BT-Drucksache 18/5984

Private Schiedsgerichte in Freihandelsabkommen

Vom 8. September 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/5984
18. Wahlperiode 08.09.2015

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Klaus Ernst, Christine Buchholz, Annette Groth, Inge Höger,

Susanna Karawanskij, Jutta Krellmann, Katrin Kunert, Thomas Lutze,

Niema Movassat, Thomas Nord, Richard Pitterle, Michael Schlecht,

Dr. Axel Troost, Alexander Ulrich, Kathrin Vogler, Dr. Sahra Wagenknecht und

der Fraktion DIE LINKE.

Private Schiedsgerichte in Freihandelsabkommen

Im Juli 2015 hat das Europäische Parlament eine Resolution verabschiedet, in der
es der Europäischen Kommission empfiehlt, „das ISDS-Verfahren [ISDS: Inves-
tor-Staat-Schiedsverfahren] durch ein neues Verfahren für die Beilegung von
Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten zu ersetzen, das den demokrati-
schen Grundsätzen entspricht und der demokratischen Kontrolle unterliegt, in
dessen Rahmen etwaige Streitsachen in öffentlichen Verfahren transparent von
öffentlich bestellten, unabhängigen Berufsrichtern verhandelt werden, eine Beru-
fungsinstanz vorgesehen ist, die Kohärenz richterlicher Urteile sichergestellt
wird, die Rechtsprechung der Gerichte der EU und der Mitgliedstaaten geachtet
wird und die Ziele des Gemeinwohls nicht durch private Interessen untergraben
werden können“.

Auch der Bundesminister für Wirtschaft und Energie, Sigmar Gabriel, hat sich
wiederholt gegen private Schiedsgerichte ausgesprochen (vgl. zuletzt reuters-
Tickermeldung vom 24. August 2015 „Private Schiedsgerichte wird es nicht mehr
geben“). In diesem Zusammenhang meinte er, dass man dann auch all die bishe-
rigen Freihandelsabkommen mit anderen Staaten anpassen müsse.

Damit stellt sich auch die Frage, was das für die konkret geplanten oder derzeit
verhandelten Freihandelsabkommen bedeutet, deren Verhandlungsmandate Be-
stimmungen über Investor-Staat-Schiedsverfahren enthalten. Dies betrifft neben
dem Freihandelsabkommen TTIP zwischen der Europäischen Union und den
USA die geplanten Abkommen mit den Staaten des Verbandes Südostasiatischer
Nationen (ASEAN), Ägypten, Indien, Japan, Jordanien, Kanada, Marokko,
Singapur, Thailand, Tunesien und Vietnam (vgl. Antwort auf die Schriftliche
Frage 3 des Abgeordneten Klaus Ernst auf Bundestagsdrucksache 18/5804).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wann wurden für die Verhandlungen mit den in der Vorbemerkung der
Fragesteller genannten Ländern jeweils die Verhandlungsmandate und gege-
benenfalls die Erweiterung des Verhandlungsmandates um den Investitions-
schutz erteilt (bitte einzeln auflisten)?

2. In welchen dieser Verhandlungsmandate sind Investor-Staat-Schiedsverfah-
ren als „Muss“-Bestimmung aufgenommen, und warum?

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3. Hält es die Bundesregierung für angezeigt, aufgrund der neuen Erkenntnisse
über und der gewandelten politischen Sicht auf Investor-Staat-Schiedsver-
fahren die alten Verhandlungsmandate zurückzuziehen und zu ersetzen (bitte
begründen)?

4. Zieht die Bundesregierung es vor, die Paralleljustiz – zumindest zwischen
OECD-Staaten – komplett aufzugeben, oder hält sie den vorgeschlagenen
internationalen Handels- und Investitionsgerichtshof in jedem Fall für not-
wendig, und wenn letzteres zutrifft, weshalb, und welche Studien unterstüt-
zen diese Argumente?

5. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass vor solch einem Gerichtshof auch
Drittbetroffene sowie Gewerkschaften, Menschenrechtsorganisationen und
Umweltverbände ein Klagerecht eingeräumt bekommen sollen (bitte begrün-
den)?

6. Hat die Bundesregierung die Absicht, das weltweite System des Investoren-
schutzes in Richtung sozialer und demokratischer Belange zu verändern
(bitte begründen), und welche konkreten Schritte unternimmt sie in diese
Richtung?

7. Wie will die Bundesregierung garantieren, dass der Rechtsprechung eines
möglichen Handels- und Investitionsgerichtshofes zu Investitionsschutz-
regeln international gültige Menschenrechtspakte bindend zugrunde gelegt
werden?

8. Wird die Bundesregierung das von der Generalversammlung der Vereinten
Nationen am 10. Dezember 2008 angenommene Zusatzprotokoll zum UN-
Sozialpakt zeichnen und ratifizieren, um ein Individualbeschwerdeverfahren
zu ermöglichen und die dort verbrieften Rechte als justiziabel anzuerkennen?
Wenn ja, wann? Wenn nein, warum nicht?

