BT-Drucksache 17/9227

Beitragssteigerungen bei Privaten Krankenversicherungen

Vom 29. März 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9227
17. Wahlperiode 29. 03. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Harald Weinberg, Diana Golze, Matthias W. Birkwald,
Dr. Martina Bunge, Klaus Ernst, Katja Kipping, Cornelia Möhring, Yvonne Ploetz,
Kathrin Senger-Schäfer, Kathrin Vogler, Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann
und der Fraktion DIE LINKE.

Beitragssteigerungen bei privaten Krankenversicherungen

In den letzten Monaten berichteten viele Medien über Probleme in der privaten
Krankenversicherung (PKV). Zum Jahr 2012 sind die Beiträge massiv gestie-
gen – oft sind die Steigerungen zweistellig, teils liegen sie sogar bei 40 Prozent
(vgl. z. B. www.pkvkurier.de/deutliche-beitragserhoehung-bei-der-central-ab-
2012-2642).

Ein Grund dafür sind rasant steigende Ausgaben. Die Ausgabensteigerungen
der PKV liegen seit Jahren deutlich über denen der gesetzlichen Krankenver-
sicherung (GKV).

Ein anderer Grund sind die hohen Verwaltungs- und Abschlusskosten. So
haben die gesetzlichen Krankenkassen Verwaltungskosten von rund 5 Prozent
der Ausgaben, die PKV liegt im Schnitt inklusive der Abschlusskosten bei
16,4 Prozent (vgl. Handelsblatt vom 6. Oktober 2010).

Ein dritter wichtiger struktureller Grund für die Beitragssteigerungen sind die
sinkenden Zinsen auf den Kapitalmärkten. Im Gegensatz zu der für Zins-
schwankungen unempfindlichen solidarischen Umlagefinanzierung muss in der
PKV jede/jeder Versicherte in jungen Jahren in ein Kapitaldeckungsverfahren
einzahlen, damit die Beiträge im Alter nicht unbezahlbar werden. Dieses Kapi-
tal legt die PKV auf den Kapitalmärkten an. Der zu erwartende zukünftige Zins
und Zinseszins wird zur Deckung der erwarteten Kosten in die Beitragsberech-
nung einbezogen. Die derzeit zu erwartenden Zinsen auf die Kapitalrücklage
der PKV unterschritten nun erstmals bei zwei Unternehmen den seit 50 Jahren
geltenden Rechnungszins mit der direkten Folge von Beitragserhöhungen, vor
allem bei jungen Versicherten. Weitere Versicherer dürften folgen – zumindest,
wenn die Kapitalmärkte weiterhin schlechte Konditionen bieten (vgl. Börsen-
Zeitung vom 26. Januar 2012).

Aufgrund der Beihilferegelungen wechseln derzeit noch „unterm Strich“ mehr
Versicherte aus der GKV in die PKV, aber 2011 wurde der Nettozuwachs gerin-
ger. Gäbe es die durchaus sinnvollen Regelungen, die den PKV-Versicherten

einen Wechsel in die GKV verbieten, nicht, würden sicherlich deutlich mehr
PKV-Versicherte abwandern. Denn trotz der von der PKV als „eingebaute
Altersvorsorge“ beworbenen Kapitalbildung steigen die Beiträge mit dem
Altern der Versicherten deutlich an. Viele Ruheständlerinnen und Ruheständler
klagen über Beiträge, die sie vor große finanzielle Herausforderungen stellen
oder die sie schlicht nicht mehr zahlen können. Das ist letztlich die Grundlage
des PKV-Geschäftsmodells: Junge und gesunde Versicherte werden mit niedri-

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geren Beiträgen, als sie in der GKV zahlen müssten, in die PKV gelockt. Sind
sie privat versichert, ist der Wechsel in die GKV aufgrund der gesetzlichen
Schranken oder aber auch in ein anderes PKV-Unternehmen aufgrund des Ver-
lustes von Alterungsrückstellungen, der erforderlichen Risikoprüfungen und
der durch das Alter gestiegenen Prämien so gut wie unmöglich.

