BT-Drucksache 18/6193

zu der Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung - Drucksachen 18/3494, 18/6183 - Elfter Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik

Vom 29. September 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/6193

18. Wahlperiode 29.09.2015
Entschließungsantrag

der Abgeordneten der Abgeordneten Annette Groth, Inge Höger, Wolfgang

Gehrcke, Jan van Aken, Matthias W. Birkwald, Christine Buchholz, Dr. Diether

Dehm, Heike Hänsel, Andrej Hunko, Ulla Jelpke, Jan Korte, Katrin Kunert,

Stefan Liebich, Niema Movassat, Dr. Alexander S. Neu, Petra Pau, Harald

Petzold; Azize Tank, Frank Tempel, Alexander Ulrich, Kathrin Vogler, Halina

Wawzyniak, Katrin Werner und der Fraktion DIE LINKE.

zu der Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung

– Drucksachen 18/3494, 18/6183 –

Elfter Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Obwohl am „Zehnten Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspo-
litik“ deutliche Kritik geübt worden ist, wird auch der „Elfte Bericht der Bundes-
regierung über ihre Menschenrechtspolitik“ den aktuellen Herausforderungen ei-
ner nachhaltig an Menschenrechten ausgerichteten Politik der Bundesregierung
nicht gerecht. Der Bericht klammert in weiten Teilen die reale Menschenrechts-
lage in Deutschland und den Ländern der Europäischen Union aus.

2. Der Deutsche Bundestag kritisiert, dass die Bundesregierung im Elften Men-
schenrechtsbericht keine Verantwortung für die gravierenden Menschenrechts-
verletzungen übernimmt, welche auf die Außen- und Wirtschaftspolitik Deutsch-
lands und der Europäischen Union zurückzuführen sind. Die Außenpolitik der
Bundesregierung und die Unterstützung militärischer Einsätze haben mit zu fort-
währenden kriegerischen Konflikten und so zu den Fluchtursachen vieler Men-
schen beigetragen. Die deutsche und europäische Wirtschaftspolitik treibt durch
Ressourcenausbeutung und skrupellose Unternehmenspolitik immer mehr Men-
schen in die Armut, zwingt sie zur Landaufgabe und einem Leben in Slums oder
zur Migration.

3. Die Feststellung im Elften Menschenrechtsbericht, dass „bei Entscheidungen
über die Ausfuhr von Rüstungsgütern das Menschenrechtskriterium eine wichtige
Rolle“ spiele, ist unzutreffend. Mit den exportierten Rüstungsgütern werden gra-
vierende Menschenrechtsverletzungen begangen. Die Waffen gelangen auch in

Drucksache 18/6193 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

die Hände von Kindersoldaten. Diktatorische Regime werden aufgrund von geo-
strategischen Entscheidungen mit Rüstungsgütern beliefert. Der Deutsche Bun-
destag unterstützt ein grundsätzliches Verbot von Rüstungsexporten. „Die Ge-
nehmigung von Waffenexporten in zahlreiche Länder, die Menschenrechte ver-
letzten, hat dazu beigetragen, dass die Region voll von Waffen in den falschen
Händen ist“, sagt der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland in seiner „frie-
densethischen Stellungnahme“ 2014.

4. Der Deutsche Bundestag kritisiert, dass auch im Elften Menschenrechtsbericht
grundlegende Menschenrechtsverletzungen in Deutschland, wie die Auswirkun-
gen der zunehmenden Armut und sozialer Ungleichheit, Erwerbslosigkeit und der
Hartz-Gesetze, die Ausgrenzung von Flüchtlingen, Armen, Älteren, Menschen
mit Migrationshintergrund und Menschen mit Behinderungen, nur unzureichend
aufgezeigt werden. Unkritisch übernimmt der Menschenrechtsbericht die beschö-
nigenden Analysen aus dem Vierten Armuts- und Reichtumsbericht. Die sich dra-
matisch verschlechternde soziale Lage in vielen Ländern der Europäischen
Union, wie z. B. in Spanien, Italien oder Griechenland, wird völlig ausgeblendet.

