BT-Drucksache 17/9243

Schrittweiser Abzug und Reduktion des deutschen Einsatzkontingents der Bundeswehr in Afghanistan

Vom 29. März 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9243
17. Wahlperiode 29. 03. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Omid Nouripour, Volker Beck (Köln), Agnes Brugger,
Marieluise Beck (Bremen), Viola von Cramon-Taubadel, Thilo Hoppe,
Uwe Kekeritz, Katja Keul, Ute Koczy, Tom Koenigs, Kerstin Müller (Köln),
Lisa Paus, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt,
Hans-Christian Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Schrittweiser Abzug und Reduktion des deutschen Einsatzkontingents
der Bundeswehr in Afghanistan

Die internationale Gemeinschaft hatte sich auf den Konferenzen in Kabul, Lis-
sabon, London und Bonn zusammen mit der afghanischen Regierung darauf ge-
einigt, die Verantwortung für die Sicherheit in Afghanistan schrittweise an die
afghanischen Sicherheitskräfte (ANSF) zu übergeben und diesen „Transitions-
prozess“ bis Ende 2014 abzuschließen. Die NATO-Mitgliedstaaten hatten sich
zudem darauf verständigt, im Verlauf der Transition ihre militärische Präsenz in
Afghanistan durch die sukzessive Reduzierung der Kampftruppen zu verrin-
gern, sodass 2014 die letzten Kampftruppen der Internationalen Sicherheits-
unterstützungstruppe (ISAF) Afghanistan verlassen könnten.

Die Bundesregierung hat im Rahmen der Debatte um die Verlängerung des Bun-
deswehreinsatzes in Afghanistan für das Jahr 2012 einen Mandatstext vorgelegt,
in welchem das erste Mal eine – wenn auch geringe – Reduzierung des deut-
schen Einsatzkontingents in Afghanistan vorgesehen ist. Der Bundesminister
des Auswärtigen, Guido Westerwelle, bezeichnete in seiner Rede zum Afghanis-
tan-Mandat das Jahr 2011 als Scheitelpunkt des militärischen Engagements.

Auf dem geplanten Gipfel in Chicago im Mai dieses Jahres will die NATO einen
gemeinsamen, koordinierten Abzugsplan beschließen. Nach dem Amoklauf
eines US-Soldaten in Afghanistan hatte der afghanische Präsident Hamid Karzai
angekündigt, dass er die Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die Afgha-
nen um ein Jahr vorziehen möchte. Zwar relativierte Präsident Hamid Karzai
diese Forderungen zwischenzeitlich in einem gemeinsamen Telefonat mit dem
US- Präsidenten Barack Obama wieder, jedoch scheinen sowohl die afghanische
Regierung als auch Teile der US-Administration den Prozess der Übergabe der
Sicherheitsverantwortung bis 2014 beschleunigen zu wollen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Hält die Bundesregierung an ihrem Vorhaben fest, den Abzug bis 2014 abzu-
schließen?

Wenn nein, warum nicht?

Drucksache 17/9243 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

2. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung des afghanischen Präsidenten,
nach der die afghanischen Sicherheitskräfte bereits jetzt landesweit für die
Sicherheit Afghanistans sorgen könnten?

Wenn nein, welche Schlüsse zieht die Bundesregierung daraus für die Prä-
senz der Bundeswehr im Rahmen von ISAF in Afghanistan?

3. Hält die Bundesregierung die vollständige Übergabe der Sicherheitsverant-
wortung an die afghanischen Sicherheitskräfte bereits bis Ende 2013
sowohl für realisierbar als auch verantwortbar?

4. Welche Konsequenzen sind nach Einschätzung der Bundesregierung aus
der Forderung von Präsident Hamid Karzai für die ISAF-Truppensteller-
nationen zu ziehen, nach welcher alle ausländischen Soldaten aus den
afghanischen Dörfern abgezogen werden und sich in ihre Stützpunkte zu-
rückziehen sollen?

5. Vor welchem Zeithorizont plant die Bundesregierung den schrittweisen
Abzug des Bundeswehreinsatzkontingents in Afghanistan – auch und ins-
besondere mit Blick auf die jüngsten Äußerungen von Präsident Hamid
Karzai?

6. Mit welcher Position wird die Bundesregierung am geplanten NATO-Gipfel
im Mai 2012 in Chicago bezüglich eines gemeinsamen Abzugsplans teil-
nehmen, und für welchen Zeitplan setzt sich die Bundesregierung entspre-
chend ein?

