BT-Drucksache 17/8861

Entwicklung und Planung unbemannter Systeme in der Bundeswehr

Vom 5. März 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8861
17. Wahlperiode 05. 03. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Agnes Brugger, Tom Koenigs, Volker Beck (Köln),
Marieluise Beck (Bremen), Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Katja Keul, Ute Koczy,
Tom Koenigs, Kerstin Müller (Köln), Omid Nouripour, Lisa Paus, Claudia Roth
(Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Hans-Christian Ströbele und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Entwicklung und Planung unbemannter Systeme in der Bundeswehr

Die rasante Entwicklung der Mikroelektronik, die exponentielle Steigerung der
Rechenleistung und der stete Fortschritt in der Robotik wirken sich auch in
hohem Maße auf den militärischen Sektor aus. Aufklärungsdrohnen, Minen-
räumgeräte, aber auch bewaffnete unbemannte Systeme, Lenkraketen oder
Marschflugkörper verändern die Vorbereitung und Durchführung von Einsät-
zen. In Afghanistan, Pakistan, Somalia, Jemen und im Irak wurden und werden
unbemannte Systeme bereits genutzt. Insbesondere die USA und Israel haben
in den letzten Jahren die Entwicklung und den Einsatz unbemannter Systeme
vorangetrieben. Vor allem der Einsatz von Drohnen nimmt stetig zu.

Andere Staaten, wie China und Russland, versuchen militärtechnologisch
Schritt zu halten, wodurch eine neue Rüstungsspirale in Gang gesetzt werden
könnte. Die mit unbemannten Systemen verbundene Hoffnung, in bewaffneten
Auseinandersetzungen eigene Opfer zu reduzieren oder ganz zu vermeiden,
verleiht der Aufrüstung in diesem Bereich eine zusätzliche Dynamik.

Die zunehmende Automatisierung militärischer Systeme, aber auch die bereits
seit vielen Jahren eingesetzten Marschflugkörper und vollautomatischen Rake-
tensysteme werfen völkerrechtliche, menschenrechtliche und ethische Fragen
auf.

Auch die Bundeswehr setzt immer mehr auf unbemannte Systeme. Dies hat
Folgen für den Einsatz der Streitkräfte und die militärische Strategie. Bisher
verfügt die Bundeswehr nicht über bewaffnete unbemannte Systeme; eine Be-
schaffung des so genannten Wirkmittels zur abstandsfähigen Bekämpfung von
Einzel- u. Punktzielen (WABEP) wurde bis auf Weiteres verschoben. Ab 2014
beabsichtigt die Bundeswehr, drei derzeit geleaste Drohnen vom Typ IAI Heron
durch drei leistungsfähigere unbemannte Luftfahrtzeuge vom Typ Predator B
zu ersetzen. Bisher plant das Bundesministerium der Verteidigung nach eigenen
Angaben, diese Drohnen lediglich unbewaffnet und zur Aufklärung einzu-

setzen. Technisch ist die Drohne jedoch durch leichte Modifikationen auch in
der Lage, bewaffnet zu werden. Die Luftwaffe stünde auf diese Weise kurz vor
dem Erwerb der Fähigkeit zur Verbringung von Waffen mit unbemannten Sys-
temen.

Drucksache 17/8861 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Inwieweit wurden und werden von der Bundesregierung Forschungspro-
gramme zur militärischen Nutzung unbemannter Systeme zu Land, zu
Wasser und in der Luft in Auftrag gegeben bzw. unterstützt, die über die
aufgezeigten Systeme im Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages zum „Stand
und Perspektiven der militärischen Nutzung unbemannter Systeme“ (Bun-
destagsdrucksache 17/6904) hinausgehen (bitte Projektname, Träger bzw.
Beteiligte, Inhalt und Ziel sowie Höhe der Förderung und Haushaltstitel
nennen)?

2. Welche Überlegungen zur mittelfristigen (bis 2025) Fähigkeitsentwicklung
unbemannter Systeme der Luftwaffe, des Heeres und der Marine werden
derzeit angestrengt?

3. Erwägt die Bundeswehr die Anschaffung waffenfähiger unbemannter Sys-
teme jenseits der im Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung zum „Stand und Perspektiven der militärischen
Nutzung unbemannter Systeme“ (Bundestagsdrucksache 17/6904) aufge-
führten Systeme?