5. Auch im Elften Menschenrechtsbericht wird die Situation von Flüchtlingen,
Asylsuchenden und Menschen ohne Papiere beschönigt. Der Umgang mit ihnen
in der Bundesrepublik Deutschland und an den EU-Außengrenzen u. a. durch
Frontex verletzt zahlreiche Menschenrechtsabkommen. Die Verantwortung der
menschenverachtenden Grenzpolitik der EU für die vielen Toten im Mittelmeer
wird verschwiegen. Der Deutsche Bundestag verurteilt die Abschottungspolitik
und setzt sich dafür ein, dass Menschen in Not offene Grenzen vorfinden müssen.
Die Politik der Abschottung muss beendet und die Fluchtursachen müssen wirk-
sam bekämpft werden.

6. Die eingeschränkte medizinische Versorgung von Asylsuchenden und Flüchtlin-
gen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz widerspricht dem Menschenrecht auf
bestmöglichen Gesundheitszustand und wurde unter anderem von den Vereinten
Nationen gerügt. Sie findet jedoch im Elften Menschenrechtsbericht keine Er-
wähnung.

7. Noch immer wird über sechs Millionen Menschen ohne deutsche Staatsangehö-
rigkeit in Deutschland zum Teil seit vielen Jahrzehnten als Folge ihrer Nichtein-
bürgerung das aktive wie passive Wahlrecht und somit das Recht auf politische
Teilhabe gänzlich vorenthalten. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer der in
Deutschland lebenden Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit liegt bei
19 Jahren.

8. Der Deutsche Bundestag kritisiert, dass die Bundesregierung für Deutschland
kein Programm zur Bekämpfung der Armut für notwendig hält. Auf Seite 14 des
Elften Menschenrechtsberichts wird dazu lapidar festgestellt: „Eines spezifischen
Anti-Armutsprogramms, wie vom Ausschuss der Vereinten Nationen für wirt-
schaftliche, soziale und kulturelle Rechte gefordert, bedarf es nicht, da die exis-
tierenden Mindestsicherungssysteme, die Arbeitsförderung und die zusätzlichen
sozial- und arbeitsmarktpolitischen Programme Armut und soziale Ausgrenzung
wirksam bekämpfen.“

9. Durch die Austeritätspolitik und den neoliberalen Umbau der Sozialsysteme mit
faktischen Renten- und Lohnkürzungen hat die Armut in Deutschland weiter zu-
genommen. Der gesellschaftliche Reichtum ist zunehmend in wenigen privaten
Händen konzentriert worden. Nach Angaben des jüngsten Armuts- und Reich-
tumsberichts verfügt die untere Hälfte der Haushalte über 1 Prozent, während die
obersten 10 Prozent über die Hälfte des Nettovermögens verfügen: Die Reichen
werden reicher, die Armen ärmer (BMAS 2013, S. XII). Der Anteil der Men-
schen, die von Mini-Jobs, Teilzeitarbeit und befristeter Arbeit leben, ist auf
70 Prozent innerhalb der letzten 20 Jahre angestiegen. Im aktuellen Armutsbe-
richt „Die zerklüftete Republik“ von 2014 weist der Deutsche Paritätische Wohl-
fahrtsverband (DPWV) darauf hin, dass ca. 12,5 Millionen Menschen unter der

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/6193

Armutsschwelle leben. Mehr als eine Million Menschen sind laut DPWV länger
als ein Jahr erwerbslos. Armut beeinträchtigt schwerwiegend die Lebensqualität
und die Gesundheit der Betroffenen und führt dazu, dass ihnen elementare soziale
und bürgerliche Menschenrechte vorenthalten werden.

10. Die UN-Kinderrechtskonvention verpflichtet die Bundesregierung, in allem
staatlichen Handeln dem Kindeswohl Vorrang einzuräumen. Dem wird sie jedoch
nicht gerecht: Aktuell leben 2,8 Millionen Kinder in Deutschland in Armut. „Die
Armutsquote der Minderjährigen ist von 2012 auf 2013 auf 19,2 Prozent gestie-
gen und bekleidet damit den höchsten Wert seit 2006“ (DPWV). Die Ergebnisse
mehrerer Untersuchungen zur Kindergesundheit des Robert Koch-Instituts
(2015) zeigen, dass infolge von sozialer Ungleichheit der Lebensbedingungen
und Teilhabechancen bei Kindern aus sozial benachteiligten Familien häufiger
frühe Gesundheitsstörungen, Entwicklungsverzögerungen, psychische Auffällig-
keiten und psychosomatische Beschwerden festgestellt werden. Kinder aus sozial
ausgegrenzten Familien werden auch in ihrer schulischen Laufbahn deutlich dis-
kriminiert (vgl. GBE kompakt, 1/2015).

