BT-Drucksache 18/5221

Solidaritätszuschlag für gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Deutschland verwenden

Vom 17. Juni 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/5221
18. Wahlperiode 17.06.2015
Antrag
der Abgeordneten Dr. Axel Troost, Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, Susanna
Karawanskij, Jutta Krellmann, Katrin Kunert, Thomas Lutze, Thomas Nord,
Richard Pitterle, Michael Schlecht, Dr. Sahra Wagenknecht und der Fraktion
DIE LINKE.

Solidaritätszuschlag für gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Deutschland
verwenden

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Solidaritätszuschlag ist eine Bundessteuer ohne Verfallsdatum. Seine Einnah-
men sind haushaltsrechtlich nicht zweckgebunden, sondern frei verwendbar. Das
Bundesverfassungsgericht hat mehrfach die Verfassungsgemäßheit des Solidaritäts-
zuschlags (Soli) unterstrichen und Verfassungsbeschwerden und Normenkontrollan-
träge in den letzten Jahren stets zurückgewiesen. Dies unterstreicht auch ein jüngstes
Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages. Zu neuerlichen Beden-
ken, der Soli stelle grundsätzlich ein juristisches Haushaltsrisiko dar, gibt es daher
keinen Anlass.

Eine ersatzlose Abschaffung des Solidaritätszuschlags ab 2019 würde einen ein-
schneidenden Einnahmeausfall von mindestens 19 Milliarden Euro jährlich für den
Bund darstellen. Aufgrund der spezifischen Ausgestaltung des Solidaritätszuschlags
würden von seinem Wegfall vor allem Gutverdiener und Kinderlose profitieren. Zu-
dem wäre eine solche Schwächung des finanziellen Spielraums des Staates unver-
antwortlich angesichts der fortschreitenden wirtschaftlichen Abkopplung struktur-
schwacher Gebiete in Ost und West. Es wäre daher falsch, den Solidaritätszuschlag
abzuschaffen oder in Stufen zurückzufahren – er wird nach wie vor dringend ge-
braucht.

Das Solidaritätszuschlagsgesetz 1995 wurde mit der Herstellung der Einheit
Deutschlands, der langfristigen Sicherung des Aufbaus in den neuen Ländern, der
Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und der Entlastung der öffent-
lichen Haushalte begründet. Der Solidaritätszuschlag dient also nicht ausschließlich
dem Aufbau Ost, sondern sieht ebenso die Nutzung zur Haushaltsentlastung vor und
ist Bestandteil des allgemeinen Länderfinanzausgleichs. Nichts spricht dagegen, ihn
weiterhin in diesem Sinne einzusetzen, vor allem angesichts der strukturellen Aus-
einanderentwicklung von strukturschwachen und strukturstarken Regionen im Bun-
desgebiet.

Bisher finanzierte der Solidaritätszuschlag die Solidarpakte I und II und sollte auch
zukünftig dafür verwendet werden, gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz

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Deutschland zu erreichen. Zu diesem Zweck sind verschiedene föderale Ausgleichs-
möglichkeiten denkbar, zum Beispiel:

Falls, wie von Nordrhein-Westfalen seit längerem gefordert und nun vom Bundesfi-
nanzminister Schäuble als Verhandlungsmasse ins Spiel gebracht, im Rahmen der
Reform des Länderfinanzausgleichs der Umsatzsteuervorwegausgleich entfallen
sollte, könnte mit Teilen des Solidaritätszuschlags ein Vorausgleich zwischen den
Ländern vorgenommen werden. Beispielsweise, indem der Bund die Steuereinnah-
men der strukturschwachen Länder und ihrer Gemeinden je Einwohner auf 90 % des
Durchschnitts aufstockt, wobei die Finanzkraft-Reihenfolge der Länder erhalten
bleiben sollte. Damit würden diese Länder auf einer angemessenen Ausgleichshöhe
gehalten und ein massives Anschwellen der anschließenden, aktuell besonders um-
strittenen horizontalen Ausgleichsstufe zwischen den Ländern vermieden.

