BT-Drucksache 17/8811

Wirksame Bekämpfung der Genitalverstümmelung

Vom 29. Februar 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8811
17. Wahlperiode 29. 02. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Christine Lambrecht, Burkhard Lischka, Sonja Steffen,
Sebastian Edathy, Ingo Egloff, Petra Ernstberger, Dr. Edgar Franke, Iris Gleicke,
Petra Hinz (Essen), Dr. Eva Högl, Christel Humme, Ute Kumpf, Caren Marks,
Aydan Özog˘uz, Thomas Oppermann, Mechthild Rawert, Stefan Rebmann,
Karin Roth (Esslingen), Marianne Schieder (Schwandorf), Christoph Strässer,
Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Wirksame Bekämpfung der Genitalverstümmelung

In verschiedenen afrikanischen und einigen asiatischen Ländern werden die
weiblichen Genitalien aus religiösen oder traditionellen Gründen beschnitten.
An in Deutschland lebenden Migrantinnen aus diesen Ländern wird das Be-
schneidungsritual teilweise in ihren Herkunftsländern als sog. Ferienbeschnei-
dung oder in Deutschland praktiziert. Die Genitalverstümmelung verletzt die
Grundrechte der Mädchen und Frauen in schwerwiegender Weise. Nach Ein-
schätzung von TERRE DE FEMMES Menschenrechte für die Frau e. V. sind in
Deutschland 18 000 bis 20 000 Mädchen und Frauen von Genitalverstümme-
lung betroffen, etwa 4 000 hier lebende Mädchen und Frauen sind derzeit ge-
fährdet, Opfer von Genitalverstümmelung zu werden.

Anders als in vielen europäischen Nachbarstaaten gibt es in Deutschland
keinen eigenen Straftatbestand für die Genitalverstümmelung. Die Genitalver-
stümmelung ist in jedem Fall als eine einfache Körperverletzung gemäß § 223
des Strafgesetzbuchs (StGB) strafbar. Da sie regelmäßig mit einem Messer oder
ähnlichen Werkzeug durchgeführt wird, stellt sie in der Regel eine gefährliche
Körperverletzung im Sinne des § 224 StGB dar. Möglicherweise ist der Tat-
bestand der Misshandlung von Schutzbefohlenen gemäß § 225 StGB erfüllt.
Führt die Genitalverstümmelung zum Verlust der Fortpflanzungsfähigkeit, liegt
eine schwere Körperverletzung gemäß § 226 StGB vor.

Die Strafverfolgung einer im Ausland begangenen Genitalverstümmelung ist
problematisch, wenn den Eltern keine Vorbereitungshandlungen in Deutsch-
land nachgewiesen werden können. Aufgrund des Territorialprinzips und auf-
grund der Tatsache, dass die Genitalverstümmelung nicht in dem in § 5 StGB
geregelten Katalog der Auslandstaten gegen inländische Rechtsgüter enthalten
ist, ist deutsches Strafrecht nur anwendbar, wenn die Tat im Herkunftsland mit
Strafe bedroht ist.
In ihrer Stellungnahme zum Gesetzentwurf des Bundesrates vom 24. März
2010 (Bundestagsdrucksache 17/1217) hat die Bundesregierung angekündigt,
das Erfordernis gesetzgeberischer Maßnahmen zu erörtern.

Drucksache 17/8811 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele in Deutschland lebende Frauen und Mädchen sind nach Ein-
schätzung der Bundesregierung derzeit von Genitalverstümmelung betrof-
fen?

2. Wie hoch ist nach Einschätzung der Bundesregierung der Anteil der im
Inland/Ausland praktizierten Genitalverstümmelungen?

3. Wie viele in Deutschland lebende Frauen und Mädchen sind nach Ein-
schätzung der Bundesregierung derzeit gefährdet, Opfer von Genitalver-
stümmelung zu werden?

4. In welchen Ländern wird die Genitalverstümmelung praktiziert?

5. Wie hoch ist nach Einschätzung der Bundesregierung in den jeweiligen
Ländern der Anteil der beschnittenen Mädchen und Frauen?

6. In welchen Ländern, in denen Genitalverstümmelung praktiziert wird, ist
diese strafbewehrt?

7. Gibt es Länder, in denen trotz Strafbewehrung keine Strafverfolgung statt-
findet, und wenn ja, in welchen Ländern ist dies der Fall?

8. Wie viele Ermittlungsverfahren wegen Genitalverstümmelung wurden
nach Kenntnis der Bundesregierung in Deutschland in den Jahren 2000 bis
2010 jeweils eingeleitet (mit der Bitte um Auflistung nach Delikt sowie Art
der Täterschaft bzw. Teilnahme)?

