BT-Drucksache 18/5385

Die Beziehungen zwischen Deutschland und Namibia stärken und unserer historischen Verantwortung gerecht werden

Vom 1. Juli 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/5385
18. Wahlperiode 01.07.2015
Antrag
der Abgeordneten Tom Koenigs, Uwe Kekeritz, Kordula Schulz-Asche, Özcan
Mutlu, Omid Nouripour, Ulle Schauws, Cem Özdemir, Claudia Roth (Augsburg),
Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen), Dr. Franziska Brantner,
Agnieszka Brugger, Kai Gehring, Dr. Tobias Lindner, Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof
Schmidt, Jürgen Trittin, Doris Wagner, Luise Amtsberg, Katja Dörner, Tabea
Rößner, Elisabeth Scharfenberg, Hans-Christian Ströbele, Beate
Walter-Rosenheimer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Die Beziehungen zwischen Deutschland und Namibia stärken
und unserer historischen Verantwortung gerecht werden

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Der Deutsche Bundestag erkennt die schwere Schuld an, die deutsche Kolonial-
truppen mit den Verbrechen an den Herero, Nama, Damara und San auf sich
geladen haben und betont, wie Historiker seit langem belegt haben, dass der
Vernichtungskrieg in Namibia von 1904 – 1908 ein Kriegsverbrechen und Völ-
kermord war.

2. Der Deutsche Bundestag bittet die Nachfahren der Opfer des in deutschem Na-
men geschehenen Unrechts und zugefügten Leids an ihren Vorfahren um Ent-
schuldigung.

3. Der Deutsche Bundestag betont die fortdauernde historische und moralische
Verantwortung Deutschlands für die Zukunft Namibias und der durch den Völ-
kermord betroffenen Volksgruppen. Zu dieser Verantwortung hat sich der Bun-
destag bereits in seinen Entschließungen vom April 1989 und Juni 2004 bekannt.

4. Der Deutsche Bundestag unterstützt Initiativen zur Aufarbeitung der kolonialen
Vergangenheit Deutschlands.

5. Der Deutsche Bundestag befürwortet grundsätzlich den 2014 eingeleiteten Dia-
logprozess zwischen der Regierung der Republik Namibia und der Bundesre-
gierung und weist darauf hin, dass dieser unter Einbeziehung der betroffenen
Bevölkerungsgruppen und der Zivilgesellschaft stattfinden muss.

6. Der Deutsche Bundestag würdigt besonders die vielen regionalen und lokalen
zivilgesellschaftlichen Initiativen im Bereich der Bewältigung und Aufarbeitung
des Kolonialismus sowie des Völkermordes in Namibia und Deutschland.

Drucksache 18/5385 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
II. Der Deutsche Bundestag beschließt,

1. den schon in Einzelinitiativen bestehenden Dialog zwischen den Parlamenten
und zivilgesellschaftlichen Organisationen Deutschlands und Namibias im
Sinne einer gemeinsamen Aufarbeitung der Vergangenheit – mit dem Ziel der
Versöhnung und der Entwicklung gemeinsamer Zukunftsperspektiven – zu un-
terstützen, zu fördern und zu intensivieren. Die Vereinigungen und Vertretungen
der Nachfahren der unmittelbar vom Völkermord betroffenen Opfer müssen
hierbei einbezogen werden;

2. den Dialogprozess zwischen den beiden Parlamenten auf eine formale Ebene zu
heben und dazu der namibischen Nationalversammlung anzubieten, eine ge-
meinsame deutsch-namibische Parlamentariergruppe einzurichten, um der be-
sonderen Rolle Namibias infolge der historischen und moralischen Verantwor-
tung Deutschlands und der damit einhergehenden Sonderbeziehung beider Län-
der gerecht zu werden.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die historische und moralische Verantwortung für den Völkermord an den
OvaHerero und Nama zu übernehmen;

2. den zwischen der Bundesregierung und der Regierung der Republik Namibia im
Juni 2014 begonnenen Dialogprozess offen und ohne Ausschluss der betroffe-
nen Volksgruppen mit dem Ziel der Versöhnung fortzuführen und als umfassen-
den und strukturierten Dialog zu intensivieren und hierbei auch die Vereinigun-
gen und Vertretungen der Nachfahren der vom Völkermord besonders betroffe-
nen Opfer miteinzubeziehen (Trialog);

3. auf Basis der Ergebnisse der derzeit stattfindenden Evaluation der im Jahr 2004
durch die damalige Bundesregierung in die Wege geleitete „Versöhnungsinitia-
tive“ Erfolge sowie Herausforderungen in der Umsetzung zu analysieren und
gemeinsam mit den namibischen Partnern neue Ziele und Maßnahmen für eine
eventuelle Weiterführung einer solchen Initiative festzulegen. Dabei muss si-
chergestellt werden, dass
a) die betroffene Bevölkerung sowie die Zivilgesellschaft und die nationalen