Ein weiteres Problem verschärfte sich seit den sogenannten Hartz-Reformen
und durch die Grundausrichtung der Arbeitsmarktpolitik. So sieht die Bundes-
regierung spätestens seitdem die Selbständigkeit als einen geeigneten Weg aus
der Arbeitslosigkeit an. Die Steigerung der Selbständigenquote ist das Ziel der
Bundesregierung. Die Steigerung der Selbständigenquote und die damit ver-
bundene Zurückdrängung von Normalarbeitsplätzen ist aber nicht in erster
Linie ein Ausweis großer Innovationskraft des Arbeitsmarktes, sondern ein An-
zeichen für eine zunehmende Prekarisierung. Denn die so entstehenden Ar-
beitsplätze sind zumeist unsicher und das Einkommen daraus ist oft gering (vgl.
z. B. Bispinck/Schulten, Gewerkschaftliche Strategien gegen prekäre Beschäf-
tigung in Deutschland, WSI, 2011, S. 2 ff.).

Seit 2009 dürfen die privaten Krankenversicherungen, wie auch die gesetz-
lichen, niemandem wegen Zahlungsrückständen kündigen. Im Zusammenspiel
mit einem hohen Anteil prekär tätiger Selbständiger führt dies zu hohen Zah-
lungsausfällen. Nach Angaben des Verbandes der Privaten Krankenversiche-
rung gibt es mittlerweile 144 000 säumige Beitragszahler mit über 554 Mio.
Euro Rückständen.

In den Ländern der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung (OECD) ist das duale System mit PKV und GKV ein Sonderfall; es
gibt kein Land, das ein vergleichbares System unterhält.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Beitragssteigerungen hat es seit 2000 in der privaten Krankenver-
sicherung gegeben (bitte die Steigerung pro Jahr angeben und nach durch-
schnittlichen Einstiegs- und Bestandsprämien aufschlüsseln)?

2. Wie hoch waren die jährlichen Ausgabesteigerungen seit 2000?

3. Finden trotz der Alterungsrückstellungen in der PKV alterungsbedingte Bei-
tragserhöhungen im Laufe eines Lebens statt?

4. Welcher Anteil an alterungsbedingten Kostensteigerungen wird durch das
Aufbrauchen der Alterungsrückstellungen aufgefangen?

5. Welchen Anteil an alterungsbedingten Kostensteigerungen müssen die Ver-
sicherten selbst durch Beitragserhöhungen tragen?

6. Wie hoch ist der durchschnittliche Beitrag einer 20-jährigen, einer 30-jähri-
gen, einer 40-jährigen, einer 50-jährigen, einer 60-jährigen, einer 70-jähri-
gen, einer 80-jährigen und einer 90-jährigen Frau in einer privaten Kranken-
vollversicherung (bitte gesondert für Beamte und Nichtbeamte ausweisen)?

7. Wie hoch ist der durchschnittliche Beitrag eines 20-jährigen, eines 30-jähri-
gen, eines 40-jährigen, eines 50-jährigen, eines 60-jährigen, eines 70-jähri-
gen, eines 80-jährigen und eines 90-jährigen Mannes in einer privaten Kran-
kenvollversicherung (bitte gesondert für Beamte und Nichtbeamte auswei-
sen)?

8. Wie hoch ist der durchschnittliche Selbstbehalt?

Gibt es hier einen Zusammenhang mit dem Alter?

9. Welche Entwicklung bei der Nettoverzinsung der Alterungsrückstellungen

gab es seit 2000 bezogen auf die gesamte Branche?

Wie ist diese Entwicklung bei den drei derzeit kundenstärksten Versicherun-
gen verlaufen?

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Welche drei Unternehmen haben die derzeit schlechteste Verzinsung, und
wie hoch ist diese jeweils?

10. Ist es richtig, dass durch niedrige Zinsen die Beiträge in der PKV steigen?

11. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass ein Ende der gegenwärti-
gen Phase niedriger Zinsen bei den in der PKV üblichen Anlageformen
nicht abzusehen ist?

Wenn nein, wieso nicht?

12. Ist der Bundesregierung das Problem bekannt, dass bei vielen Ruheständ-
lerinnen und Ruheständlern die teils enorm gestiegenen Beiträge der PKV
einen so hohen Anteil ihrer Ruhestandsbezüge ausmachen, dass weder der
Lebensstandard noch existenzsichernde Beträge übrigbleiben?

Wie bewertet das die Bundesregierung?

13. Welchen Anteil vom Einkommen bezahlen 70-Jährige und Ältere durch-
schnittlich für ihre private Krankenversicherung, wenn sie keinen Selbstbe-
halt vereinbart haben?