Wenn ja, in welchem Zeitraum sollen welche Systeme mit welchen Fähig-
keiten für welche Einsatzszenarien

a) für die Luftwaffe,

b) für das Heer,

c) für die Marine

angeschafft werden?

4. Welche Einsatzszenarien und Verwendungsmöglichkeiten für bestehende
sowie geplante unbewaffnete und bewaffnete unbemannte Systeme durch
die Bundeswehr sieht die Bundesregierung in Zukunft vor?

5. Welche strategische Rolle wird unbewaffneten und bewaffneten unbe-
mannten Systemen im Rahmen der Reform und zukünftigen Ausrichtung
der Bundeswehr zugeschrieben?

6. Umfasst die Ausbildung der Drohnenpiloten, die für den Einsatz der ge-
leasten Heron ausgebildet wurden und werden auch Schulungsanteile, die
sie mit den zusätzlichen Möglichkeiten einer bewaffneten Variante vertraut
machen?

7. Mit welchem Modell sollen nach aktuellem Planungsstand die Drohnen des
Typs IAI Heron ersetzt werden, die derzeit durch die Bundeswehr geleast
werden?

8. Welche Einsatzszenarien und Verwendungsmöglichkeiten durch die Bun-
deswehr sind für das Nachfolgemodell vorgesehen, und welche Fähigkei-
ten soll das System abdecken?

9. Welche strategische Rolle wird dem Nachfolgemodell im Rahmen der
Reform und zukünftigen Ausrichtung der Bundeswehr zugeschrieben?

10. Wie bewertet die Bundesregierung völkerrechtlich, militärstrategisch und
militärtaktisch den Einsatz bewaffneter Drohnen zur Tötung von gegneri-
schen Kämpfern außerhalb von akuten Gefechtssituationen in asymmetri-
schen Konflikten?

a) Inwiefern beteiligt sich die Bundeswehr an solchen Operationen?

b) Inwiefern beteiligt sich die Bundeswehr an solchen Operationen jenseits

des Einsatzes von unbemannten Systemen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/8861

11. Inwiefern hält die Bundesregierung den Einsatz von bewaffneten unbe-
mannten Systemen zur Bekämpfung von Gegnern in

a) nichtinternationalen bewaffneten Konflikten,

b) internationalen bewaffneten Konflikten

mit dem humanitären Völkerrecht sowie menschenrechtlichen Verpflich-
tungen bzw. des völkerrechtlichen Lebensschutzes vereinbar?

12. Wie bewertet die Bundesregierung die psychologische Wirkung des Einsat-
zes unbewaffneter und bewaffneter Drohnen in nichtinternationalen be-
waffneten Konflikten?

Werden Aufständische nach Ansicht der Bundesregierung durch den Ein-
satz unbemannter Systeme eher demoralisiert oder ergibt sich ein zusätzli-
cher Mobilisierungseffekt?

13. Welchen möglichen Zusammenhang sieht die Bundesregierung zwischen
dem verstärkten Einsatz unbemannter Systeme in nichtinternationalen be-
waffneten Konflikten und der Radikalisierung des Gegners bis hin zu Ter-
roranschlägen im Entsendeland?

14. Erwägt die Bundesregierung, bewaffnete sowie unbewaffnete unbemannte
Systeme jenseits bewaffneter Konflikte auch zur Gefahrenabwehr sowie
Strafverfolgung (Law Enforcement) einzusetzen?

15. Inwiefern plant die Bundesregierung, mit Blick auf den Einsatz unbemann-
ter Systeme zu Wasser, zu Land und in der Luft – inklusive bereits länger
genutzter Waffensysteme und -Munition wie Marschflugkörpern, Boden-
Boden-, Boden-Luft- sowie Luft-Boden-Raketen – ihrer Verpflichtung
nach Artikel 36 des Zusatzprotokolls I (ZP I) zu den Genfer Abkommen
über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte nachzu-
kommen, nach der „bei der Prüfung, Entwicklung, Beschaffung oder Ein-
führung neuer Waffen oder neuer Mittel oder neuer Methoden der Krieg-
führung festzustellen [ist], ob ihre Verwendung stets oder unter bestimmten
Umständen durch dieses Protokoll oder durch eine andere auf die Hohe
Vertragspartei anwendbare Regel des Völkerrechts verboten wäre“?

Wenn nein, warum nicht?