Ein weiterer Teil der Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag könnte nach 2019 als
Mittel für die kommunale Daseinsvorsorge sowie im Rahmen eines bundesweiten
Solidarpaktes III für strukturschwache Regionen verwendet werden, um damit zu-
künftig im ganzen Bundesgebiet mit strukturausgleichenden Maßnahmen und För-
derprogrammen die bestehenden Strukturschwächen und die ausgezehrte Infrastruk-
tur gezielt anzugehen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. den Solidaritätszuschlag in seiner jetzigen Höhe und Form als Bundessteuer bei-
zubehalten und

2. Vorschläge für die mögliche Verwendungen des Solidaritätszuschlags zur Her-
stellung und Sicherung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Deutschland, wie
die Finanzierung eines Vorausgleichs zwischen den Ländern, einer generellen
Aufstockung kommunaler Infrastruktur- und Investitionsmittel sowie eines So-
lidarpaktes III speziell für strukturschwache Regionen zu unterbreiten.

Berlin, den 16. Juni 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Der Solidaritätszuschlag hat einen großen Beitrag geleistet für die Vereinigung Deutschlands durch die Förde-
rung einer strukturellen und wirtschaftlichen Konvergenz der neuen mit den alten Bundesländern. Aber die
Sonderaufgabe des Bundes „Aufbau Ost“ ist noch nicht beendet. Es besteht dafür weiterhin Finanzierungsbe-
darf, der die Finanzkraft der Länder übersteigt.

Auch wenn große Teile des investiven Nachholbedarfs im Osten abgearbeitet sind, bleibt die Angleichung der
wirtschaftlichen und damit auch sozialen Situation bis heute weit hinter den Erwartungen zurück. So konstatiert
der Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2014, dass sich „im Verlauf der Jahre
der wirtschaftliche Aufholprozess der neuen Länder zu Westdeutschland deutlich abgeschwächt hat“. Während
einige wenige Regionen auf Westniveau aufschließen konnten, droht die überwiegende Zahl ostdeutscher Re-
gionen dauerhaft abgehängt zu werden.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/5221
Die gleiche Situation einer strukturellen Auseinanderentwicklung ist auch vermehrt im Westen zu beobachten:
Regionen mit Strukturschwächen und hoher Arbeitslosigkeit, geringen Steuereinnahmen und hoher Verschul-
dung stellen Herausforderungen dar, welche die Finanzkraft der Bundesländer übersteigen und eine Finanzie-
rungsverantwortung des Bundes begründen.

Wiederum kann auf den Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2014 verwiesen
werden: „Regional verwischt sich die bislang klare Trennlinie zwischen Ostdeutschland und dem früheren
Bundesgebiet. Immer deutlicher zeigt sich die Ungleichheit der Entwicklung einzelner urbaner und ländlicher
Gebiete hinsichtlich ihrer Betroffenheit vom demografischen Wandel und wirtschaftlicher Strukturstärke oder
-schwäche. Attraktive Städte und wirtschaftsstarke Ballungsregionen wachsen weiter, andere städtische und
ländliche Regionen hingegen schrumpfen und altern. Diesen Trend können viele Regionen nicht aus eigener
Kraft aufhalten, geschweige denn umkehren. Zum Erhalt der Lebensqualität und einer angemessenen Grund-
versorgung der Bevölkerung sowie zur Belebung der regionalen Wirtschaft sind gezielte Unterstützungsmaß-
nahmen der Politik erforderlich.“

Diese noch nicht vollständig bewältigten Aufgaben im Osten und neue drängende Herausforderungen im Wes-
ten rechtfertigen die Weiterführung des Solidaritätszuschlags und die Ausdehnung seiner Verwendung zuguns-
ten strukturschwacher Gebiete im ganzen Bundesgebiet.

Mit dieser aktuellen Herausforderung besteht neben der inhaltlichen Legitimation auch eine verfassungsge-
mäße Basis für eine Weiterführung des Solidaritätszuschlags. Das Bundesverfassungsgericht legte 1972 in ei-
ner Grundsatzentscheidung zu den Ergänzungsabgaben dar: „Während des Laufes der Ergänzungsabgabe kön-
nen sich zudem für den Bund neue Aufgaben ergeben, für deren Erfüllung die bei der allgemeinen Verteilung
des Steueraufkommens zur Verfügung stehenden Einnahmen nicht ausreichen, sodass die erneute Einführung
der Ergänzungsabgabe und damit auch die Fortführung einer bereits bestehenden gerechtfertigt wäre. Die Ent-
scheidung darüber, welche Aufgaben, insbesondere welche Reformmaßnahmen in Angriff genommen werden,
und wie sie finanziert werden sollen, gehört zur Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, die sich grundsätzlich
der Nachprüfung des Bundesverfassungsgerichts entzieht.“ (BVerfG, 1 BvL 16/69 vom 9. Februar 1972). An
dieser Entscheidung hält das Bundesverfassungsgericht bis heute fest.
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