BT-Drucksache 18/5019

Datenerhebung durch die Schutzvereinigung für allgemeine Kreditsicherung und andere Wirtschaftsauskunfteien

Vom 21. Mai 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/5019
18. Wahlperiode 21.05.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Klaus Ernst, Caren Lay, Jan Korte, Karin Binder, Ulla Jelpke,
Susanna Karawanskij, Kerstin Kassner, Jutta Krellmann, Katrin Kunert,
Thomas Lutze, Thomas Nord, Petra Pau, Richard Pitterle, Michael Schlecht,
Kersten Steinke, Dr. Axel Troost, Dr. Sahra Wagenknecht und der Fraktion
DIE LINKE.

Datenerhebung durch die Schutzvereinigung für allgemeine Kreditsicherung
und andere Wirtschaftsauskunfteien

Vor allem in Ballungsräumen verlangen Vermieter von Wohnungsbewerbern
häufig bereits vor der konkreten Vertragsanbahnung die Vorlage einer Bonitäts-
auskunft der Schutzgemeinschaft für allgemeine Kreditsicherung (SCHUFA
Holding AG) und setzen damit hohe Hürden für die Anmietung einer Wohnung
auf ohnehin sehr engen Wohnungsmärkten. Die vermeintliche Vertragsfreiheit
beider Vertragsparteien führt in der Regel lediglich dazu, dass Wohnungs-
suchende, die sich weigern, schon vor einer eventuellen Besichtigung einer
Wohnung eine Bonitätsauskunft vorzulegen, keine Gelegenheit bekommen, die
Wohnung zu besichtigen oder sogar zu mieten.
Dabei sind die Auskünfte der SCHUFA und anderer Wirtschaftsauskunfteien
häufig fehlerhaft, während Verbraucher keinerlei Möglichkeit haben, die Be-
rechnungsmethoden und Parameter für das Scoring zu überprüfen, da diese
Daten nach gängiger Rechtsprechung (Bundesgerichtshof, Aktenzeichen IV ZR
156/13) dem Betriebsgeheimnis unterliegen. Der Schutz des Betriebsgeheimnis-
ses wird damit höher eingestuft als das Recht auf informationelle Selbstbestim-
mung, obwohl die Informationen der Auskunfteien weitreichende Auswirkun-
gen auf die Lebensumstände der Betroffenen haben können, etwa bei der Kre-
ditvergabe oder der Wohnungssuche.
Die Nutzung so genannter Geodaten für die Erstellung von Kredit-Scorings ist
weitgehend unreguliert, das Bundesdatenschutzgesetz schreibt lediglich vor,
dass nicht ausschließlich Geodaten für die Erstellung von Scorings eingesetzt
werden dürfen. Dem Bericht „Scoring nach der Datenschutznovelle 2009 und
neuere Entwicklungen“ des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz
Schleswig-Holstein und der Forschungsgruppe des Instituts für Grundlagen-
und Programmforschung (GP) zufolge, nutzt zwar der Marktführer SCHUFA
Geodaten nur sehr eingeschränkt, andere große Wirtschaftsauskunfteien mach-
ten aber regelmäßig Gebrauch von Geodaten bei der Erstellung von Kredit-
Scorings. Daten aus sozialen Netzwerken und anderen Quellen würden von den
betrachteten Auskunfteien nicht genutzt. Allerdings zeichnet sich ein Betäti-
gungsfeld im Bereich der Kreditvermittlung ab, bei dem alle erreichbaren Daten
über den Antrag stellenden Kreditnehmer gesammelt und ausgewertet werden
(vgl. etwa „Garantiert indiskret“, WELT am SONNTAG, 12. April 2015), um
ein Kredit-Scoring zu erstellen, darunter der Verlauf des Internetbrowsers, die

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Einstellungen des Computers, von dem die Anfrage gesendet wird, umfassende
Geodaten und Informationen aus sozialen Netzwerken – dabei werden aber of-
fenbar diese Methoden nur für Anfragen aus dem Ausland genutzt.
In jüngster Zeit sind Auskunfteien dazu übergegangen, zusätzlich Datenbanken
aufzubauen, in denen sie Informationen zu Betrugsversuchen, Schwarzgeld oder
Terrorismusfinanzierung zusammenfassen; die Informationen dazu stammen
laut dem Tätigkeitsbericht des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz
Schleswig-Holstein (ULD S-H) in der Regel von beteiligten Banken (Tätigkeits-
bericht 2015 des ULD S-H, S. 82 f.).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Ist der Bundesregierung bekannt, dass vor allem in Ballungsräumen mit an-

gespanntem Mietmarkt Vermieter häufig von Wohnungsbewerbern Boni-
tätsnachweise und „Mitschuldenfreiheitsbescheinigungen“ verlangen, häufig
schon vor einer konkreten Vertragsanbahnung?

