BT-Drucksache 17/8625

Weichmacherbelastung in Kindertageseinrichtungen

Vom 8. Februar 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8625
17. Wahlperiode 08. 02. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ralph Lenkert, Diana Golze, Karin Binder, Eva Bulling-Schröter,
Dr. Dagmar Enkelmann, Katja Kipping, Dorothee Menzner, Kathrin Senger-Schäfer,
Sabine Stüber, Kathrin Vogler, Harald Weinberg, Jörn Wunderlich,
Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Weichmacherbelastung in Kindertageseinrichtungen

Im Frühjahr 2011 hat der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland e. V.
(BUND) eine Studie über die Belastung von Kindergartenstaub mit Weich-
machern (Phthalaten) veröffentlicht. Grundlage dieser Studie ist die Analyse
von Staubproben aus bundesweit etwa 160 Kindertagesstätten, die von Sommer
2010 bis Mai 2011 von den Einrichtungen an den BUND gesandt und durch ein
akkreditiertes Labor untersucht wurden.

Die Ergebnisse der Analyse wurden mit Werten aus Untersuchungen des Um-
weltbundesamtes (UBA) zu Weichmachern in Haushalten verglichen. Das Re-
sultat zeigt deutlich, dass der Staub aus Kindertagesstätten überdurchschnittlich
hoch mit Weichmachern belastet ist: im Schnitt etwa dreimal höher als Staub
aus Haushalten. Als Belastungsquelle sind vor allem Einrichtungsgegenstände
und Spielzeug aus Weichkunststoff wahrscheinlich (z. B. PVC-Fußböden, Vinyl-
tapeten, Plastiktischdecken, Möbelpolster aus Kunstleder, Turnmatten).

Weichmacher sind hormonell wirksam und stehen in Verdacht fruchtbarkeits-
und fruchtschädigend zu sein. Kleinkinder sind besonders gefährdet, da ihre kör-
perliche Entwicklung durch das Hormonsystem gesteuert wird. Darüber hinaus
sind Kinder durch einen intensiveren Umgang mit den Produkten und einer im
Verhältnis zum Gewicht größeren Hautoberfläche stärker gegenüber Weich-
machern exponiert.

Für die als fortpflanzungsgefährdend eingestuften Phthalate DEHP (Diethyl-
hexylphthalat), DBP (Dibutylphthalat) und BBP (Benzylbutylphthalat) hat die
Europäische Kommission als Maßnahme zur Risikominderung bereits die Ver-
wendung in Kinderspielzeug und Babyartikeln verboten. Bei anderen Anwen-
dungen sind sie allerdings weiterhin im Einsatz.

Da für die Innenraumbelastung mit Weichmacher keine Grenzwerte existieren
und diese durch diverse Variablen (z. B. Kindesalter, Synergieeffekte verschie-
dener Phthalate) schwer festzulegen sind, fordert der BUND die Verwendung
der in seinen Analysen festgestellten Phthalate in Produkten, die im Umfeld von

Kindern eingesetzt werden, zu verbieten. Das UBA empfiehlt einen Ersatz von
Weich-PVC durch weniger umweltbelastende Werkstoffe.

Viele Städte und Gemeinden haben aufgrund der BUND-Aktion „Zukunft ohne
Gift“ reagiert und Maßnahmen ergriffen. Zum Beispiel hat die Stadt Köln im
Dezember 2011 neue Anforderungen für Einrichtungsgegenstände in Kinder-
gärten und Grundschulen festgelegt.

Drucksache 17/8625 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Im September 2011 hat die europäische Chemikalienagentur (ECHA) einen Vor-
schlag Dänemarks veröffentlicht, der die Beschränkung von vier Phthalaten vor-
sieht, die in Innenräumen verwandt werden oder in direkten Kontakt mit der
Haut oder den Schleimhäuten gelangen.

Auf die Schriftlichen Fragen 94, 152, 153, 154 der Abgeordneten Elvira
Drobinski-Weiß auf Bundestagsdrucksache 17/5422 führt das Bundesministe-
rium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) aus, dass die
Untersuchungen des BUND auf ein wichtiges Problem hinweisen, „das von der
Bundesregierung ernst genommen wird und zu dessen Lösung vielfältige Maß-
nahmen ergriffen wurden“. Des Weiteren wird deutlicher Forschungsbedarf zum
Umfang der kindlichen Aufnahme von Weichmachern aus Hausstaub eingestan-
den. Die Bundesregierung bemerkt ebenso, dass „die Regelungen zu den chemi-
schen Anforderungen an Spielzeug bisher noch nicht ausreichend“ sind.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Sieht sich die Bundesregierung in der Verantwortung, jedem Menschen ein
höchstmögliches Maß an Gesundheit und Wohlbefinden zu ermöglichen, und
sieht sie dies als Zweck aller ihrer Aktivitäten zum Thema Gesundheit und
Umwelt, so wie es das BMU auf seiner Internetseite erklärt?

