BT-Drucksache 18/12544

Für den Menschenrechtsschutz in Deutschland - Die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter reformieren und stärken

Vom 30. Mai 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/12544
18. Wahlperiode 30.05.2017
Antrag
der Abgeordneten Tom Koenigs, Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen),
Dr. Franziska Brantner, Agnieszka Brugger, Uwe Kekeritz, Dr. Tobias Lindner,
Omid Nouripour, Cem Özdemir, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin,
Dr. Frithjof Schmidt, Jürgen Trittin, Doris Wagner, Luise Amtsberg, Volker
Beck (Köln), Kai Gehring, Katja Keul, Elisabeth Scharfenberg, Tabea Rößner,
Ulle Schauws und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für den Menschenrechtsschutz in Deutschland ‒ Die Nationale Stelle
zur Verhütung von Folter reformieren und stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

„Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Be-
handlung oder Strafe unterworfen werden.“ So lautet Artikel 5 der Allgemeinen Er-
klärung der Menschenrechte. Das darin beinhaltete Folterverbot ist einer der wichtigs-
ten internationalen Menschenrechtsstandards. Geschützt wird das Folterverbot unter
anderem durch das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter und andere
grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (VN-Antifolter-
konvention) und dessen Zusatzprotokoll (OP-CAT), welches weltweit die Prävention
von Folter und Misshandlung stärken soll.
Mit der Unterzeichnung und Ratifikation des OP-CAT hat sich auch Deutschland zur
Einrichtung eines sogenannten Nationalen Präventionsmechanismus verpflichtet. Da-
her haben sich Bund und Länder auf die Schaffung der Nationalen Stelle zur Verhü-
tung von Folter geeinigt, die ihre Arbeit im Jahr 2009 bzw. 2010 aufgenommen hat.
Deren Aufgaben sind es, regelmäßig Einrichtungen der Freiheitsentziehung als mög-
liche Orte von Folter und Misshandlung aufzusuchen, auf dortige Missstände aufmerk-
sam zu machen und Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten. Darüber hinaus soll die
Nationale Stelle Vorschläge zu bestehenden und im Entwurf befindlichen Rechtsvor-
schriften unterbreiten.
Da die Nationale Stelle eine gemeinsame Einrichtung von Bund und Ländern ist, un-
tergliedert sie sich organisatorisch in Bundesstelle und Länderkommission, denen ins-
gesamt zehn ehrenamtliche Mitglieder (zwei in der Bundesstelle und acht in der Län-
derkommission) angehören. Die Mitglieder werden allein durch die Exekutive be-
stimmt: Die Mitglieder der Bundesstelle werden vom Bundesjustizministerium im
Einvernehmen mit den Bundesministerien des Innern und der Verteidigung, die Län-
derkommission von der Justizministerkonferenz ernannt. Unterstützt wird die Natio-

