BT-Drucksache 17/8757

Nichtzahler-Tarif in der privaten Krankenversicherung

Vom 27. Februar 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8757
17. Wahlperiode 27. 02. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Harald Weinberg, Diana Golze, Matthias W. Birkwald,
Dr. Martina Bunge, Klaus Ernst, Jutta Krellmann, Ingrid Remmers,
Kathrin Senger-Schäfer, Kathrin Vogler, Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann
und der Fraktion DIE LINKE.

Nichtzahler-Tarif in der privaten Krankenversicherung

Die private Krankenversicherung (PKV) klagt über säumige Beitragszahler.
Insgesamt seien bis September 2011 Fehlbeträge von 554 Mio. Euro bei
142 800 Versicherten aufgelaufen (vgl. Capital vom 15. Dezember 2011,
S. 10).

Die Bundesregierung reagierte auf diese Berichte des Verbandes der privaten
Krankenversicherung damit, dass sie nun einen „Nichtzahler-Tarif“ prüft. Nach
Medienberichten soll er 80 bis 100 Euro monatlich kosten und nur eine Notfall-
versorgung umfassen, also Leistungen bei akuten Erkrankungen und Schmer-
zen sowie bei Schwangerschaft und Mutterschaft. Die privaten Versicherungs-
unternehmen versprechen sich davon, dass bislang säumige Versicherte diesen
verringerten Beitrag bezahlen und damit die Versicherungen und die Versicher-
tengemeinschaft entlasten.

Auch in der privaten Krankenversicherung trat 2009 mit dem Ziel, alle Men-
schen mit Wohnsitz in Deutschland auf dem Niveau der gesetzlichen Kranken-
versicherung (GKV) zu versichern, die Versicherungspflicht in Kraft. Es wurde
der Basistarif geschaffen, in den die privaten Versicherungen jede und jeden
unabhängig von Vorerkrankungen aufnehmen müssen, sofern er oder sie zuletzt
PKV-versichert war.

Mit der nun beabsichtigten Neuregelung wird das Ziel einer Krankenversiche-
rung für alle auf GKV-Niveau aufgegeben. Statt die Probleme im Basistarif zu
lösen, in dem de facto eine Versorgung dritter Klasse stattfindet (vgl. Bundes-
tagsdrucksachen 17/4782 und 17/5524), scheint sich die Bundesregierung nun
der Schaffung einer vierten Klasse von Krankenversicherten zu widmen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Gibt es derzeit schon private Krankenversicherungen, die einen Tarif mit
vergleichbaren Leistungen und einer vergleichbaren Prämie anbieten?

2. Unterstützt die Bundesregierung das Anliegen der privaten Krankenver-
sicherung, einen Nichtzahler-Tarif einzuführen?
3. Prüft die Bundesregierung, auch in der gesetzlichen Krankenversicherung
(GKV) einen solchen Nichtzahler-Tarif einzuführen vor dem Hintergrund
der vorhandenen Zahlungsversäumnisse in der GKV (bitte begründen)?

4. Ist für die Einführung eines solchen Nichtzahler-Tarifs eine Gesetzesände-
rung notwendig?

Falls ja, welche Gesetzesnormen wären betroffen?

Drucksache 17/8757 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

5. Soll die Möglichkeit bestehen, freiwillig in einen solchen Tarif zu wech-
seln bzw. sich dort zu versichern?

6. Wie viele Versicherte werden vermutlich freiwillig in diesen Tarif wech-
seln (bitte Größenordnung angeben)?

7. Können säumige Beitragszahlerinnen oder Beitragszahler gezwungen wer-
den, in diesen Tarif zu wechseln?

8. Für wie viele Versicherte wird dieser Tarif vermutlich verpflichtend (bitte
Größenordnung angeben)?

9. Wie kann ein Versicherter oder eine Versicherte freiwillig aus diesem Tarif
aussteigen?

10. Was passiert, wenn ein Versicherter oder eine Versicherte in diesem Tarif
die Beiträge über einen gewissen Zeitraum nicht zahlt?

11. Wie werden die Prämien kalkuliert, wie werden sie gesetzlich reguliert,
und wie hoch sollen sie in etwa sein?

12. Kann die Prämienhöhe je nach Versicherungsgesellschaft variieren?

13. Soll die Prämienhöhe von dem Gesundheitszustand, dem Alter oder von
sonstigen Merkmalen der zu versichernden Person abhängen?

