BT-Drucksache 17/9566

Für eine grundlegende Reform der Pflegeversicherung - Nutzerorientiert, solidarisch, zukunftsfest

Vom 9. Mai 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9566
17. Wahlperiode 09. 05. 2012

Antrag
der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Birgitt Bender, Markus Kurth, Kerstin
Andreae, Britta Haßelmann, Maria Klein-Schmeink, Beate Müller-Gemmeke,
Brigitte Pothmer, Dr. Harald Terpe, Tabea Rößner, Ekin Deligöz, Kai Gehring,
Katrin Göring-Eckardt, Fritz Kuhn, Sven-Christian Kindler, Krista Sager,
Dr. Gerhard Schick, Ulrich Schneider, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn,
Beate Walter-Rosenheimer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für eine grundlegende Reform der Pflegeversicherung –
Nutzerorientiert, solidarisch, zukunftsfest

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Koalition der Fraktionen der CDU/CSU und FDP löst mit dem Pflege-Neu-
ausrichtungsgesetz (PNG) keines der drängenden Probleme der pflegerischen
Versorgung. Die Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs und damit
eine Neubestimmung des Leistungsgeschehens der sozialen Pflegeversicherung
(SPV) werden weiter vertagt. Die geplanten Leistungsverbesserungen des PNG
sind völlig unzureichend und folgen keinem erkennbaren Konzept. Weder wer-
den ausreichende Maßnahmen zur Entlastung pflegender Angehöriger noch zur
Bekämpfung des Personalmangels in der Pflege ergriffen. Eine verlässliche,
nachhaltige und sozial gerechte Finanzierung fehlt, sodass spätestens im Jahr
2015 erneut eine Finanzreform auf die Agenda gesetzt werden muss.

Erforderlich ist eine grundlegende Pflegereform, die eine wirkliche Neuausrich-
tung der pflegerischen Versorgung strukturell wie finanziell ermöglicht. Mit
einem neuen Pflegebegriff muss das starre defizit- und rein somatisch orientierte
Leistungsrecht der SPV neu geregelt werden. Die Versorgungsstrukturen sind
konsequent nutzerorientiert auszugestalten, damit sie dem Recht der Menschen
auf Selbstbestimmung und Teilhabe auch bei Pflegebedürftigkeit entsprechen.
Notwendig sind ein konsequenter Ausbau ambulanter und quartiersbezogener
Versorgungs- und Wohnangebote, unabhängige und zugehende Beratungsstruk-
turen, eine Entlastungsoffensive für pflegende Angehörige und ein Programm
zur Bekämpfung des Personalmangels in der Pflege.

Es gilt, Gerechtigkeitslücken in der Pflegeversicherung zu beheben. Mit der
Zweiteilung in soziale und private Pflegeversicherung entziehen sich die wirt-

schaftlich leistungsstärksten und im Durchschnitt auch jüngeren und gesündesten
Bevölkerungsgruppen dem Solidarausgleich. Die soziale und private Pflegever-
sicherung sollten zu einer solidarischen Pflege-Bürgerversicherung zusammen-
geführt werden. Nur sie bietet eine solide Basis zur Finanzierung der notwen-
digen Leistungsverbesserungen und der steigenden Belastungen im demogra-
fischen Wandel.

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II. Vor diesem Hintergrund fordert der Deutsche Bundestag die Bundesregie-
rung auf,

1. in Abstimmung mit den Überlegungen zur Weiterentwicklung der Einglie-
derungshilfe einen neuen Pflegebegriff einzuführen. Die Förderung von
Ressourcen und Potenzialen sowie eine aktivierende Pflege rücken in den
Vordergrund, körperliche und kognitive Beeinträchtigungen werden gleich-
berechtigt in die Bedarfserhebung einbezogen. Für eine ausreichende Finan-
zierung der Leistungen nach dem neuen Pflegebegriff wird das Leistungsvo-
lumen der Pflegeversicherung um 15 Prozent ausgeweitet. Es werden zudem
Regelungen zur wirkungsvollen Umsetzung des Prinzips „Rehabilitation vor
Pflege“ getroffen;

2. eine Pflege-Bürgerversicherung einzuführen. Dadurch werden alle Bürgerin-
nen und Bürger gemäß ihrer Leistungsfähigkeit und alle Einkommensarten in
den Solidarausgleich einbezogen. Die Leistungen der Pflege-Bürgerversiche-
rung werden regelmäßig zu zwei Dritteln der Reallohn- und zu einem Drittel
der Inflationsentwicklung angepasst. Der steigende Mittelbedarf in der Zu-
kunft wird durch die moderate Anhebung des Beitragssatzes in der Pflege-
Bürgerversicherung finanziert;

3. zur Lösung bestehender bzw. Vermeidung neuer Schnittstellenprobleme eine
Harmonisierung des Elften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XI) mit den Leis-
tungen für Menschen mit Behinderungen nach dem SGB IX (Rehabilitation
und Teilhabe) und dem SGB XII (Eingliederungshilfe) anzustreben. So erhal-
ten etwa Pflegebedürftige in vollstationären Einrichtungen für Menschen mit
Behinderungen nach § 43a SGB XI künftig zumindest die Leistungen, die bei
der Pflege in der eigenen Häuslichkeit bewilligt würden;

