BT-Drucksache 17/9630

Gesundheitsgefährdung durch Schadstoffemissionen des Luftverkehrs

Vom 10. Mai 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9630
17. Wahlperiode 10. 05. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sabine Stüber, Herbert Behrens, Dr. Kirsten Tackmann,
Dr. Dietmar Bartsch, Karin Binder, Eva Bulling-Schröter, Dr. Dagmar Enkelmann,
Sabine Leidig, Ralph Lenkert, Dorothee Menzner, Kornelia Möller, Jens Petermann,
Ingrid Remmers und der Fraktion DIE LINKE.

Gesundheitsgefährdung durch Schadstoffemissionen des Luftverkehrs

Flugzeuge verursachen Lärm und setzen bei der Verbrennung von Kerosin
Schadstoffe frei. Beides ist gesundheitsschädigend. Das Ausmaß ist dabei abhän-
gig von der Beschaffenheit und der Toxizität der Emissionen sowie von der Flug-
höhe. Während des Starts (Take-Off-Modus) sind die Emissionen am größten
und zugleich am gefährlichsten, weil die Schadstoffe direkt in die austauschar-
men Luftschichten abgegeben werden. Eine neue Studie („Airports, Air Pollu-
tion and Contemporaneous Health“) untersuchte die Luftqualität an den Flughä-
fen Kaliforniens und kam zu dem Schluss, dass sich die Luftqualität im Umkreis
von 10 Kilometern um Flughäfen deutlich verschlechterte, wenn die sogenann-
ten Taxiing-Zeiten (lange Wartezeiten der Flugzeuge vor Abflug oder Ankunft)
besonders lang waren („Sind die Gesundheitsgefahren für Anwohner von Flug-
häfen weit größer als angenommen?“, Handelsblatt vom 26. Januar 2012). Nach
dieser Studie sei der Flughafen Los Angeles die größte Kohlenmonoxidquelle
ganz Kaliforniens.

Zu den Schadstoffen, die bei der Verbrennung in die Atmosphäre freigesetzt
werden, gehören Stickoxide (NO, NO2), Schwefeldioxid (SO2), Kohlenmon-
oxid (CO), aromatische und aliphatische Kohlenwasserstoffe (PAK, BTX-Aro-
maten), Ruß und Feinstaub.

Feinstaub ist dabei das entscheidende Transportmedium, mit dem die Schad-
stoffe den menschlichen Organismus erreichen. Das geschieht vor allem über
die Atemwege. Feinstäube besitzen eine Größe im Mikro- und Nanometerbe-
reich. Je nach Größe und Zusammensetzung variiert der Feinstaub in seinen
physikalischen und chemischen Eigenschaften, dringt daher unterschiedlich
weit in die Atemorgane vor und weist verschiedene Toxizität auf. Die gesund-
heitsschädigende Wirkung beruht auf den Partikeln selbst und auf der kontami-
nierten Oberfläche mit Substanzen, wie polyzyklische aromatische Kohlenwas-
serstoffe und Schwermetallen.

Auch wenn es eine große Anzahl von Studien gibt, die die gesundheitsschäd-

liche Wirkung von Feinstaub belegen, sind die toxikologischen Langzeitwirkun-
gen von Kerosin, dessen Verbrennungsrückständen und Reaktionsprodukten
sowie deren additive und synergistische Effekte nicht ausreichend untersucht.
Doch diese Problematik gewinnt zunehmend an Bedeutung und die betroffenen
Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht darauf, über den Einfluss dieser Stoffe
auf die Umwelt, das Klima sowie deren Wirkung auf ihre Gesundheit aufgeklärt
zu werden.

Drucksache 17/9630 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat in den vergangenen Jahren
wiederholt auf die alarmierenden Erkenntnisse zu den Gesundheitsgefahren
durch Feinstaub und den daraus resultierenden Folgekosten aufmerksam ge-
macht.

Für Menschen, die sich bisher nur von Fluglärm betroffen glaubten, wächst nun
eine weitere Sorge, die dazu führt, dass Bürgerinitiativen eigenständige Fein-
staubmessungen durchführen (Frankfurter Rundschau vom 13. April 2012 „Der
unsichtbare Flugzeugdreck“). Denn die von den Ländern und dem Umweltbun-
desamt betriebenen Luftgütemessstationen erheben nur einige Parameter, und
nicht alle Messstationen sind kontinuierlich in Betrieb (Frankfurter Allgemeine
Zeitung vom 30. November 2011 „Warum sprechen alle nur von Lärm“).

