BT-Drucksache 18/5094

Keine Paralleljustiz für internationale Konzerne durch Freihandelsabkommen

Vom 9. Juni 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/5094
18. Wahlperiode 09.06.2015
Antrag
der Abgeordneten Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, Dr. Diether Dehm, Andrej
Hunko, Susanna Karawanskij, Jutta Krellmann, Thomas Lutze, Thomas Nord,
Richard Pitterle, Michael Schlecht, Dr. Axel Troost, Alexander Ulrich, Dr. Sahra
Wagenknecht und der Fraktion DIE LINKE.

Keine Paralleljustiz für internationale Konzerne durch Freihandelsabkommen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das geplante Freihandels- und Investitionsabkommen TTIP zwischen der Europäi-
schen Union (EU) und den USA ist heftig umstritten. Ebenso wird seit Monaten über
das bereits ausverhandelte Abkommen CETA zwischen der EU und Kanada kontro-
vers diskutiert. Massiver Kritik unterworfen sind insbesondere die Sonderklage-
rechte, die Investoren das exklusive Recht einräumen, Staaten zu verklagen, sowie
die mit privaten, hochbezahlten Anwälten besetzten Schiedsgerichte, die ohne Beru-
fungsinstanz über diese Klagen entscheiden.

Die geplanten Investorenschutzregelungen und Investor-Staat-Schiedsverfahren
(ISDS) stehen auch im Zentrum der Kritik zahlreicher zivilgesellschaftlicher Orga-
nisationen. Dem „Stopp-TTIP“-Bündnis gehören mittlerweile über 450 Einzelorga-
nisationen aus einem breiten gesellschaftlichen und politischen Spektrum an, das
von handelskritischen NGOs, Gewerkschaften, Umweltorganisationen bis hin zu
kirchlichen Gruppen reicht.

Auch Regierungsvertreter von EU-Mitgliedsstaaten lehnen die ISDS-Regelungen
ab. So äußerte sich unter anderem Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann in
der Süddeutschen Zeitung vom 5. Mai 2015: „Die Sonderrechte für Konzerne halte
ich für gefährlich. Warum soll es möglich sein, öffentliche Gerichte und den Rechts-
staat durch private Sondergerichte auszuhebeln? ... Man muss sich klarmachen, wel-
chen Druck allein schon eine angedrohte Klage auf Politiker und ihre Entscheidun-
gen ausüben kann. Hohe Schadenersatzforderungen bedeuten, dass möglicherweise
zurückgeschreckt wird, Gesetze für Umwelt, Lebensmittelsicherheit, soziale Sicher-
heit oder ähnliches zu verbessern. Das ist alarmierend.“

Die EU-Kommission, die für die EU die Verhandlungen führt, hat die Empörung
über Investor-Staat-Schiedsverfahren (ISDS) zur Kenntnis genommen und am 4.
Mai 2015 unter dem Titel „Investment in TTIP and beyond – the path for reform“
ihre Reformvorschläge veröffentlicht. Die Kommission will ausdrücklich nicht die
Investitionskapitel und die ISDS-Bestimmungen in den beiden bereits fertig verhan-
delten Abkommen mit Kanada (CETA) und Singapur (EUSFTA) ändern. Die Re-
formvorschläge der Kommission beziehen sich allein auf künftige Freihandels- und
Investitionsabkommen, wie insbesondere TTIP.

Drucksache 18/5094 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Das Reformpapier enthält Vorschläge zur Klarstellung jener Investitions- und Inves-
torenschutzregeln, die erstmals offenbar auch aus Sicht der Kommission als frag-
würdig erscheinen. Die Kommission möchte ihre Vorschläge, wie sie selbst schreibt,
als unverbindliche Diskussionsbasis verstanden wissen.

Die Kommission hat vier Bereiche identifiziert, in denen es Reformbedarf gebe:
– das Recht zu regulieren (Right to Regulate): Denkbar sei in künftigen Verträgen

ein eigenständiger Artikel, der dieses Recht näher beschreibt. Ergänzend könne
explizit festgeschrieben werden, dass Staaten das Recht haben, die Zahlung von
Subventionen zu beenden, wenn es Rechtsakte gibt, die solchen Zahlungen ent-
gegenstehen.

