BT-Drucksache 17/8849

Zur Ausgestaltung des Raketenabwehrsystems der NATO

Vom 2. März 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8849
17. Wahlperiode 02. 03. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Agnes Brugger, Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen),
Viola von Cramon-Taubadel, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Katja Keul,
Ute Koczy, Tom Koenigs, Kerstin Müller (Köln), Omid Nouripour, Lisa Paus,
Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt,
Hans-Christian Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zur Ausgestaltung des Raketenabwehrsystems der NATO

In ihrem Strategischen Konzept von 2010 bezeichnet die NATO ein zukünftiges
Raketenabwehrsystem als Kernelement kollektiver Verteidigung. Es wurde ein
schrittweiser Aufbau dieses Systems bis 2020 beschlossen.

Fragen der technischen Machbarkeit oder des finanziellen Aufwands wurden
nicht thematisiert und sind bis heute Gegenstand von Kontroversen. Ungeklärt
blieb auch, wie die Forderung, eine Kooperation mit Russland einzugehen,
konkret umgesetzt werden könne. Sämtliche Planungen im NATO-Rahmen
haben dazu geführt, dass sich Russland von einer zukünftigen Beteiligung am
Raketenabwehrsystem bisher eher ausgeschlossen fühlt. Deshalb und aus
innenpolitischen Gründen in Russland haben die Spannungen zwischen NATO
und Russland zugenommen. Deutlichstes Zeichen dieser Entwicklung ist die
Ankündigung vom November 2011, eigene Raketen in Kaliningrad stationieren
zu wollen. Die scharfe Kritik am Raketenabwehrsystem durch den russischen
Premierminister und Kandidaten für das Präsidentenamt Wladimir Putin in ei-
nem Gastbeitrag in der Zeitung „Moskowskije Nowosti“ macht die Eskalation
des Konfliktes, aber auch eine gefährliche nationalistische Instrumentalisierung
im russischen Präsidentschaftswahlkampf deutlich.

Auf dem NATO-Verteidigungsministertreffen vom 2. bis 3. Februar 2012 in
Brüssel wurde nun ein weiterer Schritt beschlossen; die Einrichtung einer
Kommandozentrale am deutschen Standort Ramstein. Der Bundesminister der
Verteidigung, Dr. Thomas de Maizière, kündigte darüber hinaus an, Deutschland
könne sich vorstellen, seine Patriot-Raketen dem System zur Verfügung zu stel-
len. Gerade erst hat die Bundesregierung beschlossen, genau die Anzahl dieser
Raketen zu reduzieren.

Dieses Vorgehen in der Ausgestaltung eines Raketenabwehrsystems wirft eine
Reihe von Fragen auf.
Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie kam es zur Standortentscheidung Ramstein?

Standen andere Alternativen zur Auswahl, und wenn ja welche, und warum
wurde die Entscheidung für Ramstein getroffen?

Drucksache 17/8849 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

2. Verbindet Deutschland mit der Stationierung der Kommandozentrale in
Ramstein auch ein intensiveres Engagement in den Bemühungen, die russi-
sche und amerikanische Seite an einen Verhandlungstisch zu bekommen
bzw. die Bedingungen für eine Kooperation auszuarbeiten?

Wenn ja, wie geht die Bundesregierung hierbei vor, und welche Ergebnisse
wurden bisher erzielt?

3. Wie bewertet die Bundesregierung das amerikanische Vorhaben, zwei Sys-
teme aufzubauen, wobei Russland nur an einem beteiligt werden soll?

4. Wie bewertet die Bundesregierung Russlands Forderung nach einer Einbe-
ziehung in die Kommandostrukturen des Raketenabwehrsystems, und wie
umfassend kann eine Zusammenarbeit auf dieser Ebene ihrer Ansicht nach
sein?

5. Wie beabsichtigt die Bundesregierung, eine substantielle Beteiligung der
europäischen Staaten in den Kommandostrukturen des Raketenabwehrsys-
tems innerhalb der Allianz sicherzustellen?

6. Hat die Bundesregierung eigene Vorstellungen, wie eine Kooperation mit
Russland konkret aussehen und erzielt werden kann?

Wenn ja, welche?

7. Wie bewertet die Bundesregierung die Stationierung eines Frühwarnradars
in Kaliningrad sowie die Ankündigung der russischen Seite, dort auch
Raketen zu stationieren?

8. Plant die Bundesregierung, auf die weitere Ausgestaltung des Raketenab-
wehrschildes neben der Standortentscheidung Einfluss zu nehmen?

Wenn ja, auf welche Weise, und mit welchen Ergebnissen?

9. Bisherigen Verlautbarungen des Bundesministeriums der Verteidigung
(BMVg) und des Auswärtigen Amts war zu entnehmen, man wolle keine
„Hardware“ für die Ausgestaltung des Raketenabwehrschildes zur Verfü-
gung stellen. Bedeutet die jetzige Entscheidung eine Kursänderung?

10. Wie haben andere Länder außer Russland auf die Standortentscheidung re-
agiert (z. B. andere NATO-Länder, aber auch China)?

Ab wann sieht die Bundesregierung eine Kooperation mit Russland für
ausgeschlossen bzw. gescheitert an?

Welche Auswirkungen hätte das dann?

11. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus, dass Fortschritte
beim Aufbau eines Raketenabwehrsystems nicht wie von ihr gefordert mit
Schritten zur Abrüstung verknüpft wurden?

