BT-Drucksache 18/5110

Bürgerinnen- und Bürgerversicherung in der Pflege - Solidarische Pflegeversicherung einführen

Vom 10. Juni 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/5110
18. Wahlperiode 10.06.2015
Antrag
der Abgeordneten Pia Zimmermann, Harald Weinberg, Sabine Zimmermann
(Zwickau), Matthias W. Birkwald, Nicole Gohlke, Dr. Rosemarie Hein, Sigrid
Hupach, Katja Kipping, Cornelia Möhring, Norbert Müller (Potsdam), Harald
Petzold (Havelland), Dr. Petra Sitte, Azize Tank, Kathrin Vogler, Katrin Werner,
Birgit Wöllert, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Bürgerinnen- und Bürgerversicherung in der Pflege
– Solidarische Pflegeversicherung einführen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Grundlage für eine menschenwürdige Pflege ist eine verlässliche, gerechte und zu-
kunftsfeste Finanzierung. Die solidarische Weiterentwicklung der Pflegeversiche-
rung zu einer Bürgerinnen- und Bürgerversicherung (Solidarische Pflegeversiche-
rung) kann die Pflegeversicherung langfristig finanziell sichern, grundlegende Ver-
besserungen ermöglichen und soziale Gerechtigkeit in der Pflegeabsicherung schaf-
fen. Außerdem kann in der Pflege ein erster Schritt in Richtung Einführung einer
Solidarischen Gesundheitsversicherung (Bürgerinnen- und Bürgerversicherung) ge-
macht werden, denn Leistungsniveau und Ausgestaltung der Privaten Pflegeversi-
cherung (PPV) entsprechen denen der Sozialen Pflegeversicherung (SPV). Eine Zu-
sammenführung der Pflegeversicherungen ist daher einfacher zu bewerkstelligen als
bei der Krankenversicherung.
Mit der Neugründung der Sozialen Pflegeversicherung 1995 als „fünfter Säule der
Sozialversicherung“ wurde die teilweise Absicherung des Pflegerisikos im Rahmen
des Umlageverfahrens organisiert. Die privaten Krankenversicherer wurden per Ge-
setz verpflichtet, weite Bevölkerungsteile in der Privaten Pflegeversicherung abzu-
sichern. Damit wurde das marktwirtschaftliche Prinzip der Vertragsfreiheit deutlich
eingeschränkt. Das Leistungsniveau muss dem der SPV entsprechen. Auch hinsicht-
lich der Prämiengestaltung wurden zahlreiche Vorschriften eingeführt, die von den
Kalkulationsgrundlagen der privaten Krankenversicherer abweichen. Zum ersten
Mal wurde damit eine allgemeine Versicherungspflicht für alle Bürgerinnen und
Bürger gesetzlich vorgeschrieben und die Privatversicherer ebenfalls in die Pflicht
genommen. Damit ist die Pflegeversicherung faktisch als Volksversicherung, also
verpflichtend für nahezu die gesamte Bevölkerung ausgestaltet worden. Angesichts
des akuten Pflegenotstands ist es nun an der Zeit, den nächsten Schritt hin zu einer
Solidarischen Pflegeversicherung zu gehen.
1995 wurde mit dem Grundsatz „Pflege folgt Krankenversicherung“ das Nebenei-
nander von privater und gesetzlicher Versicherung grundsätzlich beibehalten und so
die Gerechtigkeitsdefizite und Nachhaltigkeitslücken der dualen Krankenversiche-
rung auf die Pflege übertragen. Die Auswirkungen dieser Weichenstellung sind