11. „Hidden Hunger“ (verborgener Hunger) beschreibt die Mangel- und Unterernäh-
rung, die es auch in den Industrieländern gibt. Der Elfte Menschenrechtsbericht
der Bundesregierung klammert diese Entwicklung völlig aus. Die Langzeitstudie
„Children's Height and Parental Unemployment: A Large-Scale Anthropometric
Study on Eastern Germany, 1994–2006“ von 2009 zeigt deutlich auf, dass Kinder
von arbeitslosen Alleinerziehenden und aus Haushalten mit geringem Einkom-
men im Durchschnitt kleiner sind als Kinder aus Haushalten, in denen die Eltern
berufstätig sind. Die Folgen der Mangelernährung können eine Vitamin-D-, Ei-
sen-, Zink- und Vitamin-A-Unterversorgung sein. Mangelernährte Kinder sind
häufig entwicklungsverzögert. „Hidden Hunger“ stellt eine elementare Men-
schenrechtsverletzung dar.

12. Flüchtlinge von 16 bis 18 Jahre leben häufig in menschenrechtlich nicht akzep-
tablen Lebensumständen. Sie werden nach dem Asylverfahrensrecht als voll ver-
fahrensmündig behandelt und landen weiterhin auch in Abschiebehaft. Die UN-
Kinderrechtskonvention fordert, alle Kinder und Jugendlichen unabhängig von
Herkunft und Aufenthaltsstatus gleich zu behandeln. Die Feststellung im Elften
Menschenrechtsbericht, dass der „verbesserte Schutz, die Förderung und die Par-
tizipation von Kindern und Jugendlichen als eigenständige, besonders schutz- und
förderungsbedürftige Personengruppe ein zentrales Anliegen der Bundesregie-
rung in allen genannten Handlungsfeldern“ bleibe, hat dies mit der realen Ent-
wicklung der sozialen Menschenrechte von Kindern wenig zu tun.

13. Mit großer Sorge nimmt der Deutsche Bundestag zur Kenntnis, dass aufgrund
fehlender öffentlicher Mittel immer mehr Schulen und Bildungseinrichtungen auf
privates Sponsoring zurückgreifen. „Lobbycontrol“ weist darauf hin, dass z. B.
der Einfluss von privaten Organisationen wie der „Initiative Neue Soziale Markt-
wirtschaft“ oder der Bertelsmann-Stiftung auf die Ausrichtung der Bildungsin-
halte an Schulen stark zunimmt. Dieses Verständnis von Bildung steht dem Arti-
kel 26 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen
von 1948, dem Artikel 13 des UN-Paktes über wirtschaftliche, soziale und kultu-
relle Rechte sowie den Artikeln 28 und 29 der UN-Kinderrechtskonvention ent-
gegen.

14. An Bildungseinrichtungen wird durch direkte Einflussnahme, die Gestaltung von
Unterrichtseinheiten, die Bereitstellung von Lehrmaterial für den Unterricht und
das Angebot von Seminaren für Schülerinnen und Schüler sowie Lehrerinnen und
Lehrer intensiv für den Dienst in der Bundeswehr geworben. Die Präsenz von
Militärangehörigen und einseitige Werbung bei Minderjährigen für den Kriegs-
dienst in Bildungseinrichtungen verstößt auch nach Ansicht vieler zivilgesell-
schaftlicher Organisationen wie zum Beispiel des Deutschen Bündnisses gegen

Drucksache 18/6193 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Kindersoldaten oder terre des hommes gegen die Prinzipien der UN-Kinder-
rechtskonvention und das Fakultativprotokoll zur Kinderrechtskonvention betref-
fend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten, welches am
12. Februar 2002 in Kraft trat.

15. Mit der Praxis, unter 18-jährige Jugendliche für eine militärische Ausbildung bei
der Bundeswehr zu rekrutieren, verstößt die Bundesregierung zudem gegen die
Prinzipien der UN-Kinderrechtskonvention und das Fakultativprotokoll zur Kin-
derrechtskonvention betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten
Konflikten. Damit werden begrüßenswerte Bemühungen auf internationaler
Ebene gegen die Zwangsrekrutierung von Kindersoldatinnen und Kindersoldaten
und zur Hebung der Schutzstandards des humanitären Völkerrechts in Konflikt-
und Krisengebieten konterkarriert.