2. Wie beurteilt die Bundesregierung diese Praxis aus datenschutzrechtlicher
Perspektive und vor dem Hintergrund, dass Bewerbern, die eine solche Boni-
tätsauskunft nicht nachweisen können oder wollen, der Zugang zu Mietwoh-
nungen häufig verwehrt wird?

3. Wie bewertet die Bundesregierung die hier im Konflikt stehenden Grund-
sätze der Vertragsfreiheit einerseits und des Rechtes auf eine Wohnung an-
dererseits, die Vermietern auf engen Wohnungsmärkten eine stärkere Ver-
handlungsposition verleihen und Wohnungssuchenden das Finden einer
angemessenen Wohnung erschweren?

4. Ist nach Kenntnis der Bundesregierung durch die in Frage 1 und 2 beschrie-
bene Praxis, eine zunehmende Segregation in Ballungsräumen zu beobach-
ten?
Falls ja, wie äußert sie sich?

5. Inwieweit sieht die Bundesregierung durch diese Praxis die Vorschriften aus
§ 4a des Bundesdatenschutzgesetzes tangiert, denen zufolge eine Einwilli-
gung zur Nutzung personenbezogener Daten aus freien Stücken gegeben
worden sein muss, um wirksam zu sein?

6. Welche Schritte wird die Bundesregierung wann einleiten, um dieser Praxis
entgegenzuwirken?

7. Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung die Zahl von Schädigungen
durch so genannte Mietnomaden im Jahr (absolut und im Verhältnis zu den
gesamten Wohnungsmietverhältnissen), und welcher materieller Schaden
wird durch „Mietnomaden“ verursacht (beide Datenreihen bitte nach Fällen
mit gerechtfertigter Mietminderung wegen Wohnungsmängeln einerseits und
Fällen ohne derlei Minderungen andererseits differenzieren)?

8. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Sichtweise des Bundesgerichtshofs,
der mit seinem Urteil vom 28. Januar 2014 (Aktenzeichen IV ZR 156/13)
nach Lesart des im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung, Land-
wirtschaft und Verbraucherschutz sowie des Bundesministeriums der Justiz
und für Verbraucherschutz erstellten Berichts „Scoring nach der Daten-
schutznovelle 2009 und neue Entwicklungen“ (GP-Forschungsgruppe, ULD
Schleswig-Holstein 2014, S. 47 ff.) die Wahrung eines Betriebsgeheimnisses
offenbar höher schätzt als das konkurrierende Recht der Klägerin auf infor-
mationelle Selbstbestimmung, indem der Klägerin kein Zugriff gewährt wird
auf Vergleichsgruppen und die Gewichtung der Scoring-Merkmale bei der
Ermittlung des – in diesem Fall falschen – Kredit-Scorings?

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9. Wie gedenkt die Bundesregierung auf die Forderung des ULD Schleswig-
Holstein und der GP-Forschungsgruppe zu reagieren, die in ihrem Bericht
„Scoring nach der Datenschutznovelle 2009“ eine rechtliche Klarstellung
verlangen, der zufolge eine Auskunft zu den Elementen eines Scoring-Ver-
fahrens und zu Vergleichsgruppen und Gewichtungen nicht dem Schutz des
Geschäftsgeheimnisses unterliegt?

10. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus der vergleichsweise neuen Entwicklung, bei der Kredit vergebende oder
vermittelnde Unternehmen die Kreditwürdigkeit von Antragstellern mit
Hilfe automatisierter Algorithmen errechnen, die zahlreiche personenbezo-
gene Daten nutzen, darunter umfassende Geodaten, Browserverlauf, Ein-
stellungen und installierte Programme des zur Kreditanfrage genutzten
Computers, Aktivitäten und eingestellte Inhalte in sozialen Netzwerken
(vgl. etwa „Garantiert indiskret“, WELT am SONNTAG, 12. April 2015 und
„Geld in 15 Minuten“, CICERO, 26. März 2015)?