Drucksache 18/5110 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
heute deutlich sichtbar: In der Privaten Pflegeversicherung sind überwiegend junge,
gut verdienende Versicherte, bei denen das Risiko, zum Pflegefall zu werden, deut-
lich geringer ist als bei den Versicherten in der Sozialen Pflegeversicherung. Die
Rücklagen in der Privaten Pflegeversicherung wuchsen von Jahr zu Jahr auf rund 25
Milliarden Euro (2014) an. Damit kann die PPV aktuell etwa 32 Jahre lang die Aus-
gaben für die Pflege decken, während die Vermögensrücklagen der Sozialen Pflege-
versicherung gerade mal ein Quartal reichen. Die Existenz der PPV gefährdet die
langfristige Finanzierbarkeit der SPV, denn dem Solidarsystem werden Beiträge
Gutverdienender mit niedrigem Kostenrisiko entzogen.
In der Sozialen Pflegeversicherung ist der Anteil der Rentnerinnen und Rentner nicht
nur höher, die Versicherten weisen auch in jedem Alter ein höheres Pflegerisiko auf
als die Privatversicherten. Die Ausgaben pro Versichertem sind jährlich in der SPV
fast viermal so hoch wie in der PPV (2013 in der SPV rund 342 Euro, in der PPV
rund 90 Euro). Dass in der PPV tendenziell Besserverdienende abgesichert sind, ver-
stärkt die Ungerechtigkeit. Denn beide Pflegeversicherungssysteme sind als Teilkos-
tendeckung konzipiert, decken also nur einen Teil des tatsächlichen Pflegebedarfs
ab. Der Pflegereport der Barmer GEK schlüsselt auf: Wer pflegebedürftig wird,
muss in Deutschland für seine Versorgung im Schnitt 31 000 Euro aus eigener Ta-
sche zahlen (Frauen 45 000 Euro; Männer 21 000 Euro. Die Pflegeversicherung
übernimmt im Durchschnitt 33 000 Euro. In der stationären Pflege kann der Eigen-
anteil noch deutlich höher liegen als im Durchschnitt. Mitunter steigt er auf bis zu
305 000 Euro an. Während gut Verdienende im Pflegefall den Eigenanteil für Pfle-
geleistungen meist zahlen können, sind Versicherte mit geringem Einkommen im-
mer häufiger auf Sozialhilfe (Hilfe zur Pflege) und selbsterbrachte Pflegeleistung
ihrer Angehörigen angewiesen.
Die Mängel in der Betreuung alter und pflegebedürftiger Menschen sind bekannt.
Die Maßnahmen sie zu beheben ebenfalls. Sie kosten aber viel Geld. Nötig sind
deutliche Leistungsausweitungen, die Erweiterung des Pflegebegriffs, der vollstän-
dige Ausgleich des Wertverlustes der Pflegeleistungen, Entlastung der Angehörigen,
gute Entlohnung und Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte sowie das Zurückdrängen
des privaten, gewinnorientierten Pflegemarktes zugunsten freigemeinnütziger und
öffentlicher Anbieter. Doch vor Reformen, die etwas kosten, schrecken die bisheri-
gen Regierungen zurück. So werden auch durch die Große Koalition die Umsetzung
des neuen Pflegebegriffs und die damit einhergehenden Leistungserweiterungen
weiter verzögert. Gute Pflege gibt es nicht zum Nulltarif. Eine Politik, die gerecht
und solidarisch ist, kann aber eine effektive, menschenwürdige und an den individu-
ellen Bedürfnissen ausgerichtete Pflege und Assistenz organisieren und finanzieren.
Mit der Solidarischen Pflegeversicherung lassen sich die Lasten gerecht auf alle
Schultern verteilen und echte Reformen wie die Einführung des neuen Pflegebegriffs
und deutliche Leistungsverbesserungen bis hin zur Vollfinanzierung der Pflegekos-
ten schultern. Eine sozial gerechte Pflegeversicherung muss perspektivisch alle nö-
tigen Leistungen übernehmen. Finanzierbar wird das, wenn das Nebeneinander von
Sozialer und Privater Pflegeversicherung beendet wird und alle Einkommen in die
Solidarische Pflegeversicherung einbezogen werden. Das Umlageverfahren ist si-
cher und hat sich vor allem in Krisenzeiten bewährt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

umgehend einen Gesetzentwurf zur Einführung einer Solidarischen Pflegeversiche-
rung vorzulegen, der nachfolgende Leitlinien umsetzt:

1. Umfassende, qualitativ hochwertige Pflegeversorgung
Die Solidarische Pflegeversicherung gewährt eine qualitativ hochwertige individu-
elle Versorgung, die bestmögliche Teilhabe, Selbstbestimmung und Selbstständig-

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/5110
keit sichert. Das Teilkostendeckungsprinzip ist abzuschaffen zugunsten einer solida-
rischen Ausgestaltung der Leistungen entsprechend den individuellen Bedürfnissen
der Menschen mit Pflegebedarf. Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff und das neue
Begutachtungsverfahren, das vom Beirat zur Überprüfung des Pflegebedürftigkeits-
begriffs (2009) und vom Expertenbeirat zur konkreten Ausgestaltung des neuen Pfle-
gebedürftigkeitsbegriffs (2013) entwickelt wurde, sind zügig gesetzlich zu veran-
kern und umzusetzen.

