BT-Drucksache 18/427

Umsatzsteuerbetrug im Strom- und Gashandel

Vom 31. Januar 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/427
18. Wahlperiode 31.01.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Thomas Gambke, Bärbel Höhn, Kerstin Andreae,
Britta Haßelmann, Lisa Paus, Oliver Krischer, Dr. Julia Verlinden, Harald Ebner,
Dieter Janecek, Sven-Christian Kindler, Dr. Tobias Lindner, Peter Meiwald,
Markus Tressel und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Umsatzsteuerbetrug im Strom- und Gashandel

Am 20. Dezember 2013 hat die „Süddeutsche Zeitung“ ausführlich über behörd-
liche Verdachtsmomente bezüglich umfangreicher Umsatzsteuerbetrügereien
im Strom- und Gashandel berichtet („Die Strom-Mafia“, S. 17 vom 20. Dezem-
ber 2013). Auch staatliche bzw. teilstaatliche Unternehmen sollen möglicher-
weise Teil so genannter Umsatzsteuerkarusselle gewesen sein. Gleichzeitig fin-
det auf Ebene der Europäischen Union (EU) ein von der Europäischen Kommis-
sion angestoßener Prozess zur Reform der gemeinschaftlichen Mehrwertsteuer-
vorschriften statt. Dieser soll die Steuer unter anderem weniger betrugsanfällig
machen.

Wir fragen die Bundesregierung:

Umsatzsteuerbetrug im Strom und Gashandel
1. Welche Kenntnisse haben Bundesbehörden von Umsatzsteuerbetrug im

Strom- und Gashandel, und waren diese Kenntnisse der Anlass, für den
Bereich der Strom- und Gaslieferungen das Reverse-Charge-Verfahren ein-
zuführen?
Wenn keine konkreten Kenntnisse vorhanden sind, aufgrund welcher Indi-
zien wurde das Reverse-Charge-Verfahren für den Bereich Strom- und Gas-
lieferungen eingeführt?

2. Sind Bundesbehörden in Untersuchungen bezüglich Umsatzsteuerbetrugs im
Strom- und Gashandel eingebunden bzw. betreiben eigene Untersuchungen,
und wenn ja, welche Behörden sind involviert?

3. Wie viele Verdachtsfälle auf Umsatzsteuerbetrug im Bereich Strom- und
Gashandel sind der Bundesregierung bekannt, und in welchen Bundesländern
befinden sich diese?

4. Wie hoch waren die erstatteten Vorsteuerbeträge im Bereich Strom- und Gas-
handel in den Jahren von 2004 bis 2013?

5. Sind der Bundesregierung Fälle bekannt, in denen der Vorsteuerabzug ver-
weigert wurde bzw. erstattete Vorsteuerbeträge zurückgefordert wurden, weil
es einen Verdacht auf bzw. nachgewiesenen Umsatzsteuerbetrug gab?

6. Gibt es diesbezüglich Schadensabschätzungen (für einzelne Jahre), und falls
ja, in welcher Höhe?

Drucksache 18/427 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
7. Hatten bzw. haben nach Kenntnis der Bundesregierung diese Karussellge-
schäfte Einfluss auf die Preisbildung im Großhandel, oder kam es zu Eng-
pässen im Leitungsnetz, die Re-Dispatch-Maßnahmen nach sich zogen?

8. Sind der Bundesregierung Verdachtsmomente für Umsatzsteuerbetrugsge-
schäfte an der Leipziger Strombörse bekannt, und wenn ja, zu welchem
Zeitpunkt wurde die Bundesregierung informiert?

9. Sind nach Kenntnis der Bundesregierung staatliche oder teilstaatliche Un-
ternehmen Gegenstand von Ermittlungen zu Umsatzsteuerbetrugsfällen im
Strom- und Gashandel?
Wenn ja, wie viele staatliche oder teilstaatliche Unternehmen sind betrof-
fen?

10. Hatten bzw. haben nach Kenntnis der Bundesregierung die Karussellge-
schäfte im Strom- und Gashandel Einfluss auf die Planungen zum Leitungs-
ausbau?