9. Wird die Bundesregierung das Zusatzprotokoll zur Europäischen Sozial-
charta über Kollektivbeschwerden, welches den Schutz der sozialen Men-
schenrechte gewährleisten soll und ermöglicht, dass Gewerkschaften und
Nichtregierungsorganisationen soziale Rechte beim Europäischen Aus-
schuss für Soziale Rechte direkt einklagen, ratifizieren? Wenn ja, wann?
Wenn nein, warum nicht?

10. Wird die Bundesregierung das Zwölfte Zusatzprotokoll zur Europäischen
Menschenrechtskonvention ratifizieren, das ein allgemeines Diskriminie-
rungsverbot gewährleisten soll? Wenn ja, wann? Wenn nein, warum nicht?

11. Warum vertrat die Bundesregierung im EU-Ministerrat bei der Frage eines
Investor-Staat-Schiedsverfahrens im geplanten Freihandelsabkommen mit
Japan nicht ihre eigene Auffassung, sondern passte sich den Mehrheiten an
(vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Schriftliche Frage 6 des Abge-
ordneten Klaus Ernst auf Bundestagsdrucksache 18/4296: „Die Bundes-
regierung erachtet Investitionsschutzbestimmungen einschließlich Bestim-
mungen zum ISDS im geplanten Freihandelsabkommen mit Japan als nicht
erforderlich, da Japan ein Rechtsstaat ist. (…) Die Bundesregierung hat sei-
nerzeit ein umfassendes Mandat mitgetragen, da die Europäische Kommis-
sion sowie die anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union Verhand-
lungen auch über Investitionsschutz führen wollten“), und gilt dies auch für
die anderen in der Vorbemerkung der Fragesteller genannten Abkommen
(bitte einzeln beantworten)?

12. Gilt dieser Politikansatz weiterhin, und wie will die Bundesregierung dann
auf die Politik der Europäischen Union (EU) in die Richtung Einfluss neh-
men, dass ihre Kritik an ISDS ihren Niederschlag findet?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/5984

13. Sind die von der Europäischen Kommission genannten vier Reformansätze
(Schutz der Regulierungshoheit des Gesetzgebers, Arbeitsweise und Zusam-
mensetzung der Schiedsgerichte, Verhältnis von Schiedsgerichtsverfahren
zum nationalen Rechtsweg sowie ein Berufungsmechanismus) nach Ansicht
der Bundesregierung ausreichend (bitte begründen), oder welche weiteren
Reformnotwendigkeiten am ISDS-System sieht sie?

14. Falls sich kein Handels- und Investitionsgerichtshof durchsetzen lässt, wel-
che Mindest-Reformanforderungen an das bisherige ISDS-System hat die
Bundesregierung, um diesem im EU-Ministerrat zuzustimmen?

15. Spiegeln die im Laufe der Rechtsförmlichkeitsprüfung des Freihandels-
abkommens CETA zwischen der Europäischen Union und Kanada, welche
voraussichtlich diesen Monat abgeschlossen sein soll (s. Protokoll der Sit-
zung des Handelspolitischen Ausschusses vom 29. Juli 2015), gemachten
Änderungen alle Vorstellungen der Bundesregierung bezüglich eines „mo-
dernen und rechts-staatlichen Streitbeilegungsverfahrens“ (vgl. Antwort der
Bundesregierung auf die Schriftliche Frage des Abgeordneten Klaus Ernst
auf Bundestagsdrucksache 18/5877) wider, und wenn nein, versichert die
Bundesregierung, dass sie diesem Abkommen dann im EU-Ministerrat nicht
zustimmt?

16. Wie positioniert sich die Bundesregierung zu der Äußerung der EU-Handels-
kommissarin Cecilia Malmström vom 31. August 2015, die Europäische
Kommission beabsichtige nicht, die im Jahr 2014 abgeschlossenen Verhand-
lungen über CETA wieder aufzunehmen (vgl. www.europarl.europa.eu/
sides/getAllAnswers.do?reference=E-2015-008188&language=DE) vor dem
Hintergrund, dass das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie in der
Vergangenheit stets von der Möglichkeit von Nachverhandlungen – insbe-
sondere bezüglich ISDS eines möglichen Handels- und Investitionsgerichts-
hofes – ausgegangen war (Bundesminister Sigmar Gabriel, Plenarprotokoll
18/70)?

17. Welche konkreten Schritte unternimmt die Bundesregierung gegenüber der
Europäischen Kommission, um Nachverhandlungen zu ermöglichen?

18. Spiegeln die Investitionsschutzregeln im fertig ausgehandelten (vgl. Aus-
schussdrucksache 18(9)518 des Ausschusses für Wirtschaft und Energie
des Deutschen Bundestages) Freihandelsabkommen mit Singapur die von
der Europäischen Kommission identifizierten Verbesserungsvorschläge in
vier Themenfeldern (vgl. http//trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2015/may/
tradoc_153408.PDF) wider, und wenn nein, warum nicht, und wie gedenkt
die Bundesregierung dem gegen zu wirken?