7. Welche Auswirkungen hat die Forderung von Präsident Hamid Karzai, die
internationalen Truppen sollten sich aus den Dörfern in ihre Stützpunkte zu-
rückziehen, für die Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte sowie
die gemeinsame Durchführung von Operationen?

8. Sieht die Bundesregierung eine Veranlassung bis zum NATO-Gipfel im Mai
2012 eine konkrete Abzugsplanung der deutschen Truppen aus Afghanistan
vorzulegen, und wenn nein, warum nicht?

9. Welche Vereinbarungen oder Vorgespräche gibt es bisher mit den NATO-
Partnern, um den Abzug der ISAF-Truppen bis 2014 zu planen und um-
zusetzen?

Was sind die bisherigen Ergebnisse solcher Vereinbarungen und Vorge-
spräche?

10. Hält die Bundesregierung nach aktuellem Kenntnisstand und angesichts
gegenwärtiger Entwicklungen in Afghanistan einen Abzug bis 2014 für
realisierbar?

Wenn ja, unter welchen Maßgaben?

Wenn nein, warum nicht?

11. Welche Stellen sind bei der Bundeswehr und beim Bundesministerium der
Verteidigung mit der Planung des schrittweisen Rückbaus und Abzugs der
Bundeswehr aus Afghanistan betraut?

12. Welche personellen und materiellen Anpassungen sind mit Blick auf die
Präsenz des Auswärtigen Amts (AA), des Bundesministeriums des Innern
(BMI) und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung (BMZ) in Afghanistan in den nächsten Monaten und Jah-
ren bis 2014 bzw. bis 2013 sowie für die Zeit danach geplant?

Welche Maßnahmen zum Schutz der nach 2014 in Afghanistan verbleiben-
den Kräfte des AA, des BMI und des BMZ sind geplant?

13. Welche Herausforderungen stellen sich aus Sicht der Bundesregierung für

den Abzug der Kampftruppen des deutschen Einsatzkontingents in Afgha-
nistan bis Ende 2014 bzw. bis Ende 2013?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/9243

a) Wie soll der Schutz sowohl des abzuziehenden als auch des verbleiben-
den Personals sowie von Ausrüstung und Infrastruktur bei einer stetigen
Reduzierung gewährleistet werden?

b) Durch welche Maßnahmen soll der Schutz der Zivilbevölkerung trotz
stetiger Reduzierung der internationalen Truppenpräsenz im Regional-
kommando Nord gewährleistet werden?

c) Inwiefern und in welchen Bereichen soll diesbezüglich gegebenenfalls
auf Fähigkeiten anderer ISAF-Partnerstaaten zurückgegriffen werden?

14. Über welche Transportrouten sollen Personal und Material der deutschen
Militärpräsenz in Afghanistan schwerpunktmäßig zurückgeführt werden,
und welche sicherheitspolitischen Abhängigkeiten bestehen hier jeweils?

a) Welches Material kann aus welchen Gründen beispielsweise nur über
Landrouten und nicht über Transportflüge aus Afghanistan zurückge-
führt werden?

b) Sind nach Ansicht der Bundesregierung die Mittel sowie Boden- und
Luftfahrzeuge, die zum Rücktransport zur Verfügung stehen, ausrei-
chend?

15. Inwiefern sind zusätzliche Verträge mit afghanischen Anrainerstaaten wie
etwa Pakistan und Usbekistan zur Rückführung militärischen Materials und
Personals notwendig, und befindet sich die Bundesregierung bereits in Ver-
handlungen mit welchen bisherigen Ergebnissen?

Welche Kosten werden aufgrund dieser Verträge oder Vereinbarungen ver-
mutlich für die Zeit bis Ende 2014 bzw. bis Ende 2013 fällig?

16. Welche Kosten veranschlagt die Bundesregierung insgesamt jährlich für
den Einsatz in Afghanistan bis Ende 2014?

a) Ist mit Blick auf die Reduzierung der deutschen militärischen Präsenz in
Afghanistan auch mit einer Absenkung der Kosten des Einsatzes zu
rechnen, falls nein, warum nicht, und falls ja, in welcher Höhe?

b) Inwiefern käme es aufgrund einer beschleunigten Reduktion des deut-
schen Einsatzkontingents insbesondere hinsichtlich der vollständigen
Rückführung der Kampftruppen bis Ende 2013 statt Ende 2014 zu höhe-
ren Kosten, und wodurch würden diese im Einzelnen entstehen?

