BT-Drucksache 18/11015

Deutsches Engagement im Bereich der Sicherheitssektorreform

Vom 23. Januar 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/11015
18. Wahlperiode 23.01.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Doris Wagner, Omid Nouripour, Agnieszka Brugger,
Dr. Tobias Lindner, Uwe Kekeritz, Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen),
Dr. Franziska Brantner, Tom Koenigs, Cem Özdemir, Claudia Roth (Augsburg),
Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Jürgen Trittin, Dr. Konstantin von Notz und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Deutsches Engagement im Bereich der Sicherheitssektorreform

Mit der gemeinsamen Mitteilung an das Europäische Parlament und den Rat „Ele-
mente eines EU-weiten Strategierahmens zur Unterstützung der Reform des Si-
cherheitssektors“ vom Juli 2016 hat die Kommission der Europäischen Union
(EU) einen erneuten Versuch unternommen, einen bisher bestehenden Flicken-
teppich an bi- und multilateralen Programmen, Initiativen und Instrumenten in
einen gemeinsamen Rahmen zu fassen. Ziel ist es, dass bestehende Maßnahmen
aus den Bereichen Sicherheit und Verteidigung, Außenpolitik, Entwicklungspo-
litik und „Freiheit, Sicherheit und Justiz“ zusammengeführt und unter dem Be-
griff Sicherheitssektorreform (SSR) besser koordiniert und aufeinander abge-
stimmt werden.
Die EU hat bereits im Jahr 2005 bzw. 2006 zwei Konzepte für SSR-Maßnahmen
entwickelt, die sich eng an den Leitlinien des Entwicklungsausschusses (Deve-
lopment Assistance Commitee – DAC) der Organisation für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung (OECD) zum Konzept der Sicherheitssektorre-
form orientieren. Gemessen an den in den Dokumenten gesteckten Zielen sind
die Aktivitäten, Maßnahmen und Missionen der EU allerdings häufig deutlich
hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Selten wurde ein wirklich umfassen-
der Ansatz verfolgt und auch die Koordination zwischen den Mitgliedstaaten
untereinander und mit der EU ist weiterhin verbesserungswürdig. Darüber hin-
aus wird regelmäßig auf ein zunehmendes Ungleichgewicht zwischen verschie-
denen Aspekten der Sicherheitssektorreform verwiesen. Während auch der neue
EU-weite Strategierahmen wie viele vorherige Konzeptpapiere betont, dass der
Sicherheitssektor „einer wirksamen demokratischen Kontrolle und Aufsicht un-
terliegen“ muss, kommen Beobachter zu dem Schluss, dass in der Praxis die
„Ertüchtigung“ von Sicherheitskräften dominiert und die Verbesserung von de-
mokratischen bzw. zivilen Kontrollmechanismen als Programmziel vernachläs-
sigt wird (vgl. S. Eckhard „Zwischen Ertüchtigung und Wertewandel“ von No-
vember 2014 oder U. Schröder „Die Europäische Union und Sicherheitssektor-
reform“ von Januar 2013).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Maßnahmen unterstützt die Bundesregierung im Bereich der Sicher-

heitssektorreform (bitte nach Ressorts aufschlüsseln)?

Drucksache 18/11015 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
2. Beabsichtigt die Bundesregierung, ihre bi- und multilateralen Programme
mit Bezug zu Sicherheitssektorreformen in den im Juli 2016 von der EU vor-
gelegten Referenzrahmen (JOIN(2016) 31 final) einzupassen?
a) Welche Programme wurden bereits angemeldet (bitte auflisten)?
b) Bei welchen Programmen ist noch geplant, diese in den Referenzrahmen

der EU einzupassen (bitte auflisten)?
c) Bei welchen Programmen ist derzeit nicht geplant, diese in den Referenz-

rahmen der EU einzupassen, und warum nicht (bitte auflisten und einzeln
begründen)?

