BT-Drucksache 17/9097

Bewaffneter Schutz von Handelsschiffen unter deutscher Flagge

Vom 23. März 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9097
17. Wahlperiode 23. 03. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Katja Keul, Volker Beck (Köln), Agnes Brugger,
Marieluise Beck (Bremen), Viola von Cramon-Taubadel, Thilo Hoppe,
Uwe Kekeritz, Ute Koczy, Tom Koenigs, Kerstin Müller (Köln), Omid Nouripour,
Lisa Paus, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt,
Hans-Christian Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Bewaffneter Schutz von Handelsschiffen unter deutscher Flagge

Im Sommer 2011 kündigte der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundes-
minister für Wirtschaft und Technologie (BMWi), Hans-Joachim Otto, an, dass
die Bundesregierung plane, ein Zertifizierungsverfahren für den Einsatz priva-
ter Sicherheitsfirmen an Bord von Handelsschiffen auf den Weg zu bringen.
Die Kapazitäten von Bundeswehr und Bundespolizei reichten nicht aus, um
allen Handelsschiffen unter deutscher Flagge, die die Seewege rund um das
Horn von Afrika befahren, geeigneten Schutz zukommen zu lassen, so die Be-
gründung. In einer Pressemitteilung gab das BMWi am 16. Dezember 2011 be-
kannt, dass die Zertifizierung gemeinsam durch das Bundesamt für Wirtschaft
und Ausfuhrkontrolle (BAFA) und die Bundespolizei durchgeführt werden
solle. Darüber hinaus soll durch das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydro-
graphie (BSH), das auch die Gefahrenabwehrpläne für Seeschiffe genehmige,
der Einsatz der zertifizierten Sicherheitskräfte überprüft werden. Ein entspre-
chender Gesetzentwurf solle bis Ostern 2012 vorliegen.

Weiterhin schwelt auch die Diskussion um die Rolle der Bundespolizei beim
Einsatz gegen die internationale Piraterie. Während die Bundesregierung sie
lediglich für die Durchführung eines Teils des angestrebten Zertifizierungsver-
fahrens vorgesehen hat, griff zuletzt Anfang Februar Bernhard Witthaut, Vorsit-
zender der Gewerkschaft der Polizei, in einer Pressemitteilung eine Forderung
des Verbands Deutscher Reeder wieder auf und erklärte die Bundespolizei zur
einzigen behördlichen „Organisation, die aus überzeugenden Gründen für den
Begleitschutz an Bord von Schiffen infrage kommt“.

Im Rahmen der Atalanta-Operation werden staatliche Schutzteams (Vessel Pro-
tection Detachments – VPD) zum Schutz vor allem von Schiffen des World
Food Programme (WFP) eingesetzt. Bisher wurden diese VPD nur in enger
Verbindung zu Begleitschiffen der Operation eingesetzt. Nun sollen vermehrt
sogenannte Autonomous Vessel Protection Detachments (AVPD) eingesetzt

werden, die unabhängig von Einsatzschiffen den Schutz von Schiffen gewähr-
leisten sollen. Die Niederlande stellen seit Januar 2012 solche AVPD im
Rahmen der EU-Operation Atalanta zur Verfügung. Darüber hinaus bilden EU-
Einsatzkräfte im Rahmen der Atalanta-Operation auch VPD der Somalia-Mis-
sion der Afrikanischen Union (AMISOM) in Mombasa aus.

Drucksache 17/9097 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche in Deutschland niedergelassenen Bewachungsunternehmen bieten
derzeit nach Kenntnis der Bundesregierung maritime Sicherheitsdienstleis-
tungen an?

a) In welchem rechtlichen Rahmen und in welchem Umfang können derzeit
solche maritimen Sicherheitsdienstleistungen angeboten werden?

b) In welchem Umfang und gegenüber welchem Adressatenkreis werden
zurzeit, nach Kenntnis der Bundesregierung, solche maritimen Dienst-
leistungen erbracht?

