BT-Drucksache 17/9414

Die Beschaffung unbemannter Systeme überprüfen

Vom 25. April 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9414
17. Wahlperiode 25. 04. 2012

Antrag
der Abgeordneten Agnes Brugger, Omid Nouripour, Katja Keul, Tom Koenigs,
Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), Viola von Cramon-Taubadel, Thilo
Hoppe, Uwe Kekeritz, Ute Koczy, Kerstin Müller (Köln), Lisa Paus, Claudia Roth
(Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Hans-Christian Ströbele
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Die Beschaffung unbemannter Systeme überprüfen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Entwicklung und der Einsatz unbemannter Systeme (UMS) durch Streit-
kräfte haben in den letzten Jahren stark zugenommen. Besonders deutlich wird
dies am Beispiel unbemannter fliegender Systeme (UAV), so genannter Droh-
nen, die bereits in zahlreichen Ländern zum Einsatz kamen. Laut einem Bericht
der Vereinten Nationen verfügen immer mehr Staaten über die technischen
Voraussetzungen zum Bau von UAV. Einige Staaten verfügen auch über be-
waffnete UAV, andere ziehen eine Bewaffnung dieser Systeme zunehmend in
Betracht.

Auch die Bundeswehr setzt verstärkt auf unbemannte Systeme. Bisher verzich-
tet die Bundeswehr auf bewaffnete unbemannte Systeme. Die Bundeswehr will
ab 2014 drei derzeit geleaste Drohnen vom Typ IAI Heron durch drei leistungs-
fähigere unbemannte Luftfahrtzeuge vom Typ Predator B ersetzen. Nach bishe-
rigen Verlautbarungen will das Bundesministerium der Verteidigung diese
Drohnen lediglich unbewaffnet und zur Aufklärung einzusetzen. Durch leichte
Modifikationen können diese aber auch bewaffnet werden. Damit hätte die
Bundeswehr erstmals bewaffnete unbemannte Systeme.

Die zunehmende Automatisierung militärischer Systeme hat schwerwiegende
Auswirkungen auf die Kriegsführung. Vor allem die Entwicklung unbemannter
bewaffneter Systeme, die zunehmend automatisch operieren, wirft völkerrecht-
liche, menschenrechtliche und ethische Fragen auf. Darüber hinaus besteht die
Gefahr eines Rüstungswettlaufs und zunehmender Proliferation in dieser Waf-
fengattung.

Im Auftrag des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages wurde
ein Gutachten zu „Stand und Perspektiven der militärischen Nutzung unbe-
mannter Systeme“ durch das Büro für Technikfolgen-Abschätzung erstellt. Das

Gutachten empfiehlt u. a. eine Prüfung gemäß Artikel 36 des Zusatzprotokolls
(ZP) I der Genfer Konvention über den Schutz der Opfer internationaler be-
waffneter Konflikte sowie eine rüstungskontrollpolitische Bestandsaufnahme
mit Blick auf unbemannte Systeme.

Drucksache 17/9414 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. einen multidisziplinären Prüfprozess nach Artikel 36 ZP I der Genfer Kon-
vention für unbemannte Systeme und deren Vereinbarkeit mit dem geltenden
Völkerrecht einzuleiten und den Deutschen Bundestag zeitnah über die
Ergebnisse dieser Prüfung umfassend zu informieren;

2. gemäß der Empfehlung des Gutachtens des Büros für Technikfolgen-Ab-
schätzung zu „Stand und Perspektiven der militärischen Nutzung unbemann-
ter Systeme“ eine umfassende rüstungskontrollpolitische Bestandsaufnahme
mit Blick auf unbewaffnete und bewaffnete unbemannte Systeme vorzu-
nehmen und den Deutschen Bundestag zeitnah über die Ergebnisse dieser Be-
standsaufnahme zu informieren.