Parlamente in Planung und Umsetzung angemessen einbezogen werden,
b) die notwendigen Mittel sowie angemessene beratende Unterstützung bereit-

gestellt werden,
c) geprüft wird, warum die Förderung von Landreformen und Landkauf stag-

niert ist.
4. für eine nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit und wirtschaftliche Zusam-

menarbeit mit Namibia zu sorgen, die sich an den Bedürfnissen der namibischen
Bevölkerung orientiert und der Bekämpfung von Armut und Ungleichheit wei-
terhin eine besondere Bedeutung zukommen lässt;

5. dafür Sorge zu tragen, dass alle in Deutschland befindlichen Gebeine, die aus
dem ehemaligen Deutsch-Südwestafrika nach Deutschland gebracht wurden,
unter würdigen Umständen nach Namibia rücküberführt werden;

6. sicherzustellen, dass die während der Kolonialzeit im ehemaligen Deutsch-Süd-
westafrika geraubten Kulturgüter, die heute in deutschen Archiven und Bestän-
den lagern, ebenfalls identifiziert und Angebote zur Rückgabe unterbreitet wer-
den;

7. die Aufarbeitung der deutschen Kolonialvergangenheit zu unterstützen, indem
geprüft wird, ob auf Bundesebene die Gründung einer mit diesem Thema be-
trauten Stiftung initiiert werden kann;

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/5385
8. eine Dokumentations- und Begegnungsstätte zu errichten, um die Auseinander-

setzung mit der deutschen Kolonialgeschichte zu fördern;
9. darauf hinzuwirken, dass die deutsche Kolonialvergangenheit zum festen und

dauerhaften Bestandteil von Lehrplänen an deutschen Schulen wird und bei der
Aus- und Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern Berücksichtigung findet;

10. sich für die Stärkung der relevanten VN-Institutionen und Instrumenten zur Ver-
hinderung von Völkermord einzusetzen und die Stelle des „focal point“ für
Schutzverantwortung im Auswärtigen Amt aufzuwerten.

Berlin, den 30. Juni 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Begründung

Vor 100 Jahren endete durch die Kapitulation der deutschen „Schutztruppe“ gegenüber der Südafrikanischen
Union die deutsche Kolonialherrschaft in „Sudwestafrika“, dem heutigen Namibia.

111 Jahre liegt der Vernichtungsbefehl des General Trotha zurück, mit dem er die blutige Niederschlagung des
Aufstands der Herero, Nama, Damara und San zu Anfang des 20. Jahrhundert durch die kaiserlichen Koloni-
altruppen anordnete. Die Erinnerung an die blutige Niederschlagung des Aufstands der Herero, Nama, Damara
und San zu Anfang des 20. Jahrhunderts ist bis heute im geschichtlichen Bewusstsein der Menschen in Namibia
präsent. Für die Menschen in Namibia gehört sie selbstverständlich zur eigenen Geschichte, vielmehr als dies
in Deutschland bis heute der Fall ist.

Bei der Niederschlagung des Aufstandes, bei der die deutschen Kolonialtruppen, wie Historiker schreiben, die
„Vernichtung des Gegners“ zum Ziel hatten, starben zehntausende Menschen. So wurde fast die gesamte
Herero-Bevölkerung während des Krieges und danach ermordet. Die Menschen – nicht nur Soldaten, sondern
auch Frauen, Kinder und Alte – die nach der Schlacht am Waterberg aus Rache, Mordlust und Rassenwahn in
die Omaheke-Wüste gejagt wurden, starben elendig an Hunger und Durst. Wer versuchte, der Wüste zu ent-
kommen, und sich ausgemergelt den Deutschen ergab, wurde erschlagen, gehängt oder in Lagern eingesperrt.
Die Bedingungen in diesen Lagern waren entsetzlich und bedeuteten in tausenden Fällen einen qualvollen Tod.
Gegen die sich in Folge erhebenden Nama folgte am 22. April 1905 ein zweiter Vernichtungsbefehl. Die Volks-
gruppen der Damara und San waren im Kriegsverlauf von der deutschen Kriegsführung ähnlich hart betroffen.
Die San fielen systematisch betriebenen sogenannten „Buschmannjagden“ zum Opfer.

Die Morde der deutschen Gruppen erfüllen die heute geltenden Kriterien für Völkermord, wie sie in der Kon-
vention der Vereinten Nationen von 1948 über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes definiert
wurde, und müssen deshalb von der Deutschen Regierung auch als solcher anerkannt werden.

