BT-Drucksache 18/1483

Zukunft der Hebammen und Entbindungspfleger sichern - Finanzielle Sicherheit und ein neues Berufsbild schaffen

Vom 21. Mai 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1483
18. Wahlperiode 21.05.2014

Antrag
der Abgeordneten Cornelia Möhring, Birgit Wöllert, Sabine Zimmermann
(Zwickau), Matthias W. Birkwald, Diana Golze, Dr. Rosemarie Hein, Inge
Höger, Sigrid Hupach, Katja Kipping, Katrin Kunert, Harald Petzold
(Havelland), Kersten Steinke, Azize Tank, Kathrin Vogler, Harald Weinberg,
Katrin Werner, Jörn Wunderlich, Pia Zimmermann und der Fraktion
DIE LINKE.

Zukunft der Hebammen und Entbindungspfleger sichern –
Finanzielle Sicherheit und ein neues Berufsbild schaffen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Hebammen und Entbindungspfleger begleiten werdende Mütter und Wöchnerinnen
vor, während und nach der Geburt. Sie ermöglichen Geburten zuhause, in Kliniken
oder in Geburtshäusern. Damit stellen sie die Wahlmöglichkeit der Mütter sicher.
Durch niedrige Verdienste und rapide steigende Berufshaftpflichtprämien für die in
der Geburtshilfe Tätigen üben immer weniger freiberufliche Hebammen bzw. Ent-
bindungspfleger ihren Beruf aus. In vielen Regionen stehen Frauen laut Studie des
IGES-Institutes Alternativen zur Klinikgeburt gar nicht mehr zur Verfügung. Ins-
gesamt ist ein ganzer Berufsstand qualifizierter und hochmotivierter Hebammen
und Entbindungspfleger existenziell gefährdet.

Freiberufliche Hebammen und Entbindungspfleger können die (verpflichtende)
Berufshaftpflichtversicherung für die Tätigkeit in der Geburtshilfe häufig nicht
mehr bezahlen. Denn die Höhe der Haftpflichtprämien ist sehr stark gestiegen und
der Versicherungsmarkt funktioniert nicht mehr. Im Jahr 1998 betrugen die Prä-
mien im Gruppentarif 394 Euro im Jahr, 2014 werden sie auf 5 090 Euro im Jahr
und 2016 auf über 6 000 Euro im Jahr klettern.

Aufgrund der niedrigen Honorare der Hebammen und Entbindungspfleger ist auch
die Vor- und Nachsorge von Wöchnerinnen nicht mehr überall gesichert. Die Folge
ist eine Mangelversorgung der Frauen und Neugeborenen bei der aufsuchenden
Wochenbettbetreuung. Dabei ist der Bedarf daran gestiegen. Die Verweildauer der
Frauen nach der Geburt hat sich deutlich verringert. Ein Grund ist im Abrech-
nungssystem für die Krankenhäuser zu suchen, das Anreize für frühe Entlassungen
setzt. Die Hebamme bzw. der Entbindungspfleger übernimmt die medizinische und
psychosoziale Nachbetreuung von Mutter und Kind.

Die Bundesregierungen und der Gesetzgeber haben seit Jahren versäumt, die Zu-
kunft des Berufsstandes auf ein solides Fundament zu stellen. Eine kurzfristige
Lösung der Haftpflichtproblematik, aber auch eine langfristige Umorientierung ist

Drucksache 18/1483 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

dringend nötig. Hebammen leisten wie alle Gesundheitsberufe einen wichtigen
gesellschaftlichen Beitrag. Sowohl risikoreiche als auch risikoärmere Tätigkeiten
sind für die Gesunderhaltung der Bevölkerung gleichermaßen wichtig. Es bietet
sich daher an, einen gemeinsamen Haftungsfonds einzurichten. Ein solcher, zum
Beispiel durch das Bundesversicherungsamt (BVA) verwalteter, Fonds würde die
Durchsetzung von Entschädigungen erleichtern, da keine Versicherungsgesell-
schaft mit ihren kommerziellen Interessen beteiligt wäre.

Neben einer Lösung der Haftpflichtproblematik ist eine zeitgemäße Ausgestaltung
von Hebammenleistungen erforderlich. Hebammen sind die am besten geeigneten
Fachkräfte für die Betreuung von Frauen in Schwangerschaft, Geburt und Wo-
chenbett. Das belegten zahlreiche wissenschaftliche Studien, z. B. 2013 die Unter-
suchung der Cochrane Pregnacy and Childbirth Group, bei der insgesamt 13 Studi-
en mit 16 242 Schwangeren aus Australien, Kanada, Großbritannien und Irland
ausgewertet worden waren. Die Studie belegt einen großen Nutzen für Mütter und
Babies (sowohl bei hohen, als auch bei niedrigen Schwangerschafts- und
Geburtrisiken) durch kontinuierliche hebammengeleitete Betreuung und Vorsorge,
z. B. eine Reduktion von Epiduralanästhesien, Zangen- oder Saugglockengeburten.
Nachteilige Effekte im Vergleich zu Modellen der ärztegeleiteten Vorsorge sowie
der gemeinsamen Vorsorge konnten nicht festgestellt werden. Die Chancen der
Frauen auf eine spontane vaginale Geburt stiegen der Studie zufolge deutlich an,
wenn sie während der Geburt von einer Hebamme betreut wurden, die sie vorher
kennengelernt hatten.

