BT-Drucksache 18/3277

Ökologischen Hochwasserschutz länderübergreifend sicherstellen und sozial verankern

Vom 25. November 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3277
18. Wahlperiode 25.11.2014
Antrag
der Abgeordneten Ralph Lenkert, Caren Lay, Jan Korte, Dr. Dietmar Bartsch,
Herbert Behrens, Karin Binder, Heidrun Bluhm, Eva Bulling-Schröter, Roland
Claus, Susanna Karawanskij, Kerstin Kassner, Katja Kipping, Katrin Kunert,
Sabine Leidig, Ralph Lenkert, Michael Leutert, Dr. Gesine Lötzsch, Thomas Lutze,
Thomas Nord, Dr. Petra Sitte, Kersten Steinke, Dr. Kirsten Tackmann, Frank
Tempel, Harald Weinberg, Birgit Wöllert, Jörn Wunderlich, Hubertus Zdebel und
der Fraktion DIE LINKE.

Ökologischen Hochwasserschutz länderübergreifend sicherstellen
und sozial verankern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Hochwasserereignisse treten periodisch auf. Die negativen Auswirkungen dieser Er-
eignisse für den Menschen haben sich durch verschiedene Ursachen verschärft:
durch die Besiedelung und intensive Landbewirtschaftung an Flüssen und Bächen,
den Ausbau von Gewässern und nicht zuletzt durch den Klimawandel. Gemeinsam
mit der örtlichen Bevölkerung müssen Lösungen gefunden werden, die Hochwas-
serschäden auf ein Minimum zu beschränken.
Das von Bund und Ländern erarbeitete Nationale Hochwasserschutzprogramm ent-
hält viele wichtige und richtige Maßnahmen. Allerdings bietet ein Maßnahmenkata-
log allein keine dauerhafte Lösung für die Hochwasserproblematik. Allein bei der
Relation der ausgewählten prioritären Maßnahmen von 29 Deichrückverlegungen
gegenüber 57 gesteuerten Flutungspoldern wird deutlich, dass der technische Hoch-
wasserschutz noch immer die Nase vorn hat. Deshalb braucht es ein Gesamtkonzept
Nachhaltiger Hochwasserschutz, das den Gewässern mehr Raum gibt. Das Gesamt-
konzept muss dabei grundlegende Vorgaben wie ein Landnutzungsmanagement, das
das gesamte Fließgewässereinzugsgebiet umfasst, einheitliche Hochwasserwarnstu-
fen und eine gerechte Erhebung von Wassernutzungsentgelten beinhalten. Die kon-
kreten Maßnahmen werden aus diesem Konzept abgeleitet.
Auf der Konferenz der Umweltministerinnen und Umweltminister vom 22. bis 24.
Oktober 2014 in Heidelberg wurde zudem ausdrücklich auf die Einrichtung eines
Sonderrahmenplans „Präventiver Hochwasserschutz“ hingewiesen, der zunächst für
eine Laufzeit von zehn Jahren eine dem Bedarf angemessene finanzielle Ausstattung
erfahre. Das Gesamtkonzept Nachhaltiger Hochwasserschutz stellt hierbei die
Grundlage des Sonderrahmenplans dar.
Hochwasserschutz muss unter Beteiligung aller Akteurinnen und Akteure länder-
übergreifend und konsequent ökologisch und sozial vorangetrieben werden.

Drucksache 18/3277 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, in enger Zusammen-

arbeit mit den Ländern:

1. als Grundlage des Sonderrahmenplans „Präventiver Hochwasserschutz“ ein Ge-
samtkonzept Nachhaltiger Hochwasserschutz zu entwickeln,
a) das ein Flächennutzungsmanagement für Fließgewässer und Gewässerein-

zugsgebiete beinhaltet, welches den Fließgewässern durch zum Beispiel
Deichrückverlegung und naturnahe Gewässerrandstreifen mehr Raum gibt
und für den Verbleib von Wasser in der Fläche sorgt. Dabei werden die
§§ 76 und 78 des Wasserhaushaltsgesetzes (festgesetzte Überschwem-
mungsgebiete und besondere Schutzvorschriften für diese Gebiete) konse-
quent umgesetzt. Zudem ist auf angemessene Entschädigungszahlungen für
Eigentümerinnen und Eigentümer sowie Pächterinnen und Pächter der be-
treffenden Flächen zu achten,

b) das zwischen der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft-Wasser (LAWA) und
der Länderarbeitsgemeinschaft Naturschutz (LANA) erarbeitet wird, wel-
che dabei regionale und internationale Gremien ausführlich informieren und
beteiligen,

c) das auf regionaler Ebene auf Einzelmaßnahmen übertragen wird, die in ei-
nem transparenten Dialog den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort vorgestellt
werden. Diesem Prozess müssen sowohl überparteiliche Moderatorinnen
und Moderatoren zur Verfügung stehen, als auch eine aktive Beteiligung
der Bürgerinnen und Bürger bei den geplanten Maßnahmen möglich sein,
und

d) in dem Maßnahmen zur Akzeptanzförderung frühzeitig eingeplant werden.
Es sind Modelle und Verfahren zu erproben, die zu einem Interessenaus-
gleich zwischen den Regionen führen, die durch Hochwasserrückhaltemaß-
nahmen „Flächeneinbußen“ erfahren und den Regionen, die durch die
Hochwasserrückhaltemaßnahmen ausschließlich profitieren;

2. sich dafür einzusetzen, dass die Anerkennung von Auen, Grünland und Mooren
als ökologische Vorrangflächen nach der EU-Agrarförderung dauerhaft aner-
kannt werden und die ökologische Landwirtschaft weiter zu fördern;

