BT-Drucksache 17/9983

Konsequent vorangehen für eine atomwaffenfreie Welt

Vom 13. Juni 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9983
17. Wahlperiode 13. 06. 2012

Antrag
der Abgeordneten Agnes Brugger, Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen),
Viola von Cramon-Taubadel, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Katja Keul, Ute Koczy,
Tom Koenigs, Sylvia Kotting-Uhl, Kerstin Müller (Köln), Omid Nouripour,
Lisa Paus, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt,
Dorothea Steiner, Hans-Christian Ströbele, Daniela Wagner und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Konsequent vorangehen für eine atomwaffenfreie Welt

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Atomwaffen bedrohen Frieden und Sicherheit in der Welt.

Derzeit existieren weltweit etwa 19 500 nukleare Sprengköpfe, von denen schät-
zungsweise 11 500 rund um die Uhr startklar sind. Neben den offiziellen Nuklear-
mächten sind auch Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea im Besitz von Nuklear-
waffen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass auch der Iran nach Atomwaffen strebt.
Die Proliferation von Technologie zur zivilen Nutzung der Atomenergie birgt
die Gefahr, dass immer mehr Staaten auch die Fähigkeit zum Aufbau militäri-
scher Nuklearprogramme erwerben. Derzeit verfügen mehr als 40 Staaten über
die industriellen oder wissenschaftlichen Voraussetzungen, um in kurzer Zeit
Atomwaffen herzustellen. Die sich aus der weltweiten zivilen Nutzung von
Atomenergie ergebenden ökologischen und sicherheitspolitischen Risiken ver-
leihen der nuklearen Bedrohung im 21. Jahrhundert eine neue Dimension. Eine
weitere Gefahr ist es, dass tausende Tonnen waffenfähiges Nuklearmaterial an
ungesicherten Orten lagern. Damit wächst auch die Bedrohung durch Nuklear-
terrorismus.

2. Es besteht eine historische Chance für entscheidende Fortschritte in der
nuklearen Abrüstung.

Seit der historischen Rede des US-Präsidenten Barack Obama am 5. April 2009
in Prag haben sich die Rahmenbedingungen für nukleare Abrüstung und die Ver-
wirklichung einer atomwaffenfreien Welt grundlegend verbessert. Die größte
Nuklearmacht unterstützt diese Vision und ist zur Reduzierung ihres Atomwaf-
fenarsenals bereit. Mit ihrer neuen Nuklearstrategie haben die USA 2010 die

strategische Rolle ihrer Nuklearwaffen herabgesetzt. Im selben Jahr vereinbar-
ten die USA und Russland mit einem neuen Abkommen zur Verringerung stra-
tegischer Waffen (START – Strategic Arms Reduction Treaty), ihr Atomwaffen-
arsenal zu reduzieren. Allerdings wurde nur eine sehr moderate Verringerung
beschlossen. Es sind aber deutlich weitgehendere Abrüstungsschritte nötig. Dies
umso mehr, da die Nuklearmächte ihre verbleibenden Nuklearwaffen gleichzei-
tig modernisieren und somit einsatzfähiger machen.

Drucksache 17/9983 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Es gilt daher, die Dynamik in der Diskussion über nukleare Abrüstung in eine
Dynamik des Handelns für die Verwirklichung einer atomwaffenfreien Welt zu
übertragen. Die letzte Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrages
(NVV) verlief erfolgreich und endete mit dem Beschluss eines Aktionsplans für
weitere nukleare Abrüstung und Rüstungskontrolle. Dieser sieht unter anderem
die Durchführung einer Konferenz über eine massenvernichtungswaffenfreie
Zone im Nahen und Mittleren Osten im Herbst 2012 vor. Diese Impulse müssen
aufgenommen und für eine konsequente Erfüllung des im NVV verankerten Ab-
rüstungsgebotes genutzt werden.

3. Die Bundesrepublik Deutschland steht in der Pflicht, ihren Beitrag zur Ver-
wirklichung einer atomwaffenfreien Welt zu leisten und den Abzug der in
Deutschland stationierten US-Atomwaffen einzuleiten.

Wer nukleare Abrüstung fordert, muss auch selbst auf den vermeintlichen
Schutz durch Nuklearwaffen verzichten. Solange Deutschland an der Stationie-
rung von Nuklearwaffen auf dem eigenen Territorium festhält, mangelt es der
deutschen Abrüstungspolitik an Glaubwürdigkeit. Die Bundesregierung hat es
bisher versäumt, Chancen zur nuklearen Abrüstung zu nutzen, obwohl sie hier-
für eine breite Unterstützung im Parlament hat. Die Nuklearwaffen in Deutsch-
land wurden bei den bisherigen Abrüstungsschritten nicht mit einbezogen. Die
NATO hat bei der Ausarbeitung ihres neuen strategischen Konzepts im Novem-
ber 2010 in Lissabon und bei der Überprüfung ihres Abschreckungs- und Ver-
teidigungsdispositivs im Mai 2012 in Chicago dabei versagt, sichtbare Fort-
schritte in der nuklearen Abrüstung zu erzielen und die strategische Rolle von
Nuklearwaffen zu reduzieren. Stattdessen wurde der Aufbau eines Raketen-
abwehrsystems begonnen, das die Aufrüstung antreibt und dessen Nutzen und
Kosten nicht absehbar sind. Die bisherige nukleare Abrüstungspolitik der Bun-
desregierung ist unentschlossen und weist deshalb kaum Erfolge aus.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. den Weg für ein atomwaffenfreies Deutschland sofort frei zu machen, indem
sie

