BT-Drucksache 18/5214

Reform der Straftatbestände von Tötungsdelikten

Vom 17. Juni 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/5214
18. Wahlperiode 17.06.2015
Antrag
der Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Katja Keul, Renate Künast, Luise
Amtsberg, Volker Beck (Köln), Irene Mihalic, Özcan Mutlu, Dr. Konstantin
von Notz und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Reform der Straftatbestände von Tötungsdelikten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die im letzten Jahr erneut angestoßene Diskussion über eine Reform der Straftatbe-
stände von Tötungsdelikten – insbesondere durch Gesetzesvorlagen des Landes
Schleswig-Holstein und die Initiative des Deutschen Anwaltvereins (DAV), sowie
diverse aktuelle wissenschaftliche Veröffentlichungen – unterstreicht die Notwen-
digkeit einer Neufassung der §§ 211 ff. des Strafgesetzbuches (StGB).

Neben der Bereinigung des nationalsozialistischen, tätertyporientierten Gedanken-
guts und gesinnungstrafrechtlicher Elemente, zielt eine Neufassung der
§§ 211 – 213 StGB darauf ab, Mängel der geltenden Tötungsnormen sowie syste-
matische Schwächen zu beheben.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf vorzulegen, der sich an folgenden Punkten orientiert sowie fol-
gende Überlegungen berücksichtigt:

1.) Der bisherige § 211 StGB (Mord) wird umbenannt in „Tötung“ und regelt in
Absatz 1, dass die Tötung eines Menschen mit einer Freiheitsstrafte nicht unter 5
Jahren bis zu lebenslanger Haft bestraft wird.

In einem Absatz 2 wird festgelegt, dass ein besonders schwerer Fall (Mord) mit einer
Freiheitsstrafe nicht unter 10 Jahren oder mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe zu
bestrafen ist. Der besonders schwere Fall wird in Form von Regelbeispielen aufge-
nommen. Er soll in der Regel unter anderem vorliegen, wenn die Tat mit dem Quälen
des Opfers verbunden ist. Zur Präzisierung dieses Merkmals kann auf Teile der
Kommentierungen zum Mordmerkmal „grausam“ – allerdings ohne die Gesinnungs-
komponente – zurückgegriffen werden. Ebenfalls durch ein Regelbeispiel erfasst
sein soll, wenn durch die Tat das Lebensrecht eines Teils der Bevölkerung friedens-
störend infrage gestellt wird. Nutzt der Täter eine besonders schützenswerte Ver-
trauensstellung in Bezug auf das Opfer aus, so soll auch hier von Mord ausgegangen
werden.

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2.) Der bisherige § 212 StGB (Totschlag) wird gestrichen.

3.) Der bisherige § 213 StGB wird umbenannt in „Minder schwerer Fall der Tötung“
und der Wortlaut ebenfalls geändert. Der Strafrahmen soll ein bis zehn Jahre betra-
gen. Eine minder schwere Tötung liegt vor, wenn die Tat begangen wird, um sich
oder eine nahestehende Person aus einer ausweglos erscheinenden schweren
Zwangslage zu befreien. Ferner wenn dem Täter oder einer ihm nahestehenden Per-
son ohne eigenes Zutun vom Getöteten eine Misshandlung oder andere schwere
Rechtsverletzung (wie z. B. Erpressung, Nötigung, Freiheitsberaubung) zugefügt
und er hierdurch unmittelbar zur Tat veranlasst wurde.

4.) Weitere Vorschriften, die auf die §§ 211 ff. StGB Bezug nehmen sind, entspre-
chend anzupassen. Für den § 78 Absatz 2 bedeutet dies, den Verjährungsausschluss
nunmehr bezogen auf den § 211 Absatz 2 StGB-E, den besonders schweren Fall der
Tötung (Mord), anzupassen.

Berlin, den 16. Juni 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Begründung

I. Allgemein

Die Debatte um eine Neufassung der Tötungsdelikte ist nicht neu. Seit Jahrzehnten diskutiert die Wissenschaft
unterschiedliche Reformmodelle und -ansätze. Auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und der Bundes-
gerichtshof (BGH) haben sich mit den Normen auseinandergesetzt.

