BT-Drucksache 18/10248

Nationaler Bildungsbericht ? Bildungsinstitutionen zukunftsfest machen ? Für eine gerechte und soziale Gesellschaft

Vom 9. November 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/10248
18. Wahlperiode 09.11.2016
Antrag
der Abgeordneten Özcan Mutlu, Kai Gehring, Beate Walter-Rosenheimer,
Katja Dörner, Dr. Franziska Brantner, Ulle Schauws, Doris Wagner, Maria
Klein-Schmeink, Tabea Rößner, Elisabeth Scharfenberg, Kordula
Schulz-Asche, Dr. Harald Terpe, Volker Beck (Köln), Ekin Deligöz,
Dr. Thomas Gambke, Anja Hajduk, Sven-Christian Kindler,
Dr. Tobias Lindner, Brigitte Pothmer, Claudia Roth (Augsburg),
Corinna Rüffer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Nationaler Bildungsbericht ‒ Bildungsinstitutionen zukunftsfest machen ‒
Für eine gerechte und soziale Gesellschaft

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Nationale Bildungsbericht 2016 mit dem Schwerpunkt „Bildung und Migration“
wirft zum sechsten Mal einen genauen Blick auf die aktuelle Lage des Bildungssys-
tems in Deutschland. Ein Befund des Berichts ist: Die Leistungsfähigkeit des deut-
schen Bildungswesens hat sich zwar verbessert, deutlich wird aber auch, dass die Her-
ausforderungen für das Bildungssystem vielschichtiger geworden sind. Auch der ak-
tuelle Ländervergleich 2015 des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen
(IQB) vom 28.10.2016 zeigt, dass für Schülerinnen und Schüler mit Zuwanderungs-
hintergrund noch bessere Leistungen möglich sind. Denn das sprachliche Lernpoten-
zial, das sie im Fach Englisch zeigen, kann und muss nach Meinung der Forscherinnen
und Forscher im Fach Deutsch noch besser ausgeschöpft werden. Insgesamt kommen
auch sie zu dem Ergebnis, dass es eine wichtige Aufgabe der Bildungsinstitutionen
und der Bildungspolitik bleibt, den Zusammenhang von Bildungserfolg und sozialer
Herkunft zu reduzieren.
Trotz der bisherigen Bemühungen ist es der Bildungspolitik nicht gelungen, allen Kin-
dern und Jugendlichen unabhängig von ihrer Herkunft gleiche Chancen und dadurch
Lebensperspektiven zu ermöglichen. Eine gerechte Gesellschaft, die sich den demo-
kratischen Grundwerten verpflichtet hat, kann nur Bestand haben, wenn die Schere
zwischen Arm und Reich geschlossen wird und wenn die sozialen Disparitäten in der
Bildung auf ein Minimum reduziert werden. Bund, Länder und Kommunen dürfen
noch immer nicht in der Bildung kooperieren. Bildungspolitik ist aber nicht nur Grund-
lage für erfolgreiche Innovationen und Wirtschaftspolitik. Sie ist Grundbedingung für
eine gerechte Gesellschaft mit geringen Folgekosten in den Bereichen Integration, Si-
cherheit und Prävention.