2. Ausweitung des Versichertenkreises
Alle Menschen, die in Deutschland leben, werden Mitglied der Solidarischen Pfle-
geversicherung. Die privat Pflegeversicherten sollen in die Solidarische Pflegever-
sicherung einbezogen werden.

3. Solidarische Finanzierung
Alle Versicherten zahlen nach ihrer individuellen finanziellen Leistungsfähigkeit in
die Solidarische Pflegeversicherung ein. Grundsätzlich werden alle Einkommen aus
unselbständiger und selbständiger Arbeit sowie alle sonstigen Einkommensarten wie
Kapital-, Miet- und Pachterträge bei der Bemessung des Beitrags zugrunde gelegt.
Kapitalerträge und Zinsen bis zum Sparerpauschbetrag sind beitragsfrei. Die Bei-
tragsbemessungsgrenze ist sofort auf die Höhe der gesetzlichen Rentenversicherung
anzuheben und perspektivisch abzuschaffen.

4. Herstellung paritätischer Finanzierung
Bei Einkommen aus Löhnen und Gehältern hat der Arbeitgeber die Hälfte der Bei-
träge zu zahlen. Rentnerinnen und Rentner zahlen in der Solidarischen Pflegeversi-
cherung künftig nur den halben Beitragssatz; die andere Hälfte wird aus der gesetz-
lichen Rentenversicherung beglichen. Der zur Entlastung der Arbeitgeber abge-
schaffte Feiertag wird wieder eingeführt oder eine andere Maßnahme ergriffen, wel-
che die Parität zwischen Beschäftigten und Arbeitgebern herstellt. Für Sachsen ist
aufgrund der Beibehaltung des Buß- und Bettages ggfs. eine Sonderregelung vorzu-
sehen.

5. Allgemeiner Beitragssatz
Personen ohne eigene Einkünfte sind in der Solidarischen Pflegeversicherung bei-
tragsfrei versichert. Der höhere Pflegebeitrag von Mitgliedern ohne Kinder wird ab-
geschafft. Die Entlastung von Personen mit Kindern wird durch eine andere, verfas-
sungskonforme Lösung umgesetzt.

6. Beibehaltung des Umlageverfahrens
Die eingezahlten Beiträge werden unmittelbar für die Finanzierung der Leistungen
herangezogen. Rücklagenbildung zur Finanzierung der Pflegeversorgung (Kapital-
deckung) ist bis auf die Liquiditätsreserven zu untersagen. Der Pflegevorsorgefonds
ist zu stoppen und die steuerliche Förderung der ergänzenden privaten Pflegeversi-
cherung („Pflege-Bahr“) zu beenden. Für die Versicherten ist in der fünfjährigen
leistungsfreien Karenzphase ein Rückabwicklungsrecht für die vorhandenen geför-
derten Zusatzverträge vorzusehen.

7. Werthaltigkeit
Zur Sicherung der Werthaltigkeit der Pflegeleistungen ist eine verbindliche, regel-
gebundene Leistungsdynamisierung einzuführen, die sich zu zwei Dritteln an der
allgemeinen Lohnentwicklung und zu einem Drittel an der allgemeinen Preisent-
wicklung orientiert.

