BT-Drucksache 18/6362

Junge Beschäftigte vor prekärer Arbeit schützen

Vom 14. Oktober 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/6362

18. Wahlperiode 14.10.2015

Antrag

der Abgeordneten Klaus Ernst, Jutta Krellmann, Sabine Zimmermann

(Zwickau), Matthias W. Birkwald, Susanna Karawanskij, Thomas Lutze,

Thomas Nord, Richard Pitterle, Michael Schlecht, Azize Tank, Dr. Axel Troost,

Dr. Sahra Wagenknecht und der Fraktion DIE LINKE.

Junge Beschäftigte vor prekärer Arbeit schützen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Deutschland hat die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit in Europa. Doch dies ist kein
Grund zum Jubeln, denn viele junge Beschäftigte stecken in prekären Beschäfti-
gungsverhältnissen fest. Befristete Arbeitsverträge, Niedriglohn, Leiharbeit oder
Werkverträge prägen vielfach ihren Arbeitsalltag. Es besteht dringender Handlungs-
bedarf.

In den vergangenen 20 Jahren hat sich die Zahl der befristeten Arbeitsverträge ins-
gesamt auf 2,7 Millionen verdreifacht. Nahezu jede und jeder vierte junge Beschäf-
tigte unter 25 Jahren hat einen befristeten Arbeitsvertrag. Bei den 25- bis 34-Jährigen
sind es immer noch 13,8 Prozent. Auch das liegt deutlich über dem Durchschnitt von
8 Prozent. Alarmierend ist die Situation von jungen Frauen unter 25 Jahren: Zwei
von drei neuen Verträgen werden nur befristet abgeschlossen. Es sind Gesetzesän-
derungen notwendig, damit das unbefristete Arbeitsverhältnis wieder zur Regel
wird.

Auch in der Leiharbeit ist der Anteil bei jungen Beschäftigten höher als im Durch-
schnitt. Bezogen auf alle sozialversicherungspflichtig Beschäftigten liegt der Anteil
der Leiharbeitskräfte bei 2,6 Prozent, von den 15 bis 25-Jährigen arbeiten 3,8 Pro-
zent in einem Leiharbeitsverhältnis. Mehr als drei Viertel dieser jungen Leiharbeits-
kräfte erhalten einen Lohn unterhalb der Niedriglohnschwelle, die derzeit bei 1 973
Euro Bruttomonatsverdienst liegt.

Die Bundesregierung plant, die Überlassungsdauer bei Leiharbeit auf 18 Monate zu
beschränken und Equal Pay nach neun Monaten im Einsatzbetrieb vorzusehen. Der
Mehrheit der Leiharbeitskräfte bringt das aber nichts, da 54 Prozent der Arbeitsver-
hältnisse in der Leiharbeit weniger als drei Monate andauern. Nur 13,8 Prozent be-
stehen länger als 18 Monate. Für die Leiharbeit muss gelten: Gleicher Lohn für glei-
che Arbeit ab dem ersten Einsatztag. Die Überlassungsdauer ist auf drei Monate zu
begrenzen. Das reicht aus, um Auftragsspitzen und Personalengpässe abfedern zu
können. Langfristig muss Leiharbeit verboten werden.

Junge Beschäftigte sind auch besonders häufig von Werkvertragsarbeit betroffen.
Laut der Studie der IG Metall „Junge Generation“ aus dem Jahr 2013 hat jeder fünfte
Befragte bisher überwiegend auf Werkvertragsbasis gearbeitet. Gemäß dem am

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1. September 2015 veröffentlichten Ergebnis einer Betriebsräte-Befragung der IG
Metall sind drei Viertel der Werkvertragsbeschäftigten schlechteren Arbeits- und
Entgeltbedingungen als die Stammbeschäftigten ausgesetzt. Werkverträge werden
systematisch als Instrument zum Lohndumping eingesetzt.