11. Warum hat die Bundesregierung erst im Jahr 2013 auf die Warnung vom
Jahresende 2010 des Bundeszentralamts für Steuern vor einer drohenden
Betrugswelle im Strom- und Gashandel (www.bundesnetzagentur.de/
SharedDocs/Downloads/DE/Sachgebiete/Energie/Unternehmen_
Institutionen/HandelundVertrieb/Umsatzsteuerpflichten/InfoBlatt
UmsatzsteuerStromGas_pdf. pdf?__blob=publicationFile&v=3) reagiert,
und das Reverse-Charge-Verfahren für Strom- und Gaslieferungen einge-
führt?
In welcher Höhe schätzt die Bundesregierung die im Zeitraum seit Veröf-
fentlichung der Warnung angefallenen Steuerausfälle durch Umsatzsteuer-
karussellgeschäfte im Strom- und Gashandel, und was wurde im Zeitraum
seit Veröffentlichung der Warnung im Jahr 2010 bis zur Einführung des
Reverse-Charge-Verfahrens im Jahr 2013 unternommen, um Steuerausfälle
durch Umsatzsteuerkarussellgeschäfte bei der Lieferung von Strom- und
Gas zu vermeiden?

12. Hat das Urteil vom Bundesfinanzhof (VR 37/10) vom 22. August 2013
Folgen für die Regelung zur Wiederverkäufereigenschaft bei Strom- und
Gaslieferungen, die das Bundesministerium der Finanzen ebenfalls an einer
10-Prozent-Grenze festmachen will (Abschnitt 13b.3a Absatz 2 i. V. m.
Abschnitt 3g.1 Absatz 2 und 3 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses –
UStAE)?

13. Sind durch den umsatzsteuerlichen Karussellbetrug im Strom- und Gas-
handel neben den umsatzsteuerlichen Ausfällen auch Mindereinnahmen bei
anderen Steuerarten aufgetreten (wenn ja, bitte Höhe angeben, und nach
Steuerart aufschlüsseln)?

Umsatzsteuerbetrug und Betrugsbekämpfung in der Bundesrepublik Deutsch-
land
14. Hat die Bundesregierung konkrete Hinweise, dass in der Bundesrepublik

Deutschland aktuell bestimmte Branchen außerhalb des Reverse-Charge-
Verfahrens für Umsatzsteuerkarussellbetrugsgeschäfte genutzt werden, und
wenn ja, welche?

15. Plant die Bundesregierung aktuell eine Ausweitung des Reverse-Charge-
Verfahrens auf andere Branchen, und wenn ja, auf welche?

16. Wie viele abgeschlossene Verfahren zu Umsatzsteuerkarussellgeschäften
sind der Bundesregierung seit dem Jahr 2005 bekannt, und wie hoch waren
die bestandskräftigen Steuermehreinnahmen aus diesen Verfahren (bitte
nach Jahren aufschlüsseln)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/427
17. Welche anderen Formen des Umsatzsteuerbetrugs außerhalb der Karussell-
geschäfte treten in der Bundesrepublik Deutschland auf?
Können diese Formen des Umsatzsteuerbetrugs durch das Reverse-Charge-
Verfahren verhindert werden?

18. Wird die Bundesregierung die Anregungen und die Kritik des Bundesrech-
nungshofs zum Umsatzsteuervollzug in bestimmten Bereichen (Bundes-
tagsdrucksache 18/111, S. 52 ff.) aufnehmen und geeignete Maßnahmen zur
Sicherung des Steueraufkommens treffen (wenn ja, bitte Maßnahmen be-
nennen, und wenn nein, bitte begründen)?

19. Wie hoch waren die steuerbehördlichen Niederschlagungen von Umsatz-
steuerforderungen in den Jahren von 2010 bis 2013 (bitte pro Kalenderjahr
angeben)?

20. Wie viele Umsatzsteuernachschauen fanden in den Jahren von 2010 bis
2013 statt, und wie hoch waren die umsatzsteuerlichen Mehrergebnisse aus
den Umsatzsteuernachschauen (bitte pro Kalenderjahr angeben)?

21. Wie viele Umsatzsteuersonderprüfungen fanden in den Jahren von 2010 bis
2013 statt, und wie hoch waren die umsatzsteuerlichen Mehr- oder Minder-
ergebnisse aus den Umsatzsteuersonderprüfungen (bitte pro Kalenderjahr
angeben)?