11. Sind der Bundesregierung Unternehmen bekannt, die derlei automatisierte
und selbst für den Betreiber nicht mehr bis ins letzte rekonstruierbare Algo-
rithmen beim Kredit-Scoring auch für Inländer nutzen?
Falls ja, welche?

12. Sind Verfahren, wie in Frage 10 skizziert, nach Ansicht der Bundesregie-
rung nach deutschem Recht zulässig?

13. Welche Schritte wird die Bundesregierung einleiten, um die Verwendung
personenbezogener Daten zur Erstellung von Scorings verschiedenster Art
einer expliziten Zustimmungspflicht der Betroffenen zu unterwerfen?

14. Welche Schritte wird die Bundesregierung einleiten, um die Nutzung von
Daten, aufgrund derer eine Diskriminierung nach ethnischen, religiösen, ge-
schlechtlichen, politischen, sprachlichen Gesichtspunkten, nach Behinde-
rung oder sexueller Orientierung möglich ist, zu verbieten?

15. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus dem Aufbau von Datenbeständen bei einigen Wirtschaftsauskunfteien,
die Daten zu Betrug, Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung und anderen
strafbaren Handlungen verzeichnen, vor allem vor dem Hintergrund, dass
§ 25h des Kreditwesengesetzes Kreditinstituten nur in Einzelfällen gestat-
tet, Daten zu derlei Sachverhalten auszutauschen (vgl. Tätigkeitsbericht
ULD Schleswig-Holstein 2015, S. 82 f.)?

16. Hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, welche Daten unter welchen
Umständen von beteiligten Kreditinstituten für die in Frage 15 genannten
Datenbestände gemeldet, und wie diese Bestände von den Auskunfteien
bzw. den beteiligten Instituten genutzt werden?

17. Sieht die Bundesregierung Handlungsbedarf bei der Regulierung der
skizzierten, privatwirtschaftlich verantworteten Sammlung von Daten zu
strafbaren Handlungen?

18. Welche Wirtschaftsauskunfteien nutzen nach Kenntnis der Bundesregie-
rung welche personenbezogenen Daten zur Erstellung von Scorings, wie
werden diese Daten bei der Erstellung der Scorings gewichtet, und welche
Rechenmethoden werden eingesetzt?

19. Welche Schritte leitet die Bundesregierung ein, um die Berechnungsme-
thoden, Vergleichsdaten und Gewichtung der einzelnen Parameter und des
gesamten Scorings von Wirtschaftsauskunfteien einer nachvollziehbaren
Prüfung durch unabhängige Stellen und von Betroffenen Beauftragte zu un-
terziehen?

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20. Sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit, die in Deutschland tätigen
Wirtschaftsauskunfteien einer Registrierungspflicht zu unterwerfen und die
von Auskunfteien genutzten Scoring-Methoden einer Prüfung zu unterzie-
hen?
Falls aus Sicht der Bundesregierung eine solche Notwendigkeit gesehen
wird, bis wann ist mit einer Umsetzung zu rechnen, und wie soll die Regis-
trierungspflicht ausgestaltet werden?
Falls die Bundesregierung die Notwendigkeit nicht sieht, warum nicht?

21. Wie viele Fälle sind der Bundesregierung aus den letzten 24 Monaten be-
kannt, in denen von privaten Wirtschaftsauskunfteien genutzte personenbe-
zogene Daten missbräuchlich abgerufen oder eingesetzt wurden (bitte nach
der Art des unberechtigten Datenzugriffs, internen bzw. externen Zugriffen
aufgrund bekannter Sicherheitslücken aufschlüsseln)?

22. Die Daten wie vieler Betroffener wurden dabei abgerufen bzw. missbräuch-
lich genutzt, und um welche Daten handelte es sich dabei?

23. Welche Schritte unternimmt die Bundesregierung, um den unbefugten Zu-
griff auf von Wirtschaftsauskunfteien gesammelte Daten weiter zu erschwe-
ren und eine sichere Verwahrung der sensiblen Daten zu gewährleisten?

Berlin, den 20. Mai 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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