3. die Hochwasserrisikomanagementpläne für die Flusseinzugsgebiete stärker als
bislang auf einen naturnahen Hochwasserrückhalt auszurichten und besser als
bislang mit den Vorgaben der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie (WRRL)
zu verzahnen;

4. unter Beachtung datenschutzrechtlicher Anforderungen bundeseinheitliche
Frühwarn-, Warn- und Meldesysteme für den Hochwasserfall zu verankern und
einen freiwilligen SMS-Warndienst für Bürgerinnen und Bürger, Gewerbetrei-
bende, Unternehmen und Institutionen in hochwassergefährdeten Gebieten bun-
desweit voranzutreiben;

5. auf die Einrichtung landesweiter internetbasierter Plattformen hinzuwirken, die
der Koordination von ehrenamtlichen Hilfskräften im Hochwasserfall dienen;

6. die für die Hochwasserrückhaltung zuständigen Behörden personell und fach-
lich zu stärken. Zusätzlich müssen die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung
(WSV) sowie das neu entstehende Referat Hochwasserschutz im Bundesum-
weltministerium (Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der
Fraktion DIE LINKE. „Nationales Hochwasserschutzprogramm“, Bundestags-
drucksache 18/938) bei der Umsetzung des Gesamtkonzepts Nachhaltiger Hoch-
wasserschutz in enger Abstimmung mit der LAWA und LANA einbezogen wer-
den;

7. sich auf eine bundesweite Einführung eines Wassernutzungsentgeltes innerhalb
der Wassergesetze der Länder zu einigen, welches sämtliche wassernutzende

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/3277

Wirtschaft und Industrie umfasst. Die Höhe des Entgeltes ist, abhängig von der
genutzten Wassermenge und dem Grad der Gewässerbeeinträchtigung, ebenfalls
landesweit festzulegen;

8. die biologische und morphologische Durchgängigkeit stromaufwärts und –ab-
wärts sicherzustellen und weiter voranzutreiben. Dabei sollten bereits beste-
hende Querbauten durchgängig gemacht und beantragte Querbauten ausschließ-
lich mit einer entsprechenden Durchgängigkeit bewilligt werden. Der Rückbau
nicht benötigter Querbauwerke ist zu prüfen;

9. Talsperren vermehrt in den Hochwasserschutz einzubinden (z. B. durch einen
generell niedrigeren Wasserpegel im Staubecken) und Ansätze der länderüber-
greifenden Koordinierung gezielt zu fördern;

10. die Maßnahmen, die aus dem Nationalen Hochwasserprogramm resultieren, re-
gelmäßig zu evaluieren und daraus Rückschlüsse auf die weitere Arbeit zu zie-
hen. Die Ergebnisse sind der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Berlin, den 24. November 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Die Auflistung von Einzelmaßnahmen ist für ein Nationales Hochwasserschutzprogramm nicht ausreichend.
Vielmehr muss es ein bundesweites Gesamtkonzept Nachhaltigeer Hochwasserschutz geben, das die Maßnah-
men in einen festen Rahmen bettet. Ziel muss es sein, die negativen Folgen von Hochwasserereignissen auf ein
Minimum einzudämmen. Das ist nur bei Einbeziehung der gesamten Gewässereinzugsgebiete möglich.

Dass die Fließgewässer mehr Raum benötigen, wurde 2007 am Oberrhein nachgewiesen. Bei einem der größten
Hochwasser, die bis dato am Oberrhein registriert waren, wurden unterhalb der letzten Staustufe bei Iffezheim
auf französischer und deutscher Rheinseite etwa 2000 Hektar frei flutbares Rückhaltevolumen überschwemmt.
Am unterhalb gelegenen Pegel Maxau (bei Karlsruhe) konnte eine Scheitelminderung (Hochwasserscheitel:
höchster Wasserstand während eines Hochwassers) von 460 m³/s (Wasserabfluss oder Volumenstrom: Was-
servolumen (m3), das in einer bestimmten Zeit (s) eine vollständige Querschnittsfläche passiert) verzeichnet
werden. Im Vergleich lässt sich bei dem geplanten Polder Bellenkopf-Rappenwört südlich von Karlsruhe bei
einem gesteuerten Einstau auf 540 Hektar nur eine Scheitelminderung von 90 m3/s realisieren (Emil Dister,
Alfons Henrichfreise (2009): „Veränderungen des Wasserhaushalts und Konsequenzen für den Naturschutz“,
Natur und Landschaft, 1/2009, S. 26 ff.). Durch eine hydraulische Modellierung der Deichrückverlegung
(DRV) Lenzen an der unteren Mittelelbe durch die Bundesanstalt für Gewässerkunde wurde für den Hochwas-
serscheitelwert im Juni 2013 eine Absenkung von bis zu 49 cm am oberstromigen Rand der DRV ermittelt
werden (Niedersächsisches Umweltministerium zum Positionspapier „Flussauen zurückgewinnen – natürli-
chen Wasserrückhalt verbessern!“ verschiedener Umweltverbände, 15.08.2014).

Im Hochwasserschutz braucht es bundesweit einheitliche Vorgaben, da Hochwasserereignisse nicht nur über
Ländergrenzen hinweg auftreten, sondern sich auch auf die unterschiedlichsten Bereiche wie Wirtschaft, Ver-
kehr, Landwirtschaft, Wohnen und Umwelt auswirken. Ein übergreifendes Konzept und daran angepasste Län-
derregelungen befördern durch einheitliche Vorgaben die Sicherheit und Planbarkeit in verschiedenen Berei-
chen des öffentlichen Lebens.
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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