4. im Zusammenwirken mit Ländern und Kommunen die pflegerischen Versor-
gungsstrukturen konsequent nach den Prinzipien der Nutzerinnen- und Nut-
zerorientierung, des Quartiersbezugs sowie „ambulant vor stationär“ auszu-
richten. Die Förderung von Wohn- und Versorgungsangeboten, die im Sinne
eines individuellen Pflege- und Hilfemixes auf persönliche Bedarfslagen aus-
gerichtet sind, wird in den Vordergrund gestellt; u. a. wird das Programm der
KfW Bankengruppe „Altersgerecht Umbauen“ fortgesetzt. Dieser Wand-
lungsprozess erfordert auch eine Stärkung der Rolle der Kommunen, um die
pflegerische Versorgung vor Ort bedarfsgerecht auszugestalten;

5. im Zusammenwirken mit Ländern und Kommunen die Pflegeberatung so
weiterzuentwickeln, dass alle Pflegeversicherten eine zugehende, unabhän-
gige und individuelle Pflege- und Wohnberatung, Unterstützung und Beglei-
tung durch ein neutrales und unabhängiges Case-Managements (Assistenz-
management) für ein passgenaues Pflegesetting in Anspruch nehmen können;

6. zielgerichtete Maßnahmen zur Unterstützung pflegender Angehöriger zu er-
greifen. Die Berücksichtigung der Belange pflegender Angehöriger bei Re-
habilitationsmaßnahmen wird auch in der gesetzlichen Rentenversicherung
verankert. Entlastende ambulante Angebote, wie Tagespflege oder das Mo-
dell der „Pflegebegleiter“, werden bekannter gemacht und ausgebaut;

7. die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf zu verbessern. Es wird eine dreimo-
natige gesetzliche Pflegezeit mit einer steuerfinanzierten Lohnersatzleistung
eingeführt. Der Anspruch auf die Pflegezeit gilt nach einem erweiterten
Familienbegriff auch für Personen ohne verwandtschaftliche Beziehung. In
diesem Sinne werden auch bestehende gesetzliche Pflegezeitregelungen ver-
bessert und zudem mit einem Rechtsanspruch unterlegt. Das Teilzeit- und
Befristungsgesetz (TzBfG) wird stärker auf die Bedürfnisse pflegender
Arbeitnehmerinnen und -nehmer zugeschnitten;

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8. gemeinsam mit den Ländern gezielte Maßnahmen gegen den Personalmangel
in der Pflege zu ergreifen. Es werden verbindliche Personalbemessungsinst-
rumente und regionale Monitorings zur Erfassung des Personalbedarfs ge-
schaffen. Es wird gezielt in die Schaffung von Ausbildungsplätzen investiert.
In den Ländern wird eine Ausbildungsumlage eingeführt. Das Aus- und Wei-
terbildungssystem wird durchlässig gestaltet. Die Umschulung zur Pflege-
kraft soll auch über zwei Jahre hinaus von der Bundesagentur für Arbeit ge-
fördert werden. Überflüssige Bürokratie wird konsequent abgebaut. Die
betriebliche Gesundheitsförderung wird im Rahmen eines Präventionsgeset-
zes gestärkt. Es werden Modellprojekte zu neuen Formen der Arbeitsorgani-
sation und Kooperation aufgelegt. Die Kopplung der Zulassung einer Pflege-
einrichtung an die Zahlung einer ortsüblichen Vergütung (§ 72 Absatz 3
SGB XI) bleibt bestehen.

Berlin, den 9. Mai 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Die Pflege steht vor großen Herausforderungen. Die Zahl der Pflegebedürftigen
in Deutschland wird mit der demografischen Entwicklung bis zum Jahr 2055 auf
etwa 4,35 Millionen Menschen ansteigen. Zugleich erleben wir einen tiefgrei-
fenden sozialen Wandel. Vor allem in strukturschwachen Gebieten steigt der An-
teil alter und hochbetagter Menschen, die auf Pflege und Betreuung angewiesen
sind. Auch die Zahl Alleinlebender, ohne jeden Zugriff auf familiäre Netzwerke,
nimmt zu. Immer weniger Familien leben in direkter örtlicher Nähe, u. a. wegen
erhöhter beruflicher Mobilitätsanforderungen. Frauen tragen auch bei zuneh-
mender Erwerbstätigkeit noch immer die Hauptlast der familiären Pflege. Der
Spagat zwischen Familie, Pflege und Beruf wird insbesondere für sie immer
schwieriger. Der Medizinische Dienst des Spitzenverbandes Bund der Kranken-
kassen (MDS) e. V. stellt in seinem aktuellen 3. Bericht zur Qualität in der am-
bulanten und stationären Pflege fest, dass die Pflegequalität sich seit 2007 zwar
insgesamt verbessert habe. Es werden aber weiterhin einige Qualitätsdefizite
festgestellt, so vor allem auf den Gebieten der Dekubitusprophylaxe, der Sicher-
stellung der Unterstützung einer ausreichenden Ernährung oder dem weiterhin
sehr hohen Einsatz freiheitseinschränkender Maßnahmen. Die soziale Pflegever-
sicherung ist auf diese Herausforderungen strukturell wie finanziell nicht aus-
reichend vorbereitet. Deswegen sind umfangreiche Reformschritte erforderlich.