16. Der Deutsche Bundestag kritisiert, dass die soziale Lage der Rentnerinnen und
Rentner in Deutschland bewusst beschönigt wird. Im Elften Menschenrechtsbe-
richt wird dazu ausgeführt: „In Hinblick auf diesbezügliche Anmerkungen des
UN-Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte ist festzustel-
len, dass Bedürftigkeit im Alter derzeit in Deutschland trotz gegenteiliger medi-
aler Berichterstattung kein verbreitetes Phänomen ist“ (S.15). „Bedürftigkeit“ be-
zieht sich dabei lediglich auf die Anzahl der Leistungsbeziehenden in der nicht
armutsfesten Grundsicherung im Alter. Relevant ist aber die Armutsquote. Hierzu
heißt es zutreffend im Armutsbericht des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsver-
bandes: „Bedrohlich zugenommen hat in den letzten Jahren die Altersarmut, ins-
besondere unter Rentnerinnen und Rentnern. Keine andere Bevölkerungsgruppe
zeigt eine rasantere Armutsentwicklung.“

17. Sozial benachteiligte Menschen sind durchschnittlich häufiger und schwerer
krank, werden eher pflegebedürftig und sterben früher. Bislang gibt es keine
wirksamen Versuche, diese sozial bedingte gesundheitliche Ungleichheit zu be-
kämpfen. Pflegebedürftigkeit führt in Deutschland häufig zum Verlust elementa-
rer Selbstbestimmungs- und Teilhabemöglichkeiten. Sie führt aufgrund der unzu-
reichenden Absicherung durch die soziale Pflegeversicherung sehr häufig zu Ar-
mut der Betroffenen wie der pflegenden Angehörigen.

18. Der Deutsche Bundestag kritisiert die vorhandene Praxis von Polizistinnen und
Polizisten des „Racial Profiling“ als eine Form von institutionellem Rassismus.
Das Oberverwaltungsgericht Koblenz hat im Oktober 2012 entschieden, dass Per-
sonenkontrollen aufgrund der „Hautfarbe” nicht mit dem Gleichbehandlungs-
grundsatz vereinbar sind. Die Initiative „Schwarze Menschen in Deutschland e.
V.“ fordert von der Bundesregierung in einer Stellungnahme vom 29. Oktober
2013 die „Anerkennung, dass Racial Profiling in Deutschland existiert und eine
nicht hinnehmbare Praxis der Polizeiarbeit in Deutschland ist, die es abzuschaffen
gilt“.

19. Wenn im Elften Menschenrechtsbericht angekündigt wird, dass „die Empfehlun-
gen des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages […] zügig
umgesetzt“ werden, ist das zu begrüßen, jedoch fehlt es bisher an der wirksamen
Umsetzung entscheidender Punkte, z. B. im Bereich des institutionellen Rassis-
mus. Gleichzeitig fehlt im Menschenrechtsbericht eine kritische Auseinanderset-
zung mit den Ursachen und Folgen des „NSU-Komplexes“. Die Verquickung
zwischen Geheimdiensten und rassistischen und faschistischen Gruppen bleibt
unerwähnt. Hier wurden gravierendste Menschenrechtsverletzungen unter Dul-
dung bzw. Aufsicht der staatlichen Geheimdienste begangen.

20. Der Menschenrechtsbericht geht in keiner angemessenen Weise auf den Schutz
des informationellen Selbstbestimmungsrechtes ein. Durch die systematische Be-
spitzelung und Überwachung der Menschen in Deutschland und den Ländern der
Europäischen Union durch die Geheimdienste der USA und Großbritanniens wer-
den Menschenrechte systematisch verletzt und ausgehebelt. Es ist mit dem

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Grundgesetz nicht vereinbar, dass nahezu die gesamte Bevölkerung Deutschlands
durch ausländische Geheimdienste bespitzelt wird.

21. Auf die Arbeit der nationalen Antifolterstelle, die immer noch nicht mit ausrei-
chenden Finanzmitteln ausgestattet ist und so ihrem Überprüfungsauftrag der
Menschenrechtskonformität der Haftbedingungen in bundesdeutschen Gewahr-
samseinrichtungen (Gefängnisse, Abschiebehafteinrichtungen, Polizeidienststel-
len und psychiatrische und Pflegeeinrichtungen) nicht im erforderlichen Maß
nachgehen kann, wird nicht angemessen eingegangen. Psychiatrische Zwangsbe-
handlungen wie Zwangsmedikalisierung oder Fixierungen werden im Elften
Menschenrechtsbericht nicht problematisiert. Dabei verstoßen sie, so wie sie in
Deutschland vielfach vorgenommen werden, gegen das VN-Übereinkommen ge-
gen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung
oder Strafe (FoK) vom 10. Dezember 1984 und gegen die Europäische Antifol-
terkonvention von 1987. Statt die Zahl und Eingriffstiefe von Zwangsmaßnahmen
zu reduzieren, konzentrierte sich die Bundesregierung darauf, sie rechtssicher
auszugestalten.