Drucksache 18/10248 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Seit Mitte Oktober 2016 öffnet der Beschluss der Konferenz der Regierungschefinnen
und Regierungschefs von Bund und Ländern zur „Neuregelung des bundesstaatlichen
Finanzausgleichssystems ab 2020“ neue Möglichkeiten. In dieser Vereinbarung haben
die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten aller Länder und die Bundeskanzlerin zu-
gestimmt, dass das absolute Kooperationsverbot von Bund und Ländern im Schulbe-
reich überwunden werden muss. Für Kinder und Jugendliche in finanzschwachen Her-
kunftsregionen ist es dringend erforderlich, dass Bundestag und Bundesrat wie verein-
bart die „Mitfinanzierungskompetenzen des Bundes im Bereich der kommunalen Bil-
dungs-Infrastruktur für finanzschwache Kommunen“ schaffen. Das ist ein erster wich-
tiger Schritt. Aber wir müssen noch weiter gehen: Alle Kinder und Jugendlichen aus
finanzschwächeren Familien, egal wo sie wohnen oder zur Schule gehen, brauchen
gute Bildungsangebote. Deswegen muss u. a. das Bildungs- und Teilhabepaket so um-
gestaltet werden, dass es die Kinder und Jugendlichen besser erreicht, etwa durch in-
dividuelle Lernförderung an den Schulen und durch Teilhabeangebote im Ganztag.
Denn Ganztagsangebote erreichen auch laut dem jüngsten Bildungsbericht viele wich-
tige Ziele.
Eine Bestätigung langjähriger grüner Bildungspolitik ist der begrüßenswerte Trend zu
längerem gemeinsamen Lernen. So steigt der Trend zu längerem gemeinsamen Ler-
nen. Die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die kombinierte Schularten mit mehr als
einem Bildungsgang besuchen, hat sich seit 2006 von 700.000 auf 1,1 Millionen er-
höht. Chancengleichheit wird durch den Besuch von integrierten Schulformen begüns-
tigt. Die Schulen mit mehreren Bildungsgängen machen zudem am häufigsten Ganz-
tagsschulangebote und weisen höhere Integrationsanteile von Kindern mit sonderpä-
dagogischem Förderbedarf auf als andere Schulen.
Aktuell schlägt nun die Bundesbildungsministerin einen Digitalisierungspakt mit den
Ländern vor, um die Schulen mit digitaler Infrastruktur auszustatten. Das ist eher
Wahlkampf als Problemlösung. Statt dieser neuerlichen Beugung der Verfassung für
einen Pakt, in dem der Bund die Schulen verbindet und sich dafür auf die Kompetenz
zur IT-Kooperation der Verwaltungen von Bund und Ländern beruft, muss endlich
eine klare Grundlage für die Kooperation in der Bildung im Grundgesetz geschaffen
werden. Ein Föderalstaat, der im zentralen Feld der Politik – der Bildungspolitik –
nicht zueinander findet, weil eine Mehrheit sich dereinst die Zusammenarbeit prinzi-
piell verboten hat, lähmt sich und versenkt sich selbst in der Bedeutungslosigkeit. Ko-
operation bedeutet nicht Zentralisierung. Es geht darum, den gemeinsamen Rahmen
zu setzen und gemeinsam finanzielle Bedingungen zu schaffen, um vor Ort bestmög-
liche Lösungen für die Modernisierungsanforderungen des 21. Jahrhunderts und die
Qualitätsanforderungen der heterogenen Gesellschaft zu ermöglichen.
Die Befunde des Berichts verdeutlichen auch einige wenige negative Entwicklungen,
die aber nicht ausgeblendet werden dürfen. So muss es allen Verantwortlichen zu den-
ken geben, dass von 2013 auf 2014 anteilsmäßig wieder mehr Jugendliche die Schule
ohne Abschluss verlassen haben. Unter allen Schülerinnen und Schülern ist der Anteil
derjenigen ohne Abschluss leicht von 4,6 auf 4,9 Prozent angestiegen. Wer genauer
hinschaut, sieht die Ursache: Bei den ausländischen Schülerinnen und Schülern ist der
Anteil ohne Abschluss deutlich gestiegen, von 10,7 auf 11,9 Prozent (Bildung in
Deutschland, S. 176, Abb. H2-12A, Tab. H2-15web, Tab. H2-19web). Angesichts der
aktuellen Zuwanderung konstatieren die AutorInnen des Bildungsberichts, dass dieser
besorgniserregende Trend sich in Zukunft weiter verstärken wird. Deshalb muss die
Bundesregierung sich unverzüglich diesen Herausforderungen stellen, um der Spal-
tung unserer Gesellschaft in Bildungsgewinner und Bildungsverlierer aufgrund von
sozialer oder ethnischer Herkunft entschieden entgegenzutreten.
Daher fordern wir die Bundesregierung auf, in ihrem letzten Amtsjahr nicht untätig zu
bleiben. Die Wirkungen und Folgekosten von zu wenigen, zu wenig passgenauen und
zu wenig wirksamen Bildungsangeboten sind bekanntermaßen horrend. Ein Land, des-
sen Bildungssystem soziale Ungleichheit verstärkt, statt sie zu verringern, ist zutiefst