2. Welche Staaten zertifizieren und lizenzieren zurzeit private Sicherheitsunter-
nehmen, die maritime Dienstleitungen erbringen, und nach welchen Kriterien
plant die Bundesregierung solche Zertifizierungen und Lizenzen für den Ein-
satz solcher Sicherheitsdienste an Bord von Schiffen unter deutscher Flagge
anzuerkennen?

3. Inwiefern ist die geplante Zulassungserfordernis einer Zertifizierung für die
Arbeit privater Sicherheitsdienste an Bord von Schiffen unter deutscher
Flagge mit den Bestimmungen des europäischen Binnenmarktes vereinbar?

4. Welchen Mehrbedarf an Personalmitteln erwartet die Bundesregierung im
Rahmen des Zertifizierungsverfahrens bei deutschen Behörden (bitte nach
Behörden, Einstufung und Tätigkeit aufschlüsseln)?

Ist hierfür eine kostendeckende Gebühr geplant?

5. Steht eine Zertifizierung gemäß dem von der Bundesregierung geplanten
Zertifizierungsverfahren auch für Sicherheitsunternehmen mit Sitz im Aus-
land zur Verfügung?

Wenn ja, plant die Bundesregierung auf Schiffen unter deutscher Flagge nur
den Einsatz solcher ausländischer Sicherheitsunternehmen zu gestatten, die
nach dem einzuführenden Verfahren zertifiziert wurden?

Wenn nein, nach welchen Kriterien plant die Bundesregierung den Einsatz
ausländischer Sicherheitsunternehmen zum Schutz von Schiffen unter deut-
scher Flagge zuzulassen?

6. Wann wird nach den derzeitigen Plänen der Bundesregierung die erste Schu-
lung im Rahmen des geplanten Zertifizierungsverfahrens beginnen, wann
können die ersten zertifizierten privaten Sicherheitsteams auf Schiffen unter
deutscher Flagge eingesetzt werden, und wann rechnet die Bundesregierung
damit, dass von deutschen Behörden die ersten Anerkennungen für auslän-
dische Sicherheitsdienste ausgestellt werden?

7. Welche Bewaffnung ist nach derzeitiger Rechtslage für private Sicherheits-
dienste an Bord von Handelsschiffen unter deutscher Flagge möglich?

Sind Ausnahmegenehmigungen, wie sie für Sicherheitsdienste, die zum
Schutz von Atomkraftwerken abgestellt sind, gelten, auch für private
Sicherheitsdienste an Bord von Handelsschiffen unter deutscher Flagge
denkbar?

Wenn ja, welche Behörden können eine solche Ausnahmegenehmigung er-
teilen?

8. Plant die Bundesregierung im Zuge des Zertifizierungsverfahrens für private
Sicherheitsfirmen, das Waffenrecht oder die Regelungen für das Verbringen
von Waffen zu verändern, so dass leichter Ausnahmegenehmigungen für das
Mitführen und den Gebrauch von Waffen auf Schiffen erteilt werden können?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/9097

9. Wie sieht die Bundesregierung die aktuelle Rechtslage hinsichtlich der haf-
tungsrechtlichen Verantwortlichkeit von Kapitän und privatem Sicherheits-
unternehmen bei der Tätigkeit der privaten Sicherheitsteams an Bord und
ihren Folgen (Tötung und Verletzung von – vermeintlichen – Piraten, Zerstö-
rung und Beschädigung von Eigentum von (vermeintlichen) Piraten, etc.)?

Plant die Bundesregierung für diesen Fall neue gesetzliche Regelungen?

10. Wie sieht die Bundesregierung die aktuelle Rechtslage bezüglich der Ver-
antwortlichkeit der Schiffsführung eines Handelsschiffes unter deutscher
Flagge gegenüber Schiffbrüchigen, wenn bei einem Zwischenfall zwischen
einem Handelsschiff und Piraten das Piratenschiff zerstört oder fahruntaug-
lich wird?

Plant die Bundesregierung für diesen Fall neue gesetzliche Regelungen?

11. Wie sieht die Bundesregierung die aktuelle Rechtslage in Bezug auf den
Verbleib und die Verbringung von Piraten, wenn bei einem Zwischenfall
zwischen einem Handelsschiff unter deutscher Flagge und Piraten, Piraten
an Bord des Handelsschiffes festgenommen werden, oder das Handelsschiff
Piraten, die durch diesen Zwischenfall schiffbrüchig wurden, an Bord auf-
nimmt?