12. Hält die Bundesregierung an ihrer Forderung fest, den Aufbau eines Rake-
tenabwehrsystems und die Reduzierung der Rolle und Zahl von Atomwaf-
fen innerhalb des Bündnisses zu verknüpfen?

Welche Bündnispartner konnte sie bisher für diesen Zweiklang mit
welchem Ergebnis gewinnen?

13. Welche Analyse legt die Bundesregierung ihrer Unterstützung eines
NATO-Raketenabwehrsystems zugrunde, und inwiefern ist dieses System
geeignet, auf diese Bedrohungslage zu reagieren?

14. Hält die Bundesregierung einen Raketenangriff seitens des Iran auf das
Territorium der NATO nach derzeitigem Kenntnisstand für technisch mög-
lich, und wie hoch ist nach ihrer sicherheitspolitischen Einschätzung ein

solcher Angriff?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/8849

15. Bisher besteht das Raketenabwehrsystem vor allem aus US-Systemen und
steht damit unter nationaler US-Kontrolle. Durch welche konkreten Bei-
träge seitens der Bundesrepublik Deutschland und anderer NATO-Staaten
neben den USA soll das Raketenabwehrsystem nach Auffassung der Bun-
desregierung zu einem multilateral zusammengesetzten Bündnissystem
ausgebaut werden?

16. Welche Rolle soll künftig das Combined Air Operations Centre in Uedem,
Nordrhein-Westfalen, einnehmen, das bisher Deutschlands Beitrag zum
Active Layered Theatre Ballistic Missiles Defence (ALTBMD)-Programm
war?

17. Inwiefern ist die Ankündigung, die Zahl der Patriot-Raketen reduzieren zu
wollen, mit der Ankündigung, sie als wichtige Komponente für das Rake-
tenabwehrsystem zur Verfügung zu stellen, vereinbar?

18. Welche Beiträge Deutschlands zum Raketenabwehrsystem sieht das
BMVg vor, und wie ist diesbezüglich der aktuelle Stand bei der Erarbei-
tung der Konzeption „Luftverteidigungsbund 2020“?

19. Sind deutsche Beiträge für die territoriale Raketenabwehr in Europa ge-
plant?

Wenn ja welche?

20. Erwägt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die Anschaffung
von SM-3- oder THAAD-Interzeptoren?

21. Wird von der Bundesregierung in diesem Zusammenhang eine Modernisie-
rung der F124-Radare in Betracht gezogen?

22. Erwägt die deutsche Marine, Fregatten mit SM-3-Raketen auszustatten?

Wenn ja, wie ist hier der aktuelle Planungsstand?

23. Gab es bezüglich der Integration der Patriot-Raketen in das Raketenab-
wehrsystem Konsultationen mit anderen NATO-Staaten?

Wenn ja, wie haben die betreffenden Bündnispartner auf diesen Vorschlag
reagiert?

Wenn nein, warum nicht?

24. Inwiefern erachtet die Bundesregierung die Integration der Patriot-Raketen
in das NATO-Raketenabwehrsystem für technisch geeignet, und welche
Bedrohungsanalysen sowie strategischen Überlegungen legt sie hierbei zu-
grunde?

25. Wo sollen die in das NATO-Raketenabwehrsystem integrierten Patriot-
Raketen stationiert werden?

Ist auch eine Stationierung auf deutschem Territorium vorgesehen?

26. PAC-3-Raketen sind nach jetzigem Stand kaum geeignet, Raketen größerer
Reichweite abzufangen. Plant die Bundesregierung die Entwicklung und/
oder Anschaffung entsprechender Raketen für das Abwehrsystem oder er-
wägt sie eine Modernisierung jetziger Systeme?

27. Bis zum NATO-Gipfel in Chicago soll das erforderliche Einsatzkonzept
(Concept of Operations, CONOPS) fertiggestellt sein. Wie bewertet die
Bundesregierung den Stand der Verhandlungen, und welche Vorstellungen
bringt sie mit ein?

28. Inwieweit wird die Bundesregierung in die Entscheidung über einen kon-
kreten Abschuss eingebunden sein?

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29. Wie bewertet die Bundesregierung das Risiko, dass bei der Abwehr von
Raketen über dem Gebiet von Mitgliedstaaten der NATO Trümmerteile,
die möglicherweise Gefahrstoffe enthalten, auf deutschem Hoheitsgebiet
niedergehen, und wie stellt sie den Schutz der Bevölkerung in einem
solchen Szenario sicher?

30. Wie hoch werden die Gesamtkosten für die Bundesrepublik Deutschland
für den Aufbau des NATO-Raketenabwehrsystems veranschlagt, und wie
setzt sich dieser Betrag zusammen?

31. Welche Kosten kommen für die Unterhaltung des NATO-Raketenabwehr-
systems auf die Bundesrepublik Deutschland zu?

32. Welche erste Fähigkeit (Interim Capability) soll bis zum diesjährigen
NATO-Gipfel in Chicago gemäß der Abschlusserklärung der Außenminis-
ter der Allianz vom Dezember 2011 erreicht werden, und welchen Beitrag
leistet die Bundesregierung hierzu?

33. Welche Position vertritt die Bundesregierung bilateral sowie im NATO-Rat
gegenüber der Forderung des russischen Außenministers Sergey Lawrow
nach klaren, juristisch bindenden Garantien, dass das Raketenabwehrsystem
nicht gegen die russischen strategischen Fähigkeiten gerichtet sein werde?

Berlin, den 2. März 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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