4 Absatz 2 AsylbLG für
schwangere geflüchtete Frauen und Wöchnerinnen, insbesondere zu Zeiten
erhöhter Fallzahlen, gewährleistet?

38. Wie viele schwangere Frauen und Wöchnerinnen saßen nach Kenntnis der
Bundesregierung seit dem Jahr 2000 in Abschiebehaft (bitte nach Dauer,
Bundesländern aufschlüsseln sowie in Jahresschritten angeben)?

39. Welche Kriterien werden bei der Gewahrsamsfähigkeit von schwangeren ge-
flüchteten Frauen und Wöchnerinnen herangezogen?

Berlin, den 14. Oktober 2015

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

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