BT-Drucksache 17/9185

Fortbestand des Klosters Mor Gabriel sicherstellen

Vom 27. März 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9185
17. Wahlperiode 27. 03. 2012

Antrag
der Abgeordneten Volker Kauder, Ute Granold, Erika Steinbach, Arnold Vaatz,
Frank Heinrich, Peter Altmaier, Michael Brand, Michael Frieser, Jürgen Klimke,
Stefan Müller (Erlangen), Klaus Brähmig, Ralph Brinkhaus, Marie-Luise Dött,
Ingrid Fischbach, Dr. Maria Flachsbarth, Dr. Egon Jüttner, Dr. Carsten Linnemann,
Christian Schmidt (Fürth), Gerda Hasselfeldt und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Marina Schuster, Serkan Tören, Pascal Kober,
Dr. Stefan Ruppert, Rainer Brüderle und der Fraktion der FDP

Fortbestand des Klosters Mor Gabriel sicherstellen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das syrisch-orthodoxe Kloster Mor Gabriel liegt im Südosten der Türkei, nahe
der syrischen Grenze, in der türkischen Provinz Mardin im Landkreis Midyat
(Region Tur Abdin). Das Kloster und die örtliche Gemeinde sehen sich in ihrer
Existenz bedroht. Es steht zu befürchten, dass das Kloster Mor Gabriel in meh-
reren seit Jahren anhängigen Gerichtsverfahren enteignet und entwidmet wer-
den könnte. Damit droht ein Abreißen einer seit mehr als 1 600 Jahren gepfleg-
ten liturgischen und klösterlichen Tradition. Da das Kloster eine entscheidende
Rolle bei der Pflege der syrisch-orthodoxen Kirchen- und Alltagssprache spielt
und institutionell das kulturelle Erbe der syrisch-orthodoxen Bevölkerung
sichert, bleibt der Fortbestand der Kultur der syrisch-orthodoxen Christen ins-
gesamt gefährdet.

Seit Mitte Juli 2011 ist ein Urteil des türkischen Kassationsgerichts im soge-
nannten Wald-Verfahren rechtskräftig. Das Urteil bestätigt die für das Kloster
Mor Gabriel negative erstinstanzliche Entscheidung vom 24. Juni 2009. Da-
nach sind nach der neuen Katastererfassung ca. 336 000 m2 der bisher vom
Kloster genutzten Ländereien als Wald eingestuft und somit laut türkischer Ver-
fassung automatisch Staatseigentum. Das Kloster hat gegen diese Entscheidung
am 18. August 2011 unter Berufung auf die Religionsfreiheit und das Recht auf
Eigentum den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angerufen.

Im Strafverfahren gegen den Vorsitzenden der Gemeindestiftung, Kyriakos Er-
gün, geht es anknüpfend an das Wald-Verfahren um den Vorwurf, Kyriakos
Ergün habe auf staatlichem Land („Wald“) eine Mauer errichtet und damit ge-
gen Strafvorschriften des Waldgesetzes verstoßen. Ein für den 17. Oktober

2011 geplanter Gerichtstermin wurde zunächst auf den 11. Januar 2012 an-
schließend auf den 7. März 2012 und daraufhin auf den 25. April 2012 verscho-
ben, um dem Gericht noch eine Ortsbegehung zu ermöglichen.

Im sogenannten Schatzamt-Verfahren hob das türkische Kassationsgericht mit
Urteil vom 7. Dezember 2010 ein für das Kloster Mor Gabriel positives
erstinstanzliches Urteil vom 24. Juni 2009 auf und verwies das Verfahren an

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das Ausgangsgericht in Midyat zurück. Ein aktueller Gerichtstermin (Anhö-
rung) hierzu fand am 10. Oktober 2011 statt. Als Ergebnis wurde die Entschei-
dung zuungunsten des Klosters vom Ausgangsgericht erneut zurückgewiesen
und wieder an den Kassationsgerichtshof verwiesen. Nächste Schritte werden
nun nicht vor Ablauf von drei bis fünf Monaten erwartet. Zur Vorgeschichte
dieses Verfahrens: Ende Januar 2009 hatte das lokale Schatzamt der zuständi-
gen Gemeinde Midyat eine Anzeige erstattet, mit der zwölf der dem Kloster zu-
gehörigen Parzellen als nicht ackerfähiges Land dargestellt und daher als
Staatseigentum beansprucht wurden. Laut den Anwälten des Klosters habe das
Kassationsgericht bei seiner Entscheidung das Eigentum des Klosters bele-
gende Dokumente aus den Jahren 1936/1937 unbeachtet gelassen. Zudem seien
eingereichte Dokumente, die das Eigentum belegen sollten, nicht mehr in den
Prozessakten enthalten.