Zu Abschnitt II

Zu Nummer 1 – Pflegebegriff

Der dem SGB XI zugrunde liegende Pflegebedürftigkeitsbegriff zielt zu sehr auf
körperliche Einschränkungen. Keine Beachtung finden Teilhabebedürfnisse und
Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen. Eine große Zahl von Menschen
erhält so keine oder nicht ausreichende Hilfen, ihre Zahl wird sich zudem von
heute ca. einer Million Betroffener bis zum Jahr 2050 verdoppeln. Deswegen ist
die schnellstmögliche Einführung eines neuen teilhabeorientierten Pflegebe-
griffs erforderlich. Der Pflegebedarf muss vollständig erfasst werden und auch
Teilhabebedürfnisse, den Grad der Selbstständigkeit und Potenziale zur Präven-
tion und Rehabilitation umfassen. Auch der Deutsche Ethikrat weist in seiner

aktuellen Stellungnahme „Demenz und Selbstbestimmung“ darauf hin, dass bei

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der Neufassung des Pflegebegriffs die Selbstbestimmungsmöglichkeiten der
Betroffenen ausreichend berücksichtigt werden sollen. Bereits seit Anfang des
Jahres 2009 liegen weitgehende Empfehlungen des 2006 einberufenen Exper-
tenbeirats zur Ausgestaltung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs vor. In
Abstimmung mit den Überlegungen zur Weiterentwicklung der Eingliederungs-
hilfe ist dabei auf die Entwicklung eines einheitlichen, rehabilitationswissen-
schaftlich abgesicherten und in der bundesweiten Verwaltungspraxis anerkann-
ten Verfahrens zur Feststellung des individuellen Teilhabebedarfs hinzuwirken.
Trotz des offensichtlichen Handlungsbedarfs hat weder die vormalige noch die
jetzige Bundesregierung ernsthafte weitere Schritte zur Umsetzung dieser Emp-
fehlungen unternommen. Die Neueinsetzung des Beirats im März 2012 erfolgte
viel zu spät, um noch in dieser Wahlperiode einen neuen Pflegebegriff einführen
zu können.

Die Begutachtung von Pflegebedürftigkeit muss sich künftig an den vom Beirat
aufgestellten Bedarfsstufen orientieren und ist mit Leistungskomplexen zu hin-
terlegen. Bei der Ausgestaltung des Pflegebegriffs darf künftig nicht mehr der
Zeitaufwand für bestimmte Aufgaben entscheidend sein, sondern der Grad der
Selbstständigkeit des Pflegebedürftigen – damit verbunden ist auch der Auftrag,
die bisherige Leistungsgewährung von der Minutenpflege sinnvoll abzukop-
peln. Über entsprechende Übergangs- bzw. Bestandsschutzregelungen ist zudem
zu vermeiden, dass pflegebedürftige Personen durch das neue Leistungsrecht
eine Minderung ihrer gegenwärtigen tatsächlichen Leistungen erleiden.

Ausgehend von den verschiedenen Kostenszenarien des Beirats von 2009 sind
für eine hinreichende Umsetzung Mehrkosten von ca. 3,5 Mrd. Euro erforder-
lich. Es sollte daher mit einer Ausweitung des Leistungsvolumens der Pflegever-
sicherung von ca. 15 Prozent kalkuliert werden (Kostenwirkungen siehe Num-
mer 2).

Die pflegevermeidende Rehabilitation liegt in der Praxis brach. Der in § 11 Ab-
satz 2 SGB V verankerte Rechtsanspruch greift kaum, ebenso wenig wie § 40
Absatz 3 SGB V, wonach die Krankenversicherung bei unterlassener Rehabili-
tationsleistung Strafzahlungen an die Pflegeversicherung leisten muss. Ursäch-
lich dafür sind systematische Fehlanreize, da für die medizinische Rehabilitation
nicht derjenige Träger zuständig ist, der das Risiko des Scheiterns trägt. Zur
wirksamen Umsetzung des Prinzips Rehabilitation vor Pflege sind verschiedene
Wege denkbar. Zum einen könnte die Pflegeversicherung in den Kreis der Reha-
bilitationsträger aufgenommen werden. Als Rehabilitationsträger entwickelt sie
somit ein eigenes Interesse an medizinischer Rehabilitation zur Vermeidung von
Pflegebedürftigkeit. Als weitere Option wird auch die Möglichkeit von Aus-
gleichszahlungen der sozialen Pflegeversicherung an die gesetzliche Kranken-
versicherung diskutiert. So könnten die Anreize für die Krankenkassen, ihrer
Aufgabe der pflegerischen Rehabilitation nachzukommen, deutlich erhöht wer-
den (vgl. Antrag „Neuntes Buch Sozialgesetzbuch im Sinne des Selbstbestim-
mungsrechts der Menschen mit Behinderung weiterentwickeln“, Bundestags-
drucksache 17/7951).

