BT-Drucksache 17/9405

Konversion - Zwischen Verwertungsdruck und nachhaltigen Konzepten

Vom 25. April 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9405
17. Wahlperiode 25. 04. 2012

Antrag
der Abgeordneten Daniela Wagner, Bettina Herlitzius, Britta Haßelmann,
Dr. Tobias Lindner, Dr. Anton Hofreiter, Stephan Kühn, Dr. Valerie Wilms,
Cornelia Behm, Harald Ebner, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, Sven-Christian
Kindler, Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Undine Kurth (Quedlinburg),
Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, Dr. Hermann E. Ott, Dr. Gerhard Schick,
Dorothea Steiner, Markus Tressel und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Konversion – Zwischen Verwertungsdruck und nachhaltigen Konzepten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Am 26. Oktober 2011 hat das Bundesministerium der Verteidigung die Schlie-
ßung von 31 Standorten der Bundeswehr angekündigt. Aufgrund einer vorheri-
gen Stationierungsentscheidung stehen noch 13 weitere Standorte zur Schließung
an. Zudem werden die Dienstpostenumfänge in zahlreichen Kasernen signifikant
reduziert. Auch der Abzug und die Verkleinerung von britischen und US-ameri-
kanischen Streitkräften und deren Standorten in Deutschland in den nächsten 10
bis 15 Jahren sind eine große Zukunftsaufgabe. Die britischen Streitkräfte sind
derzeit noch an ca. 17 Standorten und die der USA an 23 Standorten in Deutsch-
land vertreten. Von dem geplanten Abzug zweier amerikanischer Brigaden aus
Europa werden auch Standorte in Deutschland betroffen sein. Seit 2011 werden
die Liegenschaften der Bundeswehr stufenweise (2011, 2012, 2013) an die Bun-
desanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) als zentrales Liegenschaftsmanage-
ment des Bundes übertragen. Die BImA stellt diese Liegenschaften dann als Ver-
mieterin der Bundeswehr zur Verfügung. Als Eigentümerin ist die BImA ent-
sprechend für die wirtschaftliche Verwertung von nicht mehr für dienstliche
Zwecke benötigten Liegenschaften zuständig. Die Veräußerung dieser Liegen-
schaften erfolgt ausschließlich zum vollen Wert, die Gewinne fließen in Form
von Verwaltungseinnahmen in den Bundeshaushalt. Seit 2008 lagen diese Ein-
nahmen bei 600 000 Euro in 2008, 1,3 Mrd. Euro in 2011 und für 2012 wird mit
Einnahmen in Höhe von 2,2 Mrd. Euro gerechnet.

Die Liegenschaften einer neuen Nutzung zuzuführen stellt sowohl die BImA
als auch die betroffenen Bundesländer und Kommunen vor sehr unterschied-
liche Herausforderungen. Dennoch hat der Bund bis heute kein zukunftswei-
sendes Konzept zur Nachnutzung der militärischen Liegenschaften von Bun-
deswehr und alliierten Streitkräften vorgelegt. Die BImA verfügt über eine

große Bandbreite und eine große Anzahl von Bundesliegenschaften. Die Art
ihrer Nutzung ist schon wegen ihres Umfangs und der Zugriffsmöglichkeit der
öffentlichen Hand von erheblicher städtebaulicher Bedeutung und von Bedeu-
tung für die Regionalentwicklung, insbesondere in vom Strukturwandel stark
betroffenen Gebieten. Die öffentliche Hand sollte bezüglich ihrer Liegen-
schaftspolitik, der Verwertung ihrer Grundstücke und Gebäude, eine Vorbild-
funktion einnehmen. Die Zielsetzungen des Städtebaus, der Regionalentwick-

Drucksache 17/9405 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

lung, des Umwelt- und Klimaschutzes sollten hier besondere Berücksichtigung
finden. Derzeit finden diese Prinzipien in der BImA noch zu wenig Anwen-
dung.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. eine nachhaltige Liegenschaftspolitik für die Bundesanstalt für Immobilien-
aufgaben zu etablieren, indem

a) der Zeit- und Verwertungsdruck, der aus der Unternehmenspolitik der
BImA resultiert, nicht an die Kommunen weitergegeben wird;

b) § 1 des BImA-Gesetzes durch eine Öffnungsklausel ergänzt wird, die
eine Berücksichtigung strukturpolitischer, darunter auch städtebaulicher
und wohnungspolitischer, Ziele des Bundes, der Länder und der Kommu-
nen ausdrücklich zulässt;

