BT-Drucksache 17/8156

Übereinkommen des Europarats zur Bekämpfung des Menschenhandels korrekt ratifizieren - Deutsches Recht wirksam anpassen

Vom 14. Dezember 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8156
17. Wahlperiode 14. 12. 2011

Antrag
der Abgeordneten Dr. Eva Högl, Marlene Rupprecht (Tuchenbach), Petra Crone,
Sebastian Edathy, Ingo Egloff, Petra Ernstberger, Dr. Edgar Franke, Iris Gleicke,
Angelika Graf (Rosenheim), Petra Hinz (Essen), Christel Humme, Ute Kumpf,
Christine Lambrecht, Burkhard Lischka, Caren Marks, Franz Müntefering, Aydan
Özog˘uz, Thomas Oppermann, Mechthild Rawert, Stefan Rebmann, Sönke Rix,
Karin Roth (Esslingen), Marianne Schieder (Schwandorf), Stefan Schwartze,
Sonja Steffen, Christoph Strässer, Rüdiger Veit, Dagmar Ziegler,
Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Übereinkommen des Europarats zur Bekämpfung des Menschenhandels
korrekt ratifizieren – Deutsches Recht wirksam anpassen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Menschenhandel, dazu zählt auch der Frauen- und Kinderhandel, ist eine der
schwersten Straftaten weltweit und ist der organisierten Kriminalität zuzu-
rechnen. Die Opfer unterliegen schwerwiegenden Verletzungen der Men-
schenrechte. Dabei nimmt Menschenhandel verschiedene Formen an wie
Zwangsprostitution, illegaler Organhandel oder Zwangsarbeit und zielt da-
bei immer auf die Ausbeutung von Menschen ab. Häufig kommt es dabei
auch zu einer Verletzung von Kinderrechten.

Diese sind unter anderem in dem Übereinkommen über die Rechte des Kin-
des (UN-Kinderrechtskonvention) sowie in Artikel 24 der Charta der Grund-
rechte der Europäischen Union festgelegt.

2. Der grenzüberschreitende Menschenhandel gehört mittlerweile zu den am
stärksten globalisierten kriminellen Märkten und ist für die Täter und Täte-
rinnen ein äußerst lukratives Geschäft. Eine wirksame Bekämpfung des
Menschenhandels kann daher nur international abgestimmt und koordiniert
erfolgreich sein. Kein Land bzw. keine Institution ist in der Lage, alleine den
Handel mit Menschen einzudämmen. Die Europäische Union mit ihren offe-
nen Grenzen und ihrem freien Binnenmarkt ist in besonderer Weise gefor-
dert, gegen die Ausbeutung der schutzlosen Opfer vorzugehen.

3. Die Bekämpfung und Vermeidung von Menschenhandel erfordert einen
ganzheitlichen und integrierten Ansatz, der alle Aktionsebenen einschließt.

Während die strafrechtliche Ahndung ein wichtiger Baustein bei der Be-
kämpfung des Menschenhandels ist, rücken Prävention, Opferschutz, die
Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Gruppen sowie die Überprüfun-
gen der Maßnahmen u. a. durch Berichtspflichten zunehmend in den Fokus.
Nur unter Beteiligung aller Akteure sind die Eindämmung und Prävention
erfolgversprechend.

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4. Das Übereinkommen des Europarats vom 16. Mai 2005 zur Bekämpfung
des Menschenhandels (SEV-Nr. 197) legt als klare internationale Verpflich-
tung wichtige Regelungen fest und bietet große Chancen bei der effektiven
und nachhaltigen Bekämpfung von Menschenhandel und zum Schutz der
Rechte von Opfern.

5. Das Übereinkommen wurde bereits von 34 Staaten des Europarats ratifiziert
– von Deutschland leider nicht. Deutschland gehört damit wieder einmal zu
den Schlusslichtern bei der Umsetzung zentraler Übereinkommen des Euro-
parats.

6. Der Deutsche Bundestag begrüßt, dass die Bundesregierung am 17. Oktober
2011 den Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen des Europarats
vom 16. Mai 2005 zur Bekämpfung des Menschenhandels (Bundestags-
drucksache 17/7316) vorgelegt hat.

7. Der Deutsche Bundestag kritisiert, dass der Gesetzentwurf keinen Bedarf
zur Umsetzung der im Übereinkommen des Europarats festgelegten Rege-
lungen vorsieht. Das geltende Recht erfüllt nicht die zwingenden Vorgaben
des Übereinkommens. Deshalb muss das deutsche Recht geändert werden,
um das Übereinkommen zu ratifizieren.

8. Der Deutsche Bundestag unterstützt die Entschließung des Europäischen
Parlaments vom 10. Februar 2010 zur Verhütung des Menschenhandels, die
Mitgliedstaaten, die das Übereinkommen des Europarats bisher noch nicht
ratifiziert haben, zur Ratifikation aufzufordern.