22. Die UN-Behindertenrechtskonvention sieht volle soziale Teilhabe für Menschen
mit Behinderungen durch einen inklusiven Arbeitsmarkt, gleichberechtigte Bil-
dungschancen und die Schaffung von Barrierefreiheit für Menschen mit Behin-
derungen vor. Menschen mit Behinderungen sind in Deutschland weiterhin über-
durchschnittlich stark von Ausgrenzung und Erwerbslosigkeit sowie von Armut
betroffen, wie auch der UN-Staatenbericht ausführlich dokumentiert. Der immer
noch vorherrschende Unterricht in Sonderschulen und die dadurch verursachte
Benachteiligung beim Zugang zu höherer Bildung widersprechen der UN-Behin-
dertenrechtskonvention.

23. Auch im Elften Menschenrechtsbericht werden die Empfehlungen der aktuellen
UN-Staatenberichte für Deutschland zu den Internationalen Pakten über bürger-
liche und politische Rechte (Zivilpakt) und über wirtschaftliche, soziale und kul-
turelle Rechte (Sozialpakt) nicht ansatzweise berücksichtigt. Das Gleiche gilt für
den Länderbericht des Europäischen Ausschusses für Soziale Rechte. Ebenso we-
nig geht der Bericht auf die deutsche Blockade der 5. Europäische Antidiskrimi-
nierungsrichtlinie ein.

24. Der Deutsche Bundestag hält die Tatsache, dass Deutschland entscheidende Men-
schenrechtspakte immer noch nicht ratifiziert hat, für nicht akzeptabel. Ein wich-
tiges Beispiel hierfür sind das Fakultativprotokoll zum Pakt über wirtschaftliche,
soziale und kulturelle Rechte (UN-Sozialpakt) sowie die revidierte Europäische
Sozialcharta.

25. Im internationalen Teil B des Menschenrechtsberichts wird erneut die extraterri-
toriale Verantwortung der Bundesregierung in der Außen-, Handels-, Entwick-
lungs- und Wirtschaftspolitik kaum berücksichtigt. Die Menschenrechtsverlet-
zungen durch internationale Unternehmen werden nicht angemessen erwähnt.
Deutsche und europäische Unternehmen sowie Kreditinstitute und internationale
Finanzinstitutionen sind direkt oder indirekt an Menschenrechtsverletzungen be-
teiligt. Der Deutsche Bundestag kritisiert, dass die Bundesregierung ohne eine
ausreichende Menschenrechtsprüfung Investitionen der deutschen Wirtschaft im
Ausland finanziell unterstützt. Der Deutsche Bundestag erwartet, dass die Bun-
desregierung endlich die Untersuchungen und Fallbeispiele von Menschenrechts-
organisationen zur Rolle von internationalen Unternehmen, wie sie beispiels-
weise von Brot für die Welt, Clean Clothes Campaign, CorA-Netzwerk, ECCHR,
FDCL, FIAN, INKOTA, Misereor, Oxfam, Südwind-Institut, Urgewald und an-
deren vorgelegt werden, berücksichtigt. Von der deutschen Bundesregierung mit
durchgesetzte internationale exklusive Verwertungsrechte etwa für Arzneimittel
verhindern in ärmeren Regionen eine adäquate medizinische Behandlung gerade
von Infektionskrankheiten wie AIDS, Malaria und Tuberkulose.

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26. Der Deutsche Bundestag bedauert zutiefst, dass jedes Jahr 2,6 Millionen Kinder

unter fünf Jahren an Unterernährung sterben, mehr als 45 Prozent aller Sterbefälle
von Kindern weltweit. 795 Millionen Menschen auf der Welt haben nicht genug
zu essen. Mehr Menschen sterben jährlich an Hunger als an AIDS, Malaria und
Tuberkulose zusammen. Die große Mehrheit der Hungernden (98 Prozent) lebt in
Entwicklungsländern (Levels & Trends in Child Mortality, UNICEF 2013). Der
Deutsche Bundestag verurteilt auf das Schärfste, dass die deutsche und europäi-
sche Handelspolitik, der Import von Kraft- und Brennstoffen aus Bisomasse so-
wie die Spekulation mit Nahrungsmitteln zum Hunger in der Welt beitragen und
das Menschenrecht auf Nahrung verletzen.