Die deutsche Bundesregierung hat diese gemeinsame Geschichte und die Feiern zum 100-jährigen Gedenken
an die Verbrechen an den betroffenen Ethnien in Namibia im Jahr 2004 zum Anlass genommen, die damalige
Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul als ihre Vertreterin nach Namibia zu entsenden.
In einer Rede vor Nachfahren der Herero, Nama und Damara betonte sie bei dieser Rede: „Wir Deutsche be-
kennen uns zu unserer historisch-politischen, moralisch-ethischen Verantwortung und zu der Schuld, die Deut-
sche damals auf sich geladen haben. Die damaligen Gräueltaten waren das, was heute als Völkermord bezeich-
net würde und für den ein General von Trotha heutzutage vor Gericht gebracht und verurteilt würde.“ Weiterhin
betonte sie, dass sie die Nachfahren „im Sinne des gemeinsamen ‚Vater unser‘ um Vergebung unserer Schuld“
bitte.

Die Bundesregierung rief im Nachgang zu dieser Reise eine „Sonderinitiative“ bzw. „Versöhnungsinitiative“
einseitig und ohne Konsultationen mit der namibischen Seite ins Leben. Diese wurde zunächst mit 20 Mio. €
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

Drucksache 18/5385 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
ausgestattet und auf Anfrage der namibischen Regierung im Jahr 2012 um weitere 11 Mio € aufgestockt. Ziel
der über die deutsche finanzielle Entwicklungszusammenarbeit abgewickelten Initiative war es, vor allem Pro-
jekte auf kommunaler Ebene in den Gebieten der Nachfahren der vom Völkermord besonders betroffenen
Volksgruppen zu fördern. Diese Initiative wurde wegen ihrer einseitigen Ausrichtung und der fehlenden Ein-
beziehung der betroffenen Bevölkerungsgruppen von der Zivilgesellschaft kritisiert. Die Umsetzung der Initi-
ative erfolgte anfangs nur sehr zögerlich, so dass bis zum 30. Juli 2012 nur 4 494 402,68 Euro der bis dato
verfügbaren 20 Mio. € abgerufen wurden. Die deutsche Bundesregierung erwartet nun aber eine vollständige
Abrufung der Gesamtausstattung von 31 Mio. € bis Ende 2015. Von Juni bis August 2015 findet eine von der
namibischen Regierung beauftragte und aus Programmmitteln finanzierte Evaluierung der Sonderinitiative
durch namibische Gutachterinnen und Gutachter statt. Es wird im Anschluss wesentlich sein, die Ergebnisse
konstruktiv und im Dialog, auch mit den betroffenen Bevölkerungsgruppen, Zivilgesellschaften sowie unter
Einbeziehung der nationalen Parlamente auszuwerten und auf dieser Basis neue Initiativen zu planen, zu finan-
zieren und umzusetzen.

Weiterhin wäre zu klären, woran es gelegen hat, dass bisherige Programme, Diskussionen und Dialoge sowie
der Kulturaustausch sich nicht wie erhofft entwickelt haben und offenbar aus der Förderung von Landreformen
und Landkauf wenig oder gar nichts geworden ist. Die aufgetretenen Probleme und Schwierigkeiten müssen
offengelegt und diskutiert sowie bei der Planung neuer Initiativen und Projekte berücksichtigt werden.

Ein erstes Anzeichen dafür, dass die Bundesregierung nunmehr ebenfalls Handlungsbedarf sieht, war der Be-
such des damaligen Afrikabeauftragten des Auswärtigen Amtes, Walter Lindner, im Februar 2012 in Namibia.
Dieser war im Übrigen auch daher notwendig geworden, weil die Bundesregierung im September 2011 jegliche
Achtung, Respekt und Anerkennung gegenüber einer namibischen Delegation vermissen ließ, die sich anläss-
lich der Rückführung von Gebeinen ihrer Vorfahren, die in der Berliner Charité übergeben wurden, in Deutsch-
land aufgehalten hatte. Das Verhalten der Bundesregierung gegenüber der Delegation wurde seinerzeit sowohl
in Deutschland als auch in Namibia kritisiert. Im Jahr 2014 begann die Bundesregierung einen Dialogprozess
mit der Regierung Namibias; dieser müsste jedoch ausgeweitet und intensiviert werden, um tatsächlich wirk-
sam zu werden.

Es muss daher die Aufgabe des Parlaments und der Bundesregierung sein, geeignete Mittel und Wege zu fin-
den, um einerseits der historischen Verantwortung, die Deutschland gegenüber Namibia hat, gerecht zu werden
und andererseits sicherzustellen, dass beide Länder an einer gemeinsamen Zukunft arbeiten. Dazu gehört neben
einem eng abgestimmten Dialog zwischen den Regierungen auch der Ausbau der Beziehungen zwischen den
Mitgliedern der Parlamente beider Länder, nachdem eine Parlamentariergruppe aus Namibia bei ihrem letzten
Deutschlandbesuch mitgeteilt hatte, dass in Namibia bereits Mitglieder des Parlaments für eine Parlamentari-
ergruppe benannt worden sind.

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.