BT-Drucksache 18/1815

Lebensversicherungen auf den Prüfstand stellen - Kein Schnellverfahren zu Lasten der Versicherten

Vom 23. Juni 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1815
18. Wahlperiode 23.06.2014

Antrag
der Abgeordneten Susanna Karawanskij, Matthias W. Birkwald, Dr. Axel
Troost, Klaus Ernst, Caren Lay, Jutta Krellmann, Thomas Lutze, Thomas
Nord, Richard Pitterle, Michael Schlecht, Dr. Sahra Wagenknecht, Birgit
Wöllert und der Fraktion DIE LINKE.

Lebensversicherungen auf den Prüfstand stellen – Kein Schnellverfahren
zu Lasten der Versicherten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Zeit für die parlamentarische Beratung und Umsetzung des von der Bundesre-
gierung vorgelegten Lebensversicherungsreformgesetzes (LVRG, „Entwurf eines
Gesetzes zur Absicherung stabiler und fairer Leistungen für Lebensversicherte“,
einschließlich zwei Verordnungen) ist viel zu kurz angesetzt. Das Zeitfenster von
der Einbringung des Gesetzes bis zur Beschlussfassung reicht nicht aus: Nach einer
öffentlichen Anhörung am 30. Juni 2014 wird der Entwurf bereits zwei Tage später
durch den Finanzausschuss gewunken und soll am 4. Juli 2014 im Bundestag ver-
abschiedet werden. Zudem sollen nach der Verabschiedung des Gesetzes im Bun-
desrat am 11. Juli 2014 bereits am Tag nach der Verkündung wesentliche Teile in
Kraft treten.

Mit dem Gesetzentwurf beansprucht die Bundesregierung, die Risikotragfähigkeit
der Lebensversicherer und die Stellung der Versicherungsnehmerinnen und
-nehmer gleichermaßen zu stärken. Insgesamt ist die Regelungsmaterie sehr kom-
plex. Ob der Gesetzentwurf dem Ausgleich der teilweise widerstreitenden Interes-
sen zwischen Versicherungsunternehmen und Versicherungsnehmerinnen und
-nehmern, einschließlich jener, deren Lebensversicherungspolicen in Kürze fällig
werden, tatsächlich gerecht wird, bedarf der sorgfältigen Abwägung.

Nach Angaben des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft
(GDV) sind 62 Millionen Versicherungsverträge von dem Gesetzentwurf betroffen.
Bislang fehlt es jedoch an belastbarem Zahlenmaterial zur Abbildung der geplanten
Neuregelungen in Dimension und Maßstab zueinander, es fehlt an ökonomischer
Quantifizierung des Finanzvolumens der betroffenen Verträge und an verlässlichen
Aussagen zu den Auswirkungen für die Versicherten. Auf den Prüfstand gehören
ebenso die Entwicklung der Ertrags- und Finanzstärke von Unternehmen der Le-
bens- und Rentenversicherungsbranche, einschließlich der Höhe und Verteilung
der Bewertungsreserven sowie die Höhe der jeweiligen Überschüsse, die gesamte
Überschussermittlung und -verteilung.

Von Seiten der Bundesregierung wird der dringende Handlungsbedarf mit der zu
stärkenden Risikotragfähigkeit der Lebensversicherer begründet und sich auf eine

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Analyse aus dem Finanzstabilitätsbericht der Bundesbank 2013 berufen (S. 78 f.).
Auch der Ausschuss für Finanzstabilität kommt in seinem ersten „Bericht an den
Deutschen Bundestag zur Finanzstabilität in Deutschland“ vom Juni 2014 zu der
gleichen Schlussfolgerung (S. 16): Unter der Annahme eines lang anhaltenden
Niedrigzinsniveaus für die gesamte kommende Dekade (bis 2023) stehen mehr als
ein Drittel der Lebensversicherungsunternehmen, mit einem Marktanteil von rund
43 Prozent, vor Problemen, die Eigenmittelanforderungen zu erfüllen. Dabei kam
der Ausschuss für Finanzstabilität gleichsam zu der Einschätzung, „dass die mögli-
chen Belastungen des gegenwärtigen Niedrigzinsumfelds mit Blick auf die Finanz-
stabilität noch tragbar erschienen“ (ebd., S. 15).

Ein anderes Bild zeigt eine detaillierte Untersuchung von über 60 Lebensversiche-
rern, die ÖKO-TEST durchgeführt hat. Demnach verzeichnet die Branche der Le-
bensversicherungsunternehmen insgesamt trotz Niedrigzinsphase solide, teilweise
sogar gestiegene Erträge und ist weit von einer Krisensituation entfernt („Auf Kos-
ten der Kunden“, ÖKO-TEST 2/2014).