Zu Nummer 2 – Pflege-Bürgerversicherung

Wie auch in der Krankenversicherung ist die Zweiteilung in SPV und PPV un-
gerecht und unbegründet. Sie sollen daher in einer Pflege-Bürgerversicherung
zusammengeführt werden. Da SPV und PPV seit jeher einen identischen Leis-
tungskatalog aufweisen, sind größere Probleme beim Übergang in eine Bürger-
versicherung nicht zu erwarten. Doch auch das in der SPV geltende Umlagever-
fahren weist Gerechtigkeitslücken auf. Die Finanzierung erfolgt einseitig durch
Beiträge auf Löhne, Renten und Arbeitslosengeld. Dagegen bleiben Vermögens-

einkommen und Gewinne beitragsfrei. Das ist ungerecht und entspricht nicht
mehr den Einkommensverhältnissen der Bürgerinnen und Bürger.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/9566

In der Pflege-Bürgerversicherung nach dem Modell der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN sind alle Bürgerinnen und Bürger Mitglied. Alle Einkunftsarten
– auch Vermögenseinkommen, Gewinne und Mieteinkünfte – werden in die Fi-
nanzierung der Pflegeversicherung einbezogen. Damit durch die Heranziehung
weiterer Einkommensarten nicht vor allem kleine und mittlere Einkommensbe-
zieherinnen und Einkommensbezieher belastet werden, sind für die zusätzlichen
Einkommensarten Freigrenzen einzuräumen. Die Beitragsbemessungsgrenze
wird auf das Niveau der gesetzlichen Rentenversicherung (West) angehoben.
Die Beiträge auf Erwerbseinkommen aus abhängiger Beschäftigung werden
weiterhin paritätisch finanziert. Der erhöhte Beitragssatz für kinderlose Ver-
sicherte bleibt bestehen. Kinder bleiben kostenlos versichert. Nicht erwerbs-
tätige Ehegattinnen/Ehegatten bzw. Lebenspartnerinnern/Lebenspartner müssen
keine Beiträge zahlen, wenn sie Pflegeleistungen erbringen (mind. 14 Stunden/
Woche) oder kleine Kinder erziehen. Für alle anderen Ehepaare und eingetrage-
nen Lebensgemeinschaften wird ein Beitragssplitting eingeführt. Dabei wird das
beitragspflichtige Haushaltseinkommen halbiert und auf beide Teile bis zur
Beitragsbemessungsgrenze Beiträge erhoben. Auch weiterhin können die Ver-
sicherten ihre Versicherung frei wählen. Die Pflege-Bürgerversicherung kann
auch durch private Versicherungsunternehmen angeboten werden, die sich dem
Wettbewerb mit den gesetzlichen Kassen stellen müssen. Die Regeln, die dabei
gelten, sind: Umlagefinanzierung, einkommensbezogene Beiträge, einheitlicher
Leistungskatalog, Kontrahierungszwang, Diskriminierungsverbot.

Für die Umsetzung eines neuen Pflegebegriffs (siehe Nummer 1) wird eine Aus-
weitung des Leistungsvolumens um 15 Prozent angesetzt. Zudem werden die
Leistungen der Pflege-Bürgerversicherung im Gegensatz zur geltenden Rechts-
lage regelmäßig so angepasst (dynamisiert), dass ein Realwertverlust der
Leistungen vermieden wird. Da sich die Pflegekosten zu etwa zwei Dritteln aus
Personal- und zu etwa einem Drittel aus Sachkosten zusammensetzen, werden
die Leistungen regelmäßig in diesem Verhältnis an die Lohn- und Inflations-
entwicklung angepasst. Die Pflege-Bürgerversicherung bleibt ein Teilabsiche-
rungssystem. Ein im Auftrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erstell-
tes Gutachten des Zentrums für Sozialpolitik der Universität Bremen (Prof. Dr.
Heinz Rothgang, Dr. Robert Arnold u. a.: „Berechnungen der finanziellen
Wirkungen verschiedener Varianten einer Pflegebürgerversicherung. Gutachten
aus dem Zentrum für Sozialpolitik im Auftrag der Bundestagsfraktion Bündnis
90/Die Grünen“, 10/2011) ergibt, dass durch die Einbeziehung aller Bürgerinnen
und Bürger sowie Einkommensarten nicht nur die Solidarität im System
gestärkt, sondern auch der Anstieg der Pflegeversicherungsbeiträge im Rahmen
der demografischen Entwicklung deutlich gedämpft werden kann. Bei den
genannten deutlichen Leistungsverbesserungen sind Beitragssatzanstiege in der
Zukunft unumgänglich. Mit einem maximalen Beitragssatz von ca. 3,2 Prozent-
punkten im Jahr 2055 bleibt diese Entwicklung aber überschaubar.