Drucksache 18/12544 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
nale Stelle von einer hauptamtlichen Geschäftsstelle mit derzeit sieben Mitarbeiterin-
nen und Mitarbeitern, die der Kriminologischen Zentralstelle e. V. (KrimZ) in Wies-
baden angegliedert ist.
Derzeit ist die Nationale Stelle gemäß der Verwaltungsvereinbarung vom 24. Juni
2010 mit einem Budget von jährlich maximal 540.000 Euro ausgestattet. Dieses wird
zu einem Drittel vom Bund und zu zwei Dritteln von den Ländern getragen.
Der knappen personellen und finanziellen Ausstattung der Stelle steht ein breiter Zu-
ständigkeitsbereich gegenüber. Darunter fallen über 13.000 Einrichtungen, darunter
Justizvollzugsanstalten, stationäre Pflegeeinrichtungen, psychiatrische Kliniken und
Abschiebungshafteinrichtungen. Die Nationale Stelle kann aus Kapazitätsmangel al-
lerdings nur einen sehr kleinen Anteil dieser Einrichtungen selbst besuchen (2016 z. B.
führte die Bundesstelle insgesamt 18 Besuche durch, die Länderkommission insgesamt
54 Besuche).
Die Nationale Stelle leistet dennoch einen wichtigen Beitrag zum Menschenrechts-
schutz in Einrichtungen mit freiheitsentziehenden Maßnahmen. Damit sie dieser Auf-
gabe noch besser nachkommen kann, müssen Arbeitsweise, Ausstattung und Organi-
sation der Nationalen Stelle weiter verbessert werden.
Zunächst wäre eine Erhöhung des knapp bemessenen Budgets der Stelle und damit
ihrer Personalstärke notwendig, damit die Nationale Stelle ihre Besuchsfrequenz erhö-
hen und auch stärker inhaltlich tätig werden kann. Dieser Bedarf wird insbesondere im
Bereich der Pflege und Psychiatrie deutlich, der mit über 10.000 Einrichtungen den
Großteil der Zuständigkeiten der Nationalen Stelle darstellt.
Angesichts der Vielzahl an relevanten Einrichtungen wird es der Nationalen Stelle al-
lerdings auch bei erhöhter Personalstärke nicht möglich sein, alle betroffenen Orte re-
gelmäßig zu besuchen. Deshalb sollte sie in Zukunft noch stärker als bisher wech-
selnde thematische oder regionale Schwerpunkte für ihre Arbeit setzen und durch Ad-
hoc-Besuche auf aktuelle Entwicklungen reagieren.
Gleichzeitig könnte die Nationale Stelle ihre Reichweite dadurch erhöhen, dass sie ihre
Arbeit an „best practices“ und differenzierten Standards zur Prävention ausbaut und
entsprechende Einrichtungen bei deren Umsetzung unterstützt. Eine erweiterte Öffent-
lichkeitsarbeit würde der Stelle ebenfalls helfen, ihr Mandat bekannter und damit wirk-
samer zu machen. Eine engere Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft sowie Be-
troffenenverbänden würde einerseits größere gesellschaftliche Sensibilität für ihr
Thema schaffen und andererseits dazu beitragen, dass die Belange der Betroffenen
stärker im Fokus stehen.
Gleichzeitig sollte die Unabhängigkeit der Nationalen Stelle gestärkt werden, indem
transparentere Verfahren zur Auswahl der Mitglieder angewendet werden, bei denen
auch die Zivilgesellschaft eingebunden wird, und indem die Stelle organisatorisch von
der KrimZ abgekoppelt wird. Multidisziplinarität und Diversität sind neben der Fach-
kompetenz wichtige Kriterien, die die personelle Zusammensetzung der Stelle inspi-
rieren sollten. Zudem sollte geprüft werden, ob eine (zeitlich befristete) Hauptamtlich-
keit zumindest eines Teils der Mitglieder anzustreben ist.
Generell stellt sich die Frage, ob der Name der Nationalen Stelle tatsächlich ihren dif-
ferenzierten Aufgaben entspricht. Der VN-Unterausschuss zur Verhütung von Folter
und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe
(SPT) konstatierte 2013, dass die derzeitige Bezeichnung des deutschen Nationalen
Präventionsmechanismus irreführend sei (CAT/OP/DEU/1): Die Reduzierung auf den
Begriff Folter führe verstärkt zu Abwehrreaktionen der besuchten Einrichtungen und
zu kommunikativen Missverständnissen. Die Nationale Stelle sollte daher umbenannt
werden, um zu reflektieren, dass ihre Arbeit ein wichtiger Beitrag zum Schutz der
Menschenrechte in Deutschland ist.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/12544
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter zu stärken, um ihren völkerrechtli-
chen Verpflichtungen aus dem Fakultativprotokoll zum VN-Übereinkommen ge-
gen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung
und Strafe besser nachzukommen;

2. die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter in „Nationale Stelle zum Schutz
der Menschenwürde bei freiheitsentziehenden Maßnahmen (Nationaler Präventi-
onsmechanismus gemäß dem Fakultativprotokoll zum VN-Übereinkommen ge-
gen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung
und Strafe)“ umzubenennen und die Länder aufzufordern, diese Namensänderung
in ihren Gesetzen ebenfalls zu verankern;

3. das jährliche Gesamtbudget der Nationalen Stelle deutlich zu erhöhen;
4. sich für die Trennung der Nationale Stelle von der Kriminologischen Zentralstelle

e. V. einzusetzen;
5. die Mitgliederanzahl der Nationalen Stelle zu verdreifachen, indem die Mitglie-

deranzahl der Bundesstelle auf sechs erhöht und eine Erhöhung der Mitglieder-
anzahl der Länderkommission auf 24 angeregt wird;

6. die Anzahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Geschäftsstelle der Nationa-
len Stelle entsprechend zu verdoppeln;

7. den Auswahlprozess der Mitglieder der Nationalen Stelle dahingehend zu refor-
mieren, dass
a) vor der Ernennung von Mitgliedern der Nationalen Stelle ein öffentlicher

Aufruf zur Benennung geeigneter Kandidatinnen und Kandidaten ergeht;
b) die Auswahl durch einen paritätisch mit staatlichen und nichtstaatlichen

Vertreterinnen und Vertretern besetzten Beirat erfolgt;
c) er den Anforderungen des OP-CAT hinsichtlich Multidisziplinarität (insbe-

sondere nicht nur juristische, sondern auch medizinische, pädagogische und
psychologische Expertise) und Diversität des Nationalen Präventionsmecha-
nismus gerecht wird;