Auch befürchten die Anwohnerinnen und Anwohner von Flughäfen eine Ge-
sundheitsbelastung durch das Ablassen von Kerosin (Frankfurter Rundschau
vom 26. April 2012 „Kerosin in Kleingärten“). Das Ablassen von Kerosin (Fuel
Dumping) ist in Notfällen erforderlich, wenn ein Flugzeug nach dem Start wie-
der landen muss. Diese Situation tritt nach Angaben der Deutschen Flugsiche-
rung GmbH einmal pro 27 500 Starts (www.dfs.de) auf. Bezogen auf den Flug-
hafen Frankfurt am Main wären das bei etwa 230 000 Starts im Jahr 2011 über
8 Fälle.

Ein weiteres Problemfeld stellt der Eintrag von chemischen Flugzeugenteisungs-
mitteln (Anti-Icing/Deicing-Fluid – ADF) und deren Zusatzstoffen in Ökosys-
teme dar. Abhängig von Größe und Vereisungsgrad werden bis zu 6 000 Liter
ADF je Flugzeug benötigt. Während des Starts und zeitnah danach werden 50
bis 55 Prozent der Mittel verweht und gelangen als Deposition auf angrenzende
Gebiete. Von dort ist ein Eintrag ins Grundwasser oder der Abfluss in Ober-
flächengewässern möglich. Anfang Dezember 2011 wurde in der Nordsee erst-
mals die Chemikalie Benzotriazol entdeckt, die in großen Mengen als Korro-
sionsschutz in ADF verwandt wird (taz vom 3. Dezember 2011 „Chemikalien in
der Nordsee“). Das hohe Gefährdungspotential für Benzotriazol und weiterer
ADF-Bestandteile ist bereits wissenschaftlich belegt (www.fbi-berlin.org/wp-
uploads/2011/05/deicer_.pdf).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die Erkenntnisse über die
Schadstoffimmissionen durch den Luftverkehr ausreichend sind (bitte mit
Begründung)?

2. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die Schadstoffemissionen
durch den Luftverkehr ausreichend durch die von den Bundesländern und
dem Umweltbundesamt betriebenen Luftgütemessstationen erfasst werden
(bitte mit Begründung)?

3. Welche Luftgütemessstationen befinden sich in einem Umkreis von bis zu
20 km Entfernung von deutschen Verkehrsflughäfen?

a) In welcher Entfernung befinden sich diese jeweils von welchem Flug-
hafen?

b) Welche davon liegen unter Flugrouten?

c) Welche Stoffe werden an den einzelnen Stationen gemessen?

d) Welche Windrichtungen herrschen an den jeweiligen Flughäfen vor (aus
Himmelsrichtung an Tagen/Jahr)?

4. Welche Luftgütemessstellen in Deutschland ermitteln neben der Masse des
Feinstaubs auch die Zahl der Teilchen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/9630

5. Welche Untersuchungen werden derzeit bzw. wurden in den letzten 15 Jah-
ren über die chemische Zusammensetzung des Feinstaubs aus dem Luftver-
kehr angestellt?

Untersucht die Bundesregierung die Entstehung und die Auswirkungen von
Nanopartikeln aus dem Flugverkehr, und gibt es Belastungsstudien für die
diesen Partikeln ausgesetzten Personen?

Wenn ja, in welcher Form?

Wenn nein, warum nicht?

6. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über den Zusammenhang
von Toxizität der Emissionen und ihrer Gestalt und Oberfläche vor?

7. Wurden oder werden hierzu Untersuchungen an bundesdeutschen Flughäfen
oder bundesdeutschen Forschungseinrichtungen durchgeführt?

Wenn ja, welche?

Wenn nein, warum nicht?

8. Wie oft wurde seit Anfang des Jahres 2010 in einem Umkreis von 10 km
von Verkehrsflughäfen in Deutschland Flugzeugtreibstoff abgelassen?

Wann und wo war dies jeweils, und um welche Menge Kerosin handelte es
sich dabei jeweils?

9. Sind grundsätzlich alle Fälle von Fuel Dumping meldepflichtig oder gibt es
Ausnahmen, und wenn ja, welche sind das, und warum gibt es diese?

10. Wird Fuel Dumping kartographiert?

Wenn ja, wo sind diese Informationen für die Anwohner zugänglich?

Wenn nein, warum nicht?

11. Wie oft wurde seit Anfang des Jahres 2010 in einem Umkreis von 10 km zu
einem Fliegerhorst in Deutschland von Militärflugzeugen Flugzeugtreib-
stoff abgelassen?

12. Plant die Bundesregierung eine Studie, die den Zusammenhang zwischen
der Exposition von Verbrennungsrückständen von Kerosin und der Entste-
hung von Krebserkrankungen untersucht (bitte mit Begründung)?