Zu Nummer 3 – Schnittstellenprobleme verringern

Die Reform des Pflegebegriffs muss mit einer Harmonisierung der Leistungen
des SGB XI mit denen für Menschen mit Behinderungen nach dem SGB IX
(Rehabilitation und Teilhabe) und SGB XII (Eingliederungshilfe) einhergehen.
Bestehende Schnittstellenprobleme zwischen diesen Gesetzbüchern und beste-
hende Leistungsbeschränkungen für Menschen mit Behinderungen müssen ab-
gebaut und neue vermieden werden. Beispielhaft sei hier § 43a SGB XI genannt.
Leben pflegebedürftige Menschen in vollstationären Einrichtungen der Behin-
dertenhilfe, übernimmt die soziale Pflegeversicherung nach § 43a SGB XI 10
Prozent des Heimentgelts, maximal jedoch 256 Euro im Monat. Der weitaus
größere Betrag wird vom Sozialhilfeträger gezahlt. Bei stationärer Unterbrin-

gung in einer reinen Pflegeeinrichtung mit Versorgungsvertrag zahlt die Pflege-
kasse hingegen je nach Pflegestufe bis zu 1 918 Euro im Monat. Eine Anpassung

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dieser Pauschalleistung ist bei vergangenen Reformen nicht erfolgt und ist auch
mit dem PNG nicht vorgesehen. Sofern Menschen mit Behinderungen außerhalb
eines nach dem SGB XI anerkannten Pflegeheimes Pflege benötigen, sind ihnen
zumindest die Leistungen zur Verfügung zu stellen, die bei der Pflege in der ei-
genen Häuslichkeit bewilligt würden.

Zu Nummer 4 – Pflegerische Versorgungsstrukturen planerisch entwickeln

Kontinuierlich ist eine zunehmende Verschiebung von der familiären/ambulan-
ten hin zur stationären Pflege zu beobachten. Dies widerspricht dem Wunsch der
meisten Menschen nach einem selbstbestimmten Leben und der Versorgung in
einer eigenen Häuslichkeit sowie dem Verbleib im angestammten Wohnquartier.
Es braucht daher ein deutliches Signal zur Neuausrichtung der pflegerischen
Versorgungsinfrastruktur. Quartiersorientierte, kleinräumige Ansätze zeichnen
sich aus durch eine Vielzahl individueller, auf die persönliche Bedarfslage aus-
gerichteter Wohnformen, durch niedrigschwellige und zugehende Sozial-,
Pflege- und Gesundheitsdienstleistungen und die kooperative Vernetzung ver-
schiedenster Professionen, familiärer und freiwilliger/ehrenamtlicher Hilfsange-
bote in einem Mix aus geteilten Verantwortungsbereichen. Ein weiterer Ausbau
stationärer Pflegeeinrichtungen kann schon kostenseitig betrachtet kein Modell
für die Zukunft sein. Vielmehr wird es darum gehen, dass auch stationäre Ein-
richtungen sich zum Quartier hin öffnen und integrieren.

Dafür sind das enge Zusammenwirken und die Einbindung aller Akteursebenen
erforderlich – von Bund, Ländern und Kommunen über die Kostenträger und
Leistungserbringer bis hin zu Selbsthilfe- und Verbraucherorganisationen und
Bürgerinnen und Bürgern. Dabei sind auch die Kommunen gefragt – dort findet
die Pflege unter jeweils sehr unterschiedlichen Rahmenbedingungen statt. Die
kommunale Handlungsfähigkeit ist deshalb auf den Gebieten einer kooperativen
und integrierten Altenhilfe- , Sozial- und Stadtplanung zu fördern. Dabei müssen
Wege gefunden werden, die Kommunen zur Wahrnehmung dieser Aufgaben
ggf. auch finanziell zu unterstützen.

Zudem sollten auch die Bestimmungen des SGB XI, in denen die gemeinsame
Verantwortung von Ländern, Kommunen, Pflegeeinrichtungen und Pflegekas-
sen zum Ausbau und zur Weiterentwicklung der pflegerischen Versorgungs-
strukturen zum Tragen kommt, daraufhin überprüft werden, ob sie den Hand-
lungsnotwendigkeiten vor Ort gerecht werden. Besondere Beachtung verdienen
dabei u. a. § 3 (Vorrang der häuslichen Pflege), § 8 (Gemeinsame Verantwor-
tung), § 9 (Aufgaben der Länder) und § 69 (Sicherstellungsauftrag der Pflege-
kassen) SGB XI.