Wie hoch ist der Anteil der über 70-Jährigen, die keinen Selbstbehalt ver-
einbart haben?

14. Was unternimmt die Bundesregierung gegen das Problem der steigenden
Beiträge im Alter, außer den Appellen des Bundesministers für Gesundheit
an die PKV, „ihre Hausaufgaben“ zu machen (vgl. FINANCIAL TIMES
DEUTSCHLAND, 14. September 2011, S. 16)?

15. Was genau meint der Bundesminister für Gesundheit mit „Hausaufgaben“?

16. Sollte der Rechnungszins abgesenkt werden?

Welche Auswirkungen hätte ein solcher Schritt auf die Beitragshöhe junger
und älterer Versicherter?

17. Welche Probleme können daraus erwachsen, dass die Einkommen von
Ruheständlerinnen und Ruheständlern in aller Regel niedriger sind als die
Einkommen während des Erwerbslebens, die Beiträge zur PKV jedoch
während des Ruhestandes in aller Regel deutlich höher sind als zuvor?

18. Unter welchen Umständen treten die in Frage 17 genannten auch in der ge-
setzlichen Krankenversicherung auf?

19. Wie ist in diesem Kontext die Werbung der PKV als eine Einrichtung „mit
eingebauter Altersvorsorge“ zu verstehen, und teilt die Bundesregierung
diese Selbsteinschätzung der PKV?

20. Wie viele Versicherte wechseln in einen billigeren Tarif, z. B. mit höheren
Selbstbeteiligungen oder schlechteren Leistungen, weil sie die Beiträge
senken wollen/müssen?

21. Wie viel Prozent der PKV-Versicherten sind ohne Selbstbehalt versichert
(bitte gesondert für Beamte und Nichtbeamte ausweisen)?

22. Gibt es Schätzungen, wie viele Versicherte Schwierigkeiten bei der Auf-
bringung der Selbstbeteiligung haben und deswegen medizinische Leistun-
gen nicht in Anspruch nehmen?

23. Sind der Bundesregierung Fälle bekannt, in denen Versicherte der PKV
Leistungen über die Krankenversicherungskarte eines gesetzlich Versicher-
ten in Anspruch genommen haben, um einer Selbstbeteiligung zu ent-
gehen?

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24. Worauf ist nach Ansicht der Bundesregierung die wachsende Zahl der Bei-
tragsschulden in der PKV zurückzuführen?

Spielt hier eine zunehmende Zahl atypischer bzw. prekärer Beschäfti-
gungsverhältnisse eine Rolle?

25. Gibt es Schätzungen, wie viele PKV-Versicherte ihre Entscheidung für die
PKV bereuen und gerne in die GKV wechseln würden, aufgrund der ge-
setzlichen Hürden aber nicht dürfen?

26. Wie viel Prozent der PKV-Versicherten sind Beamte oder Empfänger von
Heilfürsorge?

27. Sind hauptsächlich aus dem Grund so wenige Beamte bei der GKV versi-
chert, weil es dort keinen abgesenkten Tarif gibt, der die Beihilfe berück-
sichtigt bzw. weil in der Regel statt der Beihilfe nicht alternativ ein Arbeit-
geberanteil ausgezahlt wird?

28. Warum wird eine entsprechende Teilversicherung in der GKV nicht ange-
boten?

29. Was hindert die Bundesregierung daran, eine Initiative zur Integration aller
Beamtinnen und Beamten in die GKV zu starten?

30. Gibt es Schätzungen, wie viele PKV-Versicherte die Versicherungsgesell-
schaft wechseln würden, wenn sie ihre Altersrückstellungen problemlos
und vollständig mitnehmen könnten?

31. Wie viel Geld geht der gesetzlichen Krankenversicherung bzw. den privat
Krankenversicherten durch die fehlende Portabilität der Alterungsrückstel-
lungen bei einem Wechsel in die GKV jährlich verloren?

32. Was wären die Auswirkungen auf die PKV, wenn, wie beispielsweise im
SPD-Bürgerversicherungskonzept gefordert, die bisher privat Krankenver-
sicherten in ihren Verträgen bleiben dürften (mit einem Jahr Wechselmög-
lichkeit in die Bürgerversicherung) und gleichzeitig aber das Neukunden-
geschäft der PKV gesetzlich unmöglich gemacht würde?

Berlin, den 29. März 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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