Berlin, den 24. April 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Auch im bewaffneten Konflikt haben die beteiligten Parteien nach Artikel 36
ZP I kein unbeschränktes Recht in der Wahl der Methoden und Mittel der
Kriegsführung. So sind generell das Gebot des Schutzes der Bevölkerung, das
Unterscheidungsgebot und das Verhältnismäßigkeitsgebot zu berücksichtigen.
Was dies für den Einsatz bewaffneter unbemannter Systeme bedeutet, muss ge-
klärt werden.

Der Trend zur Automatisierung bewaffneter Systeme ist unverkennbar. Gleich-
zeitig sind die mit der Programmierung von Entscheidungsprozessen verbun-
denen Risiken des Einsatzes unbewaffneter und bewaffneter unbemannter Sys-
teme unzureichend untersucht. Seitens der Bundesregierung gibt es noch keine
Bewertung der von Fehlprogrammierung, Systemstörungen oder Defekten aus-
gehenden Gefahren. Auch die Empfindlichkeit unbemannter Systeme gegen-
über von Dritten verursachten Störungen und Steuerungseingriffe beim Einsatz
sowie die daraus zu ziehenden Konsequenzen sind nicht hinreichend erörtert.

Der Einsatz unbemannter Systeme wirft außerdem völkerrechtliche, menschen-
rechtliche und ethische Fragen auf. Der Einsatz unbemannter Systeme ist durch
das geltende Humanitäre Völkerrecht geregelt. Daher darf es nicht passieren,
dass auf den Einsatz komplexer unbemannter Systeme und die Programmie-
rung von Entscheidungsprozessen bei Militäreinsätzen verwiesen und die Zu-
rechnung von Verantwortlichkeit bei der Verletzung des Humanitären Völker-
rechts in Frage gestellt wird. Ungeklärt ist die Frage, wie sich der wachsende
Automatisierungsgrad unbemannter Systeme auf die Fähigkeit zur verläss-
lichen Unterscheidung von Kombattanten und Nichtkombattanten zum Schutz
der Zivilbevölkerung auswirkt. Problematisch wäre es, wenn bewaffnete auto-
matisierte Systeme – losgelöst von einer nachvollziehbaren Befehlskette –
einem Auftrag nachgingen. Denn Artikel 57 Absatz 2 ZP I verpflichtet alle
Konfliktparteien zur Einhaltung des Humanitären Völkerrechts während militä-
rischer Operationen und zum Abbruch eines Angriffs, wenn sich erweist, dass
sein Ziel nicht militärischer Art ist oder Verluste unter der Zivilbevölkerung
verursacht. Daher müssen unbemannte Systeme mit einer Vorrichtung ausge-
stattet werden, die vorprogrammierte Wirkung aufzuheben und sich notfalls
selbst zu zerstören.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/9414

Darüber hinaus ist der Status der Bodenstation für unbemannte Systeme und
des Bedienpersonals zu prüfen. Werden vom Heimatland aus bewaffnete Ein-
sätze im Konfliktgebiet gesteuert, so wird die Bodenstation auch dort zum legi-
timen militärischen Angriffsziel. Das wiederum würde die Bundesregierung
zum Schutz der Bevölkerung verpflichten, solche Stationen nicht in der Nähe
dicht bevölkerter Gebiete einzurichten.

Artikel 36 ZP I der Genfer Konventionen verpflichtet die Unterzeichnerstaaten,
zu denen auch die Bundesrepublik Deutschland gehört, bei der Prüfung, Ent-
wicklung, Beschaffung oder Einführung neuer Waffen oder neuer Mittel oder
Methoden der Kriegführung zu prüfen, ob ihre Verwendung stets oder unter be-
stimmten Umständen durch dieses Protokoll oder durch eine andere auf die
Vertragspartei anwendbare Regel des Völkerrechts verboten wäre. Dabei ist mit
der Überprüfung schon weit vor der Beschaffung des Systems zu beginnen und
alle Prüfungsschritte und Ergebnisse sind zu dokumentieren.

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