BT-Drucksache 18/12474

Korruption und Demokratiedefizit in der Palästinensischen Autonomiebehörde

Vom 19. Mai 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/12474
18. Wahlperiode 19.05.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Omid Nouripour, Volker Beck (Köln),
Marieluise Beck (Bremen), Tom Koenigs, Annalena Baerbock,
Dr. Franziska Brantner, Agnieszka Brugger, Uwe Kekeritz, Tom Koenigs,
Dr. Tobias Lindner, Cem Özdemir, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin,
Dr. Frithjof Schmidt, Jürgen Trittin, Doris Wagner und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Korruption und Demokratiedefizit in der Palästinensischen Autonomiebehörde

Seit der Einrichtung der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) als Resultat
der Oslo-Verträge im Jahr 1994 gibt es gegenüber der Behörde Vorwürfe von
Intransparenz, Korruption und gewaltsamem Vorgehen gegen die palästinensi-
sche Opposition. Im Jahr 2014 hielten laut einer Umfrage 81 Prozent aller Paläs-
tinenserinnen und Palästinenser die PA für korrupt (vgl. www.pcpsr.org/en/
node/505). Diese Unzufriedenheit wird häufig von extremistischen politischen
Gruppierungen ausgenutzt. Zudem ist das Mandat der derzeitigen Führung schon
seit vielen Jahren abgelaufen, ohne dass Neuwahlen stattfanden. Der Unmut dar-
über in der Bevölkerung wächst. Darüber hinaus zahlen die PA bzw. die Palästi-
nensische Befreiungsorganisation (PLO) Mittel an die Hinterbliebenen von soge-
nannten Märtyrerinnen und Märtyrern, sowie an Inhaftierte, von denen einige an
terroristischen Akten beteiligt waren (vgl. www.memri.org/reports/memri-
president-yigal-carmons-testimony-house-committee-foreign-affairs-july-6-2016#).
Diese Zuwendungen finden in Form von Jobs, Einmalzahlungen und Hinterblie-
benenrenten statt.
Die Bundesrepublik Deutschland gehört bilateral und als Teil der Europäischen
Union (EU) zu den wichtigsten Geberinnen und Gebern der PA. Dies ist ein wert-
volles Engagement, denn die PA ist die zentrale palästinensische Ansprechpart-
nerin für eine Zwei-Staaten-Lösung, die nach Ansicht der internationalen Ge-
meinschaft den einzigen erkennbaren Weg für ein dauerhaftes, friedliches Zusam-
menleben im Nahen Osten darstellt. Um die Legitimation der PA wieder zu stär-
ken, ist es wichtig, die bestehenden Missstände aufzudecken und offen anzuspre-
chen, damit diese ausgeräumt werden können.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie schätzt die Bundesregierung die politischen Konsequenzen der hohen

Korruptionsperzeption in der Westbank ein?
2. Inwiefern war das Thema Korruption Gegenstand der in der Woche vom

20. März 2017 stattfindenden Gespräche mit PA-Präsident Mahmud Abbas
in Berlin, und welche konkreten Maßnahmen wurden dabei vereinbart?

Drucksache 18/12474 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
3. Inwiefern hängen die sinkenden Zahlungen der Europäischen Union an die
PA nach Kenntnis der Bundesregierung mit den Korruptionsvorwürfen ge-
gen die palästinensischen Partner zusammen (vgl. www.reuters.com/article/
us-palestinians-corruption-chief-idUSKCN0VW1M9)?

4. Auf welche Weise unterstützt die Bundesregierung die Arbeit des Palästi-
nensischen Antikorruptionsbeauftragten Rafiq al-Natsheh?

5. Inwiefern unterstützt die Bundesregierung speziell die von Rafiq al-Natsheh
angesprochenen Bemühungen, veruntreute Gelder der PA aus dem Ausland
zurückzuholen, und welche Kenntnisse liegen ihr über entsprechende Akti-
vitäten anderer EU-Staaten vor (vgl. www.reuters.com/article/us-palestinians-
corruption-chief-idUSKCN0VW1M9)?