– Schiedsgerichte: Für Klagefälle in Frage kommende Schiedsrichter sollen auf
einer Liste eingetragen sein, auf die sich die Vertragspartner vorab einigen.
Schiedsrichter sollen Qualifikationen aufweisen, die auch von Richtern ihres
Heimatlandes verlangt werden.

– Berufungsmechanismus: Für ISDS-Fälle solle es einen bilateralen Berufungs-
mechanismus geben, der sich am Berufungsgericht der Welthandelsorganisation
(WTO) orientiert.

– Verhältnis ISDS zu nationalem Rechtsweg: Die EU solle parallele Klagen vor
einem Schiedsgericht und einem inländischen Gericht verhindern – entweder
indem Investoren von Beginn an zwischen ISDS und inländischen Gerichten zu
wählen haben oder indem die Anrufung eines inländischen Gerichts ausge-
schlossen ist, sobald eine ISDS-Klage eingereicht wurde. Zusätzlich sei klarzu-
stellen, dass inländisches Recht von Schiedsgerichten weder anzuwenden noch
bindend zu beeinflussen sei.

Bundeswirtschaftsminister Gabriel will alternativ zu privaten Schiedsgerichten ei-
nen europäisch-amerikanischen Handelsgerichtshof einrichten, vor dem Streitfälle
zwischen Konzernen und Regierungen entschieden werden (vgl. Süddeutsche Zei-
tung, 1.5.2015).

Doch weder der Vorschlag der EU-Kommission noch ein Handelsgerichtshof ver-
hindern, dass ein paralleles Rechtssystem entsteht, in dem ausschließlich ausländi-
schen Investoren Sonderrechte eingeräumt werden. Genau dies ist jedoch prinzipiell
abzulehnen.

Zudem darf sich ein souveräner Staat nicht einem Klagerisiko und dem mit diesem
Risiko verbundenen Einschüchterungseffekt aussetzen. Das würde dazu führen, dass
keine neuen oder strengeren Standards mehr gesetzt werden.

Der Deutsche Bundestag bekräftigt daher die Position des Bundeswirtschaftsminis-
teriums vom September 2014 (Positionspapier BMWi/DGB): „Investitionsschutz-
vorschriften sind in einem Abkommen zwischen den USA und der EU grundsätzlich
nicht erforderlich und sollten nicht mit TTIP eingeführt werden. In jedem Fall sind
Investor-Staat-Schiedsverfahren und unklare Definitionen von Rechtsbegriffen, wie
‚Faire und Gerechte Behandlung‘ oder ‚Indirekte Enteignung‘ abzulehnen.“

Dies gilt in besonderer Weise für das Abkommen zwischen der EU und Kanada, das
ausformuliert vorliegt und Investorenschutz mit Sonderklagerechten enthält. Der
Deutsche Bundestag bekräftigt die Aussage von Wirtschaftsminister Gabriel vom
25. September 2014 vor dem Deutschen Bundestag: „Deutschland unterstreicht, dass
aus Sicht der Bundesregierung Investitionsschutz in CETA nicht erforderlich ist.
Zwischen entwickelten Rechtssystemen wie Kanada und EU braucht man keinen
völkerrechtlichen Investitionsschutz.“

Wenn nun aber CETA ratifiziert wird, ist die Masse der transatlantischen Investiti-
onsströme bereits über das CETA-Abkommen von ISDS erfasst. Nahezu alle großen
US-Unternehmen haben Dependancen in Kanada, über die sie ihre Sonderrechte als

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/5094
US-Investoren einklagen könnten, auch wenn es kein Abkommen der EU mit den
USA gibt bzw. kein ISDS in TTIP.

Der Lackmustest für die Ernsthaftigkeit der aktuellen ISDS-Reformdiskussionen ist
deshalb das CETA-Abkommen. Der ausverhandelte CETA-Vertragstext ist schon
deshalb zurückzuweisen, weil hier nicht einmal die in der EU-Kommission disku-
tierten partiellen Korrekturen der Schiedsgerichtsbarkeit greifen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– im Europäischen Rat verbindlich zu erklären, dass die Bundesregierung keinem
Freihandels- und Investitionsabkommen zustimmen wird, das Klageprivilegien
für Unternehmen und Investoren enthält,

– das CETA-Abkommen mit Kanada als unannehmbar zurückzuweisen,
– in den Gremien der Europäischen Union dafür einzutreten, dass die TTIP-Ver-

handlungen mit den USA gestoppt werden.

Berlin, den 9. Juni 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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