13. Plant die Bundesregierung eine Studie zur Auswirkung von Taxiing auf die
Schadstoffemissionen und insbesondere die Kohlenmonoxidbelastung im
Umfeld großer Flughäfen, vergleichbar mit der amerikanischen Studie
„Airports, Air Pollution and Contemporaneous Health?“

Wenn ja, wann erwartet die Bundesregierung Ergebnisse?

Wenn nein, warum nicht?

14. Plant die Bundesregierung toxikologische Studien zur Anreicherung von
Verbrennungsrückständen aus dem Luftverkehr im menschlichen Körper?

Wenn ja, wann erwartet die Bundesregierung Ergebnisse?

Wenn nein, warum nicht?

15. Plant die Bundesregierung Studien zur Auswirkung von Verbrennungsrück-
ständen in Kombination mit Fluglärm auf die Mortalität der Anwohner und
Beschäftigten von Flughäfen?

Wenn ja, wann erwartet die Bundesregierung Ergebnisse?

Wenn nein, warum nicht?

Drucksache 17/9630 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

16. Welche Inhaltsstoffe militärischer Treibstoffe unterliegen bei der zivilen
Verwendung von Kerosinen wie JET A 1 Grenzwerten oder sind in ziviler
Nutzung verboten?

17. Wie viele Tonnen JP-8 und wie viele Tonnen JET A 1 werden in Deutsch-
land jährlich verbraucht?

Wie groß ist der Anteil anderer Kerosine in der Luftfahrt (bitte tabellarisch
auflisten)?

18. Wie gliedern sich die externen Kosten des Luftverkehrs in Deutschland in
Höhe von 3,563 Mrd. Euro im Jahr 2008 bezogen auf den innereuropä-
ischen Luftverkehr (siehe Antwort der Bundesregierung zu Frage 33 auf
die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache
17/8264), auf die einzelnen Kostenbestandteile auf, und nach welchem
Modell bzw. mit welcher Methodik wurden diese Kosten berechnet?

19. Welche Eintrittswege für die unterschiedlichen Schadstoffe aus dem Luft-
verkehr in den menschlichen Körper sind der Bundesregierung bekannt?

20. In welchen Bereichen und für welche Schadstoffe wird Grünkohl (Brassica
oleracea var. sabellica L.) im Rahmen von Biomonitoring verwandt, welche
indikativen Eigenschaften der Pflanze werden sich dabei zu Nutzen ge-
macht, und auf welchen Eintrittspfaden gelangen die jeweiligen Schad-
stoffe in die Pflanze?

21. Woraus bestehen die in Deutschland verwandten Anti-Icing/Deicing-Mittel
für Flugzeuge, und welche Additive sind enthalten (bitte in tabellarischer
Übersicht mit der Angabe der Verwendungshäufigkeit)?

22. Welche Mengen an Anti-Icing/Deicing-Mitteln werden in Deutschland pro
Jahr verwandt, und wie teilt sich diese Menge auf die deutschen Flughäfen
auf?

23. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über das Gefährdungspoten-
tial von Anti-Icing/Deicing Fluids für

– Gewässer und darin lebenden Organismen,

– die Grundwasserqualität und

– die menschliche Gesundheit?

24. Welche Gefährdung ergibt sich für die menschliche Gesundheit durch die
Anreicherung von

a) Schadstoffen, aus Flugzeug-Treibstoff-Emissionen und

b) Bestandteilen von Anti-Icing/Deicing-Mitteln

in der Nahrungskette?

25. Welche Forschungsvorhaben laufen, sind geplant oder abgeschlossen, um
die Umweltauswirkungen von Anti-Icing/Deicing-Mitteln zu beurteilen?

26. Ist die Bundesregierung der Auffassung, die Umweltauswirkungen sämt-
licher Inhaltsstoffe von Anti-Icing/Deicing-Mitteln beurteilen zu können?

Wenn ja, wie bewertet die Bundesregierung diese?

Wenn nein, welche Defizite liegen vor?

27. Gibt es bei aktuellen oder ehemaligen Beschäftigten von Flughäfen (Boden-
personal, Lotsen, Rollfeldpersonal) erhöhte Krebsraten, und wenn ja, um
welche Krebsarten handelt es sich (bitte auch Personal militärischer Flug-
plätze berücksichtigen)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/9630

28. Sind der Bundesregierung andere, gehäuft bei Flughafenbeschäftigten, auf-
tretende Krankheiten bekannt, und welche sind dies (bitte auch Personal
militärischer Flugplätze berücksichtigen)?

Berlin, den 10. Mai 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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