BT-Drucksache 18/1387

Aussetzung der Beteiligung der Versicherten an den Bewertungsreserven - Maßnahmen zur Stärkung der Risikotragfähigkeit und Stabilität der Lebensversicherungen

Vom 7. Mai 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1387
18. Wahlperiode 07.05.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Dr. Thomas Gambke, Britta Haßelmann,
Lisa Paus, Kerstin Andreae, Sven-Christian Kindler, Beate Müller-Gemmeke und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Aussetzung der Beteiligung der Versicherten an den Bewertungsreserven –
Maßnahmen zur Stärkung der Risikotragfähigkeit und Stabilität der
Lebensversicherungen

Ausweislich des Koalitionsvertrages (S. 45) beabsichtigen die Koalitionsfrak-
tionen der CDU, CSU und SPD, „Lösungsvorschläge zum Umgang mit den
Folgen eines lang anhaltenden Niedrigzinsumfeldes [zu] erarbeiten und genera-
tionengerecht im Interesse der Versichertengemeinschaft geeignete Maßnahmen
zur Stärkung der Risikotragfähigkeit und Stabilität der Lebensversicherungen
[zu] treffen“.
Anfang März 2014 kündigte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundes-
ministerium der Finanzen, Dr. Michael Meister, die Kürzung der hälftigen Betei-
ligung ausscheidender Versicherter an den Bewertungsreserven von Lebensver-
sicherern an. Laut Medienberichten solle ein Gesetzespaket neben der Kürzung
der Beteiligung von Versicherten an den Bewertungsreserven weitere Maßnah-
men, etwa eine Absenkung des Garantiezinses, eine Deckelung der Vermittler-
provisionen, eine höhere Beteiligung der Versicherten an den Risikoüberschüs-
sen und Dividendenausschüttungsverbote umfassen (vgl. Süddeutsche Zeitung
vom 12. März 2014, S. 25).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Ergebnisse hat die Bundesregierung bei ihrer Prüfung der Not-

wendigkeit und Geeignetheit von Maßnahmen zur Stärkung der Risikotrag-
fähigkeit und Stabilität der Lebensversicherungen mittlerweile erzielt (vgl.
die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Steffen Kampeter vom
19. März 2014 auf die Mündliche Frage 28 der Abgeordneten Susanna
Karawanskij, Plenarprotokoll 18/22, S. 1736), und wann wird die Bundes-
regierung einen diesbezüglichen Gesetzentwurf vorlegen?

2. Welche Bundesministerien sind an der Er- und Bearbeitung eines solchen
Gesetzentwurfs beteiligt, und hat die diesbezügliche ressortübergreifende
Abstimmung bereits stattgefunden?

Drucksache 18/1387 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
3. Beabsichtigt die Bundesregierung eine Neuregelung der Beteiligung der
Versicherten an den Bewertungsreserven entsprechend § 56a Absatz 3 des
Versicherungsaufsichtsgesetzes – Entwurf (VAG-E) in der Fassung des
SEPA-Begleitgesetzes (Bundestagsdrucksache 17/11395, S. 4), sprich, dass
für Bewertungsreserven auf festverzinsliche Wertpapiere in Höhe eines so-
genannten Sicherungsbedarfs eine Ausschüttungssperre gilt, d. h. im Ergeb-
nis künftig nur darüber hinausgehende derartige Bewertungsreserven an
Versicherungsnehmer ausgezahlt werden?
Falls nicht, in welcher Form beabsichtigt die Bundesregierung dann eine
Neuregelung der Beteiligung der Versicherten an den Bewertungsreserven?

4. Beabsichtigt die Bundesregierung, das Inkrafttreten einer gesetzlichen
Änderung der Beteiligung ausscheidender Versicherter an den Bewertungs-
reserven an den Tag des Kabinettsbeschlusses zu knüpfen?

5. Welche Maßnahmen betreffend die Überschussbeteiligung der Versicherten
(insbesondere betreffend die Risikoüberschüsse), die Ausschüttung von
Dividenden an Investoren und die Abschluss- und Verwaltungskosten von
Versicherern beabsichtigt die Bundesregierung wie umzusetzen?

6. Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass in Anbetracht der Tatsache, dass
die Niedrigzinsphase die asymmetrische Beteiligung an den Bewertungs-
reserven deutlich macht und gleichzeitig dazu führt, dass die an Brutto-
beiträgen ausgerichteten Provisionen einen viel größeren Anteil der Rendite
der Versicherten abschöpfen, auch bei den Abschluss- und Vertriebskosten
Konsequenzen aus der Niedrigzinsphase gezogen werden?

7. Wie stellt die Bundesregierung vor dem Hintergrund, dass das Versprechen
der Versicherer, einen gewissen Garantiezins zu zahlen, weder vertraglich
noch gesetzlich an Markt- oder Leitzinsen geknüpft ist, sicher, dass die für
die Zinsversprechen Verantwortlichen (Management und Eigentümer) zur
Verantwortung gezogen werden, falls ihre Unternehmen die abgegebenen
Versprechen nicht mehr einhalten können?

8. Können ausscheidende Versicherte derzeit die Höhe ihrer Überschuss-
beteiligung (ggf. unter Zuhilfenahme eines sachverständigen Dritten) nach-
vollziehen und überprüfen?

9. Falls nicht, welchen gesetzgeberischen Handlungsbedarf sieht die Bundes-
regierung, um die bestehende Intransparenz hinsichtlich der Überschussbe-
teiligung inklusive der Beteiligung an den Bewertungsreserven zu beenden
vor dem Hintergrund, dass die letzte Bundesregierung einräumte, dass das
vorhandene Recht keine vollständige Transparenz herstellt (vgl. Antwort
der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN, Bundestagsdrucksache 17/9327, S. 2)?

10. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus der Rechtsauffassung, wonach die Ende des Jahres 2012 vom Deutschen
Bundestag beschlossene Neuregelung des § 56a VAG-E im Falle ihres In-
krafttretens verfassungswidrig gewesen wäre, weil sie hinter den Vorgaben
des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich einer verursachungsgerechten
Beteiligung der Kunden an den mit ihren Prämien geschaffenen Vermögens-
werten zurückfalle (www.test.de vom 19. März 2013 „Lebensversicherung:
Versicherer wollen Leistungen kappen“)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1387
11. Ist der damaligen Großen Koalition zwischen CDU, CSU und SPD im Jahr
2008 bei der Einführung der Bewertungsreservenbeteiligung ein Fehler in-
soweit unterlaufen, als dass die Regelung nur die stillen Reserven auf der
Aktivseite der Marktwertbilanz berücksichtigt, aber nicht die stillen Lasten
auf der Passivseite (sog. Sicherungsbedarf), angesichts der Tatsache, dass
nach Auffassung der Fragesteller die Risiken der Regelung in einem Nied-
rigzinsumfeld doch im Gesetzgebungsverfahren bekannt waren?

12. Wäre es de lege lata zulässig, dass ein Versicherungsunternehmen im Rah-
men einer individuellen Überschussbeteiligungsregelung mit Versiche-
rungsnehmern vereinbart, dass diese bei Vertragsende nur an bestimmten
Bewertungsreserven (beispielsweise alle, außer die auf festverzinsliche
Wertpapiere) beteiligt werden (vgl. die Formulierung in § 153 Absatz 2 des
Versicherungsvertragsgesetzes – VVG – „andere vergleichbare angemes-
sene Verteilungsgrundsätze können vereinbart werden“)?

13. Im Fall, dass es Versicherungsunternehmen künftig möglich sein sollte, Be-
wertungsreserven auf festverzinsliche Papiere auf der Aktivseite mit stillen
Lasten auf der Passivseite verrechnen zu können, sollten Unternehmen dann
nicht verpflichtet werden, volle Transparenz über die stillen Lasten zu
geben?
Falls nicht, wie kann sichergestellt werden, dass Versicherungsnehmer
rechtssicher nachvollziehen können, ob stille Lasten die stillen Reserven
überschreiten?

14. Sollten sich mündige Verbraucherinnen und Verbraucher vor der Entschei-
dung, sich im Rahmen eines Versicherungsvertrages über Jahrzehnte an ein
Versicherungsunternehmen zu binden, nach Ansicht der Bundesregierung
auch über die finanzielle Solidität eines Lebensversicherungsunternehmens
informieren können?
Falls nicht, warum nicht?

