BT-Drucksache 17/8706

Sozialmedizinische und psychologische Gutachten bei Leistungsbeziehenden nach dem Zweiten und dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (Nachfragen zur Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage auf Bundestagsdrucksache17/8291)

Vom 15. Februar 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8706
17. Wahlperiode 15. 02. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Katja Kipping, Diana Golze, Matthias W. Birkwald, Klaus Ernst,
Jutta Krellmann, Ingrid Remmers, Dr. Ilja Seifert, Kathrin Vogler, Harald Weinberg,
Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Sozialmedizinische und psychologische Gutachten bei Leistungsbeziehenden
nach dem Zweiten und dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch
(Nachfragen zur Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage
auf Bundestagsdrucksache17/8291)

In genannter Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage auf Bundes-
tagsdrucksache 17/8291 wird bezüglich der Freiwilligkeit der Teilnahme an so-
zialmedizinischen und psychologischen Gutachten ausgesagt: „Es ist bereits im
Beratungsgespräch, in dem eine Begutachtung eingeleitet werden soll, möglich,
diese abzulehnen. In diesem Fall wird kein Gutachten veranlasst und auch keine
Einladung versandt.“ Weiterhin wird aber ausgesagt: „Im persönlichen Bera-
tungsgespräch wird die Notwendigkeit der sozialmedizinischen Sachverhalts-
aufklärung erläutert und dazu beraten und informiert, welche Gründe die Begut-
achtung erforderlich machen. Die Mitwirkung wird jedoch freigestellt und es
wird dabei auf eventuell nachfolgende Sanktionen und Sperrzeiten bei Nicht-
erscheinen beim Fachdienst ohne wichtigen Grund hingewiesen.“ Weiterhin
wird dargelegt: „Ist die Begutachtung der leistungsberechtigten Person zwingend
für den weiteren Integrationsprozess notwendig, so kann sie erst dann wieder
Beratungs-, Vermittlungs- und/oder Geldleistungen erhalten, wenn sie ihre Mit-
wirkung nachholt.“

Des Weiteren liegt eine Antwort der Pressereferentin der Bundesagentur für
Arbeit, Vorstand Grundsicherung, vor, in der zum Sachverhalt der Freiwillig-
keit erklärt wird: „Ein Beratungsgespräch ist grundsätzliche Voraussetzung für
die Beauftragung des Ärztlichen bzw. Psychologischen Dienstes. Die Notwen-
digkeit, die Dienstleistungen des Ärztlichen bzw. des Psychologischen Dienstes
in Anspruch zu nehmen, wird hier genauso mit dem Kunden besprochen, wie
eintretende Rechtsfolgen, wenn der Kunde nicht mitwirkt. Selbstverständlich
kann eine Kürzung des Arbeitslosengeldes II nicht eintreten, wenn aufgrund
der Erklärung der Ablehnung im Beratungsgespräch kein Gutachten veranlasst
wird und auch keine Einladung erfolgt; in diesem Fall werden ja auch keine
Pflichten verletzt. ,Klärung der Ablehnung‘ bedeutet in diesem Zusammenhang
allerdings, dass eine einvernehmliche Entscheidung getroffen worden ist. Hält

die Vermittlungsfachkraft allerdings eine ärztliche Untersuchung für erforder-
lich, wird für den Leistungsberechtigten ein Untersuchungstermin bei dem ärzt-
lichen Dienst auch vereinbart.“

In der Antwort der Bundesregierung wird weiterhin zu der Frage nach dem ge-
botenen Umfang der Mitwirkung an einer Untersuchung nach erfolgter Einwil-
ligung geantwortet: „Geboten ist der Umfang der Mitwirkung, der zur Klärung

Drucksache 17/8706 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

der Fragen erforderlich ist, für die die Untersuchung veranlasst worden ist. Im
Übrigen ergeben sich die Grenzen der Mitwirkung aus § 65 Absatz 1 und 2
SGB I.“

Gefragt wurde in der Kleinen Anfrage auf Bundestagsdrucksache 17/8291 auch
nach Möglichkeiten der Finanzierung von Gegengutachten für Betroffene, die
wegen dem Leistungsbezug nach dem Dritten und Zweiten Buch Sozialgesetz-
buch nur geringe Einkommen haben. Darauf wurde geantwortet: „Über die Er-
stattung von Aufwendungen, die durch Gutachten entstanden sind, ist gemäß
§ 63 SGB X im Einzelfall zu entscheiden.“

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Bedeutet die Freiwilligkeit hinsichtlich der Teilnahme an sozialmedizini-
schen und psychologischen Untersuchungen, dass die betroffenen Bezie-
herinnen und Bezieher von Leistungen nach dem Zweiten bzw. dem Dritten
Buch Sozialgesetzbuch ohne jegliche Folgen hinsichtlich Sperrzeiten nach
dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch bzw. hinsichtlich Sanktionen nach dem
Zweiten Buch Sozialgesetzbuch im Beratungsgespräch, in dem eine Begut-
achtung eingeleitet werden soll, die Teilnahme an der beabsichtigten Unter-
suchung in Form einer Nichteinverständniserklärung ablehnen können?