Neben der Entwicklung und Förderung haushaltsnaher und komplementärer
Dienstleistungen sowie der Förderung von Selbsthilfegruppen sollten zudem
Konzepte für neu organisierte, solidarische Unterstützungssysteme entwickelt
werden. Hier bedarf es deutlicher Anstrengungen, zivilgesellschaftliche Struk-
turen zu fördern und rechtliche Hemmnisse abzubauen. Zudem müssen die ver-
schiedenen Hilfen der einzelnen Akteure besser koordiniert und die Kooperation
zwischen ihnen muss optimiert werden. Hierdurch können Synergieeffekte er-
reicht und Wirtschaftlichkeitsreserven erschlossen werden. Insgesamt muss der
Ausbau altengerechten und barrierefreien/-armen Wohnraums stärker in den
Vordergrund rücken. Unter anderem sollte daher das 2011 von der Bundesregie-
rung eingestellte Programm der KfW Bankengruppe „Altersgerecht Umbauen“
wieder aufgenommen und verstetigt werden (vgl. Antrag „Der älter werdenden
Gesellschaft gerecht werden – Barrieren in Wohnungen und im Wohnumfeld ab-
bauen“, Bundestagsdrucksache 17/7188).

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Zu Nummer 5 – Pflegeberatung/Case-Management

Der deutsche Pflegemarkt erschwert in seiner heutigen Form den Pflegebedürf-
tigen und ihren Bezugspersonen oftmals die notwendige Orientierung, um ein
gelingendes, tragfähiges und individuell passgenaues Pflegearrangement zu-
sammenzustellen. Die Betroffenen brauchen Ansprechpartnerinnen- und - part-
ner, die ihnen fachlich qualifiziert zur Seite stehen und denen sie uneinge-
schränkt vertrauen können. Deshalb muss diese Beratung dem Grundsatz der
Neutralität und Unabhängigkeit folgen. Das gilt nicht nur für den Bereich der
allgemeinen Pflege- und Wohnberatung, sondern vor allem für den Bereich der
Einzelfallberatung. Die mit dem Pflege-Weiterentwicklungsgesetz (PfWG) in
der 16. Wahlperiode geschaffenen Strukturen der Pflegeberatung (§ 7a SGB XI)
und Pflegestützpunkte (§ 92c SGB XI) bieten dazu durchaus gute Ansätze. Sie
erfüllen jedoch die zwingenden Kriterien der Neutralität und Unabhängigkeit
nicht annähernd und weisen in der bisherigen Umsetzung zum Teil große
qualitative und quantitative Unterschiede zwischen den Bundesländern und
Regionen auf. Sie müssen daher optimiert und weiterentwickelt werden. Be-
ratung, Unterstützung und Begleitung sollten sich am Konzept des Case-
Managements (Fall-, Assistenz-Managements) nach der Definition der Deut-
schen Gesellschaft für Care und Case Management orientieren. Damit Fall-,
Assistenzmanagerinnen und -manager Leistungsangebote vernetzen, bündeln
und koordinieren können, benötigen sie eine regionale Versorgungsstruktur, in
die alle an der Pflege beteiligten Akteure verpflichtend und gleichberechtigt ein-
gebunden sind.

Auch für die Entwicklung einer Beratungsstruktur, die den Ansprüchen einer
quartiersorientierten und individuellen Versorgung der Nutzerinnen und Nutzer
genügt (siehe Nummer 4), ist das Engagement der Länder und der Kommunen
unerlässlich.

Zu Nummer 6 – Pflegende Angehörige

Eine wesentliche Aufgabe einer Pflegereform müssen die Stärkung und Ent-
lastung derjenigen sein, die bereit sind, Verantwortung für pflegebedürftige
Menschen zu übernehmen. Pflegende Bezugspersonen fühlen sich oft gesell-
schaftlich ausgegrenzt und isoliert sowie körperlich und psychisch überfordert.
Das kann zu gesundheitliche Beeinträchtigungen, Versorgungsfehlern oder gar
Gewalt in der Pflegebeziehung führen. Die Hauptlast der Pflege tragen die
Frauen, die mit 73 Prozent als Hauptpflegepersonen gelten (Bundesministerium
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2005, Gender-Datenreport). Ein ver-
ändertes Rollenverständnis, der steigende Erwerbsanteil von Frauen, die zuneh-
mende Mobilität und sich wandelnde Familienstrukturen werden und müssen
dazu führen, dass sich diese Geschlechterrelation verändert. Es sind daher mo-
derne Konzepte nötig, um die Bereitschaft zur Übernahme von Pflegeaufgaben
bei Männern wie Frauen gleichermaßen zu fördern. Die mangelhafte Vereinbar-
keit von Pflege und Beruf führt aktuell dazu, dass – in der Regel weibliche – Er-
werbstätige ihre Berufstätigkeit reduzieren oder ganz aufgeben.

Im PNG sind nur sehr wenige konkrete Maßnahmen zur Entlastung pflegender
Angehöriger vorgesehen. Die im Referentenentwurf des PNG noch geplante
Berücksichtigung der besonderen Belange pflegender Angehöriger bei Maß-
nahmen der Rehabilitation im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung (§ 9
SGB VI) wurde wieder gestrichen. Das muss rückgängig gemacht werden. Be-
stehende Entlastungsangebote, wie die Tages-, Nacht- und Kurzzeitpflege, sind
oftmals noch zu wenig bekannt. Es wird auch Aufgabe einer gestärkten Bera-
tungsstruktur sein (siehe Nummer 5), die Betroffenen mehr auf solche Angebote
aufmerksam zu machen und solche zu vermitteln. Darüber hinaus gilt es, diese

meist noch unterentwickelten Angebote weiter in die Fläche zu bringen und aus-
zubauen. Vor allem müssen auch älteren pflegenden Angehörigen spezielle

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Angebote unterbreitet werden, die einen zugehenden Charakter haben, wie etwa
das Modell der freiwilligen Pflegebegleiter.