Das Kloster selbst klagte in einem weiteren Fall (sogenanntes Grenz-Verfah-
ren) gegen die Katastereintragung. Inhalt der Klage waren die Verwaltungs-
grenzen zu den Nachbardörfern. In diesem Verfahren fällte das zuständige Ge-
richt am 22. Mai 2009 ein Urteil im Sinne des Klosters. Das Kassationsgericht
hat allerdings im Berufungsverfahren Mitte August 2010 einen Zuständigkeits-
fehler konstatiert und das für das Kloster positive erstinstanzliche Urteil aufge-
hoben. Nicht das Zivilgericht, sondern das Verwaltungsgericht sei für den Fall
zuständig. Die Zuständigkeitsfrage ist bisher nicht abschließend geklärt.

Ein weiteres Gerichtsverfahren wurde von Vorstehern umliegender Dörfer, die
zum Einflussgebiet eines kurdischen Feudalherren und ehemaligen (bis Juni
2011) AKP-Abgeordneten (AKP = Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung)
im türkischen Parlament gehören, initiiert. Dieses Strafverfahren wegen „ille-
galer Landnahme“ durch Bau einer 4 km langen Einfriedungsmauer gegen den
Vorsitzenden der Gemeindestiftung, Kyriakos Ergün, steht mit dem o. g.
„Wald-Verfahren“ in Verbindung, da die Kläger von der Einstufung großer
Teile der Klosterländereien als Wald und damit als Staatseigentum ausgehen.
Eine Entscheidung in diesem Verfahren wird wegen des inzwischen rechtskräf-
tigen Urteils im „Wald-Verfahren“ in Kürze erwartet.

Nach Bekanntwerden des Urteils im „Schatzamt“-Verfahren wurden De-
marchen im EU-Kreis abgestimmt, die der Leiter der EU-Delegation in Ankara
im März 2011 durchführte. Der stellvertretende Ministerpräsident Bülent Arınç
versicherte in diesem Zusammenhang, die türkische Regierung sei an einer
praktischen und pragmatischen Lösung interessiert. Er sprach von der Möglich-
keit, dass die türkische Regierung im Falle einer endgültigen negativen Ge-
richtsentscheidung das Land kostenlos und für einen längeren Zeitraum an das
Kloster verpachten könnte. Eine derartige Regelung wird aber bisher vom
Kloster unter Hinweis auf den jahrhundertelangen Besitz der betroffenen Län-
dereien abgelehnt.

Immer wieder haben in den vergangenen Jahren Vertreter der Bundesregierung
und des Deutschen Bundestages auf die Probleme des Klosters aufmerksam ge-
macht und diese auch in Gesprächen mit der türkischen Regierung verdeutlicht,
ohne eine substanzielle Verbesserung der Situation zu erreichen. Auch die
Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP haben bereits in der vergangenen
Legislaturperiode mit dem Antrag „Schutz des Klosters Mor Gabriel sicherstel-
len“ (Bundestagsdruckache 16/12866) ihre gemeinsame Unterstützung für das
Kloster zum Ausdruck gebracht. Der Metropolit und weitere Vertreter des
Klosters haben der Politik und auch den Kirchen in Deutschland für ihre Soli-
darität mehrfach gedankt.

Der Deutsche Bundestag begrüßt einzelne rechtliche Verbesserungen für religi-
öse Minderheiten, die in jüngster Zeit erzielt wurden. Zu nennen sind etwa die

Feierlichkeiten unter Teilnahme internationaler Pilger anlässlich des Paulus-
Jahres 2008/2009 am Geburtsort des Apostels in Tarsus. Weitere Schritte waren

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Erlaubnisse für Gottesdienste der griechisch-orthodoxen Christen im ehemali-
gen Kloster Sümela und armenischer Christen in der Kirche auf der Insel Akda-
mar in den Jahren 2010 und 2011, wie sie jetzt einmal jährlich stattfinden sol-
len. Auch im Stiftungsrecht hat es seit 2008 erhebliche Verbesserungen ge-
geben. Zu begrüßen ist nicht zuletzt das Dekret mit Gesetzeskraft vom 27. Au-
gust 2011. Dieses gibt religiösen Gemeindestiftungen das Recht, binnen
zwölf Monaten nach Inkrafttreten die Rückgabe von Immobilien zu verlangen,
die ihnen nach 1936 durch Enteignung entzogen wurden. Alternativ besteht ein
Entschädigungsanspruch zum heutigen Marktwert.

