BT-Drucksache 18/11788

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung - Drucksachen 18/10936, 18/11290, 18/11472 Nr. 1.4, 18/11775 - Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Novellierung von Finanzmarktvorschriften auf Grund europäischer Rechtsakte (Zweites Finanzmarktnovellierungsgesetz - 2. FiMaNoG)

Vom 29. März 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/11788

18. Wahlperiode 29.03.2017

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Susanna Karawanskij, Klaus Ernst, Karin Binder, Jutta
Krellmann, Thomas Lutze, Thomas Nord, Richard Pitterle, Michael Schlecht,
Dr. Petra Sitte, Dr. Axel Troost und der Fraktion DIE LINKE.

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung

– Drucksachen 18/10936, 18/11290, 18/11472 Nr. 1.4, 18/11775 –

Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Novellierung von Finanzmarktvorschriften

auf Grund europäischer Rechtsakte
(Zweites Finanzmarktnovellierungsgesetz – 2. FiMaNoG)

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Qualität der Anlageberatung in Deutschland ist schlecht. Den Nachweis dafür hat
die Stiftung Warentest anhand von drei Tests in den Jahren 2009, 2010 und 2016 er-
bracht. Insbesondere die Ergebnisse aus dem jüngsten Test sind alarmierend: Sie zei-
gen, dass Anlageempfehlungen durch Beraterinnen und Berater in Banken und Spar-
kassen den Interessen der Kundinnen und Kunden systematisch zuwiderlaufen. Die
„groben Beratungsfehler“ im Test seien demnach nur selten auf das Unvermögen der
Beraterinnen und Berater, sondern in erster Linie auf die provisionsorientierten Ver-
kaufsvorgaben der Institute zurückzuführen. „Obwohl der Kundenstatus und die Risi-
koeinstufung des Kunden fast durchweg gut gelang, führte das nicht automatisch zu
passenden Produktvorschlägen“, so die Stiftung Warentest (Finanztest, Heft 2/2016,
S. 32). Eine Auswertung von Verbraucherzentralen im Rahmen des Projekts Finanz-
marktwächter aus dem Jahr 2015 bestätigt diese Ergebnisse: In 45 Prozent von insge-
samt 3.500 untersuchten Fällen von bereits umgesetzten Anlagegeschäften passten die
Empfehlungen von Banken und Finanzanlagenvermittlern nicht zum Bedarf des zu
beratenden Kunden.

Der Verlust, den Bürgerinnen und Bürger pro Jahr wegen Falsch- und Fehlberatung
beim Abschluss von Geldanlagen und Versicherungen erleiden, liegt nach unterschied-
lichen Schätzungen bei 30 bis 98 Mrd. Euro. Hier geht es nicht um strafbaren Betrug,
sondern um das tagtägliche Geschäft von Banken, Versicherungen, Fondsgesellschaf-
ten und den entsprechenden Vertriebsstrukturen mit überteuerten, intransparenten,
teils unseriösen und riskanten Anlageprodukten. Der Schaden ist immens und wiegt
umso schlimmer, weil oftmals für die Altersvorsorge bestimmtes Geld verloren geht.

Drucksache 18/11788 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Mit dem Gesetzentwurf versäumt die Bundesregierung, Kernprobleme in der Anlage-
beratung wirksam anzugehen. Bestehende Mängel werden nicht beseitigt. So wird
nach wie vor verhindert, dass bereits vor der Beratung – und nicht erst vor der Emp-
fehlung – offen dargelegt werden muss, welche Provision oder Marge fließt. Verbrau-
cherinnen und Verbrauchern wird es so verunmöglicht zu erkennen, ob und wenn ja,
welcher Fehlanreiz durch den Beratenden bzw. Vermittelnden möglicherweise gege-
ben ist. Die in der Praxis vorherrschende Vermischung von Beratung und Vertrieb wird
somit weiter aufrechterhalten. Insgesamt ist stark zu bezweifeln, dass die klaren Vor-
gaben der Zweiten Finanzmarktrichtlinie, die auf einen verbesserten Anlegerschutz
abzielen, durch die im Gesetzentwurf vorgeschlagenen Maßnahmen erreicht werden.
Die für diese Schieflagen maßgeblichen Faktoren sind:

1. Bei den Regelungen zur Offenlegungspflicht von Vertriebsanreizen, wie z. B.
Provisionen, werden nicht alle Formen von Vertriebsanreizen erfasst. Die Regu-
lierung ist aktuell auf Zuwendungen von Dritten – d. h. Provisionen im klassi-
schen Sinne – verengt. Damit werden zum Beispiel Vertriebsanreize in Form von
hausinternen Vertriebsmargen nicht erfasst. De facto wird damit ein Umgehungs-
tatbestand geschaffen, d. h. Anbieterinnen und Anbietern wird es ermöglicht,
Vertriebsanreize in Form von Margen innerhalb von Festpreisgeschäften nicht
offenzulegen. Verbraucherinnen und Verbraucher haben das Nachsehen, insofern
sie nicht einschätzen können, ob und inwieweit Beraterinnen und Berater auch
Eigeninteressen verfolgen bzw. ihnen das Finanzinstrument empfohlen wird, das
den für die Beraterin oder den Berater höchsten Vertriebsgewinn abwirft. Ebenso
wenig ist den Verbraucherinnen und Verbrauchern angesichts dessen ein hinrei-
chender Kostenvergleich mit einer direkt zu vergütenden unabhängigen Bera-
tung/Honorarberatung möglich.