Die heute geltenden §§ 211 und 212 (Mord und Totschlag) StGB stammen im Kern mitten aus der Zeit des
Zweiten Weltkrieges, aus dem Jahr 1941. Durch das 3. Strafänderungsgesetz im Jahr 1953 wurden sie ins das
geltende StGB übernommen. Lediglich die Androhung der Todesstrafe wurde bereits nach 1945 umgewandelt
in eine lebenslange Freiheitsstrafe. § 211 StGB beschreibt überwiegend nicht bestimmte strafbare Taten – wie
sonst im Strafrecht – ,sondern anhand von bestimmten (Gesinnungs-)Merkmalen, zum Beispiel „niedrige Be-
weggründe“ oder „Heimtücke“, einen bestimmten „Tätertyp“. Nach Nazi-Denke wurde der Täter nämlich nicht
erst durch bestimmte Umstände zum Mörder, sondern war bereits als solcher geboren worden und offenbarte
nun durch die Tat sein wahres Gesicht („Mörder ist, wer …“). Diese mit Nazi-Ideologie getränkten Formulie-
rungen haben sich bis heute gehalten. Übergreifend herrscht Einigkeit, sie endlich zu tilgen.

Insbesondere der Tatbestand des Mordes, § 211 StGB, ist aber nicht nur wegen seiner Nazi-Vergangenheit
problematisch. Seine sogenannten Mordmerkmale sind auch überwiegend zu unbestimmt und schwer eingrenz-
bar. In bestimmten Fallkonstellationen führen sie zu ungerechten, bedenklichen und unverhältnismäßigen Ur-
teilen.

Beispielhaft dafür ist das Merkmal der Heimtücke. Die Rechtsprechung und ein Teil der Lehre definieren die
Heimtücke als das bewusste Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers, vorausgesetzt dies geschieht
in feindlicher Willensrichtung. Arglos ist, wer sich im Zeitpunkt der Tat keines Angriffs seitens des Täters
versieht. Wehrlosigkeit liegt vor, wenn das Opfer aufgrund der Arglosigkeit wehrlos ist (vgl. zur Definition
der Heimtücke S/S – Eser/Steinberg-Lieben, § 211 Rn. 23-24b). Erschlägt ein Ehemann seine Frau, die gerade
vor ihm steht und mit ihm spricht, so wird er mangels Vorliegen eines der Mordmerkmale lediglich wegen
Totschlags (§ 212) und mit einem zeitigen Freiheitsentzug von wohl etwa 6 Jahren bestraft, die Ehefrau hinge-
gen, die jahrelang von ihrem Mann gequält und missbraucht wird und sich letztlich aus dieser Situation befreien
will und ihn vergiftet oder im Schlaf tötet, wegen Mordes (§ 211). Sie hat das Merkmal der Heimtücke ver-
wirklicht und müsste anders als der Totschläger zu lebenslanger – meist sind das dann 18 Jahre – Haft verurteilt

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werden. Der Wortlaut des Mordtatbestandes lässt keinerlei Spielraum für eine individuelle Strafzumessung –
der Mörder ist stets mit lebenslanger Haft zu bestrafen.

Ein weiteres Ungleichgewicht im Kontext des Merkmals der Heimtücke ergibt sich bei der Tötung von Kleinst-
kindern bis zu 3 Jahren oder bewusstlosen Personen, da diese ohnehin wehrlos sind und keinen Argwohn ent-
wickeln können (vgl. auch dazu Prof. Dr. Anette Grünewald, „Das vorsätzliche Tötungsdelikt“ 2010, S. 127ff.).
Damit greift das Merkmal der Heimtücke in solchen Fallkonstellationen nicht – es kommt lediglich Totschlag
mit geringerem Strafmaß in Betracht.

Zwar ist sich die Rechtsprechung dieser Ungerechtigkeiten und Ungleichbehandlungen bewusst. Sie behilft
sich in solchen und ähnlichen Fallkonstellationen daher der vom Bundesverfassungsgericht angemahnten rest-
riktiven Auslegung der Merkmale oder anderer pragmatischer Lösungen, um die Strafe gemäß § 49 I StGB zu
mildern oder ein Mordmerkmal gar zu verneinen oder zu bejahen und damit zu einer der Tat angemessenen
Strafe zu kommen – obwohl für den Tatbestand des § 211 StGB im Gesetz keine Milderungsgründe vorgesehen
sind.