c) die öffentliche Hand bezüglich ihrer Liegenschaftspolitik, der Verwer-
tung ihrer Grundstücke und Gebäude, eine Vorbildfunktion einnimmt und
Zielsetzungen des Städtebaus, der ökologischen Modernisierung der
Wirtschaft, der Regionalentwicklung und des Klimaschutzes besonders
berücksichtigen muss;

d) das Know-how in den Bereichen energetische Gebäudesanierung, warm-
mietenneutrale Sanierung, Einsatz ökologischer Baustoffe, Energie-
effizienz und erneuerbare Energien innerhalb der Abteilung Facility
Management der BImA ausgebaut und eine bessere Vernetzung mit den
Bundesämtern wie dem Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumfor-
schung und dem Umweltbundesamt geprüft wird;

e) die BImA das zentrale und einheitliche Liegenschaftsmanagement für die
Konversion ehemals militärischer Liegenschaften weiterhin ausschließ-
lich übernimmt und die daraus erzielten Gewinne aus der Flächenverwer-
tung in den Bundeshaushalt fließen;

f) eine Zwischennutzung für alle Standorte geprüft wird, wobei sicherge-
stellt werden muss, dass die Ergebnisse der Perspektivplanung durch die
Zwischennutzung nicht beeinträchtigt werden;

g) die BImA als Vertreterin des Bundes im Fall einer möglichen Verunreini-
gung mit Altlasten die Kosten für eine entsprechende Untersuchung,
Dokumentation und Entsorgung zu tragen hat;

h) bei allen Grundstücken bis zum Verkauf grundsätzlich die Eigentümer-
verantwortung (z. B. die Verkehrssicherungspflicht) der BImA bestehen
bleibt;

2. eine nachhaltige Konversion durch Perspektivenplanung und langfristige
Konzepte voranzutreiben, indem

a) für alle Standorte die Erarbeitung regional abgestimmter Perspektivpla-
nungen unterstützt werden, so dass die Konzeptionierung nicht erst bei
der Schließung eines Standortes beginnt;

b) die BImA mit den betroffenen Bundesländern und den Standortkommu-
nen, wenn diese es für sinnvoll erachten, eine Konversionsvereinbarung
erarbeitet und abschließt, sodass die Konzeptionierung nicht erst bei der
Schließung eines Standortes beginnt;

c) die BImA mit der Standortkommune, ihren Bürgerinnen und Bürgern
sowie anderen Betroffenen eine Perspektivenplanung durchführt und eine
Konversionsvereinbarung zur nachhaltigen Regional- oder Stadtentwick-
lung abschließt, wobei Grundregeln wie „Grün bleibt Grün“ und „Innen-

entwicklung vor Außenentwicklung“ Leitlinien bei allen Verfahren sein
können;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/9405

d) in Konversionsvereinbarungen die interkommunalen und regionalen Ent-
wicklungsperspektiven berücksichtigt werden, um Fehlentwicklungen
vorzubeugen. Dabei sind auch Nachbarkommunen und andere betroffene
Gebietskörperschaften und Akteure zu beteiligen;

e) für Liegenschaften im Außenbereich mit den betroffenen Gemeinden und
der BImA ebenfalls Entwicklungsziele festgelegt werden, welche die
Interessen der Träger öffentlicher Belange sowie der Bürgerinnen und
Bürger angemessen berücksichtigen;

f) die bestehende Koordinierungsstelle für Konversionsfragen in Zusammen-
arbeit mit dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwick-
lung, dem Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, dem Bun-
desministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
und dem Umweltbundesamt ausgebaut wird. Die Koordinierungsstelle
soll Wissenstransfer leisten, den transparenten Verfahrensablauf garantie-
ren sowie über Risiken und Förderprogramme informieren;

3. bei Konversionsflächen ohne städtebauliche Entwicklungsperspektive zu
beachten,

a) dass bei Standorten mit signifikanter Reduzierung von Dienstposten und
Funktionen sicherzustellen ist, dass die verbleibenden Funktionen die
kommunale Strukturentwicklung nicht behindern;

b) wenn die Perspektivplanungen ergeben, dass eine strukturell zukunfts-
trächtige und nachhaltige Verwertung des Grundstücks nicht möglich ist,
die BImA verpflichtend den Rückbau betreibt, sofern die Planungen der
Kommune dies vorsehen;

c) dass für die Folgenutzung die Prüfung der Potenziale für erneuerbare
Energien erfolgen sollte;

d) dass in jedem Fall nach der erfolgten Altlastensanierung oder Altlasten-
sicherung eine Renaturierung und die Aufnahme in das Nationale Natur-
erbe zu prüfen sind;