27. In keiner Weise beleuchtet der Bericht die Menschenrechtsverletzungen durch
internationale Militärmissionen und Auslandseinsätze der Bundeswehr. Die zu-
nehmende Zahl von Militäreinsätzen führt zu einer steigenden Zahl von Kriegs-
opfern, die dauerhaft als Menschen mit Behinderungen und Traumatisierungen
weiterleben. Er verschweigt die Verletzungen der Menschenrechte durch die
Drohneneinsätze der NATO-Verbündeten und geht nicht auf die Beteiligung
Deutschlands an diesen Menschenrechtsverletzungen durch US-Einrichtungen
wie Ramstein oder AFRIKOM in Stuttgart ein. Der Deutsche Bundestag verur-
teilt die Instrumentalisierung des Schutzes von Menschenrechten für die Recht-
fertigung von Militärinterventionen und extralegalen Exekutionen. Vorsätzliche
Tötungen jeder Art sind mit sofortiger Wirkung zu beenden.

28. Der Deutsche Bundestag bedauert, dass im Elften Menschenrechtsbericht trotz
langjähriger Kritik von Nichtregierungsorganisationen (NRO) der Aktionsplan
im Teil D immer noch weder handlungsorientiert noch konkret ist. Die in den
vorherigen Berichten genannten Prioritäten und Maßnahmen müssen auf ihre
Umsetzung und Wirkung überprüft werden. Die internationalen Maßstäbe für die
Bewertung menschenrechtlicher Aktionspläne sind nicht beachtet worden. Der
völlige Mangel an Rechenschaftslegung, Zuständigkeiten, Zeitrahmen, konkreten
Zielgrößen und rechtlich bindenden Verpflichtungen macht einen Aktionsplan in
dieser Form überflüssig.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, im Zwölften Men-
schenrechtsbericht

1. im nationalen Teil A im Besonderen:

a) die Empfehlungen der aktuellen UN-Staatenberichte für Deutschland zu den
Internationalen Pakten über bürgerliche und politische Rechte (Zivilpakt)
und über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Sozialpakt) zu be-
rücksichtigen, ebenso wie den Länderbericht des Europäischen Ausschusses
für Soziale Rechte. Es sollen dabei konkrete Maßnahmen zur Umsetzung
der in den Berichten beschriebenen Handlungsempfehlungen aufgezeigt
werden;

b) ein eigenes Kapitel zu den zunehmenden rassistisch motivierten Gewalttaten
in Deutschland und konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung der zunehmen-
den Fremdenfeindlichkeit, des Rassismus und Antisemetismus vorzulegen;

c) ein eigenes Kapitel zum Thema „antimuslimischer Rassismus“ in Deutsch-
land und der EU aufzunehmen;

d) ein eigenes Kapitel zum Thema Religionsfreiheit in Deutschland und der EU
aufzunehmen;

e) zu erklären, dass Racial Profiling eine nicht mit den Menschenrechten zu
vereinbarende Form des Rassismus ist, und gesetzliche Schritte aufzuzeigen,
die es ausdrücklich verbieten, als Entscheidungsgrundlage für polizeiliche
Maßnahmen wie Personenkontrollen, Identitätsfeststellungen, Ermittlungen
und Überwachungen Erscheinungsbild, Hautfarbe oder Gesichtszüge heran-
zuziehen;

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/6193

f) bezüglich der NSU-Morde aufzuklären, inwieweit Geheimdienste zur Ver-
tuschung der Mordtaten beigetragen haben, und das Thema „Geheimdienste
und Menschenrechtsverletzungen“ in zukünftigen Berichten ausführlich zu
beleuchten;

g) sich gegen eine zunehmende Militarisierung der Gesellschaft auszusprechen
und darzulegen, wie Bildungseinrichtungen grundsätzlich zu militärfreien
Einrichtungen gemacht werden können, und sich gemäß der UN-Kinder-
rechtskonvention und dem Fakultativprotokoll zur Kinderrechtskonvention
betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten gegen
die Rekrutierung von unter 18-Jährigen für die Bundeswehr einzusetzen;