3. Welche der durch Deutschland derzeit und seit 2005 unterstützten bi- und
multilateralen Programme mit Bezug zu Sicherheitssektorreformen haben
bzw. hatten nach Ansicht der Bundesregierung primär zum Ziel,
a) die demokratische bzw. zivile Kontrolle über die jeweiligen Sicherheits-

kräfte (Militär, Polizei, Geheimdienst, Grenzschutz etc.) zu verbessern
bzw. zu stärken;

b) die Fähigkeiten der jeweiligen Sicherheitskräfte durch sogenannte Er-
tüchtigungsmaßnahmen, also Ausbildung und Training sowie die Bereit-
stellung von Technik, Infrastruktur oder Ausrüstung, zu verbessern;

c) die jeweiligen Sicherheitskräfte stärker für Menschenrechte, Rechtsstaat-
lichkeit, geschlechterspezifische Gewalt und die Rechte von Kindern zu
sensibilisieren

(bitte einzeln mit Projektzeitraum und Budget auflisten)?
4. Wie fügen sich die im Bundeshaushalt seit 2016 eingestellten 100 Mio. Euro

für die Aufgabe „Ertüchtigung von Partnerstaaten im Bereich Sicherheit,
Verteidigung und Stabilisierung“ (Kapitel 6002, Titel 68703) in die Projekt-
arbeit zur Sicherheitssektorreform ein?
Inwieweit ist die aktuelle bzw. derzeit geplante Unterstützung Jordaniens
und Tunesiens im Rahmen der „Ertüchtigung von Partnerstaaten“ jeweils an
eine Initiative zur Verbesserung der zivilen bzw. demokratischen Kontrolle
der Sicherheitskräfte gekoppelt?

5. Inwieweit sollen nach Erkenntnis und Ansicht der Bundesregierung Maß-
nahmen, die durch ein derzeit geplantes EU-Instrument zum Fähigkeitsauf-
bau finanziert werden, zwingend an eine umfassende Reform des Sicher-
heitssektors gekoppelt sein (vgl. Bundestagsdrucksache 18/9643)?
Sollte nach Ansicht der Bundesregierung ein Fähigkeitsaufbau ziviler oder
militärischer Sicherheitsakteure vermieden werden, wenn dies nicht an um-
fassende Reformen gekoppelt ist (bitte mit Begründung)?

6. Inwieweit unterscheiden sich das „Ausstattungshilfeprogramm der Bundes-
regierung“ und das Programm „Ertüchtigung von Partnerstaaten im Bereich
Sicherheit, Verteidigung und Stabilisierung“?
a) Warum werden die Mittel für die „Ertüchtigung von Partnerstaaten im

Bereich Sicherheit, Verteidigung und Stabilisierung“ nicht im Rahmen
des Ausstattungshilfeprogramms zur Verfügung gestellt?

b) Welchen Vorteil hat das Programm zur „Ertüchtigung von Partnerstaaten
im Bereich Sicherheit, Verteidigung und Stabilisierung“ gegenüber dem
„Ausstattungshilfeprogramm“ nach Ansicht der Bundesregierung?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/11015
7. Unterstützt die Bundesregierung die Pläne der Europäischen Kommission
Gelder aus dem EU-Instrument für Frieden und Stabilität, die eigentlich für
entwicklungspolitische Maßnahmen vorgesehen sind, für sicherheitspoliti-
sche Maßnahmen, explizit auch den Aufbau des Militärs, umzuwidmen (vgl.
2016/0207(COD))?
a) Gibt es rechtliche Bedenken innerhalb der Bundesregierung?
b) Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass es hierdurch nicht effek-

tiv zu einer Verminderung der finanziellen Mittel kommt, die für die Ent-
wicklungshilfe (nach OECD-DAC ODA Kriterien) bereitstehen?

8. Führt die Bundesregierung eine systematische Evaluation ihrer bi- und mul-
tilateralen Programme mit Bezug zu Sicherheitssektorreformen durch, in der
Wirksamkeit und Erfolg mit Bezug auf im Vorhinein festgelegte Ziele über-
prüft werden bzw. in der die Auswirkungen der jeweiligen Programme un-
tersucht werden?