• die Bereitstellung von Bundeswehrpiloten und Trägersystemen zum
Atomwaffeneinsatz unverzüglich einstellt,

• von einer Modernisierung der Trägersysteme für substrategische Nuklear-
waffen absieht,

• sich gegenüber den USA und anderen Bündnispartnern in der NATO mit
großem Nachdruck für den sofortigen Abzug der in Deutschland verblie-
benen US-Atomwaffen einsetzt;

2. innerhalb der NATO auf

• die Überwindung einer Politik der nuklearen Abschreckung und eine Zu-
rücknahme der strategischen Bedeutung von Nuklearwaffen,

• den Verzicht auf die nukleare Ersteinsatzoption,

• die Verstärkung von verbindlichen und überprüfbaren Abrüstungsverein-
barungen und Rüstungskontrollen sowohl für nukleare als auch für kon-
ventionelle Waffen und

• den vollständigen Abbau der US-Atomwaffen in Europa

zu drängen;

3. die Fortsetzung der Verhandlungen zwischen den USA und Russland über

nukleare Abrüstung und Rüstungskontrolle zu unterstützen und sich für die
Einbeziehung von substrategischen Nuklearwaffen einzusetzen;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/9983

4. zur Stärkung des NVV

• die Umsetzung des auf der NVV-Überprüfungskonferenz 2010 beschlos-
senen Aktionsplans voranzutreiben,

• die Durchführung einer Konferenz über eine massenvernichtungswaffen-
freie Zone im Nahen und Mittleren Osten mit aller Kraft zu unterstützen,

• darauf zu drängen, die in Artikel VI des NVV verankerte Verpflichtung
der Nuklearwaffenstaaten zur nuklearen Abrüstung durch verbindliche
und umfassende Abrüstungsschritte zu erfüllen,

• engagiert für die Universalisierung des NVV einzutreten und insbeson-
dere bei den Nichtvertragsstaaten Indien, Israel, Nordkorea und Pakistan
dafür zu werben, dem NVV beizutreten, ihre Atomwaffenarsenale abzu-
bauen und ihre nuklearen Aktivitäten der internationalen Überwachung zu
unterwerfen,

• sich mit Nachdruck für die universelle Anwendung des Zusatzprotokolls
der IAEA (International Atomic Energy Agency) einzusetzen,

• entschieden für die Einrichtung eines Kernwaffenregisters, die Offenle-
gung der Plutoniumbestände und eine Berichtspflicht im Rahmen der
Überprüfungskonferenzen als vertrauensbildende und die Transparenz
fördernden Maßnahmen einzutreten und mit gutem Beispiel voranzuge-
hen durch die Offenlegung aller mit der nuklearen Teilhabe zusammen-
hängenden Aktivitäten in der Vergangenheit und Gegenwart,

• für eine universelle Multilateralisierung des nuklearen Brennstoffkreis-
laufes und die Einstellung nationaler Urananreicherung zugunsten einer
ausschließlich von der IAEA kontrollierten Anlage zu werben;

5. für die Ratifizierung des umfassenden Atomwaffenteststoppvertrags (CTBT)
zu werben und hierzu mit den betreffenden Annex-2-Staaten (Ägypten, China
Iran, Israel, USA, Indien, Nordkorea, Pakistan) Gespräche auf höchster
Ebene zu führen;

6. im Rahmen der UN-Abrüstungskonferenz (UNCD) auf die baldige Ausarbei-
tung eines Abkommens zum Verbot der Produktion von Spaltmaterial
(FMCT) zu drängen und bei ausbleibendem Erfolg auch ein Abkommen au-
ßerhalb der UNCD zu unterstützen;

7. das Risiko der doppelten Verwendung von zivil und militärisch nutzbaren
Gütern einzudämmen, indem sie

• den Atomausstieg national zügig umsetzt,

• sich weltweit für den Ausstieg aus der zivilen Nutzung der Atomenergie
einsetzt,

• die Förderung des Exportes von Atomtechnologie durch die Vergabe von
Hermesbürgschaften unverzüglich einstellt und

• andere Länder in ihrem Streben nach Energiesicherheit durch erneuerbare
Energiegewinnung unterstützt;

8. sich für eine Verhandlungslösung der Konflikte um das nordkoreanische und
das iranische Atomprogramm einzusetzen;

9. sich für die Schaffung einer umfassenden atomwaffenfreien Zone in Mittel-
europa mit dem Ziel eines atomwaffenfreien Europas einzusetzen;

Drucksache 17/9983 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
10. sich an der Ausarbeitung einer Nuklearwaffenkonvention zur Ächtung von
Atomwaffen aktiv zu beteiligen, bei Partnern und in internationalen
Organisationen dafür zu werben, entsprechende Initiativen in der General-
versammlung der Vereinten Nationen zu unterstützen und sich für vorberei-
tende Expertengespräche auf internationaler Ebene einzusetzen;

11. mit allen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren, die sich für eine atom-
waffenfreie Welt einsetzen, eng zusammenzuarbeiten und zivilgesellschaft-
liche Initiativen mit diesem Ziel zu unterstützen;

12. verstärkt für allgemeine und weltweite Abrüstung einzutreten, energisch
auf den Abschluss umfassender Abrüstungs-, Rüstungskontroll- und Waf-
fenhandelsvereinbarungen hinzuwirken und selbst durch eine konsequente
Abrüstungs- und restriktive Rüstungsexportpolitik voranzugehen.

Berlin, den 12. Juni 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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