Die Bundesregierung plant die Einführung einer Informationspflicht der Arbeitgeber
über Werkverträge gegenüber Betriebsräten. Doch dies ist völlig unzureichend. Not-
wendig ist die Einführung einer echten betrieblichen Mitbestimmung beim Einsatz
von Werkverträgen. Zur Verhinderung von Scheinwerkverträgen muss eine Beweis-
lastumkehr vorgenommen werden: Wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in
der Betriebsorganisation eines anderen Betriebes eingesetzt werden, wird zunächst
immer angenommen, dass es sich um Leiharbeit handelt. Der Einsatzbetrieb kann
dann den Beweis antreten, dass es sich um einen echten Werkvertrag handelt. Aber
auch für diesen Fall sind Sozialstandards erforderlich. Das Prinzip soll auch hier
sein: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit.

Junge Beschäftigte unter 25 Jahren haben zu fast 25 Prozent ausschließlich einen
Minijob. Im Vergleich dazu liegt der Anteil über alle Altersgruppen hinweg bei rund
15 Prozent. Auch hier zeigt sich der dringende Handlungsbedarf, dem sich die Re-
gierung aber verweigert. Minijobs müssen sozialversicherungspflichtiger Arbeit
gleichgestellt und die Subventionierung über niedrigere Sozialversicherungsbeiträge
muss eingestellt werden.

Zu 44 Prozent erhalten junge Beschäftigte unter 25 Jahren einen Lohn unterhalb der
Niedriglohnschwelle. Der Durchschnitt aller Altersgruppen liegt bei 20,4 Prozent.
Die Regierung hat junge Beschäftigte unter 18 Jahren und ohne Berufsausbildung
vom Mindestlohn ausgenommen. Diese Ausnahme muss aufgehoben werden. Der
Mindestlohn muss für jedes Arbeitsverhältnis und für jede Altersgruppe gelten.

Es ist dringend erforderlich, den Schutz vor prekärer Arbeit zu erhöhen. Das gilt
insbesondere für junge Beschäftigte beim Einstieg in den Arbeitsmarkt. Denn pre-
käre Arbeitsverhältnisse bedeuten Unsicherheit und schränken die Möglichkeit ein,
das Leben selbstbestimmt zu planen. Familienplanung wird deutlich erschwert. Pre-
käre Arbeitsverhältnisse sind keine Brücke in den Arbeitsmarkt, wie häufig behaup-
tet wird, sondern sie verhindern, dass junge Beschäftigte auf dem Arbeitsmarkt an-
kommen.

Eine Trendwende hin zu mehr sicherer Arbeit ist unabdingbar. Prekäre Arbeitsver-
hältnisse spalten die Belegschaften und haben eine disziplinierende Wirkung. Wenn
bei der nachkommenden Generation prekäre Beschäftigung zur Regel wird, wird die
Durchsetzungsmacht der Gewerkschaften weiter geschwächt. Die Folge ist eine Ar-
beitswelt, in der nur schwer Gegenwehr gegen die Spaltungsversuche und das Pro-
fitstreben der Unternehmen organisiert werden kann. Das wird sich weiter negativ
auf die Lohnentwicklung und die Qualität der Arbeit auswirken. Eine durchsetzungs-
fähige Interessenvertretung der abhängig Beschäftigten erfordert gute Rahmenbe-
dingungen durch den Gesetzgeber.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem folgende Maßnahmen ergriffen werden:

1. Das unbefristete Arbeitsverhältnis wird wieder zur Regel gemacht, indem im
Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG):

a) die Möglichkeit, einen Arbeitsvertrag ohne Vorliegen eines sachlichen
Grundes zu befristen, gestrichen wird,

b) der Befristungsgrund „zur Erprobung“ und die Möglichkeit zur „Haus-
haltsmittelbefristung“ aufgehoben werden,

c) festgelegt wird, dass es sich bei den in § 14 Absatz 1 TzBfG aufgeführten
Sachgründen um eine abschließende Aufzählung handelt,

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d) eingefügt wird, dass bei Vorliegen von sachlichen Gründen nach § 14 Ab-
satz 1 Satz 2 TzBfG bei demselben Arbeitgeber höchstens zwei Mal auf-
einanderfolgend der Abschluss eines mit Sachgrund befristeten Vertrages
zulässig ist oder höchstens die einmalige Verlängerung eines sachlich be-
fristeten Arbeitsvertrages.