Zu Nummer 7 – Vereinbarkeit von Pflege und Beruf

Es müssen verstärkte Anstrengungen unternommen werden, verschiedene
flexible Arbeitszeitmodelle zu entwickeln, die u. a. für die Organisation oder
Übernahme von Pflege Raum bieten. So soll die im Antrag vorgeschlagene ge-
setzliche dreimonatige Pflegezeit vor allem als Raum der Durchführung einer
Sterbegleitung oder der Organisation der notwendig gewordenen Pflege dienen.
Natürlich soll es aber auch möglich sein, in der Pflegezeit selbst Pflegeaufgaben
zu übernehmen. Während der Pflegezeit muss es eine Lohnersatzleistung geben,
damit die Pflegezeit auch finanziell für alle Arbeitnehmerinnen und -nehmer ab-
gesichert ist. Diese soll aus Steuermitteln finanziert werden und beträgt 50 Pro-
zent des Nettogehalts – mindestens 300 Euro, maximal 1 000 Euro. Der An-
spruch ist mit vollem Kündigungsschutz und Rückkehrrecht auf den gleichen
Arbeitsplatz zu denselben Arbeitsbedingungen und derselben wöchentlichen
Arbeitszeit verbunden.

Zukünftig werden immer weniger Menschen auf langfristige und verlässliche
Hilfe und Unterstützung aus traditionellen Familiennetzwerken zurückgreifen
können. Dafür aber haben sich in den letzten Jahrzehnten immer vielfältigere,
alternative Lebensformen neben den klassischen Familienbeziehungen ent-
wickelt. Wir setzen uns deshalb für eine erweiterte, zeitgemäße Definition des
Familienbegriffs ein. Dieser Familienbegriff erkennt alle selbst gewählten Fami-
lien- und Lebensformen an, die Verantwortung für einen pflegebedürftigen
Menschen übernehmen, unabhängig vom Verwandtschaftsgrad (vgl. Antrag
„Vereinbarkeit von Pflege, Familie und Beruf verbessern – Pflegende Bezugs-
personen wirksam entlasten und unterstützen“, Bundestagsdrucksache 17/1434).

Das am 1. Januar 2012 in Kraft getretene Familienpflegezeitgesetz (FPfZG)
trägt in der Praxis kaum zur Entlastung pflegender Angehöriger bei, u. a. auf-
grund des fehlenden Rechtsanspruchs für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
gegenüber den Arbeitgebern/Arbeitgeberinnen. Um es zumindest für einen be-
grenzten Kreis überhaupt attraktiv und zugänglich zu machen, muss daher das
FPfZG mindestens um einen Rechtsanspruch erweitert werden, um allen Arbeit-
nehmerinnen und -nehmern die Inanspruchnahme der Familienpflegezeit zu
ermöglichen. Zudem muss auch im FPfZG ein erweiterter Familienbegriff zur
Anwendung kommen.

Des Weiteren ist die Weiterentwicklung des Teilzeit- und Befristungsgesetzes
(TzBfG) notwendig. Es eröffnet derzeit für Arbeitnehmer/-innen zwar das Recht
auf die Reduzierung ihrer Arbeitszeit. Die Rückkehr auf die vor der Reduzie-
rung geltende Arbeitszeit ist jedoch nicht möglich. Das muss sich ändern. Alle
genannten Maßnahmen sollen unabhängig von der Betriebsgröße gelten.

Zu Nummer 8 – Pflege-Fachkräftemangel

Auch hier ist das Zusammenwirken von Bund und Ländern erforderlich, u. a.
wegen der gemischten Zuständigkeiten im Bereich der Pflegeausbildungen.
Doch auch die Arbeitgeber, Arbeitnehmervertretungen und Berufsverbände sind
bei der Entwicklung entsprechender Handlungsstrategien zwingend und eng
einzubinden. Verlässliche Aussagen zum bisherigen und zukünftigen Fachkräf-
temangel in der Pflege sind bisher kaum möglich. Die Datenlage ist nicht ein-
deutig und weist darauf hin, dass es hier dringend einer verlässlichen Erhebung
(Monitoring) auf regionaler und/oder Länderebene bedarf. Es ist unstrittig, dass
ein Personal- und Fachkräftebedarf in der Pflege besteht, der in Anbetracht der

steigenden Zahl von pflegebedürftigen Personen zunehmen wird. Es sind daher
weitreichende Maßnahmen zur Fachkräftesicherung und zur Attraktivitätsstei-

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gerung der Pflegeberufe notwendig. Unter anderem scheint die Einführung eines
verbindlichen Personalbemessungsinstrumentes dringend angezeigt, um eine
verlässliche Grundlage für Kostenträger und Leistungserbringer zur Ermittlung
des konkreten und zu refinanzierenden Personalbedarfs in einer Einrichtung zu
schaffen.