14. Wie hoch werden voraussichtlich die Einsparungen der PKV durch diesen
Tarif sein?

15. Wie hoch werden voraussichtlich etwa die Mehreinnahmen der PKV durch
diesen Tarif sein?

16. Was passiert mit etwaigen Alterungsrückstellungen und Anwartschaften
nach dem Wechsel in diesen Tarif?

17. Werden in diesem Tarif Altersrückstellungen gebildet?

18. Stehen Zahlungsversäumnisse im Zusammenhang mit den in den letzten
Jahren stark gestiegenen Versicherungsprämien der privaten Krankenver-
sicherung?

19. Stehen die Zahlungsversäumnisse im Zusammenhang mit den steigenden
Prämien bedingt durch das zunehmende Alter der Versicherten?

20. Sieht die Bundesregierung bei den privaten Krankenversicherungen eine
Mitverantwortung, wenn sie zunächst mit großem Vertriebsaufwand, hohen
Provisionen und oft mit dem Argument, für Junge und Gesunde günstiger
als die GKV zu sein, Kundinnen und Kunden anwirbt und später feststellt,
dass diese nicht ausreichend solvent sind, um die steigenden Versiche-
rungsprämien zu bezahlen?

21. Wie nimmt die Bundesregierung zu dem Vorwurf Stellung, mit einem
Nichtzahler-Tarif würde der gesellschaftlich erreichte Konsens aufgekün-
digt, dass allen Menschen mit Wohnsitz in Deutschland unabhängig von
ihrem sozialen Status eine gesundheitliche Absicherung auf dem Niveau
der GKV zusteht?

22. Sieht die Bundesregierung einen Widerspruch zwischen der wachsenden
Zahl von zahlungssäumigen und/oder hilfebedürftigen PKV-Versicherten
und der Tatsache, dass die private Krankenversicherung Personengruppen
vorbehalten ist, die nicht sozial schutzbedürftig sind?

Hält es die Bundesregierung für angezeigt, den Zuschnitt dieser Personen-
gruppen anzupassen?

Sind tatsächlich alle privat krankenversicherten Personen nicht schutzbe-

dürftig?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/8757

23. Wie viele Menschen sind derzeit in PKV-Verträgen versichert, die weniger
Leistungen als den Basistarif abdecken?

Welche Leistungen betrifft dies vorwiegend?

24. Welchen Zweck erfüllt eine allgemeine Krankenversicherungspflicht, wenn
die entsprechenden Verträge das Krankheitsrisiko nur zum Teil absichern?

25. Sieht die Bundesregierung die Gefahr, dass sich die Zahl der medizinischen
Notfälle durch verschleppte, aufgrund nicht abgesicherter, Krankheiten
unter den betreffenden Versicherten erhöht?

26. Sind die Vorsorge und die Behandlung von allen übertragbaren Krankhei-
ten durch diesen Tarif abgesichert?

Wenn nein, sieht die Bundesregierung, dass die Gefahr eines erhöhten In-
fektionsrisikos auch für die restliche Bevölkerung existiert?

27. Wie bewertet die Bundesregierung vor diesem Hintergrund die Äußerung
des Bundesverfassungsgerichts, dass „der Kreis der Schutzbedürftigen mit
der Versicherungspflichtgrenze eher zu eng als zu weit gezogen worden“
sei (BVerfG, 1 BvR 1103/03 vom 4. Februar 2004, Absatz 27)?

28. Sieht die Bundesregierung einen Zusammenhang zwischen der steigenden
Zahl von Menschen, die sich eine private Krankenversicherung nicht
(mehr) leisten können, und der Tatsache, dass der Zugang zur PKV durch
die Bundesregierung immer weiter erleichtert wurde (zuletzt durch die
Absenkung der Wartezeit von 3 Jahre auf 1 Jahr im GKV-Finanzierungs-
gesetz)?

29. Welche Unternehmen haben wie viele säumige Beitragszahlerinnen und
Beitragszahler, und wie hoch sind jeweils die offenen und bereits abge-
schriebenen Forderungen?

Berlin, den 27. Februar 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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