Leider haben sich die Hoffnungen des Deutschen Bundestages, dass die Türkei
umfassende Anstrengungen auf dem Weg zur uneingeschränkten Achtung der
Religionsfreiheit unternehmen wird, um die religiöse Vielfalt sowie das reiche
kulturelle Erbe des Landes zu schützen und zu bewahren, so noch nicht erfüllt.
Insbesondere fehlt es an Auswirkungen in der Praxis, die zu einer Verbesserung
der Situation des Klosters Mor Gabriel führen.

Heute leben weniger als 100 000 Christen sämtlicher Konfessionen in der Tür-
kei. Diese Zahl ist auch in den letzten Jahren noch rückläufig. Die restriktiven
Gesetze, die stark in die Religionsfreiheit eingreifen, gefährden den Fortbe-
stand der christlichen Gemeinschaften.

Trotz einiger kleiner Fortschritte in den vergangenen Jahren ist die Religions-
freiheit in der Türkei nach wie vor stark eingeschränkt. Der Umgang mit nicht-
muslimischen Minderheiten entspricht nicht den Standards der Europäischen
Union. Der Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission listet seit Jahren
Defizite auf. So ist eine Befreiung vom grundsätzlich verpflichtenden sunni-
tisch-muslimischen Religionsunterricht entgegen einer Entscheidung des Euro-
päischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus dem Jahre 2007 (Fall Hasan und
Eylem Zengin) in der Praxis nach wie vor nicht problemlos möglich. Da die
Türkei den syrisch-orthodoxen Christen anders als ihren jüdischen, griechisch-
orthodoxen und armenischen Staatsbürgern keinen Status als „nichtreligiöse
Minderheit“ im Sinne des Vertrages von Lausanne zubilligt, haben diese auch
nicht das Recht, eigene Schulen in aramäischer Sprache zu unterhalten. Reli-
giösen Minderheiten ist es nicht gestattet, ihren geistlichen Nachwuchs auszu-
bilden. Die religiöse Zugehörigkeit wird in Personaldokumenten festgehalten
und bietet Anlass für vielfältige Diskriminierung im Alltag – die mittlerweile
auf Antrag mögliche Änderung der Eintragung (auch das Freilassen des Feldes)
hat die gleichen Folgen. Immer wieder kommt es zu Gewalt gegen Andersgläu-
bige und ihre Gebetshäuser. Obwohl seit Aufhebung des Artikels 163 des Tür-
kischen Strafgesetzbuchs „Mission“, also die öffentliche Weitergabe des Glau-
bens, formal nicht mehr verboten ist, wird u. a. auch von staatlicher Seite so ge-
handelt, als wäre der Artikel noch in Kraft und es kommt wegen des Vorwurfs
der Missionierung weiterhin zu Anklageerhebungen.

Der Erhalt des Klosters Mor Gabriel durch den türkischen Staat wäre daher ein
starkes Signal für das Umgehen des türkischen Staates mit den religiösen Min-
derheiten, insbesondere der christlichen Minderheit, im Land. Die umfassende
Verwirklichung der Menschenrechte und der Kopenhagener Kriterien ist eine
Grundvoraussetzung für die Aufnahme in die EU.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich in Abstimmung mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union ge-
genüber der türkischen Regierung weiterhin dafür einzusetzen, dass die tür-
kische Regierung die Existenzgrundlage und die Lebensperspektive des
Klosters Mor Gabriel dauerhaft garantiert und der syrisch-orthodoxen Min-
derheit in ihrem Land im Einklang mit der Europäischen Menschenrechts-

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konvention (EMRK) die Rechte gewährt, die auch in der Beitrittspartner-
schaft mit der Türkei eindeutig festgelegt sind;

2. in Abstimmung mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union von der
türkischen Regierung auch zukünftig die uneingeschränkte Einhaltung ihrer
Verpflichtungen aus Artikel 18 des Internationalen Paktes über bürgerliche
und politische Rechte und Artikel 9 EMRK gegenüber religiösen Minderhei-
ten einzufordern, damit im Einklang mit anderen internationalen Abkom-
men sichergestellt ist, dass religiöse, nichtmuslimische Minderheiten
Rechtspersönlichkeit erlangen und als anerkannte Minderheiten ihre Rechte
uneingeschränkt ausüben können;

3. in den Beziehungen mit der Türkei die Defizite im Bereich der Religions-
freiheit verstärkt anzusprechen und gegenüber der Europäischen Kommis-
sion darauf hinzuwirken, dazu auch weiterhin ausführlich im Fortschrittsbe-
richt Stellung zu nehmen.

Berlin, den 27. März 2012

Volker Kauder, Gerda Hasselfeldt und Fraktion
Rainer Brüderle und Fraktion

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