2. Bedeutet die Freiwilligkeit hinsichtlich der Teilnahme an sozialmedizini-
schen und psychologischen Untersuchungen, dass bei Nichteinverständnis-
erklärung zu diesen Untersuchungen auch keine Mitwirkungsverpflichtung
zu diesen Untersuchungen besteht?

3. Wo und von wem wird die Nichteinwilligungserklärung der Betroffenen, die
mündlich während des Beratungsgespräches abgegeben werden, dokumen-
tiert?

4. Welchen rechtssicheren Nachweis haben die Betroffenen persönlich in der
Hand, dass sie beim Beratungsgespräch eine Nichteinwilligungserklärung
abgegeben hat?

5. Können die Betroffenen vom Beratungspersonal eine rechtssichere schrift-
liche Bestätigung einfordern, dass sie eine Nichteinverständniserklärung im
Beratungsgespräch abgegeben haben?

6. Bedeutet der Umstand der Freiwilligkeit, dass, wenn die Betroffenen keine
Einwilligung beim Beratungsgespräch zur Teilnahme an sozialmedizini-
schen und psychologischen Untersuchungen gegeben haben, auch bei verse-
hentlicher oder bestimmungswidriger Einladung zu einem Untersuchungs-
termin diese Einladung schriftlich begründet mit der im Beratungsgespräch
geäußerten Nichteinwilligung zurückweisen können, ohne dass eine Sperr-
zeit nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch bzw. ohne dass eine Sanktion
nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch befürchtet werden muss?

7. Bedeutet der Umstand der Freiwilligkeit, dass die Betroffenen, wenn es zuvor
kein Beratungsgespräch zur Teilnahme an sozialmedizinischen und psycho-
logischen Untersuchungen gegeben hat, auch bei versehentlicher Einladung
zu einem Untersuchungstermin diese Einladung schriftlich zurückweisen
können, weil kein Beratungsgespräch erfolgte, ohne dass sie eine Sperrzeit
nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch bzw. eine Sanktion nach dem Zwei-
ten Buch Sozialgesetzbuch befürchten müssen?

8. Ist die Aussage der Pressereferentin richtig, dass auch bei einer Nichteinver-
ständniserklärung durch die Betroffenen im Beratungsgespräch die bera-
tende Vermittlungsfachkraft gegen den freien Willen der Betroffenen eine
Anordnung zur Untersuchung bzw. zum Gutachten treffen kann, der die Be-
troffenen auch Folge leisten müssen, weil ihnen ansonsten Sperrzeiten bzw.

Sanktionen drohen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/8706

9. Wenn diese Aussage der Pressereferentin richtig ist, wie beurteilt die Bun-
desregierung dann ihre eigene gegenteilige Aussage, dass keine Begutach-
tung eingeleitet bzw. veranlasst wird, wenn Betroffene keine Einverständ-
niserklärung abgeben bzw. ihr Nichteinverständnis erklären?

10. Wie beurteilt die Bundesregierung die Bewertung, sollte die Aussage der
Pressereferentin richtig sein, dass gegen den erklärten Willen der Betrof-
fenen eine amtsärztliche oder psychologische Begutachtung bzw. Unter-
suchung eingeleitet wird, und dass die Teilnahme an Untersuchungen und
Begutachtungen damit nicht freiwillig erfolgt, weil eine Nichtteilnahme an
der gegen den Willen der Betroffenen eingeleiteten Untersuchung bzw. Be-
gutachtung mit Sperrzeiten nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch und
Sanktionen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch bestraft wird?

11. Verstößt es gegen das Selbstbestimmungsrecht, wenn ein Mensch entgegen
seinem freien Willen und unter Androhung einer Strafe in Form von Sperr-
zeiten nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch und Sanktionen nach dem
Zweiten Buch Sozialgesetzbuch, also unter Androhung des Entzugs von
Mitteln zur Existenz- und Teilhabesicherung, zur Teilnahme an amtsärzt-
lichen oder psychologischen Untersuchungen bzw. Gutachten gezwungen
wird?

Wenn nein, wie begründet das die Bundesregierung?

12. Wer bestimmt, was ein gebotener Umfang der sperrzeiten- und sanktions-
bewehrten Mitwirkungspflicht ist, insbesondere vor dem Hintergrund pri-
vater und datenschutzrelevanter Angaben zur Person und zum persönlichen
Umfeld?

13. Welche Möglichkeiten der Finanzierung von Gegengutachten haben Be-
troffene, wenn die Einzelfallentscheidung nicht zugunsten einer Finanzie-
rung des Gegengutachtens gemäß § 63 des Zehnten Buches Sozialgesetz-
buch ausfällt?

Berlin, den 15. Februar 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.