2. Das Gesetz sieht nur eine Legaldefinition der unabhängigen Beratung als (unab-
hängige) Honorar-Anlageberatung vor. Die Bezeichnung stellt den kostenpflich-
tigen Charakter der Beratung in den Mittelpunkt. Dem gegenüber kann die eben-
falls kostenpflichtige, aber nicht unabhängige Provisionsberatung ihre Bezeich-
nung in der Praxis frei wählen. Das führt zu einer doppelten Benachteiligung der
unabhängigen Beratung. Des Weiteren ist vielen Kundinnen und Kunden vor Be-
ginn einer Beratung nicht klar, ob die Beratung unabhängig oder auf Provisions-
basis erfolgt. Hier gilt es, Klarheit zu schaffen.

3. Die neue Geeignetheitserklärung, die das Beratungsprotokoll ablöst, ist wie auch
die vorgesehene Telefondokumentation manipulationsanfällig. Sie wird einseitig
von den Beraterinnen und Beratern erstellt und es ist nicht sichergestellt, dass die
Angaben der Kundin bzw. des Kunden und der Beratungsverlauf richtig wieder-
gegeben werden. Sie stellt keine zivilrechtliche Haftungsgrundlage dar.

4. Die Aufsicht und Kontrolle, ob Vorschriften der Anlageberatung eingehalten
werden, sind zweigeteilt und damit uneinheitlich. Unabhängige Finanzanlagever-
mittler werden nicht durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht
(BaFin) nach dem Kreditwesengesetz (KWG), dem Wertpapierhandelsgesetz
(WpHG) oder dem Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG), sondern durch die Ge-
werbeämter (nach der Gewerbeordnung) beaufsichtigt.

5. Gegenwärtig muss ein Privathaushalt durchschnittlich ca. 30 Jahre auf eine be-
zahlbare Finanzberatung durch eine unabhängige Verbraucherzentrale warten,
weil die Unterstützung unabhängiger Beratungsstellen unzureichend ist. Sach-
kundige Finanzberatung wahrzunehmen, darf aber keine Frage des eigenen Geld-
beutels sein.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/11788

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf vorzulegen, um

1. alle Vertriebsanreize von der Offenlegungspflicht des § 70 Wertpapierhandelsge-
setz-Entwurf (WpHG-E) zu erfassen, indem § 70 WpHG-E nicht nur „Zuwen-
dungen von Dritten“, also insbesondere die klassischen Provisionen, umfasst,
sondern auch auf Vertriebsanreize wie hausinterne Vertriebsmargen im Rahmen
von Festpreisgeschäften ausgeweitet wird. Mittelfristig ist die Provisionsberatung
durch eine unabhängige, verbraucherorientierte und kostengünstige Finanzbera-
tung zu ersetzen;

2. zusätzlich zur „unabhängigen“ Anlageberatung die „nichtunabhängige“, provisi-
onsbasierte Anlageberatung in § 64 Absatz 1 Nr. 1 WpHG-E legal zu definieren
und dabei die (unabhängige) Honorar-Anlageberatung aus Gründen eines fairen
Wettbewerbs in „unabhängige Anlageberatung“ umzubenennen sowie eine Stan-
dardinformation für Verbraucherinnen und Verbraucher zu entwickeln, um vor
Beginn einer Beratung sicherzustellen, dass die Vor- und Nachteile der beiden
Beratungsformen wettbewerbsneutral dargestellt werden und die Verbraucherin-
nen und Verbraucher wissen, mit welcher Art von Beratung sie es im Folgenden
zu tun haben. Grundsätzlich sind sämtliche gesetzliche Anpassungen immer in
der Hinsicht vorzunehmen, dass die unabhängige Anlageberatung stets so ge-
stärkt wird, dass sie tatsächlich auf Augenhöhe mit der abhängigen Beratung um
die Kundinnen und Kunden konkurrieren kann;

3. eine nicht manipulierbare Beratungsdokumentation zu gewährleisten, die ge-
meinsam mit der Kundin bzw. dem Kunden unmittelbar nach der Beratung zu
erstellen und daraufhin unmittelbar diesen auszuhändigen ist und die sofort und
jederzeit von der Kundin bzw. dem Kunden auf Richtigkeit überprüft werden
kann, sowie die Beratungsdokumentation durch klare Vorgaben zu standardisie-
ren, um die Haftung der Bank oder Sparkasse zu verbessern;

4. ein Aufsichtsgefälle zu verhindern und alle Finanzanlagenvermittler der einheit-
lichen Beaufsichtigung durch die BaFin zu unterstellen und

5. eine flächendeckende, verbraucherorientierte, unabhängige Finanz- und Anlage-
beratung auf breiter Basis zu verankern und insbesondere die Verbraucherzentra-
len mit ihren Beratungsangeboten und ihrer Tippgeberfunktion für einkommens-
schwache Menschen neben Schuldnerberatungsstellen und der öffentlichen
Rechtsberatung zum Kapital- und Anlegerschutzrecht weiter zu stärken. Für den
Ausbau der flächendeckenden Finanzberatung bei den Verbraucherzentralen be-
darf es einer mehrjährigen Anschubfinanzierung durch den Bund. Mittelfristig
sollen alle Unternehmen der Finanzbranche für diese Kosten nach dem Verursa-
cherprinzip aufkommen.

Berlin, den 28. März 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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