8. Privater Pflegemarkt
Pflege ist als Bereich der sozialen Sicherung in öffentlicher Verantwortung zu orga-
nisieren.

Drucksache 18/5110 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Berlin, den 10. Juni 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Als jüngster Zweig sozialer Sicherung stand die Pflegeversicherung von Beginn an unter dem Zeichen der
neoliberalen „Standort“- oder „Lohnnebenkostendebatte“. In der Konsequenz weist sie gegenüber den traditi-
onellen Sozialversicherungssystemen einige Neuerungen auf, deren negative Auswirkungen sich heute deutlich
zeigen und die revidiert werden müssen:

– Die Arbeitgeber beteiligen sich in der Pflegeversicherung mit einem de facto deutlich geringeren Anteil als
in allen anderen Sozialversicherungszweigen. In 15 Bundesländern wurden mit der Einführung der Pflegever-
sicherung ein gesetzlicher Feiertag, der Buß- und Bettag, abgeschafft. Sachsen behielt den Feiertag bei, deshalb
zahlen dort die Arbeitgeber einen um einen Prozentpunkt geringeren Beitragssatz als die Versicherten.

– Die Leistungen sind in der Höhe begrenzt und stellen einen Zuschuss zu den Kosten der Pflege dar („Teil-
kostendeckung“). Dadurch müssen die Betroffenen auf ihr Einkommen und Vermögen zurückgreifen. Viele
werden von der Sozialhilfe oder von der Unterstützung ihrer Angehörigen abhängig. Diese wiederum sind oft
überfordert. Verschärft wird der Pflegenotstand durch den engen, verrichtungsbezogenen Pflegebegriff. Vor
allem Menschen mit demenziellen Erkrankungen werden von der Leistungsgewährung trotz bestehenden Be-
darfs ausgeschlossen. Eine teilhabesichernde und selbstbestimmte Pflege ist nicht möglich. Aufgrund dieser
Merkmale ist die Pflegeversicherung in hohem Maße unzureichend und ähnelt dem aus liberalen Wohlfahrts-
staaten bekannten Prinzip einer minimalen Basisabsicherung.

– Die Erbringung der Pflege wurde in hohem Maße dem Markt überlassen, oft zählt Profitabilität mehr als
Menschlichkeit. Jede Pflegeeinrichtung hat einen gesetzlichen Anspruch auf Abschluss eines Versorgungsver-
trages mit den Pflegekassen, sofern sie die gesetzlichen Zulassungsvoraussetzungen erfüllt. Private Träger wur-
den mit gemeinnützigen und öffentlichen Trägern gleichgestellt, womit letztere ihren Vorrang bei der Leis-
tungserbringung verloren haben.

Die Folgen dieser Weichenstellungen zeigen sich 25 Jahre nach Einführung der Pflegeversicherung deutlich.
Pflege ist unterfinanziert, der Pflegenotstand täglich spürbar. Die körperlichen und psychischen Belastungen
der Menschen mit Pflegebedarf und ihrer Angehörigen sind enorm. Die finanziellen Eigenleistungen steigen
von Jahr zu Jahr. Hinzu kommt der kaum zu überschätzende und gleichzeitig schwer zu fassende (ökonomi-
sche) Wert der informellen Pflege durch Angehörige (vgl. Backes et. al. 2008, S. 42f.).

Finanzierungsdefizite der gesetzlichen Krankenversicherung und der SPV ergeben sich aus einer strukturellen
Einnahmeschwäche. Die Finanzierung erfolgt in erster Linie über Löhne und Gehälter der Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer. Doch der Anteil der Arbeitnehmereinkommen am Volkseinkommen, die sogenannte
Lohnquote ist in den letzten 30 Jahren zurückgegangen. Ursachen hierfür sind die geringe Lohnentwicklung,
die anhaltend hohe Erwerbslosigkeit sowie der steigende Anteil niedriger Löhne und Gehälter. Zugleich wächst
die Bedeutung anderer Einkommensarten. Der Anteil der nichtselbstständigen Arbeit sank von 76,9 Prozent im
Jahr 1982 auf nur noch 66,6 Prozent des Bruttosozialprodukts im Jahr 2013. Bei einer bruttolohnbezogenen
Finanzierung ergeben sich deshalb Finanzierungslücken. Das Einbeziehen anderer Einkunftsarten in die Finan-
zierung der Solidarischen Pflegeversicherung ist also logisch und sinnvoll.