Plant die Bundesregierung für diesen Fall neue gesetzliche Regelungen?

12. Inwiefern wird eine menschenrechtliche Schulung als Bedingung für den
Erhalt einer Zertifizierung erforderlich sein?

13. Inwiefern sieht die Bundesregierung den Schutz von Handelsschiffen unter
deutscher Flagge beziehungsweise von in Deutschland niedergelassenen
Reedereien als hoheitliche Aufgabe an?

14. Inwiefern gehört die Bekämpfung der Piraterie auf Hoher See zu den Aus-
bildungsinhalten der Bundeswehr und der Bundespolizei?

15. Wie viele Polizistinnen und Polizisten der Bundespolizei haben eine Aus-
bildung erhalten, die sie zu Einsätzen auf Handelsschiffen zur Bekämpfung
der Piraterie befähigt?

16. Ab welchem Zeitpunkt plant die Bundesregierung deutsche Einsatzkräfte
als sogenannte AVPD im Rahmen der EU-Operation Atalanta einzusetzen?

a) Inwiefern müssen Soldatinnen und Soldaten zum Einsatz in einem
AVPD andere Ausbildungsvoraussetzungen erfüllen als zu einem Ein-
satz in einem VPD?

b) Plant die Bundesregierung auch Angehörige der Bundespolizei so aus-
zubilden, dass sie als VPD/AVPD eingesetzt werden können?

c) In welchem Umfang sollen diese AVPD eingesetzt werden?

d) In welchem Umfang wurden bisher VPD durch die deutsche Bundes-
wehr ausgebildet?

e) Plant die Bundesregierung hinsichtlich des angestrebten Einsatzes deut-
scher AVPD den Ausbildungsumfang für deutsche VPD zu erhöhen?

Wenn ja, in welchem Maße?

f) Welche Inhalte werden bei der Ausbildung von Soldatinnen und Solda-
ten zu VPD vermittelt?

g) Welche rechtlichen Grundlagen sind für den Einsatz deutscher AVPD
hinsichtlich der Einschiffung, der Tätigkeit an Bord und der Ausschif-
fung einschlägig?

Drucksache 17/9097 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
h) Wie beurteilt die Bundesregierung für den zukünftigen Einsatz von
VPD und AVPD die Auswirkungen des Falls der italienischen Soldaten,
die als VPD an Bord eines italienischen Handelsschiffes indische Fi-
scher getötet haben, die sie fälschlicherweise für Piraten hielten?

17. Inwiefern plant die Bundesregierung, im Rahmen eines geänderten Opera-
tionsplans für die EUNAVFOR-Operation Atalanta (EUNAVFOR = Euro-
pean Union Naval Force Somalia) mit deutschen Einsatzkräften bzw. dem
Einsatzverband Atalanta zur Verfügung gestellten militärischen Fähigkeiten
gegen an der somalischen Küste identifizierte Piratenlogistik militärisch
vorzugehen?

18. Wann wird voraussichtlich die EU-Mission zum Aufbau regionaler mariti-
mer Kapazitäten in den Staaten am Horn von Afrika und im westindischen
Ozean (RMCB – Regional Maritime Capacity Building) vom Rat der Euro-
päischen Union beschlossen werden?

19. Welches Personal im Bereich des Küstenschutzes bzw. der Unterstützung
im Bereich Justiz beabsichtigt die Bundesregierung im Rahmen der EU-
Mission RMCB einzusetzen?

20. Für welche Art von Schiffstransporten werden nach Kenntnis der Bundes-
regierung Truppen der AMISOM in Mombasa zu VPD durch Einsatzkräfte
aus EU-Staaten ausgebildet?

Inwiefern sind oder waren deutsche Einsatzkräfte an einer solchen Ausbil-
dung beteiligt, bzw. plant die Bundesregierung, deutsche Soldatinnen und
Soldaten daran zu beteiligen?

Berlin, den 23. März 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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