BT-Drucksache 18/5772

Auswirkungen der Marktmacht deutscher Supermärkte auf die Arbeitsbedingungen in Schwellen- und Entwicklungsländern

Vom 13. August 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/5772
18. Wahlperiode 13.08.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Katharina Dröge, Claudia Roth (Augsburg),
Tom Koenigs, Beate Müller-Gemmeke, Annalena Baerbock, Marieluise Beck
(Bremen), Dr. Franziska Brantner, Agnieszka Brugger, Dr. Tobias Lindner,
Omid Nouripour, Cem Özdemir, Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt,
Jürgen Trittin, Doris Wagner, Harald Ebner, Brigitte Pothmer, Corinna Rüffer,
Dr. Gerhard Schick, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Auswirkungen der Marktmacht deutscher Supermärkte auf die
Arbeitsbedingungen in Schwellen- und Entwicklungsländern

Die Konzentration im deutschen Lebensmitteleinzelhandel hat in den letzten
Jahren rasant zugenommen – laut Sektoruntersuchung des Bundeskartellamts
vom September 2014 teilen sich die vier größten Supermarktketten – ALDI Ein-
kauf GmbH & Co. OHG, die Schwarz Beteiligungs GmbH (Lidl und Kaufland),
EDEKA Zentrale AG Firmen & Co. KG und REWE Markt GmbH – 85 Prozent
des Absatzes im deutschen Lebensmitteleinzelhandel. Die Auswirkungen dieser
Marktkonzentration enden nicht an den Landesgrenzen. Auch Produzenten und
Arbeiterinnen und Arbeiter aus Übersee sind massiv von der Marktmacht der
führenden Einzelhändler in Deutschland betroffen. Denn die Supermarktketten
kooperieren eng mit multinationalen Konzernen, die Lebensmittel in Entwick-
lungs- und Schwellenländern anbauen lassen und liefern. Um Marktanteile aus-
zubauen, setzen die Supermarktketten ihre Zulieferer unter Druck, damit diese
die Kosten weiter senken. Dieser Preis- und Kostendruck wird entlang der Lie-
ferkette weitergegeben und führt zu gefährlichen und ausbeuterischen Arbeits-
und Produktionsverhältnissen sowie zu massiver Umweltzerstörung in den
Produktionsländern (vgl. Oxfam, „Billige Bananen“, 2014; Oxfam, „Mangos
mit Makel“, 2013).
Obwohl der Bundesregierung das Problem bekannt ist, geht sie weder gegen die
steigende Marktkonzentration noch gegen unlautere Handelspraktiken der Ein-
zelhändler vor (vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Bundestagsdrucksache 17/14656).
Die Situation droht sich sogar weiter zu verschlechtern, wenn nicht geeignete
Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Gegenwärtig liegt dem Bundesminister für
Wirtschaft und Energie, Sigmar Gabriel, ein Antrag auf Ministererlaubnis für
die Übernahme der Kaiser’s Tengelmann GmbH durch die EDEKA Zentrale AG
Firmen & Co. KG vor. Neben den Auswirkungen auf die inländischen Verbrau-
cher und Lieferanten spielt die steigende Marktkonzentration, die bei einem
positiven Bescheid entstehen könnte, auch für die ausländischen Lieferanten
eine wichtige Rolle.
Vor diesem Hintergrund stellt sich Frage, wie die Bundesregierung die ver-
heerenden Auswirkungen der Marktmacht und unlauterer Handelspraktiken ver-

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ringern kann und so negative Effekte auf Umwelt- und Sozialstandards in
Schwellen- und Entwicklungsländern verhindert werden.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung

aus dem Zusammenhang zwischen der Marktkonzentration und Marktmacht
im deutschen Lebensmitteleinzelhandel und negativen Auswirkungen auf
Umwelt- und Sozialstandards in Schwellen- und Entwicklungsländern?
a) Welche konkreten Auswirkungen hat nach Kenntnis der Bundesregierung

die Marktkonzentration im deutschen Einzelhandel auf soziale und ökolo-
gische Standards in Schwellen- und Entwicklungsländern?
Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung daraus?

b) Plant die Bundesregierung eine vertiefte Analyse, welche Auswirkungen
unlautere Handelspraktiken in der globalen Lieferkette auf Produzenten in
Entwicklungs- und Schwellenländern haben?
Wenn nein, warum nicht?