h) in einem Kapitel mit dem Titel „Deutsche Rüstungsexporte“ einen Bericht
vorzulegen, in dem alle Länder, welche in den letzten Jahren aus Deutsch-
land mit Waffen beliefert worden sind, danach überprüft werden, ob diese
Waffen mittelbar oder unmittelbar zu Menschenrechtsverletzungen beige-
tragen haben; der Zeitplan zur Einführung einer gesetzlichen Menschen-
rechtsklausel bei Rüstungsexporten soll dargestellt werden;

i) die aktuelle Entwicklung der Menschenrechte in Deutschland detailliert in
Zusammenarbeit mit NRO darzulegen, dabei die unterschiedlichen Formen
und Auswirkungen von Armut als Menschenrechtsverletzung auf besonders
betroffene gesellschaftliche Gruppen wie Kinder, Alleinerziehende sowie
alte, chronisch kranke oder pflegebedürftige Menschen adäquat zu analysie-
ren und konkrete Maßnahmen zur effektiven Bekämpfung dieser Armut zu
benennen;

j) sich für ein Programm zur Bekämpfung der Armut einzusetzen und im
nächsten Menschenrechtsbericht dazu eine detaillierte Analyse vorzuneh-
men;

k) sich in einem eigenen Unterkapitel mit „Hidden Hunger“ als eine elementare
Menschenrechtsverletzung in Deutschland zu befassen;

l) dabei den Zusammenhang von Armut und Behinderung zu analysieren und
Fortschritte bei der Inklusion und der Schaffung von Barrierefreiheit darzu-
stellen. Die Rechte von Menschen mit Behinderungen in der internationalen
Zusammenarbeit sollten dabei angemessen betrachtet werden;

m) dabei die Zusammenhänge von Armut und Gesundheit zu analysieren und
wirksame Maßnahmen für die Beendigung der Benachteiligung von sozial
Ausgegrenzten für ihre Gesundheitschancen aufzuzeigen. Die Bedingungen,
die pflegebedürftige Menschen an Teilhabe und Selbstbestimmung hindern,
zu analysieren und Lösungsvorschläge zu unterbreiten;

n) die strukturelle Diskriminierung von Migrantinnen und Migranten und deren
Ursachen in den Bereichen wirtschaftliche und soziale Integration, politi-
sche Partizipation und gesellschaftliche Teilhabe detailliert herauszuarbei-
ten und konkrete Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung zu benennen;

o) die humanitäre und menschenrechtliche Lage von Asylsuchenden und
Flüchtlingen darzustellen und hierbei insbesondere auf die Situation von un-
begleiteten Minderjährigen, ehemaligen Kindersoldaten und Menschen
ohne Papiere einzugehen. Dabei sollen konkrete Maßnahmen zur Abschaf-
fung der Menschenrechtsverletzungen genannt werden, mit denen die Situ-
ation der Betroffenen deutlich und unverzüglich verbessert werden kann;

p) ein eigenes Kapitel zur Lage von „Whistleblowern“ in den betroffenen Län-
dern und die massiven internationalen Menschenrechtsverletzungen von
Wistleblowern und desertierenden Soldatinnen und Soldaten aufzunehmen;

2. einen Zeitplan vorzulegen, bis wann sie dem Deutschen Bundestag folgende in-
ternationale Verträge zur Ratifizierung vorlegen will. In Fällen, in denen dies

Drucksache 18/6193 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

nicht beabsichtigt ist, soll eine ausführliche Begründung oder Ablehnung erfol-
gen. Folgende Pakte stehen noch zur Unterzeichnung bzw. Ratifizierung aus:

a) das Fakultativprotokoll zum UN-Pakt der wirtschaftlichen, sozialen und kul-
turellen Rechte (Sozialpakt),

b) das ILO-Übereinkommen Nr. 169 der Menschenrechte indigener Völker,

c) das 12. Protokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK),

d) die Internationale Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeit-
nehmer und ihrer Familienangehörigen,

e) das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Korruption,

f) die Revidierte Europäische Sozialcharta von 1996,

g) das Zusatzprotokoll zur Europäischen Sozialcharta über Kollektivbeschwer-
den;