Mord und Totschlag sind die wohl bekanntesten und gewichtigsten Tatbestände des Strafgesetzbuches. Umso
verwunderlicher erscheint die bisherige Zurückhaltung des Gesetzgebers hinsichtlich einer Reform, trotz des
Wissens um die Schwächen und Mängel der geltenden Normen. An Vorschlägen und Debatten zum Thema hat
es in vergangenen Jahrzehnten nicht gemangelt.

Nun jedoch hat auch der Bundesjustizminister den dringenden Handlungsbedarf erkannt und im vergangenen
Jahr eine 15-köpfige Expertenkommission mit Mitgliedern aus Wissenschaft und Praxis einberufen, die in
Kürze Vorschläge zur Reform der Tötungsdelikte unterbreiten wird. Wie viel vom Reformwillen der Bundes-
regierung letztlich übrigbleibt, das wird ein zukünftiger Gesetzentwurf zeigen.

II. Einzelbegründung

Der hier vorlegte Antrag soll konkrete Maßgaben für die Neufassung der Tötungsdelikte aufzeigen. Die bishe-
rige Systematik der Tötungsdelikte wird verändert. Damit sollen die oben beschriebenen Probleme, die sich
aus der geltenden Fassung der Normen ergeben, behoben werden. Zugleich werden die sprachlichen Erblasten
und Gesinnungsmerkmale aus der Nazi-Zeit beseitigt.

Maßstab muss sein, dass es um den Schutz des höchsten Guts, das Leben, geht.

1. Grundtatbestand § 211 Absatz 1 StGB-E und Regelbeispiele

Ausgangspunkt ist der Tatbestand des § 211 Absatz 1 StGB-E, der die vorsätzliche Tötung eines anderen Men-
schen umfasst. Die Tötung eines Menschen, das Auslöschen eines Lebens, ist der schwerwiegendste Eingriff,
den es gibt. Allein dieser Eingriff soll den Gerichten die Möglichkeit eröffnen, eine lebenslange Freiheitsstrafe
auszusprechen, da das Strafmaß hierbei nicht unter 5 Jahren bis Lebenslang angesetzt ist.

Zu dem in Absatz 1 genannten Grundtatbestand werden beispielhafte Fälle aufgeführt, in denen „in der Regel“
ein besonders schwerer Fall der Tötung – der weiterhin Mord genannt wird – vorliegt. Durch die vorgeschla-
gene Systematik wird die alte Streitfrage, ob der Mord ein Qualifikationstatbestand des Totschlags oder ein
eigenständiges Delikt ist, obsolet.

Neben den genannten Regelbeispielen kann der Tatbestand des besonders schweren Falls aber auch anderweitig
vorliegen. Es liegt damit zu einem gewissen Maße im Ermessen des Gerichts, in den Regelbeispielen ähnlicher
Fällen auf Mord zu plädieren.

Impliziert die Tat bzw. kommt im Rahmen der Tötungshandlung eine weitere schwere Unrechtskomponente
dazu, z. B. durch die Ausführung oder Begleitumstände, soll dies mithilfe der strafverschärfenden Regelbei-
spiele konkrete Auswirkungen auf die Strafzumessung haben: Der besonders schwere Fall der Tötung ist in der
Regel mit Lebenslang zu bestrafen, aber nicht zwangsläufig. Das eröffnet dem Gericht je nach Einzelfall einen
Spielraum hinsichtlich der Strafzumessung und so kann auch auf eine zeitige Freiheitsstrafte von nicht unter
10 Jahren beschieden werden. Würde bei Verwirklichung eines Regelbeispiels (Mord) weiterhin zwangsläufig
ein lebenslanger Freiheitsentzug angedroht, ergäben sich die gleichen Probleme wie beim geltenden § 211
StGB, bei dem keine individuelle Strafzumessung möglich ist.

Die im Rahmen des Regelbeispiels vorgeschlagenen Merkmale sollen die Unschärfen der bisherigen Mord-
merkmale verkleinern. Auf subjektive Merkmale wie „niedrige Beweggründe“, „Hass“ oder „Gewinnsucht“

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wird gänzlich verzichtet. Ein Austausch der genannten subjektiven (Gesinnungs-)Merkmale durch andere
würde die gleichen praktischen Schwierigkeiten verursachen wie die geltende Fassung.