16. Inwiefern sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit, eine umfassende
rüstungskontrollpolitische Bestandsaufnahme mit Blick auf unbewaffnete
und bewaffnete unbemannte Systeme vorzunehmen, wie sie u. a. vom Aus-
schuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung in seinem
Bericht zum „Stand und Perspektiven der militärischen Nutzung unbe-
mannter Systeme“ empfohlen wird?

Wenn nein, warum nicht?

17. Inwieweit setzt sich die Bundesregierung auf internationaler Ebene dafür
ein, die derzeit gegebene Möglichkeit der atomaren Bewaffnung unbe-
mannter Systeme entsprechend den Regelungen für den Bereich biologi-
scher und chemischer Waffen zu verbieten?

Wenn nein, warum nicht?

18. Welche Anstrengungen unternimmt die Bundesregierung, um eine Über-
prüfung und ggf. Anpassung bestehender internationaler Rüstungskontroll-
vereinbarungen wie beispielsweise dem Washingtoner Vertrag über nukle-
are Mittelstreckensysteme (INF-Vertrag), dem erneuerten Vertrag zur Ver-
ringerung strategischer Waffen (New START-Vertrag) sowie dem Welt-
raumvertrag im Sinne einer eindeutigen Klassifizierung von unbemannten

bewaffneten und unbewaffneten Systemen zu erreichen?

Drucksache 17/8861 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Welche Notwendigkeit sieht die Bundesregierung dabei, genannte Verträge
sowie beispielsweise auch den angepassten Vertrag über Konventionelle
Streitkräfte in Europa (AKSE) so anzupassen, dass in diesen Obergrenzen
für unbemannte Waffensysteme aufgenommen werden?

19. Wie bewertet die Bundesregierung die Gefahr der Verbreitung von Techno-
logie und des Reengineering durch Verluste von Drohnen, die nach Absturz
nicht geborgen werden können?

20. Welche völkerrechtliche, menschenrechtliche, ethische und moralische Ab-
wägungen sind aus welchen Gründen nach Ansicht der Bundesregierung
für den Einsatz bzw. die Unterstützung des Einsatzes bewaffneter unbe-
mannter Systeme zur Tötung von gegnerischen Kämpferinnen und Kämp-
fern außerhalb von akuten Gefechtssituationen erforderlich?

21. Inwiefern spielen ethische und moralische Fragestellungen bei Anschaf-
fung und Bestimmung der Verwendungsmöglichkeiten unbemannter
Systeme durch die Bundeswehr eine Rolle?

a) Welche ethische und moralische Fragestellungen müssen nach Auffas-
sung der Bundesregierung warum geprüft werden bzw. werden geprüft?

b) Zu welchem Ergebnis kommt die Bundesregierung bei der Abwägung
ethischer und moralischer Fragestellungen?

c) Erachtet die Bundesregierung eine Befassung des Nationalen Ethikrates
mit diesen Fragestellungen für sinnvoll?

Falls nein, warum nicht?

22. Hält die Bundesregierung an ihrer Ansicht fest, dass der Einsatz bewaffne-
ter unbemannter Systeme zur Tötung von gegnerischen Kämpferinnen und
Kämpfern dem humanitären Völkerrecht widerspricht?

23. In welcher Weise äußert die Bundesregierung gegenüber ihrem größten
Bündnispartner, den USA, diese Rechtsauffassung?

24. Wie will die Bundesregierung langfristig verhindern, dass die Standorte im
Inland, von denen aus unbemannte Systeme geführt oder die zur Auswer-
tung von Aufklärungsdaten unbemannter Systeme genutzt werden, zu legi-
timen Angriffszielen durch gegnerische Kräfte im Rahmen einer bewaffne-
ten Auseinandersetzung werden?

25. Wie schätzt die Bundesregierung die mit der Programmierung von Ent-
scheidungsprozessen (Zielverfolgung, automatische alternative Zielaus-
wahl etc.) verbundenen Risiken beim Einsatz unbewaffneter und bewaffne-
ter unbemannter Systeme – inklusive Marschflugkörpern, Interkontinental-
raketen sowie ähnlichen Wirkmitteln – ein?

26. Wie bewertet die Bundesregierung die Risiken durch Fehlprogrammierung,
Systemstörungen und Defekte beim Einsatz unbewaffneter und bewaffne-
ter unbemannter Systeme?

27. Wie bewertet die Bundesregierung das Risiko von durch Dritte verursach-
ten Störungen und Steuerungseingriffe beim Einsatz unbewaffneter und be-
waffneter unbemannter Systeme?