Hebammentätigkeit sollte mit der Schwangerschaft beginnen und frühestens am
Ende der Stillzeit enden. Hebammen können erste Ansprechpartnerinnen für
Schwangere sein, wie das Beispiel der Niederlande zeigt. Hebammen üben einen
aufsuchenden Medizinalberuf mit einem niederschwelligen Zugang zu den Frauen
aus. Sie sind Bündnispartnerinnen der Frauen. Im Mittelpunkt ihres Handels steht
die Salutogenese, also Gesundheitsförderung. Doch bei den Präventionsbestrebun-
gen und Finanzierungsmitteln der gesetzlichen Krankenkassen für Gesundheitsför-
derung sind bisher die Hebammen und Entbindungspfleger nicht ausreichend be-
rücksichtigt.

Dieses Verständnis eines neuen Berufsbildes sollte sich auch in der Vergütung
niederschlagen. Dem entgegen steht der Trend im Gesundheitssystem, alle Leis-
tungen nach Minuten zu takten und pauschal zu vergüten, um Kosten zu sparen.
Ziel wären Leistungsbeschreibungen, z. B. für eine Eins–zu-eins-Betreuung wäh-
rend der Geburt, was nachweislich Komplikationen verringert. Frauen profitieren
davon, wenn sie während Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett kontinuierlich
durch Hebammen betreut werden.

Die Versorgung mit Hebammenleistungen gehört zur Grundversorgung der Bevöl-
kerung – wie die Versorgung mit Hausärztinnen und Hausärzten. Sie muss wohn-
ortnah erfolgen, z. B. auch über integrierte Lösungen (Versorgungszentren,
Hebammenstützpunkte, poliklinische Strukturen und Kooperationen). Die Bedarfs-
planung soll wissenschaftlich fundiert und kleinräumig erfolgen und sich konse-
quent an der Gewährleistung einer optimalen gesundheitlichen Versorgung der
Bevölkerung ausrichten.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. zügig Maßnahmen zur sofortigen Senkung der Versicherungsprämien für die
Haftpflichtversicherungen der Hebammen und Entbindungspfleger auf den
Weg zu bringen. Zu prüfen sind die Einrichtung eines steuerfinanzierten Haf-
tungsfonds, der über eine fallbezogene Haftungsobergrenze von 3 Mio. Euro
hinausgehende Schäden absichert, sowie die Begrenzung der Regressforderun-

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1483

gen durch die Sozialversicherungsträger. Eine besondere Regelung für Heb-
ammen ist geboten, da die Tätigkeit der Hebammen gesamtgesellschaftlichen
Zielsetzungen und Aufgaben dient. Daneben ist zu gewährleisten, dass die
Verpflichtung gemäß § 134a Absatz 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch
(SGB V) Kostensteigerungen bei der Vergütung der Hebammen zu berück-
sichtigen, eingehalten wird. Ebenso sind Regelungen zu treffen, die unter-
schiedliche Geburtenzahlen für die Hebammen und Entbindungspfleger besser
berücksichtigen;

2. eine Neuordnung der Berufshaftpflicht vorzunehmen, in die alle Berufsgrup-
pen einbezogen werden, die als Leistungserbringerinnen und Leistungserbrin-
ger im SGB V erfasst werden. Dazu ist zeitnah ein Gesetzentwurf zur Schaf-
fung eines gemeinsamen Haftungsfonds für Behandlungsfehler vorzulegen.
Dadurch wird eine kollektive Haftung aller Leistungserbringerinnen und Leis-
tungserbringer gegenüber den Patientinnen und Patienten durch eine größere
Zahl der im Haftungsfonds erfassten Personen ermöglicht. Damit durch den
Risikoausgleich zwischen den einzelnen Berufen Berufsgruppen, die geringe
Einnahmen haben, nicht zusätzlich belastet werden, sind risikoadjustierte bzw.
risikoäquivalente Deckungsbeiträge zu prüfen. Ebenso zu prüfen sind eine ein-
kommensabhängige Gestaltung der Beiträge sowie Modelle, die eine Prämien-
absenkung bei längerer Zeit ohne Behandlungsfehler und Prämienanhebungen
bei überdurchschnittlicher Häufung von Fehlern bewirken. Der Fonds könnte
beim Bundesversicherungsamt finanzmathematisch kalkuliert und verwaltet
werden;

3. einen Gesetzentwurf zur Neudefinition der Hebammenleistungen im SGB V
vorzulegen, der die Hebammen als erste Ansprechpartnerinnen für Frauen in
Schwangerschaft, Geburt und Mutterschaft benennt und weitergehende Leis-
tungen unter Berücksichtigung gesundheitsfördernder und psychosozialer Leis-
tungen ermöglicht. Die Vergütung durch die Krankenkassen ist auf dieser ge-
änderten Grundlage neu zu bemessen. Dabei ist zur Sicherstellung der
Hebammentätigkeit vom Grundsatz der Beitragssatzstabilität nach § 71 SGB V
abzuweichen. Die wirtschaftlichen Bedarfe der Hebammen und Entbindungs-
pfleger sind zu berücksichtigen;

4. einen Gesetzentwurf vorzulegen, um Maßnahmen zur Gewährleistung einer
Eins-zu-eins-Betreuung gesetzlich zu verankern, z. B. durch entsprechende
Leitlinien, um die Qualität der Geburtshilfe in Deutschland sicherzustellen;

5. einen Runden Tisch aller Akteurinnen und Akteure zur Förderung der physio-
logischen Geburt einzurichten, unter Federführung des Bundesgesundheitsmi-
nisteriums, um die Gesundheit und Unversehrtheit von Mutter und Kind zu
schützen. Hebammen und Entbindungspfleger ist dabei als Erstversorgerinnen
und Erstversorgern für Mütter und Kinder eine Schlüsselrolle zuzuweisen;

6. einen Gesetzentwurf vorzulegen, der eine alle Bereiche der gesundheitlichen
Versorgung umfassende Bedarfsplanung gewährleistet und damit auch eine
wohnortnahe Versorgung mit Hebammenleistungen sichert.

Berlin, den 21. Mai 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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