Ein Mord – der besonders schwere Fall der Tötung – soll in der Regel unter anderem vorliegen, wenn die Tat
mit dem Quälen des Opfers verbunden ist. Hier wird bewusst nicht auf subjektiv empfundene Qualen des Op-
fers abgestellt. Dies würde sonst dazu führen, dass das Quälen bewusstloser Opfer nicht unter den besonders
schweren Fall fiele, da sie die Schmerzen nicht spüren können (fehlende Empfindungsfähigkeit, vgl. BGH
NJW 86, 266, Neumann NK 76). Zur Präzisierung dieses Merkmals kann auf Teile der Kommentierungen zum
Mordmerkmal „grausam“ – allerdings ohne die Gesinnungskomponente – zurückgegriffen werden. Hier ins-
besondere darauf, dass „nicht allein die Tötungshandlung qualvoll (grausam) zu sein braucht, sondern auch die
weitere Modalität des Tötungs- bzw. Sterbevorgangs mit einbezogen ist (z. B. die Beibringung eines schmerz-
losen tödlichen Gifts und anschließenden Folterhandlungen an dem todgeweihten Opfer)“ (vgl. S/S – E-
ser/Sternberg-Lieben, § 211 Rn 27).

Auch soll erfasst sein, wenn durch die Tat das Lebensrecht eines Teils der Bevölkerung infrage gestellt wird.
Es ist erfüllt, wird jemand wegen der ethnischen Herkunft, der sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidenti-
tät, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Geschlechts, des Alters, des gesellschaftlichen
Status (z. B. Obdachlose) oder der politischen Einstellungen oder Zugehörigkeit oder ähnlicher Merkmale
„stellvertretend für diese Gruppe“ getötet und durch die Tat somit auch eine Todesgefährdung für andere Men-
schen, die dieser Gruppe angehören bzw. zugeordnet werden können, besteht. Damit wirkt die Tat friedensstö-
rend i. S. d. § 130 StGB und ist geeignet, einen Teil der Bevölkerung in Todesangst zu versetzen. Die Tat
drückt aus „Dies war erst der Anfang“. Dem Täter kommt es nicht auf das individuell ausgewählte Opfer an,
entscheidend ist die vermeintliche Zugehörigkeit des Opfers zu einer bestimmten Gruppe, die er mit seiner Tat
treffen will und der er das Recht zu leben abspricht. Dass es kaum möglich ist, im Gesetzestext eine abschlie-
ßende Aufzählung all dieser Merkmale zu leisten, wird auf eine übergeordnete Formulierung zurückgegriffen.

Nutzt der Täter für die Begehung seiner Tat aus, dass das Opfer ihm besonders vertraut hat, und ist dieses
Vertrauen besonders schützenswert, so soll sich dies ebenfalls strafverschärfend auswirken. Diese Formulie-
rung ist präziser als das jetzige Merkmal der Heimtücke und erfasst treffender den gesteigerten Unrechtsgehalt
des Ausnutzens dieses konkret dem Täter geltenden Vertrauens (vgl. Vorschlag von Prof. Dr. Tonio Walter in
NStZ 2014, 368, dort findet sich ebenfalls im Mordtatbestand das Merkmal der Ausnutzung eines besonderen
Vertrauens, allerdings geht der Vorschlag von einem anderen systematischen Aufbau der Delikte aus). Ein
besonders schützenswertes Vertrauensverhältnis wird in der Regel angenommen z. B. bei Familienmitgliedern,
bei zusammenlebenden Personen, engen Freundschaften, aber auch im Rahmen eines Pflegeverhältnisses (z. B.
die zur Pflege der kranken Eltern angestellte Person) sowie ähnlichen Fällen. Es wird folglich weiter ausgelegt
als die Garantenstellung.

Um in den sogenannten „Haustyrannenfällen“ oder diesem ähnlichen Fallkonstellationen nicht zu unbilligen
Ergebnissen zu kommen – im Verhältnis Ehefrau zu Ehemann wird man ein solches Vertrauensverhältnis weit-
hin bejahen müssen –, muss in der Strafzumessungsregelung des minder schweren Falls der Tötung (§ 213
StGB-E) eine Kompensation hierfür vorgesehen werden.

2. Streichung des § 212 StGB (Totschlag)

Der vorliegende Vorschlag fasst die bisherigen Tatbestände des § 211 StGB (Mord) und des § 212 StGB (Tot-
schlag) unter Änderung der bestehenden Systematik – wie oben beschrieben – zusammen.