9. Das Zusatzprotokoll zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Men-
schenhandels, insbesondere des Frauen- und Kinderhandels, zum Überein-
kommen der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organi-
sierte Kriminalität vom 15. November 2000 und die Richtlinie 2011/36/EU
des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 zur Verhü-
tung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer
sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2022/629/JI des Rates (ABl. L
101 vom 15.4.2011, S. 1) sind darüber hinaus wichtige internationale Ver-
einbarungen, die verbindliche Vorgaben für das nationale Recht machen und
zu berücksichtigen bzw. umzusetzen sind.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. den vorliegenden Gesetzentwurf nachzubessern, um die verbindlichen Vor-
gaben des Übereinkommens des Europarats korrekt zu ratifizieren;

2. folgende Änderungen des deutschen Rechts zu beschließen:

a) Artikel 14 Absatz 1 Buchstabe a und b des Übereinkommens bestimmen,
dass dem Opfer ein verlängerbarer Aufenthaltstitel erteilt wird, wenn die
zuständige Behörde entweder der Auffassung ist, dass der Aufenthalt des
Opfers aufgrund seiner persönlichen Situation (Buchstabe a) oder für die
Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden bei den Ermittlungen
oder beim Strafverfahren erforderlich ist (Buchstabe b). Betroffenen aus
Nicht-EU-Ländern wird bisher ein Aufenthalt in Deutschland jedoch
nach § 25 Absatz 4a Nummer 3 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nur
in Bezug auf Buchstabe b gewährt.

b) Den Opfern muss nach Artikel 12 des Übereinkommens besonderer
Schutz geboten werden, insbesondere Betreuung, medizinische Versor-
gung, finanzielle Unterstützung, Zugang zu Bildung und Arbeitsmarkt,
Dolmetscherdienste, kostenloser rechtlicher Beistand und Entschädigung
sowie die Möglichkeit, ihren ausstehenden Lohn einzufordern. Ein erneu-

ter Zugriff der Täter und Täterinnen muss verhindert werden (Artikel 28
Absatz 1 des Übereinkommens). Minderjährige und Frauen sollten be-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/8156

sondere Schutz- und Betreuungsprogramme erhalten. Nach Artikel 12
Absatz 6 des Übereinkommens müssen außerdem diejenigen Maßnah-
men getroffen werden, die sicherstellen, dass die einem Opfer gewährte
Unterstützung nicht von dessen Bereitschaft, als Zeuge oder Zeugin auf-
zutreten, abhängig gemacht wird.

c) Artikel 4 Buchstabe a des Übereinkommens bestimmt, dass alle Maßnah-
men, die dem Menschenhandel dienen und ihn vorbereiten, unter Strafe
stehen.

Artikel 4 Buchstabe b legt außerdem fest, dass die Einwilligung eines
Opfers unerheblich ist. Diesen Vorgaben entspricht § 233 des Strafgesetz-
buchs (StGB) nicht, weshalb dieser zu ändern ist.

d) Die Strafbarkeit bei Delikten, die die Opfer während ihrer Abhängig-
keitsbeziehung ausführen mussten und unter Zwang oder Nötigung im
Rahmen der Tätigkeit als Betroffene oder Betroffener verübt wurden,
muss laut Artikel 26 des Übereinkommens abgeschafft werden.

e) Anstrengungen zur öffentlichen Sensibilisierung, wie Informationskam-
pagnen oder Schulungsprogramme, müssen verstärkt werden. So verlangt
es das Übereinkommen in den Artikeln 5, 10 und 29. Die Behörden und
zuständigen Stellen müssen zur effektiven Unterstützung von Opfern mit
ausreichenden Ressourcen ausgestattet werden.

f) Genügende Ressourcen benötigen auch die zuständigen Nichtregierungs-
organisationen, die nach Artikel 36 des Übereinkommens als Teil der
Zivilgesellschaft strategische Partnerschaften mit den staatlichen Stellen
aufbauen sollen.

g) Nach Artikel 29 Absatz 4 des Übereinkommens sollten nationale Bericht-
erstatterinnen und Berichterstatter oder andere Mechanismen für die
Überwachung der innerstaatlichen Umsetzung eingesetzt werden. Da-
rüber hinaus ist die Arbeit der Expertengruppe für die Bekämpfung des
Menschenhandels (GRETA) für die Kontrolle der Umsetzung des Über-
einkommens und die fortlaufende Evaluierung der getroffenen Maßnah-
men in den Vertragsstaaten intensiv zu nutzen;

3. ein Zeugnisverweigerungsrecht für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von
Fachberatungsstellen, die Opfer von Menschenhandel unterstützen, in das
deutsche Recht festzuschreiben.