19. Beinhalten die Investitionsschutzregeln im fertig ausgehandelten Freihan-
delsabkommen mit Singapur das von europäischen Sozialdemokraten als
notwendig erachtete Handels- und Investitionsgericht (vgl. www.spd.de/
linkableblob/127484/data/20150223_ceta_isds_papier_madrid.pdf), und
wenn nein, warum nicht, und wie gedenkt die Bundesregierung dem gegen
zu wirken?

20. Welche konkreten Änderungen im Investitionsschutz innerhalb des Freihan-
delsabkommens mit Singapur wurden in der im Mai 2015 abgeschlossenen
Phase der Rechtsförmlichkeitsprüfung vorgenommen?

21. Spiegeln die Investitionsschutzregeln im fast fertig verhandelten (vgl. Aus-
schussdrucksache 18(9)518 des Ausschusses für Wirtschaft und Energie des
Deutschen Bundestages) Freihandelsabkommen mit Vietnam die von der Eu-
ropäischen Kommission identifizierten Verbesserungsvorschläge wider, und
wenn nein, warum nicht, und wie gedenkt die Bundesregierung dem gegen
zu wirken?

Drucksache 18/5984 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

22. Beinhalten die Investitionsschutzregeln im fast fertig verhandelten Freihan-
delsabkommen mit Vietnam das von europäischen Sozialdemokraten als not-
wendig erachtete Handels- und Investitionsgericht, und wenn nein, warum
nicht, und wie gedenkt die Bundesregierung dem gegen zu wirken?

23. Teilt die Bundesregierung die Ansicht des Professors der Rechtswissenschaf-
ten Andreas Fischer-Lescano, dass ein internationaler Handels- und Investi-
tionsgerichtshof nicht umsetzbar ist, weil der Europäische Gerichtshof ihn
nicht neben sich akzeptieren wird (vgl. taz vom 7. Mai 2015; bitte begrün-
den)?

24. Teilt die Bundesregierung die Ansicht von Professor Andreas
Fischer-Lescano, dass der Eigentumsschutz durch die regionalen Menschen-
rechtsgerichtshöfe gewährleistet ist (vgl. taz vom 7. Mai 2015; bitte begrün-
den), und falls ja, warum bedarf es dann nach Ansicht des Bundesministers
für Wirtschaft und Energie eines Handels- und Investitionsgerichtshofes?

25. Teilt die Bundesregierung die Ansicht von Professor Andreas
Fischer-Lescano, dass es mit einem Investitionsschiedsgerichthof zu Zustän-
digkeitskonflikten, widersprechenden Urteilen und einem „forum shopping“
kommen wird, „das es transnationalen Unternehmen ermöglicht, unterstützt
durch transnationale Anwaltsfabriken, die demokratischen Entscheidungs-
verfahren über Jahre hinweg zu blockieren“ (vgl. taz vom 7. Mai 2015)?

26. Teilt die Bundesregierung die Ansicht, dass auch innerhalb eines Handels-
gerichtshof die Problematik der weit auslegbaren Klausel zur „fairen und
gerechten Behandlung“ weiterbesteht, auf die sich in der Vergangenheit viele
fragwürdige Urteile bezogen haben (taz vom 7. Mai 2015), und setzt sich die
Bundesregierung dafür ein, dass diese Klausel nicht mehr in Verträge
geschrieben wird, obwohl das der Resolution des Europaparlamentes wider-
sprechen würde (vgl. EP-Parlament P8_TA-PROV(2015)0252 vom
8. Juli 2015)?

27. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass ein Diskriminierungsschutz für
ausländische Investoren reichen würde (bitte begründen), und bringt sie diese
Position in die EU ein (bitte belegen)?

28. Müssten in Deutschland auf Entschädigungszahlungen aufgrund einer er-
folgreichen ISDS-Klage Steuern gezahlt werden, und wenn ja, welche, und
wenn nein, warum nicht?

29. Ist der Bundesregierung bekannt, dass ISDS bei Investmentfonds als neue
Anlageklasse geführt wird (vgl. Der Freitag vom 20. August 2015), und wie
verhält sie sich dazu?

30. Wird nach Einschätzung der Bundesregierung noch vor den geplanten Bun-
destagswahlen im Herbst 2017 über eines der derzeit verhandelten Freihan-
delsabkommen abgestimmt werden, und wie sieht jeweils der bisherige Zeit-
plan aus (bitte einzeln auflisten)?

31. Welche Auslaufklauseln sind in den bisher von der Bundesrepublik Deutsch-
land bzw. der Europäischen Kommission abgeschlossenen Investitions-
schutzbestimmungen enthalten, und wie lange sind die Regelungen nach
Kündigung jeweils wirksam (bitte einzeln auflisten)?

Berlin, den 8. September 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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