Ohne umfassende und belastbare Zahlen zu den genannten Gesichtspunkten, die in
dem kurzen Zeitfenster bis zur geplanten Verabschiedung des Gesetzentwurfs nicht
zur Verfügung stehen werden, ist nicht sachgerecht abzuwägen, ob die Ziele und
der Anspruch des Gesetzentwurfs mit den geforderten Maßnahmen zu erreichen
sind.

Die erhebliche Bedeutung des Gesetzesvorhabens insbesondere im Rahmen der
privaten Altersvorsorge verlangt eine eingehende und sachgerechte Prüfung der
einzelnen Gesetzesregelungen und die Abschätzung ihrer Folgen. Versicherungs-
nehmerinnen und -nehmer, die auf kapitalgedeckte Lebens- und Rentenversiche-
rungen als Baustein ihrer Altersvorsorge vertraut und hierin investiert haben, dro-
hen hinsichtlich der Wahrnehmung ihrer Verbraucher(informations)rechte und der
Klärung etwaiger Ansprüche aus den Policen, vor allem was die Beteiligung an
Bewertungsreserven und weiteren Überschüssen betrifft, übergangen zu werden,
sollte es bei der engen Frist bleiben.

Bei einem Inkrafttreten von Teilen des Gesetzes bereits im Juli 2014 bleibt für
Versicherungsnehmerinnen und -nehmer mehrheitlich keine Zeit zu prüfen, ob sie
ihre Police nach der geltenden Rechtslage vorzeitig kündigen sollen oder ob es
günstiger ist, den Vertrag laufen zu lassen. Dieser großen Verunsicherung der Ver-
sicherten über den weiteren Umgang mit ihren kapitalgedeckten Lebens- und Ren-
tenversicherungen muss dringend abgeholfen werden.

II. Der Deutsche Bundestag wird sich ausreichend Zeit für die Beratung des Le-
bensversicherungsreformgesetzes nehmen.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. zeitnah belastbare Zahlen zu den Einzelaspekten der Reformvorschläge zu
kapitalgebundenen Lebens- und Rentenversicherungen vorzulegen, um ei-
ne sachgerechte Prüfung und Abwägung zu gewährleisten und zur Verbes-
serung von Transparenz und Planungssicherheit für die Versicherungs-
nehmerinnen und -nehmer beizutragen;

2. sicherzustellen, dass Versicherungsnehmerinnen und -nehmer von der gel-
tenden Rechtslage Gebrauch machen und eine vorzeitige Kündigung ihrer

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1815

bestehenden Lebensversicherung unter Abwägung der Vor- und Nachteile
eingehend prüfen können.

Berlin, den 23. Juni 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Der Ausschuss für Agrarpolitik und Verbraucherschutz des Bundesrates hat in seiner Stellungnahme für den
Bundesrat vom 11.6.2014 zum Verfahren unter Punkt 6 hervorgehoben, dass er keine hinreichende Rechtfer-
tigung dafür sieht, einen Gesetzentwurf in einem derart beschleunigten Verfahren voranzutreiben. Ingesamt
lehnte er den Gesetzentwurf ab.

Ähnlich hatte sich der Justizminister des Landes Brandenburg, Dr. Helmuth Markov, geäußert. Die „absurd
kurze Beratungsfrist“ stelle eine „Brüskierung“ von Landespolitikerinnen und -politikern und Verbraucher-
schützerinnen und -schützern dar. Die „Kunden verdienen ein gründliches Gesetz“, so Markov.

Zur Einschätzung der Eilbedürftigkeit des Gesetzesvorhabens sei zudem grundsätzlich auf die Stellungnahme
des Nationalen Normenkontrollrates vom 28.5.2014 verwiesen. Hierin heißt es: „Das BMF hat dem Nationa-
len Normenkontrollrat (NKR) das Regelungsvorhaben am 27. Mai 2014 mit einer Frist zur Stellungnahme
von nicht einmal zwei Werktagen übersandt. Dies ist ein grober Verstoß gegen die Vorgaben der Gemeinsa-
men Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO), die in der Regel eine vierwöchige Frist vorsieht. […]
Der NKR ist nicht bereit, derartige Einschränkungen seines Prüfauftrags und Verstöße gegen die Prinzipien
der besseren Rechtssetzung hinzunehmen. Daher fordert er das BMF auf, die Frist zu verlängern, um dem
Bundeskabinett einen sorgfältig ausgearbeiteten Entwurf vorzulegen und so eine verlässliche Grundlage für
die politischen Entscheidungsträger zu schaffen.“

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