8. sicherzustellen, dass sich die Mitglieder der Nationalen Stelle für ihre Tätigkeit
stetig fort- und weiterbilden können;

9. die Tragfähigkeit des Prinzips der Ehrenamtlichkeit der Mitglieder bis zum Jahr
2020 kritisch zu überprüfen;

10. eine institutionalisierte Zusammenarbeit der Nationalen Stelle mit der Zivilge-
sellschaft zu schaffen und die Öffentlichkeitsarbeit der Nationalen Stelle zu stär-
ken;

11. dafür Sorge zu tragen, dass die Nationale Stelle zukünftig verstärkt im Bereich
Misshandlungsprävention im Bereich der Pflege und Psychiatrie tätig wird und
diese Tätigkeit bei den entsprechenden Einrichtungen, den in diesem Sektor Be-
schäftigten sowie möglichen Betroffenen bekannt wird;

12. zu prüfen, ob eine Zusammenlegung von Bundesstelle und Länderkommission zu
einer einheitlichen Stelle zielführender für die Arbeit der Nationalen Stelle wäre.

Berlin, den 30. Mai 2017

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Drucksache 18/12544 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Begründung

Die Nationale Stelle leistet bereits jetzt einen wichtigen Beitrag zur Prävention von Folter und Misshandlung an
Orten der Freiheitsentziehung. Damit Deutschland seinen Verpflichtungen gemäß dem OP-CAT aber vollum-
fänglich nachkommen kann, sind eine verbesserte Ausstattung und fokussierte Arbeitsweise der Nationalen Stelle
notwendig.
Insbesondere im Bereich der Pflege gibt es einen akuten Nachholbedarf, was den Umfang der Tätigkeiten der
Nationalen Stelle angeht. So zeigt etwa eine aktuelle Studie des Zentrums für Qualität in der Pflege unter Mitar-
beiterinnen und Mitarbeitern von Pflegeheimen und ambulanten Diensten auf, dass jeder Dritte der befragten
Beschäftigten mindestens einmal erlebt hat, wie das Personal über den Willen der Pflegebedürftigen hinweg
gehandelt hat. Die Nationale Stelle muss hier zukünftig noch deutlicher einen Fokus auf die erfolgreiche Präven-
tion von Verletzungen der Menschenwürde setzen.
Über die Beteiligung der Zivilgesellschaft an der Mitgliederauswahl hinaus bedarf es einer institutionalisierten
Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft. In Deutschland gibt es zahlreiche Menschenrechtsorganisationen, aber
auch die Wohlfahrtsverbände und Betroffenenorganisationen verfügen über hohe Kompetenzen und gesellschaft-
lichen Einfluss. Diese sollten in die Arbeit der Nationalen Stelle einfließen können, um gemeinsam zur Verbes-
serung der Menschenrechtssituation in Deutschland beitragen zu können.
Darüber hinaus soll sich die Nationale Stelle an der Vorgehensweise des Europäischen Komitees zur Verhütung
der Folter (CPT) orientieren. Neben einer klaren inhaltlichen Schwerpunktsetzung und daran anschließenden
Besuchen soll die Nationale Stelle mit Hilfe von Ad-hoc-Besuchen auch auf aktuelle Ereignisse reagieren kön-
nen. Beides – sowohl ein klares Besuchskonzept mit temporären Schwerpunkten als auch Ad-hoc-Besuche –
würde die Reichweite der Nationalen Stelle erhöhen.
Für die Realisierung dieser Reformen ist ein entsprechendes Budget der Nationalen Stelle erforderlich. Dieses
muss zunächst mindestens auf 1.620.000 Euro und dann stufenweise alle vier Jahre um weitere 300.000 Euro
erhöht werden.
Im internationalen Vergleich zeigt sich des Weiteren, dass Bundesstaaten wie die Schweiz trotz mehrerer Ebenen
der Staatlichkeit nur eine gemeinsame Einrichtung als Nationalen Präventionsmechanismus eingerichtet haben.
Auch für die Arbeit und Unabhängigkeit der Nationalen Stelle ist die Trennung in Bundesstelle und Länderkom-
mission keineswegs zwingend. Es ist daher zu prüfen, ob eine gemeinsame Einrichtung für Bund und Länder –
wie sie etwa in Form des Deutschen Instituts für Menschenrechte bereits existiert – nicht zielführender, weil
effizienter wäre.
Eine Reform der Nationalen Stelle und damit einhergehend die vollumfängliche Umsetzung des OP-CAT sind
auch für eine erfolgreiche deutsche Menschenrechtspolitik im Ausland wesentlich. Ohne eine Stärkung der in-
nerstaatlichen Menschenrechtsinstitutionen lässt sich diese nur wenig glaubhaft im Ausland vertreten.

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