§ 212 StGB fällt daher weg.

3. Minder schwerer Fall der Tötung

§ 213 StGB-E bleibt wie bisher eine Strafzumessungsregel des § 211 StGB-E und soll in bestimmten Fällen
strafmildernd wirken; namentlich dann, wenn die Tat begangen wird, um sich oder eine nahestehende Person
aus einer ausweglos erscheinenden schweren Zwangslage zu befreien.

Damit sollen Fälle erfasst werden, in denen das Tötungsunrecht gemindert ist, weil dem Opfer durch sein Vor-
verhalten zumindest eine Mitverantwortung für die Tat zugerechnet wird. Dies trifft zu vor allem auch auf die
sogenannten Haustyrannenfälle und ähnlichen Konstellationen. Hier besteht auch kein Widerspruch zu § 211
Absatz 2 StGB-E: Selbst wenn in der Regel zwischen Eheleuten/Lebenspartnerinnen bzw. Lebenspartnern ein
Vertrauensverhältnis angenommen wird, so wird man es doch in diesen Konstellationen (z. B. jahrelanger
Missbrauch durch das Opfer) verneinen müssen.

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Im Hinblick auf die ausweglos erscheinende Zwangslage kommt es auf die Sicht des Täters an und nicht darauf,
ob objektiv eine Möglichkeit bestand, diese Lage auch anders als durch eine Tötung zu beenden. Im Fall der
Ehefrau, die ihren Mann nach jahrelangen Misshandlungen vergiftet, etwa durch Auszug aus der gemeinsamen
Wohnung oder dem Umfeld (Umzug in eine andere Stadt). Trotzdem muss die Zwangslage aufgrund einer
vorangegangenen schweren Rechtsverletzung durch das spätere Opfer entstanden sein, z. B. von Schlägen oder
Drohungen.

Es wäre realitäts- und praxisfern, würde auf eine strafmindernde Norm wie den § 213 StGB-E, die das Verhal-
ten des Opfers mit berücksichtigt und unter Umständen dazu führt, dass das Tötungsunrecht des Täters gemin-
dert wird, verzichtet. Das muss auch für die zweite im Entwurf aufgeführte Fallgruppe gelten: Wenn dem Täter
oder einer ihm nahestehenden Person ohne eigenes Zutun vom Getöteten eine Misshandlung oder andere
schwere Rechtsverletzung wie z. B. Erpressung, Nötigung oder Freiheitsberaubung zugefügt und er hierdurch
unmittelbar zur Tat veranlasst wurde (vgl. Prof. Dr. Anette Grünewald, „Das vorsätzliche Tötungsdelikt“, 2010,
S. 228 ff., wenn auch systematisch anderer Ansatz zur Reform der §§ 211 ff. StGB).

In Ansätzen entspricht dies dem bisher geltenden § 213 StGB. Allerdings wird bewusst auf Affekt- und Zor-
nestaten verzichtet, vor allem auf solche, die auf Beleidigungen (Ehrverletzungen usw.) zurückgehen. Es ist
nur schwerlich zu vermitteln, warum in solchen Fällen, in denen auch wieder (möglicherweise antiquierte)
Wertvorstellungen und sittlich-moralische Erwägungen eine Rolle spielen, das Tötungsunrecht gemindert sein
soll.

Der Strafrahmen soll mit einer Spanne von einem bis zu zehn Jahren sehr weit gefasst werden. Im Hinblick auf
die Vielzahl und Unterschiedlichkeit möglicher Fallkonstellationen, in denen der minder schwere Fall in Be-
tracht kommt, sollte den Gerichten ein entsprechend weites Ermessen bezüglich des Strafmaßes eröffnet sein,
um zu dem Einzelfall entsprechenden gerechten und adäquaten Entscheidungen zu kommen.

III. Ausblick

Obwohl die mediale Berichterstattung häufig etwas anderes suggeriert, geht die Zahl von Mord und Totschlag
kontinuierlich zurück. Trotzdem ist es entscheidend, dass die begangenen Taten nach rechtssystematisch ein-
deutigen Normen verhandelt werden können, die den Vorgaben unseres Grundgesetztes entsprechen und letzt-
lich zu gerechten sowie tat- und schuldangemessenen Strafen führen.
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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