2. Bis zum Verbot der Leiharbeit wird das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz kurz-
fristig dahingehend geändert, dass Leiharbeit strikt begrenzt wird, indem:

a) das Prinzip „Gleicher Lohn und gleiche Arbeitsbedingungen bei gleicher
Arbeit“ ab dem ersten Einsatztag ohne Ausnahme gilt,

b) die Überlassungshöchstdauer auf drei Monate begrenzt wird,

c) festgelegt wird, dass Leiharbeitskräfte angesichts der hohen Flexibilität,
die von ihnen verlangt wird, einen Flexibilitätsausgleich in Höhe von
10 Prozent ihres Bruttolohnes erhalten,

d) der Einsatz von Leiharbeitskräften als Streikbrecherinnen und Streikbre-
cher verboten wird,

e) das Synchronisations- und Befristungsverbot wieder eingeführt wird,

f) sogenannte Kopfprämien, die ein Entleihbetrieb bei Festanstellung eines
Leiharbeitnehmers an den Verleiher zahlen muss, verboten werden.

3. Werkverträge werden umfassend reguliert, indem:

a) zur Verhinderung von Scheinwerkverträgen die Beweislast, dass ein
Werkvertrag rechtmäßig ist, dem Auftraggeber zugewiesen wird. Wenn
Beschäftigte in der Betriebsorganisation eines anderen Betriebes arbeiten,
ist davon auszugehen, dass sie als Leiharbeitskräfte eingesetzt werden.
Der Auftraggeber kann diese Vermutung widerlegen und nachweisen,
dass die Beschäftigten im Rahmen eines Werkvertrages tätig sind, der mit
dem Arbeitgeber der Beschäftigten geschlossen wurde;

b) Sozialstandards für legale Werkverträge festgelegt werden. Bei der
Vergabe von Aufgaben an Fremdfirmen wird, wenn dies einen nur gele-
gentlichen Umfang überschreitet, ein Gleichbehandlungsgebot eingeführt.
Die für die Erfüllung der Aufgaben von der Fremdfirma eingesetzten Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer dürfen nicht niedriger entlohnt wer-
den oder schlechtere Arbeitsbedingungen haben, als dies zuvor im Ein-
satzbetrieb geschah.

4. Betriebs- und Personalräte erhalten ein zwingendes Mitbestimmungsrecht bei
Werkverträgen und Leiharbeit, indem:

a) Betriebs- und Personalräte beim Einsatz von Leiharbeit und bei Werkver-
trägen, sofern diese einen nur gelegentlichen Umfang überschreiten, ein
zwingendes Mitbestimmungsrecht eingeräumt wird. Der Arbeitgeber
muss den Betriebsrat/den Personalrat rechtzeitig unter Vorlage aller not-
wendigen Dokumente unterrichten, die Maßnahme mit ihm beraten und
die Zustimmung des Betriebsrates/des Personalrates einholen;

b) der Betriebsrat/der Personalrat die Zustimmung verweigern kann, wenn
die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des Betriebes/der Dienststelle
durch die geplanten Maßnahmen Nachteile erleiden oder Arbeitsplätze in
Gefahr kommen;

c) auf Verlangen einer Partei eine Betriebsvereinbarung/eine Dienstverein-
barung zum Einsatz von Leiharbeit oder Werkverträgen abzuschließen ist.
Kommt keine Einigung zustande, entscheidet die Einigungsstelle. Inhalte
einer solchen Betriebs- oder Dienstvereinbarung können insbesondere
sein: Einsatzbereiche, Einsatzdauer, Zahl der eingesetzten Leiharbeits-
kräfte oder Werkvertragsbeschäftigten, das Volumen von Werkverträgen
oder Übernahmeregelungen.

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5. Die Geltung des gesetzlichen Mindestlohns wird auf sämtliche Arbeitsverhält-
nisse ausgeweitet und somit wirddie Ausnahme von Jugendlichen unter 18 Jah-
ren und ohne Berufsausbildung überwunden.

6. Abhängige Beschäftigung unterliegt ab dem ersten Euro des Arbeitsentgeltes
der Sozialversicherungspflicht. Dazu werden die §§ 8 und 8a SGB IV sowie § 7
SGB V gestrichen.

Berlin, den 14. Oktober 2015

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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