Der erforderliche Ausbau von Ausbildungsplätzen wird ohne die Bereitschaft zu
Investitionen von Bund und Ländern nicht möglich sein. Zudem sollte in allen
Bundesländern eine Ausbildungsumlage nach § 25 des Altenpflegegesetzes ein-
geführt werden. Nur so beteiligen sich Leistungserbringer, die nicht praktisch
ausbilden, angemessen an den Ausbildungskosten. Die Kosten für die Umschu-
lung/Weiterbildung zur Pflegekraft sollten vorerst in vollem Umfang von der
Bundesagentur für Arbeit übernommen werden. Langfristig sind auch hier die
Einrichtungen und Dienste sowie die Bundesländer in der Verantwortung, sich
an diesen Kosten zu beteiligen.

Es ist dringend erforderlich, neue Ausbildungs- und Weiterbildungsmöglichkei-
ten anzubieten und damit auch Quereinstiege zu ermöglichen. Alle, die Interesse
am Pflegeberuf zeigen, müssen die Möglichkeit erhalten, einen Einstieg in das
Berufsbildungssystem zu erhalten und sich weiterzuqualifizieren. Darüber hi-
naus muss auch intensiv an der Erhaltung des Fachkräftepotenzials gearbeitet
werden. Die von den Pflegenden genannten Belastungsfaktoren, wie bspw. die
Überlastung durch Bürokratie etwa im Rahmen der Qualitätsprüfungen durch
Medizinischen Dienst der Krankenversicherung und Heimaufsicht, müssen
ernstgenommen und aktiv bearbeitet werden. Zum Abbau von Bürokratie gibt es
viele Empfehlungen, bspw. des Runden Tisches Pflege von 2005. Auch der
Nationale Normenkontrollrat sowie die seit Juni 2011 tätige unabhängige
Ombudsfrau zur Entbürokratisierung in der Pflege im Bundesministerium für
Gesundheit arbeiten an entsprechenden Empfehlungen. Diese müssen nun drin-
gend zusammengeführt und zügig verbindlich umgesetzt werden.

Um den Pflegeberuf attraktiver auszugestalten, muss ein intensiver Austausch
zwischen Arbeitgebern, Arbeitnehmervertretungen/Berufsverbänden sowie mit
Bund und Land über die Verbesserung der Arbeitsbedingungen gepflegt werden.
Dabei gilt es auch im Sinne des „Best-Practise“-Ansatzes gegenseitig von Bei-
spielen guter Praxis zu lernen. Es gilt zu analysieren, welcher Voraussetzungen
es auf der Seite der Einrichtungen bedarf, um gute Arbeitsbedingungen, eine
gute Arbeitsorganisation, eine gelingende Motivation der Beschäftigten, geringe
Fluktuation, ein angemessenes Gehaltsgefüge etc. zu verwirklichen. Der Bund
sollte dies mit Modellprojekten zur Erprobung neuer Formen der Arbeitsorga-
nisation und Kooperation unterstützen. Zur Stärkung der Bemühungen zur Ge-
sunderhaltung pflegerischen Potenzials muss zudem im Rahmen eines Präven-
tionsgesetzes die betriebliche Gesundheitsförderung nach § 20a SGB V gestärkt
werden (vgl. Antrag „Gesetzliche Grundlage für Prävention und Gesundheits-
förderung schaffen – Gesamtkonzept für nationale Strategie vorlegen“, Bundes-
tagsdrucksache 17/5529).

Überdies sollte die starke Ausweitung der Teilzeitbeschäftigung eingedämmt
werden. Nach einer Studie der Universität Hannover im Auftrag des Deutschen
Pflegerats ist der Hauptgrund hierfür die Personalpolitik vieler Krankenhäuser
und Pflegeeinrichtungen. Hier werden häufig nur noch Teilzeitstellen ange-
boten, weil dies kostensparender und das Personal flexibler einsetzbar sei. Die
gesetzgeberischen Möglichkeiten, um eine angemessene Entlohnung von Pfle-
gekräften zu gewährleisten, müssen erhalten, nicht geschwächt werden. Ein
Mindestlohn ist kein Normlohn. Daher sind die mit dem PNG geplante Entkoppe-
lung der Zulassung einer Pflegeeinrichtung von der Zahlung einer „ortsüblichen
Vergütung“ und die stattdessen vorgesehene Bindung an den Pflegemindestlohn

nach § 72 Absatz 3 SGB XI zu unterlassen. Es wäre darüber hinaus wünschens-
wert, wenn sich die Kommission zur Festsetzung von Arbeitsbedingungen in der

Drucksache 17/9566 – 10 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Pflegebranche (Pflegekommission) nach Ablauf der derzeitigen Mindestlohnre-
gelung im Jahr 2014 auf die Angleichung des Pflegemindestlohns Ost an das
Mindestlohnniveau West verständigen könnte, um gleichwertigen Lohn- und
Lebensbedingungen in Ost und West näherzukommen.

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