3. im internationalen Teil B die nachhaltige Stärkung von Menschenrechtsorgani-
sationen sowie Menschenrechtsverteidigern und Menschenrechtsverteidigerin-
nen im In- und Ausland mit personellen, finanziellen und technischen Ressourcen
darzulegen und fortzuschreiben sowie die Menschenrechtspolitik als Quer-
schnittsaufgabe zu definieren und insbesondere folgende Aspekte in einem eige-
nen Kapitel zu berücksichtigen:

a) die europäische Flüchtlingspolitik und die Fluchtursachen; dabei Maßnah-
men für die unverzügliche und menschenwürdige Aufnahme von Menschen
in Not aufzeigen: Ziel soll sein, legale Einreisemöglichkeiten für Flüchtlinge
und Menschen in Not zu schaffen. Fluchtursachen sollen eingehend analy-
siert und konkrete Schritte mit Budget- und Zuständigkeitsangaben benannt
werden, um diese wirksam zu beseitigen;

b) die Verantwortlichkeit Deutschlands für den Klimawandel als Fluchtursache
und Menschenrechtsverletzung; dabei sowohl innenpolitische als auch au-
ßenpolitische Maßnahmen zur Verminderung des CO2-Ausstoßes und zur
Finanzierung von „loss and damage“ im globalen Süden benennen;

c) die extraterritoriale Verantwortung der Bundesregierung in der Außen-,
Handels-, Entwicklungs- und Wirtschaftspolitik und die extraterritorialen
Staatenpflichten Deutschlands bezüglich seiner Unternehmen sollen darge-
stellt werden ebenso wie die Umsetzung von Transparenz und Offenlegung
in den Zulieferketten der Unternehmen; Schritte hin zu einer Menschen-
rechtsprüfung bei Investitionen der deutschen Wirtschaft im Ausland sollen
dargelegt werden; dabei werden die Untersuchungen und Fallbeispiele von
Menschenrechtsorganisationen zur Rolle von internationalen Unternehmen
berücksichtigt; vor allem die Auswirkungen der deutschen und europäischen
Handelspolitik auf die Nahrungssouveränität anderer Länder soll analysiert
werden;

d) menschenrechtliche Auswirkung der Austeritätspolitik in der EU;

e) die Auswirkungen der extralegalen Tötungen durch NATO-Mitglieder; da-
bei die Opferzahlen von extralegalen Tötungen durch Drohnen benennen
und die Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an der Durchführung
von extralegalen Tötungen offenzulegen;

f) die Folgen der „interessegeleiteten Außenpolitik“ und die Auswirkungen der
Auslandseinsätze der Bundeswehr auf die Menschenrechte; hierbei sollte
dargestellt werden, inwieweit durch diese Politik Menschenrechte von
Frauen in Mitgliedstaaten des Golfkooperationsrats (GCC), namentlich
Saudi-Arabien, verletzt und/oder verwirklicht werden konnten, wie viele öf-
fentliche Hinrichtungen (zum Beispiel von Homosexuellen) verhindert wur-
den oder wie Arbeitsrechte von Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeitern
u. a. in Katar verletzt und/oder verbessert werden konnten;

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 9 – Drucksache 18/6193

g) Religionsfreiheit weltweit und dabei konkrete Schritte zu ihrer Verwirkli-
chung aufzuzeigen;

h) die Frauen- und Kinderrechte im Rahmen von Militäreinsätzen und dabei
die Auswirkungen von Militäreinsätzen für die Geschlechtergerechtigkeit,
Kinderrechte und Partizipation in den Einsatzgebieten zu evaluieren;

4. im länderspezifischen Berichtsteil C auch die Menschenrechtslage in den Mit-
gliedstaaten der Europäischen Union und in den nordamerikanischen Staaten an-
gemessen zu thematisieren;

5. im Aktionsplan Teil D die in vorherigen Berichten genannten Prioritäten und
Maßnahmen auf ihre Umsetzung und Wirkung zu überprüfen. Im Aktionsplan
des Zwölften Menschenrechtsberichts sind konkrete Ziele, die zuständigen ver-
antwortlichen Akteurinnen und Akteure und der Zeitrahmen für die Umsetzung
der Ziele zu benennen, dabei ausreichende Finanzmittel für die Umsetzung der
Ziele anzugeben und die Einrichtung eines unabhängigen Kontrollmechanismus
vorzusehen, der die Fortschritte in den im Bericht benannten Schwerpunktthemen
prüft. In dem Aktionsplan sind die international anerkannten Maßstäbe für die
Bewertung menschenrechtlicher Aktionspläne zu beachten.

Berlin, den 29. September 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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