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/10248
ungerecht. Um nachhaltig Bildungsgerechtigkeit in Bildungsinstitutionen zu schaffen
und Barrieren abzubauen, muss das Bildungssystem als Ganzes in den Blick genom-
men werden: Die Bildungsübergänge müssen besser ineinander übergreifen. Von der
Kita bis zur Hochschule müssen Inklusion, Durchlässigkeit und Sprachbildung sich
aufeinander beziehend als zentrale Elemente lückenlos verankert werden. Wir wollen,
dass Talent und Fleiß über Zukunft entscheiden, nicht Herkunft oder der Ort, in dem
man lebt. Dafür müssen Bund, Länder und Kommunen jetzt eine gemeinsame Bil-
dungsoffensive starten.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Umsetzung der Empfehlungen der AutorInnengruppe des Bildungsberichts
für ein gerechteres Bildungssystem in Kooperation mit den Ländern unverzüglich
anzugehen;

2. die Frage der Bildungsgerechtigkeit in ihrer verbleibenden Amtszeit zum zentra-
len Thema zu machen und dazu noch vor der nächsten Bundestagswahl folgende
Schritte anzugehen:
• den Beschluss der Regierungschefinnen und Regierungschefs von Bund und

Ländern noch in diesem Jahr umzusetzen und unter Beteiligung des Bundes-
tages gemeinsam mit den Ländern schnellstmöglich eine Öffnung des
Grundgesetzes zu erarbeiten, die die „Mitfinanzierungskompetenzen des
Bundes im Bereich der kommunalen Bildungs-Infrastruktur für finanz-
schwache Kommunen“ ermöglicht. Diese Öffnung muss auch Kinder und
Jugendliche aus sozial- und finanzschwachen Familien in den Blick nehmen,
die in einer finanzstarken Kommune leben. Auch sie müssen von der ver-
einbarten Stärkung der Bildungsinfrastruktur profitieren können. Deswegen
muss die Verfassungsöffnung auch möglich machen, dass ein Teil der Bil-
dungs- und Teilhabeansprüche von Kindern und Jugendlichen im Sinne des
Urteils des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 2010,1/09, RZ 197) direkt
in Kita und Schule erfüllt wird;

• mit Ländern und Kommunen eine nachhaltige Bildungsoffensive in Gang zu
setzen, die allen Bildungsinstitutionen ermöglicht, mehr Bildungsgerechtig-
keit zu schaffen und Barrieren abzubauen. Von der Kita bis zur Hochschule
müssen Inklusion, Sprachbildung und Integration in allen Bildungsphasen
verankert werden. Dabei müssen tragfähige Bildungsübergänge geschaffen
werden, um Kinder und Jugendliche nachhaltig begleiten und fördern zu
können. Nur so wird gesichert, dass niemand scheitert und Bildungswege
nicht abgebrochen werden;

• als ein erster Schritt sollte das im Bundesministerium wie in der Kultusmi-
nisterkonferenz schon weit gediehene Projekt des Lernens für die digitale
Welt vorangebracht werden. Dazu sollte das Bundesministerium für Bildung
und Forschung gemeinsam mit der Kultusministerkonferenz eine umfas-
sende und nachhaltige Strategie vereinbaren. Statt auf der wackligen Grund-
lage des Art. 91c GG sollte auch hierfür eine tragfähige verfassungsrechtli-
che Grundlage geschaffen werden. Gleichzeitig muss auch in die Medien-
kompetenz von Lehrenden, Lernenden und Eltern investiert werden;

• gemeinsam mit den Ländern und Kommunen in die Aus-, Fort- und Weiter-
bildung von Erzieherinnen und Erziehern, Lehrkräften, Professorinnen und
Professoren, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern und Psychologinnen
und Psychologen im Bereich der alltagsintegrierten Sprachbildung zu inves-
tieren, um gerade auch im Hinblick auf die Mehrsprachigkeit von Kindern
und Jugendlichen allen dieselben Startmöglichkeiten zu geben;

Drucksache 18/10248 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
3. gleichzeitig mit den Ländern in die Verhandlungen einzutreten, um das Koopera-

tionsverbot in Gänze abzuschaffen, damit Bund, Länder und Kommunen zur Stär-
kung des Bildungssystems in allen Bereichen zusammenarbeiten können (BT-
Drs. 18/3163).

Berlin, den 8. November 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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