22. Wie hoch waren die bestandskräftigen umsatzsteuerlichen Mehreinnahmen,
die durch die Arbeit der Steuerfahndung in der Bundesrepublik Deutsch-
land in den Jahren von 2010 bis 2013 generiert wurden?
Welchen Anteil an den bestandskräftigen Mehreinnahmen durch die Steu-
erfahndung machen diese umsatzsteuerlichen Nachforderungen aus?

23. Welche nationalen und internationalen Datenbanken mit umsatzsteuerlich
relevanten Daten werden von deutschen Steuerbehörden genutzt?
Hält die Bundesregierung diese Datenbanken und die Anzahl der Datenban-
ken für praxistauglich, um Betrug wirksam zu bekämpfen?

24. Wie viele Amtshilfeersuchen im Bereich der Umsatzsteuer wurden aus an-
deren Mitgliedstaaten der Europäischen Union an deutsche Finanzbehörden
in den Jahren von 2010 bis 2013 gestellt, und wie lang war die durchschnitt-
liche Bearbeitungsdauer dieser Amtshilfeersuchen (bitte pro Kalenderjahr
angeben)?
Wie viele dieser Amtshilfeersuchen wurden erst nach mehr als drei Mona-
ten beantwortet?

25. Wie viele Amtshilfeersuchen im Bereich der Umsatzsteuer stellten deutsche
Finanzbehörden an andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union in den
Jahren von 2010 bis 2013, und wie lang war die durchschnittliche Bearbei-
tungsdauer dieser Amtshilfeersuchen?
Wie viele dieser Amtshilfeersuchen wurden erst nach mehr als drei Mona-
ten beantwortet (bitte die Fragen pro Mitgliedsland der Europäischen Union
und Kalenderjahr angeben)?

Umsatzsteuerbetrugsbekämpfung auf Ebene der Europäischen Union
26. Hält die Bundesregierung Berechnungen für die Europäische Kommission

für plausibel, nach denen die Mehrwertsteuerlücke im Jahr 2011 in der Eu-
ropäischen Union insgesamt etwa 193 Mrd. Euro und in der Bundesrepublik
Deutschland etwa 27 Mrd. Euro betragen haben soll (CPB Netherlands
Bureau for Economic Policy Analysis 2013: Study to quantify an analyse
the VAT Gap in the EU-27 Member States), und falls nein, welche Annah-
men hält die Bundesregierung für plausibel?

Drucksache 18/427 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
27. Wie beurteilt die Bundesregierung den bürokratischen Aufwand der aktuel-
len Praxis einer selektiven und in den Mitgliedstaaten unterschiedlichen
Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens?

28. Unterstützt die Bundesregierung die Initiative der Landesregierung von
Nordrhein-Westfalen, in der Europäischen Union einen Systemwechsel bei
der Umsatzsteuer hin zu einer allgemeinen Reverse-Charge-Regelung zu
vereinbaren (www. spiegel.de/wirtschaft/soziales/walter-borjans-nrw-
finanzminister-ueber-umsatzsteuerbetrug-a-914951.html)?
Wenn nein, wie begründet die Bundesregierung ihre Haltung?
Wenn ja, setzt sich die Bundesregierung im Ministerrat und im Europä-
ischen Rat aktiv für einen Systemwechsel ein, und wie beurteilt die Bundes-
regierung die Chancen dieser Initiative?

29. Wie oft stand das Thema Umsatzsteuerbetrug in den Jahren von 2009 bis
2013 im Rat für Wirtschaft und Finanzen (EcoFin) der Europäischen Union
und im Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs auf der Tages-
ordnung (bitte Datum und Inhalt der Tagesordnung angeben)?

30. Inwiefern unterstützt die Bundesregierung die Pläne der Europäischen
Kommission zur Einführung einer einheitlichen Mehrwertsteuererklärung
in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union?

31. Welche Maßnahmen sind nach Meinung der Bundesregierung geeignet, um
Umsatzsteuerbetrug in der Europäischen Union effizient zu bekämpfen?

Berlin, den 31. Januar 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.