9. Wie viele Verfahren wurden nach Kenntnis der Bundesregierung einge-
stellt und aus welchem Grund?

10. In wie vielen Fällen kam es nach Kenntnis der Bundesregierung zur An-
klage (mit der Bitte um Auflistung nach Delikt und Art der Täterschaft
bzw. Teilnahme)?

11. In wie vielen Fällen kam es nach Kenntnis der Bundesregierung jeweils zur
Verurteilung (mit der Bitte um Auflistung nach Delikt sowie Art der Täter-
schaft bzw. Teilnahme)?

12. Wie häufig scheitert die Strafverfolgung daran, dass die Genitalverstüm-
melung in dem Land, in dem sie praktiziert wurde, nicht mit Strafe bedroht
ist?

13. Sieht die Bundesregierung hier eine Schutzlücke?

14. Wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die Forde-
rung, die Genitalverstümmelung in den Katalog der Auslandsstraftaten ge-
gen inländische Rechtsgüter, § 5 StGB, aufzunehmen?

15. Welche gesundheitlichen und psychischen Folgen hat die Genitalverstüm-
melung nach Einschätzung der Bundesregierung in der Regel für die be-
troffenen Mädchen und Frauen?

16. Wie bewertet die Bundesregierung die Schaffung eines eigenen Straftatbe-
standes, wie vom Bundesrat vorgeschlagen, oder die explizite Benennung
der Genitalverstümmelung in § 226 StGB?

17. In welchen EU-Mitgliedstaaten existieren eigene Straftatbestände für die
Genitalverstümmelung mit welcher Strafandrohung?

18. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um Genitalver-
stümmelung zu verhindern?

19. Welche weiteren Maßnahmen hält die Bundesregierung für geeignet, Geni-
talverstümmelung zu verhindern?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/8811

20. Hatte das im 2. Opferrechtsreformgesetz geregelte Ruhen der Verjährung
bis zum 18. Lebensjahr des Opfers Auswirkungen auf die Strafverfolgung,
und wenn ja, welche?

21. Wie positioniert sich die Bundesregierung zu der Forderung nach Einfüh-
rung einer ärztlichen Meldepflicht?

22. Wie beurteilt die Bundesregierung die medizinische, psychotherapeutische
und soziale Versorgung der betroffenen Mädchen und Frauen?

23. In wie vielen Fällen haben betroffene Mädchen und Frauen Versorgungs-
leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz in Anspruch genommen
(mit der Bitte um Differenzierung nach der Art der Leistung)?

24. In welchen Fällen ist die gesetzliche Krankenversicherung Kostenträger?

Gibt es Unterscheidungen zur privaten Krankenversicherung?

25. Sind der Bundesregierung Fälle bekannt, in denen betroffenen Mädchen
und Frauen die Übernahme der Kosten für medizinische Behandlungen und
Beratung verweigert wurde?

26. Wie steht die Bundesregierung zur Einführung eines eigenen diesbezügli-
chen Diagnoseschlüssels?

27. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um Ärztinnen und
Ärzte, um Fachkräfte in Medizin, Psychologie und Sozialwesen besser
über Genitalverstümmelung zu informieren, aufzuklären und zu sensibili-
sieren?

28. Beabsichtigt die Bundesregierung, einen Nationalen Aktionsplan und ent-
sprechende Präventionsprogramme einzurichten?

29. In welchen internationalen Verhandlungen hat die Bundesregierung das
Thema „Bekämpfung der Genitalverstümmelung“ zur Sprache gebracht
und mit welchem Ergebnis?

30. Welche Projekte und Maßnahmen werden im Rahmen der deutschen Ent-
wicklungszusammenarbeit (technische und finanzielle Zusammenarbeit)
zur Bekämpfung von Genitalverstümmelung bislang umgesetzt, und wel-
che Projekte und Maßnahmen sind geplant (bitte einzeln nach Ländern,
Jahren und Volumen auflisten)?

31. In welchem Umfang werden im Rahmen der deutschen Entwicklungszu-
sammenarbeit Gelder für Aufklärungsprojekte in den betreffenden Ländern
gezahlt (bitte nach Projekten, Ländern, Volumen auflisten)?

32. Hält die Bundesregierung weitere völkerrechtliche Maßnahmen für sinn-
voll, um Genitalverstümmelung zu verhindern, und wenn ja, welche?

33. Welche Maßnahmen sieht die EU gemeinsam mit den Mitgliedstaaten vor,
um Genitalverstümmelung im Rahmen der Entwicklungspolitik zu be-
kämpfen?

Berlin, den 29. Februar 2012

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.