BT-Drucksache 18/12801

Schnelle Hilfe für die in Russland verfolgten Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transpersonen und Intersexuellen (LGBTI)

Vom 21. Juni 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/12801
18. Wahlperiode 21.06.2017
Antrag
der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Claudia
Roth (Augsburg), Luise Amtsberg, Annalena Baerbock, Dr. Franziska
Brantner, Agnieszka Brugger, Kai Gehring, Uwe Kekeritz, Tom Koenigs,
Dr. Tobias Lindner, Omid Nouripour, Cem Özdemir, Manuel Sarrazin,
Dr. Frithjof Schmidt, Jürgen Trittin, Doris Wagner und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Schnelle Hilfe für die in Russland verfolgten Lesben, Schwulen, Bisexuellen,
Transpersonen und Intersexuellen (LGBTI)

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

In der russischen Teilrepublik Tschetschenien werden homosexuelle Männer und Per-
sonen, denen eine homosexuelle Orientierung unterstellt wird, systematisch von Si-
cherheitskräften entführt, gefoltert und getötet. Zahlreiche russische und internationale
Menschenrechtsorganisationen berichten übereinstimmend von diesen Verbrechen.
Mehr als 100 Personen wurden demnach im Rahmen einer koordinierten Kampagne
entführt und an mehreren Orten eingesperrt. Sie wurden gefoltert und mindestens drei
Personen ermordet. Es gibt Hinweise darauf, dass die tatsächliche Zahl der Ermordeten
höher liegt. Mindestens sechs Haftanstalten, in denen Menschen festgehalten werden,
sind bislang bekannt geworden. Die Betroffenen und ihre Angehörigen haben in Russ-
land de facto keine Möglichkeit, ihre Rechte gegenüber den staatlichen Stellen durch-
zusetzen. Zwei Journalistinnen der russischen Zeitung „Nowaja Gaseta“ sind, nach-
dem sie mit ihrer mutigen Berichterstattung die Vorgänge aufdeckten, in Russland
nicht mehr sicher und werden öffentlich massiv bedroht.
Diese jüngste Gewaltwelle reiht sich ein in eine lange Liste schwerster Menschen-
rechtsverletzungen, die von staatlichen Stellen in der russischen Teilrepublik Tschet-
schenien begangen wurden. Mit Billigung der russischen Regierung hat das von Prä-
sident Putin eingesetzte Oberhaupt der Republik, Ramsan Kadyrow, ein auf Terror und
Angst gegründetes Willkürregime errichtet. Verfolgung, Einschüchterung bis hin zu
Todesdrohungen, staatliche Gewalt und das Verschwindenlassen von Menschen sind
an der Tagesordnung. Neben LGBTI sind davon insbesondere auch Oppositionelle,
Journalistinnen und Journalisten sowie Menschenrechtsverteidigerinnen und -vertei-
diger betroffen. Auf die jüngsten Berichte reagierten die tschetschenischen Behörden
mit Leugnung, Belustigung, Diffamierung und offenen Drohungen gegen Homosexu-
elle.

Drucksache 18/12801 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Die russische Regierung trägt für die Sicherheit und körperliche Unversehrtheit der
russischen Bürgerinnen und Bürger – und damit für das Geschehen in Tschetschenien
– eine direkte Verantwortung. Russland, dessen Teilrepublik Tschetschenien ist, hat
sich in zahlreichen internationalen Dokumenten, darunter die Europäische Menschen-
rechtskonvention und die Charta von Paris, aus freien Stücken zum Schutz der Men-
schenrechte bekannt. Statt diesen zur Geltung zu verhelfen, duldet die russische Re-
gierung nicht nur die Verbrechen in Tschetschenien, sondern sie befördert seit Jahren
die systematische Ausgrenzung von LGBTI.
Homophobie ist zu einem Teil der staatlichen Politik in ihrem anti-westlichen Kurs
geworden. Führende politische Vertreter – von hochrangigen Regierungsmitgliedern
und Funktionären der Regierungspartei „Einiges Russland“ bis hin zu Duma-Abge-
ordneten der Kommunistischen Partei – bedienen sich regelmäßig diskriminierender
Rhetorik. In den staatlich kontrollierten Medien wird gegen LGBTI gehetzt. Seit 2013
wird die ohnehin eingeschränkte Meinungs- und Versammlungsfreiheit von LGBTI
und ihrer Unterstützerinnen und Unterstützer durch ein Gesetz gegen angebliche „Ho-
mosexuellen-Propaganda“ zusätzlich beschnitten. Das schürt ein Klima der Ausgren-
zung und des Hasses gegenüber LGBTI und allen, die sich für ihre Anliegen einsetzen.
Zuletzt wurden mehrere Personen, die Anfang Mai 2017 anlässlich der Vorgänge in
Tschetschenien für die Rechte von LGBTI demonstrieren wollten, in St. Petersburg
festgenommen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:

– das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge anzuweisen, in den Herkunftslän-
derleitsätzen zur Russischen Föderation sicherzustellen, dass Menschen, die we-
gen ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität in der Russischen Fö-
deration verfolgt und in ihrer körperlichen Unversehrtheit bedroht werden, die
Flüchtlingseigenschaft nach § 3 des Asylgesetzes zuerkannt wird; im Asylverfah-
ren müssen deshalb von Beginn an auf die besondere Schutzbedürftigkeit der Be-
troffenen Rücksicht genommen und sie effektiv vor weiterer Bedrohung und Dis-
kriminierung geschützt werden, etwa durch eine private Unterbringung während
des Asylverfahrens; Anhörungen zu den Asylgründen sind nur von entsprechend
qualifizierten Entscheiderinnen und Entscheidern sowie Dolmetscherinnen und
Dolmetschern vorzunehmen;

– die zuständigen Ministerien und Verwaltungen anzuweisen, Anträge von verfolg-
ten Homosexuellen und Journalistinnen und Journalisten besonders sorgsam und
ohne Verzögerung zu prüfen und eine Aufenthaltsgewährung nach § 22 bzw. § 23
des Aufenthaltsgesetzes zu ermöglichen;

– mittels ihrer Vertretung in der Russischen Föderation die Hilfsaktionen russischer
und tschetschenischer Menschenrechts- und LGBTI-Organisationen für die Ver-
folgten tatkräftig zu unterstützen;

– gegenüber der russischen Regierung die sofortige Freilassung aller festgenomme-
nen Personen zu fordern, solange dies notwendig bleibt;

– in Gesprächen mit der russischen Staatsführung keinen Zweifel daran zu lassen,
dass die fortwährende Verletzung der Menschenrechte in Russland einschließlich
der Teilrepublik Tschetschenien inakzeptabel und unvereinbar mit nationalem
und internationalem Recht ist;

– sich sowohl gegenüber der russischen Staatsführung als auch gegenüber interna-
tionalen Partnerländern dafür einzusetzen, dass die Verantwortlichen für
schwerste Menschenrechtsverletzungen in der russischen Teilrepublik Tschet-
schenien ermittelt und zur Rechenschaft gezogen werden;

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/12801
– alle ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten auszuschöpfen, um die bedroh-

ten Journalistinnen zu schützen und gegenüber der russischen Staatsführung die
Pressefreiheit und das Recht auf freie Meinungsäußerung und Berichterstattung
anzumahnen.

Berlin, den 20. Juni 2017

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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