2. Welche Maßnahmen erfolgten seitens der Bundesregierung, um auf die Pro-
blematik der Belastung von Kindern mit Weichmachern aus Einrichtungsge-
genständen, die durch die BUND-Aktion „Zukunft ohne Gift“ verdeutlicht
und durch die Bundesregierung bereits bestätigt wurde, auf nationaler und
auf europäischer Ebene zu reagieren?

Welche weiteren Maßnahmen sind geplant?

3. Welche „vielfältigen Maßnahmen“ wurden durch die Bundesregierung be-
reits umgesetzt, um die Belastung von Kindern und Erzieherinnen und Erzie-
hern in Kindertageseinrichtungen mit Weichmachern zu reduzieren, und wel-
chen Erfolg kann sie dabei vorweisen?

4. Unterstützt die Bundesregierung den dänischen Vorschlag zur Beschränkung
von vier Phthalaten, die in Innenräumen verwandt werden oder in direkten
Kontakt mit der Haut oder den Schleimhäuten gelangen?

Wenn ja, wie?

Wenn nein, warum nicht?

5. Welche Möglichkeiten hat die Bundesregierung, um die Verwendung von
gesundheitsgefährdenden Stoffen in Deutschland einzuschränken oder zu
verbieten, und welche dieser Möglichkeiten zieht die Bundesregierung in
Betracht, um die Gesundheit der Kinder und der Erzieherinnen und Erzieher
in Kindertageseinrichtungen nicht weiterhin durch Ausdünstungen von
Weichmachern aus Einrichtungsgegenständen und Spielzeugen zu belasten?

6. Plant die Bundesregierung bestimmte gesundheitsschädliche Phthalate in Ar-
tikeln, die in ihrem Hoheitsgebiet genutzt werden und die typischerweise in
Kindereinrichtungen Anwendung finden, zu verbieten.

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, welche?

7. Welche Forschungsprojekte plant die Bundesregierung, um die Aufnahmen
von Hausstaub durch Kinder zu untersuchen, und welche Forschungsprojekte
laufen oder sind bereits abgeschlossen, seit die Bundesregierung im März
2011 den deutlichen Forschungsbedarf zu dieser Thematik in der Antwort auf

die Schriftliche Frage 153 der Abgeordneten Elvira Drobinski-Weiß auf Bun-
destagsdrucksache 17/5422 festgestellt hat?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/8625

a) Wann beginnen die Projekte, und wann werden sie abgeschlossen?

b) Was genau ist der Inhalt der Forschungsprojekte?

c) Wer führt die Untersuchungen durch?

d) Falls noch keine Forschungsvorhaben geplant sind, warum nicht?

8. Welche Forschungsvorhaben plant und begleitet die Bundesregierung zur
Aufnahme von Weichmachern durch die Haut, und welche Vorhaben zu
dieser Thematik sind bereits abgeschlossen?

a) Wann beginnen die Projekte, und wann werden sie abgeschlossen?

b) Was genau ist der Inhalt der Forschungsprojekte?

c) Wer führt die Untersuchungen durch?

d) Falls noch keine Forschungsvorhaben geplant sind, warum nicht?

9. Wenn die Bundesregierung bemerkt, dass die in der Spielzeugrichtlinie
(2009/48/EG) festgelegten „Regelungen zu den chemischen Anforderungen
an Spielzeug bisher noch nicht ausreichend“ sind (Antwort auf die Schrift-
liche Frage 94 der Abgeordneten Elvira Drobinski-Weiß auf Bundestags-
drucksache 17/5422), wie und an welchen Stellen werden die Vorgaben der
Richtlinie dann für die deutsche Gesetzgebung verschärft (bitte Auflistung
der einzelnen Bereiche und den konkreten Verschärfungen)?

10. Erwägt die Bundesregierung Fördermittel für Kindereinrichtungen zur Ver-
fügung zu stellen, wodurch speziell der erhöhte finanzielle Aufwand für die
Innenraumeinrichtung mit unbedenklichen Materialien entlastet wird?

Wenn ja, in welcher Höhe?

Wenn nein, warum nicht?

11. Plant die Bundesregierung eine an Kindertagesstätten gerichtete Kam-
pagne, die über die Phthalatbelastung von Weich-PVC informiert, oder
unterstützt sie die Länder bei derartigen Vorhaben?

Wenn ja, wie?

Wenn nein, warum nicht?

12. Wird die Bundesregierung dafür sorgen, dass die in Köln erarbeiteten Vor-
gaben für Einrichtungsgegenstände aus unbedenklichen Materialien auch
bundesweit Verbreitung finden?

13. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, Anreize für Hersteller
von Einrichtungsgegenständen und Spielzeug aus Weich-PVC zu schaffen,
damit diese die Verwendung von gesundheitsgefährdenden Weichmachern
vermeiden?

14. Plant die Bundesregierung gemeinsam mit den Bundesländern, die bau-
lichen Vorschriften für Kindertagesstätten, Kinderheime und Schulen so zu
verändern, dass die Verwendung von Stoffen, die Phthalate absondern,
verboten wird?

Wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 8. Februar 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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