2. Plant die Bundesregierung Maßnahmen, um der Marktkonzentration im
Lebensmitteleinzelhandel entgegenzuwirken und so dem möglichen Miss-
brauch der Marktmacht führender Lebensmitteleinzelhändler mit negativen
Konsequenzen für Verbraucherinnen und Verbraucher, Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer und Produzenten in Deutschland, der EU und Übersee vor-
zubeugen?
Wenn nicht, warum nicht?
Wenn ja, durch welche Maßnahmen?

3. Plant die Bundesregierung durch sonstige Maßnahmen gegen den Preisdruck
vorzugehen, den Lebensmitteleinzelhändler aufgrund ihrer Marktmacht auf
Zulieferer in Entwicklungs- und Schwellenländern ausüben können und der
zur Absenkung von Arbeits- und Umweltstandards führen kann?
Wenn nicht, warum nicht?
Wenn ja, welche Maßnahmen gedenkt sie zu ergreifen?

4. Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um zu verhindern, dass die
Marktkonzentration auf der Herstellerseite zu unlauteren Vertragsverhand-
lungen mit Lieferanten aus Entwicklungs- und Schwellenländern führt?

5. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus der Feststellung der Sektoruntersuchung Lebensmitteleinzelhandel des
Bundeskartellamts, dass der Beschaffungsmarkt Röstkaffee ein isolierter
Markt ist, in dem es nur eingeschränkte Ausweichoptionen für die Hersteller
gibt, und der gemeinsame Beschaffungsanteil der führenden Nachfrager in
der Vetriebsschiene Lebensmitteleinzelhandel bei 65 bis 70 Prozent liegt?
a) Welche Auswirkungen ergeben sich nach Kenntnis der Bundesregierung

daraus für die Lieferanten, Produzenten und Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer in Entwicklungs- und Schwellenländern?

b) Mit welchen Maßnahmen plant die Bundesregierung einen negativen
Preisdruck auf kleine Lieferanten im Röstkaffeesektor entgegenzuwirken?

c) Wie plant die Bundesregierung vor dem Hintergrund der derzeitigen
Marktkonzentration die Verhandlungsmacht von Kleinproduzenten und
Lieferanten zu stärken?

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6. Plant die Bundesregierung, Maßnahmen gegen den Einsatz unlauterer Han-
delspraktiken in der Lebensmittellieferkette zu ergreifen?
Wenn ja, welche Maßnahmen plant sie zu ergreifen, und werden diese Maß-
nahmen sich auch gegen die Auswirkungen unlauterer Handelspraktiken
auf Produzentinnen und Produzenten einschließlich Kleinbauern und Klein-
bäuerinnen sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland,
der EU und aus Übersee richten?
Wenn nein, warum nicht?

7. Plant die Bundesregierung, einen Regelbeispielskatalog für unlautere Han-
delspraktiken, der bislang im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen
fehlt und der die Ahndung und Sanktionierung von Zuwiderhandlungen er-
leichtern würde, in die deutsche Gesetzgebung einzuarbeiten und zwar so,
dass auch betroffene Lieferanten aus Übersee eine Zuwiderhandlung gel-
tend machen könnten?
Wenn ja, wie, und wann?
Wenn nein, warum nicht?

8. Plant die Bundesregierung die Einrichtung einer Behörde, die für die Er-
mittlung, Überwachung, Dokumentation und Ahndung unlauterer Handels-
praktiken in der globalen Lieferketten zuständig ist?
Wenn nein, welche anderen Maßnahmen hält die Bundesregierung für ziel-
führend, um die Identifizierung und Ahndung unlauterer Handelspraktiken
in der globalen Lieferkette zu erreichen, und wann sollen diese umgesetzt
werden?

9. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus den Erfolgen der freiwilligen Verhaltenskodizes in Portugal, Slowenien,
Belgien und im Vereinten Königreich, und welche Übertragungsmöglich-
keiten dieser Kodizes sieht die Bundesregierung für die Bundesrepublik
Deutschland?

10. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus den Erfolgen der Gesetze zur Bekämpfung unlauterer Handelsprakti-
ken im Lebensmittelsektor in der Tschechischen Republik, Ungarn und in
Italien, und welche Übertragungsmöglichkeiten dieser Regelungen sieht die
Bundesregierung für die Bundesrepublik Deutschland?

11. Wie sollte nach Meinung der Bundesregierung ein EU-Regulierungsrahmen
für die Bekämpfung unlauterer Handelspraktiken in der Business-to-Busi-
ness-Lieferkette für Lebensmittel und Nichtlebensmittel auf europäischer
Ebene ausgestaltet sein?
Welche Maßnahmen sollten aus Sicht der Bundesregierung getroffen wer-
den, um die Situation von Zulieferern aus Entwicklungs- und Schwellenlän-
dern und anderer Zulieferer mit geringer Marktmacht zu verbessern?

12. Liegen der Bundesregierung bei der Nationalen Kontaktstelle (NKS) Be-
schwerdefälle über unlautere Handelspraktiken durch die genannten Super-
marktketten von Zulieferern aus Entwicklungs- und Schwellenländern oder
anderer Zulieferer mit geringer Marktmacht vor (bitte mit Auflistung von
allen Beschwerdefällen der letzten fünf Jahre, Bearbeitungsstand, Konse-
quenzen)?

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Hält die Bundesregierung die NKS für eine geeignete Beschwerdestelle für
derartige Fälle?
Wenn ja, warum?
Wenn nein, plant die Bundesregierung einen Beschwerdemechanismus ein-
zurichten, der hierzu besser geeignet ist?

13. Welche konkreten Verbesserungen konnten durch den Dialog mit Unter-
nehmen im Rahmen der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit in Bezug
auf Sozial- und Umweltstandards in den Lieferketten der genannten Super-
märkte bisher erreicht werden (vgl. Bundestagsdrucksache 17/14656, Ant-
wort zu Frage 1)?
Welchen Vorteil sieht die Bundesregierung in Bezug auf Dialogprozesse mit
Unternehmen gegenüber gesetzlichen Umwelt- und Sozialstandards für die
globalen Wertschöpfungsketten der Supermärkte (vgl. Bundestagsdruck-
sache 17/14656, Antwort zu Frage 1)?

14. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus den Erkenntnissen der Oxfam-Studien zu „Mangos mit Makel“ und
„Bittere Bananen“, dass unlautere Handelspraktiken, wie nachträgliche un-
angemessene Rabattforderungen, etwa für „zu weiches Obst“, oder das Ein-
fordern von Zuschüssen zu Werbekosten der Supermarktketten, zum Ge-
schäft der Supermarktketten gehörten und die Discounter ALDI Einkauf
GmbH & Co. OHG, Netto Marken-Discount AG & Co. KG und Lidl das ge-
samte Risiko an die Lieferantinnen und Lieferanten übertragen, indem sie
ihre benötigten Volumen wöchentlich neu ausschreiben und über die Preise
jedes Mal neu entscheiden?

15. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus den Ergebnissen der Oxfam-Studie zu Mangos, laut der der Preisdruck
auf Kleinproduzentinnen bzw. Kleinproduzenten und -lieferantinnen bzw.
-lieferanten größer ist, als in anderen europäischen Staaten?

16. Wie steht die Bundesregierung vor dem Hintergrund, dass das Bundes-
ministerium für Wirtschaft und Energie verbindliche Transparenzpflichten
im Rohstoffsektor befürwortet, zu verbindlichen Transparenzpflichten im
Lebensmittelsektor?

Berlin, den 13. August 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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