6. Um welchen Umfang handelt es sich nach Kenntnis der Bundesregierung bei
den von Rafiq al-Natsheh beklagten Veruntreuungen?

7. Wie schätzt die Bundesregierung die Anfälligkeit des teuren palästinensi-
schen Sicherheitssektors (vgl. www.al-monitor.com/pulse/originals/2016/
12/palestinian-budget-security-cuts-us-congress.html) für Korruption ein?

8. Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um eine Veruntreuung
ihrer Unterstützungszahlungen im Zuständigkeitsbereich der PA zu verhin-
dern?

9. Inwiefern engagiert sich die Bundesregierung im Fall der palästinensischen
Parlamentarierin Najat Abu Bakr, gegen die nach ihren Korruptionsvorwür-
fen gegen den Minister Hussein al-Araj ein Haftbefehl erlassen wurde, und
welche Informationen liegen der Bundesregierung über die konkreten Vor-
würfe gegen Najat Abu Bakr vor (vgl. www.thedailybeast.com/articles/2016/
03/14/palestine-s-anti-corruption-crusader.html)?

10. Inwiefern haben die Firmen Falcon Electro Mechanical Contracting Com-
pany, Sky Advertising Company oder APIC, in denen Söhne des PA-Präsi-
denten eine wichtige Rolle spielen, Aufträge im Rahmen der deutschen Ent-
wicklungszusammenarbeit bekommen, und wenn ja, wie wurde sicherge-
stellt, dass die Vergaben in einem offenen und transparenten Verfahren zu-
stande kamen?

11. Welche Schritte wurden nach Kenntnis der Bundesregierung von der Euro-
päischen Union seit der Vorlage des Rechnungshofberichts über die Verwen-
dung der Unterstützungsmittel für die Palästinensische Autonomiebehörde
unternommen, um die darin genannten Missstände, besonders hinsichtlich
der Bezahlung von Personal im Gazastreifen, zu unterbinden?

12. Wie schätzt die Bundesregierung die negativen Konsequenzen der Spaltung
der palästinensischen Gebiete in Westbank und Gazastreifen im Zusammen-
hang mit Korruption, wie zum Beispiel die parteiabhängige Monopolisierung
hoher Ämter, ein, und welche Bemühungen unternimmt sie, um zu einem
Ende dieser Trennung beizutragen?

13. Wie beurteilt die Bundesregierung vor dem Hintergrund von Berichten über
eine vollständige Abhängigkeit von Richterinnen und Richter von der Will-
kür der PA-Führung (vgl. „Abbas the politician spoils it for Abbas the
statesman“, HAARETZ vom 4. Dezember 2016) die Unabhängigkeit der pa-
lästinensischen Justiz, und welche Bemühungen unternimmt sie bilateral
oder gemeinsam mit ihren EU-Partnern zur Stärkung der Unabhängigkeit der
palästinensischen Justiz?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/12474

14. Wie beurteilt die Bundesregierung die Auswirkungen des Urteils des obers-

ten palästinensischen Gerichts, demzufolge der Präsident der PA die Immu-
nität von Mitgliedern des gesetzgebenden Rats aufheben kann (vgl. „Abbas
the politician spoils it for Abbas the statesman“, HAARETZ vom 4. Dezem-
ber 2016), für die demokratische Verfasstheit der PA, und welche Bemühun-
gen unternimmt sie bilateral oder gemeinsam mit ihren EU-Partnern zur Stär-
kung der palästinensischen Demokratie?

15. Welche Schritte haben Saudi-Arabien, Ägypten, Jordanien und die Vereinig-
ten Arabischen Emirate nach Kenntnis der Bundesregierung gegenüber der
derzeitigen Führung der PA unternommen, um Mohammed Dahlan, der der-
zeit aus den palästinensischen Gebieten verbannt ist, wieder Zutritt zu ge-
währen (vgl. „Die Rache des Enterbten“, NZZ vom 21. November 2016)?