Falls ja:
a) Welche übergeordneten Erkenntnisse hat die Bundesregierung dabei ge-

wonnen?
b) Welche länderspezifischen Erkenntnisse hat die Bundesregierung dabei

gewonnen (bitte nach Ländern ausführen)?
c) Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber gewonnen, unter

welchen Bedingungen externe Akteure in fragilen Staaten, also in Räu-
men begrenzter Staatlichkeit, zu effektivem und legitimem Regieren und
somit dem Aufbau von Staatlichkeit, beitragen können?

d) Wurden dabei Kriterien identifiziert, die nach Ansicht der Bundesregie-
rung zentral sind für den Erfolg von Sicherheitssektorreformprojekten
bzw. die nach Ansicht der Bundesregierung darauf schließen lassen, wa-
rum Projekte die vorab festgelegten Ziele nicht erreichen?

e) Welche Erkenntnisse konnte die Bundesregierung darüber gewinnen, in-
wiefern es in der Vergangenheit gelungen ist, die rechtsstaatliche Gebun-
denheit der Sicherheitserbringung in fragilen Kontexten zu gewährleis-
ten?

Falls Nein:
f) Warum wird das Engagement der Bundesregierung nicht systematisch

evaluiert?
9. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass in der Praxis nach wie vor

die „Ertüchtigung“ von Sicherheitskräften dominiert und die Verbesserung
von demokratischen bzw. zivilen Kontrollmechanismen vernachlässigt wird
(vgl. S. Eckhard „Zwischen Ertüchtigung und Wertewandel“ von November
2014)?
a) Falls ja, worin liegen nach Ansicht der Bundesregierung die Gründe für

dieses Ungleichgewicht?
b) Falls nein, wie begründet die Bundesregierung ihre Einschätzung?

10. Welche Maßnahmen bzw. Initiativen hat die Bundesregierung konkret ge-
plant bzw. welche Pläne gibt es nach Erkenntnis der Bundesregierung inner-
halb der EU, um die demokratische bzw. zivile Kontrolle von Sicherheits-
kräften stärker in den Fokus von Sicherheitssektorreformprojekten zu rü-
cken?

Drucksache 18/11015 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

11. Inwieweit gab es nach Einschätzung der Bundesregierung im Bereich des

sogenannten Grenzmanagements einen Paradigmenwechsel weg von der
Vorbeugung und Lösung von Grenzkonflikten, hin zu Migrationskontrolle
und Fluchtabwehr?

12. Wie stellt die Bundesregierung grundsätzlich sicher, dass bei Vorhaben im
Bereich der Sicherheitssektorreform die Unterstützung der Zivilgesellschaft
und der Presse bei der Kontrolle gestärkt wird, und welchen Aspekt nimmt
hier konkret die Frauenförderung ein?

13. Welche konkreten Maßnahmen unterstützen die zivile Kontrolle der SSR-
Vorhaben an denen die Bundesregierung, auch im Rahmen der EU, finanziell
oder personell beteiligt ist, beispielsweise in Mali und im Sudan?

14. Werden deutsche Militärattachés bzw. deutsches Botschaftspersonal, wie in
der Mitteilung der EU (JOIN(2016) 31 final, S. 8) gefordert, zukünftig mit
ihren Informationen und ihrem Fachwissen proaktiv zu einem verbesserten
Lagebild und einem „Gesamtkonzept“ des EU-Engagements vor Ort beitra-
gen?
a) Falls nein, warum nicht?
b) Falls ja, gibt es Richtlinien bzw. sind derzeit Richtlinien in Planung, um

die Beteiligung des deutschen Personals zu strukturieren?
15. Inwieweit sind die Vorhaben der Bundesregierung bzw. nach Kenntnis der

Bundesregierung der EU „eine libysche Einheitsregierung beim Aufbau
neuer Sicherheitskräfte durch Ausbildungsmaßnahmen in Ländern der Re-
gion zu unterstützen“ (vgl. Bundestagsdrucksache 18/7724) sowie die kürz-
lich begonnene Ausbildung von „Küstenschutzkräften“ im Rahmen der EU
Mission EUNAVFOR MED (vgl. Bundestagsdrucksache 18/9116) an Pläne
für eine umfassende Reform des libyschen Sicherheitssektors im Sinne der
von der OECD entwickelten Leitlinien gekoppelt?