Berlin, den 13. Dezember 2011

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

Begründung

Eine erfolgreiche Bekämpfung von Menschenhandel kann nur mit einer Ver-
besserung der internationalen Zusammenarbeit sowie mit einer Stärkung der
Rechte der Opfer gelingen. Die Opfer bedürfen besonderem Schutz, insbeson-
dere Versorgungsleistungen in medizinischer, finanzieller und rechtlicher Hin-
sicht sowie Zugang zu Bildung und Arbeit, Übersetzungsdienste und Entschä-
digungsleistungen. Bisher ist die Unterstützung der Opfer völlig unzureichend.
Ihnen wird nicht selten ohne Rücksicht auf Traumatisierungen eine adäquate
Betreuung versagt. Nur indem die Opfer, insbesondere auch Kinder und

Frauen, gestärkt werden, kann Menschenhandel nachhaltig bekämpft, wirksam
eingedämmt und bestraft werden. Sie müssen in die Lage versetzt werden, ihre
Rechte durchzusetzen.

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Zum Opferschutz gehört auch das Aufenthaltsrecht für Betroffene von Men-
schenhandel. Das Übereinkommen schreibt in Artikel 14 Absatz 1 Buchstabe a
vor, dass Opfern auch unabhängig von der Kooperation im Strafverfahren ein
Aufenthaltsrecht zustehen kann, wenn die zuständige Behörde den Aufenthalt
aufgrund der persönlichen Situation des Opfers für erforderlich erachtet. Das ist
im deutschen Recht insofern nicht ausreichend umgesetzt, als § 25 Absatz 4a
AufenthG nur auf Artikel 14 Absatz 1 Buchstabe b des Übereinkommens ab-
stellt, also den von der Aussagebereitschaft abhängigen Aufenthaltstitel. Aus
Angst vor negativen Konsequenzen fürchten sich Betroffene von Menschen-
handel oftmals gegen die Täterinnen und Täter auszusagen. Andere Betroffene
erhalten den Schutz eines Aufenthaltstitels in Deutschland nur für die Dauer
des Strafverfahrens, um ihre Anwesenheit während des strafrechtlichen Ermitt-
lungs- und Gerichtsverfahrens zu sichern. Beispiele aus anderen Ländern wie
den USA zeigen, dass ein dauerhaftes Bleiberecht für Opfer über das Strafver-
fahren hinaus gewährt werden kann und für die Opfer einen wichtigen und
wirksamen Schutz und Sicherheit bietet.

Im Hinblick auf die Begriffsbestimmung von Menschenhandel sieht das Über-
einkommen vor, dass schon die Intention der Tat für eine Strafverfolgung aus-
reicht und eine Einwilligung des Opfers unerheblich sein muss. Die eigene Ein-
willigung in die Abhängigkeitsbeziehung zu den Täterinnen und Tätern darf
nicht über die Definition des Straftatbestandes Menschenhandel entscheiden.
Sie hindert bisher eine effektive Strafverfolgung. Deshalb muss § 233 StGB ge-
ändert werden, der bisher so eng formuliert ist, dass er nur sehr schwer zu erfül-
len ist.

Sensibilisierungs- und Informationskampagnen, Bewusstseinsschärfungspro-
gramme und soziale Initiativen – Aufklärung und Weiterbildungen, die sich an
potenzielle Opfer aber auch an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Strafver-
folgungsbehörden und zuständigen Berufsgruppen richten, sind nicht zuletzt als
präventive Maßnahmen unerlässlich. Für diese Maßnahmen und die Einbin-
dung von zivilgesellschaftlichen Gruppen müssen ausreichende finanzielle
Mittel zur Verfügung gestellt werden, ebenso wie für die zuständigen Behör-
den. Die im Übereinkommen des Europarats geforderten Schulungen und ver-
stärkten Grenzkontrollen, der Zugang zu Bildung oder unentgeltlichem Rechts-
beistand werden also finanzielle Aufwendungen nach sich ziehen. Diese Kos-
ten müssen gedeckt sein, sonst werden wichtige Regelungen nicht in nationales
Recht überführt und angewendet werden können.

Diese rechtlichen Regelungen können auf Dauer zudem nur wirksam sein,
wenn ihre Wirksamkeit regelmäßig überwacht und überprüft wird. Die Exper-
tengruppe GRETA evaluiert die innerstaatlichen Maßnahmen. Die Vertrags-
staaten sollten dafür nationale Beauftragte benennen, die gegenüber GRETA
einer jährlichen und fortlaufenden Berichtspflicht unterliegen.

Über die Forderungen und Festlegungen des Übereinkommens hinaus sind
noch weitere Vorkehrungen in Verbindung mit der Bekämpfung des Menschen-
handels erforderlich. Insbesondere kommt es im Strafverfahren immer wieder
vor, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von zivilgesellschaftlichen Bera-
tungsorganisationen als Zeuginnen und Zeugen vor Gericht geladen werden.
Die bisher geltende Aussagepflicht der Beraterinnen und Berater kann in der
Praxis das Vertrauensverhältnis zu den Opfern enorm belasten und eine kon-
struktive Zusammenarbeit beschädigen. Ein Zeugnisverweigerungsrecht wäre
zum Wohle und Schutz der Opfer von Menschenhandel eine wichtige Regelung
für das deutsche Recht. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Fachberatungs-
stellen sind oftmals die ersten Ansprechpartnerinnen und -partner und un-
schätzbar für den Schutz und den Beistand für Opfer.

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