4. Konversion für den Naturschutz und das Nationale Naturerbe zu nutzen,
indem

a) vor allen Verkaufsüberlegungen von Bundesliegenschaften zu prüfen ist,
ob naturschutzfachlich wertvolle Flächen bei der BImA verbleiben sol-
len, wenn ihre Übertragung an Länder und Naturschutzorganisationen
nicht möglich ist. Alternativ kommt eine Übertragung an eine „Bundes-
stiftung Natur“ in Frage. Die Flächen müssen für den Naturschutz ge-
sichert und ggf. entwickelt werden;

b) für die national bedeutsamen Naturschutzflächen geprüft wird, ob eine
„Bundesstiftung Natur“ als Fonds für den Erhalt und die Entwicklung
dieser Flächen eingerichtet werden sollte, für den Fall, dass sie nicht bei
der BImA verbleiben können;

c) der Bundesforst im Rahmen des Nationalen Naturerbes für die übertrage-
nen ehemaligen Militärflächen in den nächsten rund 20 Jahren die
Flächenpflege als Dienstleistung durchführt;

d) die bedeutsamen Naturschutzflächen, die dauerhaft im Eigentum der
Bundes verbleiben, durch den Bundesforst im Sinne des Naturschutzes
zu pflegen und zu entwickeln sind;

e) die Flächen, die im Rahmen des Nationalen Naturerbes für den Natur-
schutz gesichert wurden, mit der Zweckbindung „Naturschutz“ an die

Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU), die Länder bzw. an von den
Ländern benannte Naturschutzorganisationen übertragen werden;

Drucksache 17/9405 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
f) die freiwerdenden Flächen bevorzugt dem Erhalt der biologischen Viel-
falt anzudienen sind. Es muss geprüft werden, ob sie dazu in Zukunft für
die Erreichung des 5-Prozent-Naturwaldzieles und des 2-Prozent-Wild-
niszieles der nationalen Biodiversitätsstrategie herangezogen werden
können. Das schließt dann auch Waldbau bzw. Forstwirtschaft grundsätz-
lich aus. Wenn sie dafür nicht in Frage kommen, können sie auch forst-
wirtschaftlich oder als Weideland genutzt werden;

5. mit nachhaltiger Förderung Konversion erleichtern, indem

a) zur Bewältigung der Konversionsfolgen die bestehenden Programme der
Städtebauförderung genutzt werden. Die Mittel der Städtebauförderung
sind auf 610 Mio. Euro zu erhöhen und perspektivisch auf 700 Mio. Euro
aufzustocken. Die Förderung in den vom Strukturwandel besonders be-
troffenen Regionen sollte nach dem Schlüssel 60 Prozent Bund, 30 Pro-
zent Land und 10 Prozent Kommune erfolgen;

b) die speziell für Kommunen oder kommunale Unternehmen zugeschnit-
tene Förderprogramme der KfW Bankengruppe wie „Kommunale und
soziale Infrastruktur – energieeffizient sanieren“ oder „Erneuerbare Ener-
gien – Bauen, Wohnen, Energie sparen“ genutzt werden;

c) grundsätzlich die Mittel für die CO2-Gebäudesanierungsprogramme auf
2 Mrd. Euro jährlich angehoben werden;

d) der Bund die betroffenen Kommunen darauf hinweist, dass aus dem Pro-
gramm „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ Mittel in Höhe
von zirka 596 Mio. Euro genutzt werden können. Die Programmmittel
sind das zentrale Förderinstrument für strukturschwache Regionen und
daher auf 610 Mio. Euro aufzustocken;

e) der Bund die betroffenen Kommunen darauf hinweist, dass der Euro-
päische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) oder der Europäische
Sozialfonds (ESF) sowie der Europäische Landwirtschaftsfonds für die
Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) für vorbildliche Projekte im
Rahmen der jeweiligen Regionalprogramme genutzt werden können. Für
die neue Förderperiode der EU von 2014 bis 2020 ist angedacht, dass
20 Prozent der Mittel für die Förderung der CO2-armen Wirtschaft ge-
nutzt werden können, u. a. durch mehr Energieeffizienz und erneuerbare
Energien;

f) der Bund für eine konsequente Nutzung des European Energy Efficiency
Fund (EEEF) der Europäischen Union wirbt. Der Fonds mit einem
Volumen von 200 Mio. Euro dient der Finanzierung von Investitionen
von Bund, Ländern, Kommunen und ihren öffentlichen oder privaten
Kooperationspartnern von Projekten in den Bereichen der Energieeinspa-
rung, der Energieeffizienz und der erneuerbaren Energien, vor allem in
städtischen Gebieten.

Berlin, den 24. April 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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