16. Gibt es im Zusammenhang mit den jeweiligen Vorhaben innerhalb der Bun-
desregierung oder nach Kenntnis der Bundesregierung auf Ebene der EU
Überlegungen, auch die demokratische bzw. zivile Kontrolle über die jewei-
ligen libyschen Sicherheitskräfte zu stärken, und welche Maßnahmen sind in
diesem Zusammenhang konkret geplant?

17. Hat die libysche Einheitsregierung nach Kenntnis der Bundesregierung mitt-
lerweile eigene Vorstellungen zu einer Sicherheitssektorreform vorgelegt?
a) Falls ja, wie bewertet die Bundesregierung die vorgelegten Pläne?
b) Falls nein, wann rechnet die Bundesregierung damit, dass die libysche

Einheitsregierung eigene Vorstellungen zu einer Sicherheitssektorreform
vorlegen kann?

18. Gibt es nach Erkenntnissen der Bundesregierung innerhalb der libyschen Re-
gierungskreise Interesse an bzw. Bereitschaft zu einer umfassenden Sicher-
heitssektorreform, bei der auch zivile Kontrollmechanismen gestärkt wer-
den?

19. Auf welchem Planungsstand befinden sich nach Erkenntnis der Bundesre-
gierung derzeit die Vorbereitungen innerhalb der EU für eine künftige zivile
Mission zum Kapazitätsaufbau von Sicherheitskräften und -strukturen sowie
der Reform des Sicherheitssektors in Libyen (vgl. Bundestagsdrucksache
18/9116)?
a) Welche libyschen Sicherheitskräfte, Institutionen und Behörden sollen

nach Kenntnis der Bundesregierung hieran beteiligt sein?
b) Ist nach Kenntnis der Bundesregierung auch geplant, zivile bzw. demo-

kratische Kontrollmechanismen zu stärken?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/11015

20. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass eine „Ertüchtigung“ der liby-

schen Sicherheitskräfte, ohne dabei auch etwaige zivile Kontrollinstanzen
und -mechanismen zu stärken, ein geeignetes Mittel ist, um die Sicherheits-
lage für die libysche Bevölkerung nachhaltig zu verbessern?

21. Welche konkreten Ausbildungsmaßnahmen sind nach Kenntnis der Bundes-
regierung vorgesehen, um die Teilnehmer der Ausbildung für geschlechter-
spezifische Gewalt, die Rechte von Geflüchteten und die Rechte von Kindern
zu sensibilisieren, und in welchem Verhältnis (prozentual oder zeitlich) ste-
hen diese zum Gesamtumfang der geplanten Ausbildungsmaßnahmen?

22. In welcher Verwendung sollen nach Kenntnis der Bundesregierung die ers-
ten 80 Teilnehmer, die derzeit von der EU an Bord eines italienischen und
eines niederländischen Schiffes ausgebildet werden, nach Vollendung der
Ausbildung eingesetzt werden?

23. Welche Mechanismen gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung im Rah-
men der Ausbildung der Küstenschutzkräfte durch die EU, um die erfolgrei-
che Vermittlung von Wissen zu überprüfen?
a) Gibt es Abschlussprüfungen oder Ähnliches?
b) Falls ja, welches Wissen wird hier überprüft?
c) Falls ja, wie wird mit Teilnehmen umgegangen, die etwaige Abschluss-

prüfungen nicht bestehen?
d) Falls nein, warum gibt es keine Abschlussprüfungen?

24. Wie soll nach Ansicht der Bundesregierung bzw. nach Kenntnis der Bundes-
regierung laut Plänen der EU verhindert werden, dass die Ausbildungs- und
Unterstützungsmaßnahmen der EU bzw. Deutschlands einseitig bestimmten
politischen Lagern innerhalb Libyens zugutekommen bzw. dass die Unter-
stützungsmaßnahmen durch einzelne politische Fraktionen innerhalb Liby-
ens missbraucht werden, um ihre Machtstellung innerhalb Libyens zu sichern
bzw. auszuweiten?

Berlin, den 23. Januar 2017

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.