15. Setzt eine aufgeklärte Entscheidung mündiger Verbraucherinnen und Ver-
braucher nach Ansicht der Bundesregierung auch die volle Transparenz
über alle stille Reserven und stille Lasten der Unternehmen voraus?
Falls nicht, warum nicht?

16. Handelt es sich nach Kenntnis der Bundesregierung bzw. der Bundesanstalt
für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) bei den deutschen Lebensver-
sicherungsunternehmen (43 Prozent Marktanteil), die laut Finanzstabilitäts-
bericht der Deutschen Bundesbank (2013) bis zum Jahr 2023 in einem ver-
schärften Stressszenario mit lang anhaltendem Niedrigzinsumfeld die regu-
latorischen Eigenmittelanforderungen von Solvency I nicht mehr erfüllen
können, um diejenigen, die besonders hohe Bewertungsreserven auf der
Aktivseite der Marktwertbilanz haben?

17. In welchem Maße können eine Neuregelung der Bewertungsreservenbetei-
ligung und Ausschüttungssperren an Eigentümer nach Auffassung der Bun-
desregierung bzw. der BaFin zur Entschärfung dieses Problems beitragen?

18. Wenn nach den Kriterien der Deutschen Bundesbank bei Beibehaltung der
bisherigen Regelung zur Bewertungsreservenbeteiligung mehr als ein Drit-
tel der Unternehmen (43 Prozent Marktanteil) die Eigenmittelanforderung
nicht mehr erfüllen könnte, wie viel Prozent der Unternehmen wären gemäß
den Bundesbankkriterien nach Kenntnis der Bundesregierung bzw. der
BaFin nach einer Neuregelung der Bewertungsreservenbeteiligung noch
betroffen?

Drucksache 18/1387 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
19. In welchem Umfang ergreifen nach Kenntnis der Bundesregierung bzw.
der BaFin die in der Frage 18 genannten Unternehmen (die, deren Marktan-
teil 43 Prozent beträgt) neben der Bildung der Zinszusatzreserve weitere
Maßnahmen, um die Eigenmittelanforderungen zu erfüllen?

20. Sind diese Maßnahmen und eine Neuregelung der Bewertungsreserven-
beteiligung nach Auffassung der Bundesregierung bzw. der BaFin in der
Zusammenschau ausreichend, damit die in der Frage 18 genannten Unter-
nehmen (die, deren Marktanteil 43 Prozent beträgt) den dort genannten
Stresstest der Deutschen Bundesbank bestehen?

21. In welchem Maße (bitte in Prozent) diente eine Neuregelung der Bewer-
tungsreservenbeteiligung nach Kenntnis der Bundesregierung bzw. der
BaFin der Auffüllung der fehlenden regulatorischen Eigenmittelanforde-
rungen im oben genannten Stressszenario, und in welchem Maße (bitte in
Prozent der Eigenkapitallücke bei Anwendung des adversen Szenarios an-
geben) dienten dem sonstige Maßnahmen der Unternehmen?

22. Welcher Anteil der in der Frage 18 genannten Unternehmen (die, deren
Marktanteil 43 Prozent beträgt) hat nach Kenntnis der Bundesregierung
bzw. der BaFin in den letzten beiden Jahren Ausschüttungen an seine Eigen-
tümer vorgenommen?

23. Wird die Bundesregierung den in der Frage 18 genannten Unternehmen
(die, deren Marktanteil 43 Prozent beträgt) Ausschüttungen an ihre Eigen-
tümer untersagen, solange sie den dort genannten Stresstest nicht bestehen?
Falls nicht, warum nicht?

24. Hält die Bundesregierung in der gegenwärtigen Finanzmarktsituation eine
Nutzung des Sicherungsfonds „Protektor“ für problematisch, und wenn ja,
warum?

25. Ist „Protektor“ nach Kenntnis der Bundesregierung bzw. der BaFin auch für
den Fall einer Schieflage eines der größten Lebensversicherer oder mehrerer
mittelgroßer Lebensversicherer in der Lage, seine Aufgabe als Sicherungs-
einrichtung zu erfüllen?

26. Wenn nein, hat die Bundesregierung alternative Notfallpläne für solche
Fälle vorgesehen, oder plant sie eine Verbesserung der Sicherungsstruktur
für Lebensversicherungsunternehmen?