28. Wie wirken sich nach Ansicht der Bundesregierung der Einsatz unbemann-
ter Systeme und die Programmierung von Entscheidungsprozessen (Ziel-
verfolgung, automatische alternative Zielauswahl etc.) bei Militäreinsätzen
auf die Zurechnung von Verantwortlichkeit im Falle der Verletzung völker-
rechtlicher und menschenrechtlicher Normen, beispielsweise bei der Tö-
tung oder Verwundung von Menschen, aus?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/8861

29. Wie wirkt sich nach Ansicht der Bundesregierung der Einsatz unbemannter
Systeme auf die Fähigkeit zur verlässlichen Unterscheidung von Kombat-
tantinnen und Kombattanten sowie Nichtkombattantinnen und Nichtkom-
battanten zum Schutz der Zivilbevölkerung aus?

30. Wie stellt die Bundesregierung beim Einsatz unbemannter Systeme die
völkerrechtlich gebotene Unterscheidung zwischen Kombattantinnen und
Kombattanten sowie Nichtkombattantinnen und Nichtkombattanten sicher,
sodass der Schutz der Zivilbevölkerung gewahrt ist?

31. Vor welchen Herausforderungen ist das Völkerrecht, das humanitäre Völ-
kerrecht und der internationale Menschenrechtsschutz durch den Einsatz
von unbemannten bewaffneten Systemen nach Einschätzung der Bundes-
regierung gestellt?

32. Welche Auswirkungen haben der zunehmende Einsatz unbemannter Sys-
teme und die Programmierung von Entscheidungsprozessen (Zielverfol-
gung, automatische alternative Zielauswahl) nach Ansicht der Bundes-
regierung im Hinblick auf ethische Leitprinzipien der Bundeswehr, wie
z. B. der Inneren Führung?

a) Ist der Einsatz von Lenkraketen und Marschflugkörpern durch die Bun-
deswehr nach Ansicht der Bundesregierung bereits problematisch?

b) Wenn nicht, warum nicht?

33. Welche internationalen Übereinkünfte im Bereich der Rüstungs- und Ex-
portkontrolle gelten nach Einschätzung der Bundesregierung schon jetzt
für unbemannte Systeme, und welche Folgen ergeben sich jeweils für die
Beschaffung und den Export?

34. Wie bewertet die Bundesregierung die Notwendigkeit einer internationalen
Regulierung des Einsatzes unbemannter Systeme (bitte insbesondere auf
bewaffnete unbemannte Systeme eingehen)?

35. Welche Form und welchen Inhalt sollten internationale Regulierungen für
den Einsatz unbemannter Systeme nach Ansicht der Bundesregierung ha-
ben (bitte insbesondere auf bewaffnete unbemannte Systeme eingehen)?

36. Erachtet es die Bundesregierung als geboten, dass die letzte Entscheidung
über einen Waffeneinsatz beim Einsatz unbemannter Systeme immer bei
einer natürlichen Person liegen muss?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, an welchem Punkt sollte diese Letztentscheidung aus Sicht der
Bundesregierung sinnvollerweise getroffen werden?

37. Wie bewertet die Bundesregierung die Möglichkeit einer internationalen
Übereinkunft, dass die letzte Entscheidung über einen Waffeneinsatz beim
Einsatz unbemannter Systeme immer bei einer natürlichen Person liegen
muss?

38. Gibt es Initiativen seitens der Bundesregierung zur internationalen Regu-
lierung des Einsatzes unbemannter Systeme?

Wenn ja, welche?

Wenn nein, warum nicht?

39. a) Hält die Bundesregierung es für technisch und rechtlich möglich den
Euro Hawk dahingehend zu befähigen, um auch den Inhalt von Mobil-
funkgesprächen auswerten zu können?

b) Wie wird der Schutz des Artikel 10 des Grundgesetzes (GG) bei Einsät-

zen des Euro Hawk gewährleistet?

Drucksache 17/8861 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Gilt dieser nach Ansicht der Bundesregierung nur für Inländer oder stellt
der Schutz des Artikel 10 GG ein Menschenrecht dar?

40. Von welchen Standorten der Bundeswehr werden zukünftig unbemannte
Systeme geführt, und an welchen Standorten werden die mit diesem Sys-
tem gewonnenen Daten ausgewertet?

Berlin, den 2. März 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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