16. Inwiefern hat die Bundesregierung eigene Erkenntnisse über die Korrupti-
onsvorwürfe gegen Muhammed Dahlan (vgl. www.al-monitor.com/pulse/
afp/2016/12/palestinians-politics-court-dahlan.html)?

17. Wie beurteilt die Bundesregierung die Rechtsstaatlichkeit dieses Verfah-
rens?

18. Wie trägt die Bundesregierung in ihren Beziehungen zur PA dem Umstand
Rechnung, dass Organisationen für Bürgerbeteiligung wie CIVICUS, die den
öffentlichen Raum für Zivilgesellschaft weltweit beobachten, davon ausge-
hen, dass dieser in den palästinensischen Autonomiegebieten derzeit als un-
terdrückt („repressed“) einzustufen ist (Stufe 4 von 5)?

19. Inwiefern hat die Bundesregierung eigene Erkenntnisse darüber, wie viele
Menschen in der Westbank derzeit wegen Kritik an der Führung der PA
inhaftiert sind, zum Beispiel auf Grundlage von Vorwürfen übler Nachrede
oder Beleidigung von Autoritäten (vgl. Bericht von Human Rights Watch
„Palestine: Crackdown on Journalists, Activists“, August 2016), und welche
Bemühungen unternimmt sie bilateral oder gemeinsam mit ihren EU-Part-
nern zur Stärkung der Meinungsfreiheit in den palästinensischen Gebieten?

20. Inwiefern hat die Bundesregierung eigene Erkenntnisse über die Einhaltung
der im Jahr 2014 von der PA unterzeichneten Antifolterkonvention in den
palästinensischen Gebieten, und welche Maßnahmen führt sie durch bzw.
unterstützt sie, um deren Einhaltung sicherzustellen?

21. Aus welchen Gründen wurden nach Einschätzung der Bundesregierung die
Kommunalwahlen in den palästinensischen Gebieten ausgesetzt, und inwie-
fern drängt die Bundesregierung ihre palästinensischen Gesprächspartnerin-
nen und Gesprächspartner darauf, diese in absehbarer Zeit durchzuführen?

22. Welche Erkenntnisse – Quellen der Zahlungen, Höhe der Zahlungen, Admi-
nistration der Zahlungen – (www.rbb-online.de/kontraste/archiv/kontraste-
25-08-2016/wie-die-palaestinensische-regierung-moerder-und-deren-familien-
unterstuetzt.html, www.memri.org/report/en/0/0/0/0/0/0/9305.htm#) hat die
Bundesregierung über die Zahlung von sogenannten Märtyrerinnen- und
Märtyrerrenten durch die PA bzw. die PLO an die Hinterbliebenen palästi-
nensischer Terroristinnen und Terroristen, bzw. an inhaftierte palästinensi-
sche Terroristinnen und Terroristen, und mit welchem konkreten Ergebnis
hat die Bundesregierung als einer der größten Geber diesen Missstand bei
ihren Gesprächen mit dem palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas in
Berlin angesprochen?

23. Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um künftige Märtyrerin-
nen- und Märtyrerrentenzahlungen aus dem Staatshaushalt der PA zu unter-
binden (vgl. www.memri.org/reports/memri-president-yigal-carmons-testimony-
house-committee-foreign-affairs-july-6-2016)?

Drucksache 18/12474 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

24. Wie beurteilt die Bundesregierung die demokratische Legitimität der ver-

schiedenen quasistaatlichen Machtstellen der PA angesichts der Tatsache,
dass seit 2006 keine Wahl mehr stattgefunden hat?

25. Wie entwickelt sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Zahl der Chris-
tinnen und Christen in den palästinensischen Gebieten im Verhältnis zu den
Muslimen, und worauf ist diese Entwicklung zurückzuführen?

26. Wie beurteilt die Bundesregierung die politischen Betätigungsmöglichkeiten
für politisch Aktive jenseits von Hamas oder PLO?

Berlin, den 28. März 2017

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.