27. Gibt es vor dem Hintergrund des § 89 des Versicherungsaufsichtsgesetzes
(VAG), wonach Kundinnen und Kunden bei einer ernsthaften Schieflage ei-
nes Unternehmens auf Teile ihrer Ersparnisse verzichten müssten, einklag-
bare Regeln, dass der Kunden-Bail-In auf eine bestimmte Höhe der
Kundenguthaben limitiert ist?

28. Wie wird gewährleistet, dass, bevor Kunden im Rahmen von § 89 VAG auf
ihre Ansprüche verzichten müssen, zunächst alle Anteilseigner komplett auf
ihre Ansprüche verzichten müssen?

29. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung bzw. die BaFin über Aus-
wirkungen kurzfristiger Kapitalanlagen in Lebensversicherungen auf das
Versichertenkollektiv?

30. Welcher Anteil deutscher Lebensversicherungsunternehmen hat nach
Kenntnis der Bundesregierung bzw. der BaFin in den letzten beiden Jahren
das Neukundengeschäft gegen Einmalbeitrag zu einer laufenden Verzinsung
über der durchschnittlichen Rendite von Neuanlagen in die Bilanz genom-
men?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/1387
31. Kämen die durch die von der Bundesregierung beabsichtigte Neuregelung
der Bewertungsreservenbeteiligung einbehaltenen Mittel ausschließlich
dem Versichertenkollektiv zugute, vor dem Hintergrund der Zunahme des
Geschäfts gegen Einmalbeitrag und angesichts der Tatsache, dass mit den
einbehaltenen Mitteln das Neukundengeschäft subventioniert und Zins-
arbitrage betrieben werden kann?

32. Wie ist sichergestellt, dass die durch eine Neuregelung der Bewertungs-
reservenbeteiligung bei den Bewertungsreserven einbehaltenen Mittel aus-
schließlich dem Versichertenkollektiv zugute kommen und nicht zur Zah-
lung von Dividenden, Managervergütungen oder Aufbau von Kostenstruk-
turen genutzt werden?

33. Wie hoch wäre nach Kenntnis der Bundesregierung bzw. der BaFin die
durchschnittliche laufende Verzinsung in den letzten zehn Jahren, wenn es
kein Einmalgeschäft gegeben hätte, bzw. wie hoch wäre die Differenz zu
den tatsächlichen Zahlen?

34. Worin bestanden die „extra Sicherheitsmaßnahmen“, welche die BaFin ge-
genüber Unternehmen im Zusammenhang mit dem Einmalgeschäft anord-
nete (vgl. die Äußerung von Exekutivdirektor Felix Hufeld www.welt.de/
finanzen/article127318418/Die-Ungerechtigkeit-schreit-foermlich-zum-
Himmel.html)?

35. Hat die Bundesregierung überprüft, ob diese „extra Sicherungsmaßnah-
men“ wirksam umgesetzt wurden?

36. Ist aus Sicht der Bundesregierung die Schaffung gesetzlicher Vorkehrungen
betreffend des Geschäftes gegen Einmalbeiträge angezeigt, um zu verhin-
dern, dass Zinsarbitrage durch Einzelne zulasten des Versichertenkollektivs
betrieben werden kann?

37. Wären aus Sicht der Bundesregierung Vereinbarungen zwischen Versiche-
rungsunternehmen und Versicherungsnehmern hinsichtlich kapitalmarkt-
induzierter Stornoabschläge, die als Erlös dem Versichertenkollektiv zu-
flössen, geeignet, die mit dem kurzfristigen Abzug von Einmalbeiträgen
verbundenen Nachteile auszugleichen (vgl. Schwintowski in: Versiche-
rungsrecht 2010, S. 1126 ff.)?

38. Unter welchen Voraussetzungen dürfen Lebensversicherungsunternehmen
mittels Funktionsausgliederungsverträgen die Betreuung ihres Bestandes
auf eigenständige Unternehmen übertragen?

39. Wie stellt die BaFin in diesen Fällen sicher, dass die durch Funktions-
ausgliederungsverträge erreichten Effizienzreserven den Versicherten im
Sinne der hälftigen Beteiligung an den Kostenüberschüssen zugute kom-
men?

Berlin, den 6. Mai 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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