Gerechtigkeits- und Finanzierungslücken entstehen auch, weil Einkommen oberhalb der Beitragsbemessungs-
grenze (BBG) nicht beitragspflichtig sind. Mit steigendem Einkommen sinkt die prozentuale Beitragsbelas-
tung. Da die Spreizung der Einkommen steigt, sorgt die Beitragsbemessungsgrenze für immer höhere Einnah-
meausfälle. Die sofortige Anhebung auf das Niveau der Gesetzlichen Rentenversicherung und die perspekti-
vische Abschaffung der BBG führt dazu, dass die Beitragsbemessung konsequent am Grundsatz der Leistungs-
fähigkeit ausgerichtet würde.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/5110
Bei der Einführung des Beitragszuschlags für Kinderlose ab 2005 war ein Bundesverfassungsgerichtsurteil
(BVerfG) vom 03.04.2001 (AZ BvR 1629/94) umzusetzen. Die Entscheidung zugunsten eines Beitragszu-
schlags zur Umsetzung dieses BVerfG-Urteils durch die rot-grüne Regierung war in erster Linie fiskalisch
motiviert, um eine beitragssatzstabilisierende Wirkung zu erzielen. Der Beitragszuschlag für Kinderlose ist ein
Sonderfall in der Sozialversicherung. Er ist ungerecht ausgestaltet, denn es wird nicht nach der Zahl der Kinder
unterschieden. Für Kinder von Geringverdienern ist eine geringere Entlastung vorgesehen, als für Kinder von
Gutverdienern. Außerdem ist der Zuschlag nicht paritätisch finanziert. Zu prüfen ist, ob nicht alternative Re-
gelungen im Rahmen der Steuerfinanzierung – bspw. einen durch Bundeszuschuss finanzierten Bonus für Ver-
sicherte mit Kindern – sachgerechter und zielführender wären.

Die Trennung zwischen Sozialer und Privater Pflegeversicherung ist einmalig in Europa und zutiefst ungerecht.
Vor dem Hintergrund steigender Ausgaben durch die Zunahme von Pflegebedürftigkeit sowie sinkender Ein-
nahmen durch niedrige Löhne und prekäre Beschäftigungsverhältnisse kann eine zukunftsfeste Pflegeversiche-
rung nur über eine solidarische Finanzierung erreicht werden.

Aufgrund der identischen Ausgestaltung von Sozialer und Privater Pflegeversicherung wäre die Bürgerinnen-
und Bürgerversicherung in der Pflege ohne große verfassungsrechtliche Hürden umsetzbar. Denn das markt-
wirtschaftliche Prinzip der Vertragsfreiheit wurde für private Versicherungsunternehmen 1995 durchbrochen.
Es gibt einen Kontrahierungszwang und zahlreiche Vorschriften, z. B. zur Prämiengestaltung oder zur prä-
mienfreien Mitversicherung von Kindern, die eine Abkehr von den Prinzipen der privatwirtschaftlichen Kran-
kenversicherung darstellen. Diese Gestaltung wurde durch zwei Urteile des Bundesverfassungsgerichts bestä-
tigt.

Eine unabhängige Studie zu den finanziellen Auswirkungen der Einführung einer Solidarischen Bürgerinnen-
und Bürgerversicherung weist nach: Mit der Solidarischen Pflegeversicherung kann der Beitragssatz bei ein-
gerechnetem Ausgleich des Realwertverlusts und einer sofortigen Erhöhung der Sachleistungen um 25 Prozent
dauerhaft deutlich unter 2 Prozent gehalten werden. Das schafft Spielraum für echte Reformen und eine stabile
Finanzierung der zukünftigen Risiken. [Bartsch, Klaus (2011): Eine Simulationsstudie zu den kurz-, mittel-
und langfristigen Entwicklungen der Beitragssätze zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung nach
dem Konzept einer Solidarischen Bürgerinnen- und Bürgerversicherung der Fraktion DIE LINKE. im Bundes-
tag. Gutachten im Auftrag der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag. Neuendorf, im August 2011. Vgl. Roth-
gang, Heinz (2011): Berechnungen zur Finanzierung der Pflege über eine Bürgerversicherung, Gutachten im
Auftrag des Bundesverbands der Arbeiterwohlfahrt AWO].
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