BT-Drucksache 18/4813

Empfehlungen der Vereinten Nationen zur Behindertenrechtskonvention zügig umsetzen

Vom 6. Mai 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/4813
18. Wahlperiode 06.05.2015
Antrag
der Abgeordneten Corinna Rüffer, Maria Klein-Schmeink, Markus Kurth, Beate
Müller-Gemmeke, Brigitte Pothmer, Christian Kühn (Tübingen), Matthias Gastel,
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Dr. Franziska Brantner, Ekin Deligöz, Anja
Hajduk, Renate Künast, Dr. Tobias Lindner, Lisa Paus, Tabea Rößner,
Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, Dr. Harald Terpe, Beate
Walter-Rosenheimer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Empfehlungen der Vereinten Nationen zur Behindertenrechtskonvention
zügig umsetzen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Es scheint selbstverständlich: Menschen entscheiden selbst darüber, wo, wie und mit
wem sie leben und welchen Beruf sie ergreifen möchten. Sie können sich frei ent-
scheiden, ob sie ihre Stimme bei der Bundestagswahl abgeben. Kinder und ihre El-
tern entscheiden, welche Schule sie besuchen bzw. ihr Kind besucht. Und wer ohne
eigenes Auto in die nächste Stadt will, kann spontan auf die Bahn umsteigen.

Für Menschen mit Behinderungen ist das in Deutschland nicht selbstverständlich.
Trotz jahrelanger, intensiver politischer Diskussion gibt es noch immer Menschen
mit Behinderungen, die vom Wahlrecht ausgeschlossen sind, z. B. wenn für sie eine
Betreuung in allen Angelegenheiten angeordnet wurde. Auch die Barrierefreiheit
wird nicht systematisch gesteigert. Bei der Bahn geht es nur langsam voran, und vor
allem im privatwirtschaftlichen Bereich – also bei Hotels, Kinos, Restaurants etc. –
gab es in den letzten Jahren kaum Fortschritte, wie das Deutsche Institut für Men-
schenrechte erst kürzlich berichtete. Es gibt keine umfassende, wirksame und auf
Dauer angelegte Strategie, um Frauen und Mädchen mit Behinderungen sowohl in
Einrichtungen als auch in der eigenen Wohnung vor Gewalt zu schützen. Und noch
immer bestehen viele Vorurteile gegenüber Menschen mit Behinderungen, insbe-
sondere gegenüber Menschen mit Lernschwierigkeiten und psychiatrischen Diagno-
sen.

Entsprechend harsch fällt das Urteil zur Umsetzung der Behindertenrechtskonven-
tion (UN-BRK) aus, das der zuständige Fachausschuss der Vereinten Nationen im
April dieses Jahres veröffentlicht hat: Behinderte Menschen können in Deutschland
ihre Menschenrechte nicht im vollen Umfang wahrnehmen. Die Expertinnen und
Experten der Vereinten Nationen sehen erheblichen Handlungsbedarf und äußern für
einige Bereiche sogar große Sorge.

Besonders kritisch bewerteten sie, dass in Deutschland sehr viele behinderte Men-
schen in Förderschulen lernen oder in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen

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arbeiten. Die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Men-
schen schloss sich in einer Pressemeldung der Kritik an: „Der geschützte Raum ist
nicht für alle Menschen mit Behinderungen, auch nicht für alle Menschen mit hohem
Assistenzbedarf, der richtige Weg.“ Das Deutsche Institut für Menschenrechte hatte
bereits im Vorfeld der Staatenprüfung darauf hingewiesen, dass Deutschland sowohl
von einem inklusiven Bildungssystem als auch von einem inklusiven Arbeitsmarkt
noch weit entfernt ist. Werkstätten für Menschen mit Behinderungen sollten eine
temporäre Brückenfunktion haben, das Werkstattwesen könne aber nicht als Teil ei-
nes inklusiven Arbeitsmarktes bezeichnet werden.

Als einer der wohlhabendsten Staaten der Welt hat Deutschland die Möglichkeit, als
Vorbild für andere Staaten Standards zu setzen und sollte das auch tun. Das ist ge-
genwärtig nicht der Fall. Deutschland bewegt sich gemessen an seinen Möglichkei-
ten nicht vorbildlich, sondern schleppend voran. Die Expertinnen und Experten der
Vereinten Nationen fordern in ihren Empfehlungen nun deutliche Schritte zur Um-
setzung der Konvention.

II. Der Deutsche Bundestag wird die Empfehlung der Vereinten Nationen, den
Ausschluss behinderter Menschen vom Wahlrecht gemäß § 13 Nummer 2 und 3
BWahlG sowie gemäß § 6a EuWG zu beenden, noch vor der nächsten Bundestags-
wahl umsetzen.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung darüber hinaus auf,

unter Beteiligung von behinderten Menschen und ihren Verbänden die weiteren
Empfehlungen des UN-Fachausschusses zügig umzusetzen und dabei insbesondere

1. die systematische Umsetzung der Behindertenrechtskonvention in deutsches
Recht voranzutreiben;

2. die Verweigerung angemessener Vorkehrungen im Sinne der UN-BRK als Tat-
bestand der Benachteiligung in das BGG und das AGG aufzunehmen;

3. gemeinsam mit den Ländern in allen Bildungsbereichen ein erkennbar inklusi-
ves Bildungssystem auf- und auszubauen;

4. gemeinsam mit den Ländern Strategien zur Ablösung von Sondereinrichtungen
zur Förderung behinderter Menschen durch gemeindenahe Dienste (Deinstituti-
onalisierung) zu entwickeln;

5. rechtliche Rahmenbedingungen und Anreize zu schaffen, die zu einer Verringe-
rung der Zahl der Arbeitsplätze in Werkstätten für Menschen mit Behinderun-
gen zugunsten von Beschäftigungsmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeits-
markt führen;

6. Frauen und Mädchen mit Behinderungen systematisch und präventiv vor Ge-
walt, Missbrauch und Ausbeutung zu schützen und dabei auch geflüchtete
Frauen und Mädchen zu berücksichtigen;

7. unter Berücksichtigung vorliegender themenbezogener Daten eine Strategie zur
Bewusstseinsbildung im Sinne des Artikels 8 (Bewusstseinsbildung) UN-BRK
zu entwickeln, umzusetzen und ihren Erfolg transparent darzustellen;

8. im Betreuungsrecht den Grundsatz der unterstützenden Entscheidungsfindung
zu verankern und ihm gemeinsam mit den Ländern auch in der Rechtspraxis
Geltung zu verschaffen;

9. gemeinsam mit den Ländern für eine Dokumentation aller öffentlich-rechtlichen
betreuungsrechtlichen Zwangsmaßnahmen (Unterbringungen, Fixierungen und
Zwangsbehandlungen) zu sorgen, regelmäßig einen Monitoringbericht zu ver-

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öffentlichen und eine Stelle zu benennen, die die Ausübung von Zwang beob-
achtet und überprüft, um gesetzliche Fehlentwicklungen oder Missstände in der
Praxis zu erkennen und ihnen entgegenzuwirken;

10. gemeinsam mit den Ländern unter Einbeziehung von Sachverständigen, Be-
troffenen und Angehörigen einen verbindlichen Aktionsplan für eine personen-
zentrierte und menschenrechtskonforme Versorgung bei psychischen Beein-
trächtigungen zu entwickeln mit dem Ziel, das in der UN-BRK garantierte Recht
auf Selbstbestimmung und auf Teilhabe in die Praxis umzusetzen.

Berlin, den 5. Mai 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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