17. In welchem Umfang plant die Bundesregierung das deutsche Einsatzkon-
tingent bis Ende 2014 bzw. bis Ende 2013 zu verkleinern, um das auf
NATO-Ebene vereinbarte Ziel zu erfüllen, bis dahin sämtliche Kampftrup-
pen aus Afghanistan abzuziehen?

18. Welche militärischen Infrastruktur- bzw. Baumaßnahmen führt die Bundes-
regierung in Afghanistan mit dem konkreten Ziel einer Nutzung durch die
Bundeswehr oder verbündeter Streitkräfte auch nach 2014 bzw. nach 2013
durch bzw. plant sie durchzuführen?

19. Welche militärischen Infrastruktur- bzw. Baumaßnahmen plant die Bundes-
regierung in Afghanistan bzw. führt sie bereits durch, um diese an die ANSF
oder andere afghanische Stellen zu übergeben?

20. Welche Infrastruktur hat die Bundeswehr in welchem Zustand an afghani-
sche Stellen in Taloqan übergeben, und welche sollen noch übergeben wer-
den?

21. Welches Material sowie welche Infrastruktur soll aus welchen Gründen
nicht nach Deutschland zurückgeführt, sondern beispielsweise afghani-

schen Stellen überlassen werden?

Drucksache 17/9243 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
a) Welches Material und welche Infrastruktur soll welchen afghanischen
Stellen voraussichtlich unentgeltlich, vergünstigt oder zum vollen Preis
in welchem Umfang überlassen werden?

b) Sieht die Bundesregierung eine Notwendigkeit, bei zu überlassendem
Material für eine adäquate Endverbleibskontrolle – insbesondere mit
Blick auf Waffen und Munition – zu sorgen, welche Mechanismen haben
sich aus Sicht der Bundesregierung hierzu in der Vergangenheit bewährt,
und welche sollen entsprechend implementiert werden, und falls nein,
warum nicht?

c) Inwiefern plant die Bundesregierung, überlassenes Material im Rahmen
des Afghanistan Reconstruction Trust Fund (ARTF) anrechnen zu lassen?

22. Welche Aufgaben übernimmt die Bundeswehr im Norden Afghanistans im
Rahmen der durch die ISAF-Truppensteller gemeinsam zu koordinierenden
Reduktion der militärischen Präsenz, und welche Implikationen hat dies für
die Reduktion des deutschen Einsatzkontingents hinsichtlich

a) der durch die Bundeswehr vor Ort vorzuhaltenden Fähigkeiten,

b) des Zeitplans zur Reduktion der deutschen Präsenz bis Ende 2014 bzw.
bis Ende 2013?

23. Wie wird gewährleistet, dass die einzelnen ISAF-Truppenstellernationen
die Reduktion ihrer jeweiligen Truppenkontingente gemeinsam koordinie-
ren und abstimmen?

a) Wie und auf welchen Ebenen setzt die Bundesregierung sich hierfür ein?

b) Welche verbindlichen Vereinbarungen wurden diesbezüglich bisher ge-
troffen?

24. Mit welchen Staaten befindet sich die Bundesregierung bezüglich der Pla-
nungen zur Reduktion der militärischen Präsenz in Afghanistan im Aus-
tausch, und welche Erkenntnisse konnten bisher für die Bundeswehr ge-
wonnen werden?

25. Zu welchen Ergebnissen kam die kürzlich stattgefundene Strategic Logis-
tics Planning Conference der NATO mit Blick auf die gemeinsame Reduk-
tion der internationalen Militärpräsenz in Afghanistan bis Ende 2014?

26. Welche Planung verfolgt die Bundeswehr mit Blick auf das aus Afghanistan
zurückkehrende Gerät?

Ist unter anderem die Grundinstandsetzung, Verteilung auf die Verbände,
(zentrale) Langzeitlagerung, der Verkauf oder Ähnliches geplant?

27. Mit welchen Maßnahmen plant die Bundesregierung jene Afghaninnen und
Afghanen zu unterstützen, die in Folge des Abzugs der internationalen
Truppen besonders gefährdet werden?

Berlin, den 29. März 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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