BT-Drucksache 17/8112

Einschränkung der Menschenrechte beim Thema Homosexualität in Russland

Vom 9. Dezember 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8112
17. Wahlperiode 09. 12. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), Agnes Brugger,
Viola von Cramon-Taubadel, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Katja Keul, Ute Koczy,
Tom Koenigs, Kerstin Müller (Köln), Omid Nouripour, Lisa Paus, Claudia Roth
(Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Hans-Christian Ströbele und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Einschränkung der Menschenrechte beim Thema Homosexualität in Russland

Am Mittwoch den 16. November 2011 hat der Stadtrat von St. Petersburg in
erster Lesung eine Gesetzesänderung zum Ordnungswidrigkeitengesetz verab-
schiedet, dass die „Propaganda von Homo-, Bi- oder Transsexualität gegenüber
Minderjährigen“ – also auch Information und Aufklärung – unter Strafe stellen
soll. Homo-, Bi- und Transsexualität werden dabei in den Artikeln 7.1 und 7.2
des Gesetzes in einem Atemzug mit Pädophilie genannt und mit dem gleichen
Strafmaß belegt. Ein ähnliches Gesetz existiert bereits in der Region Rjasan
(Artikel 4 des Gesetzes über den Schutz der Moral von Minderjährigen in der
Region Rjasan in Verbindung mit Artikel 3.10 des Gesetzes über Ordnungs-
widrigkeiten in Rjasan) und der Region Archangelsk (Gesetz zu Maßnahmen
zum Schutz der Moral und der Gesundheit von Minderjährigen). Die Regie-
rungspartei „Einiges Russland“ hat angekündigt, auch auf nationaler Ebene und
in der Hauptstadt Moskau eine entsprechende Gesetzgebung anzustrengen.

Diese Gleichsetzung von Homosexuellen, Bisexuellen und Transsexuellen
(LGBT) mit Straftätern, die Sexualstraftaten an Kindern begangen haben, ist
eine perverse Propaganda gegen lesbische, schwule, bisexuelle und trans-
sexuelle Menschen. Der dadurch bewusst erzeugte falsche Eindruck ist in der
Lage, negative Einstellung in der Gesellschaft gegenüber LGBT zu wecken
oder zu verstärken und möglicherweise daraus folgende Straftaten gegen
LGBT (hate crime) hervorzurufen, nicht nur in St. Petersburg, sondern auch
darüber hinaus. Diese Lehren muss man aus ähnlichen Gesetzen in anderen
Staaten ziehen. Darüber hinaus ist das neue Gesetz wohl geeignet, Ermittlungs-
verfahren im Falle von Straftaten gegen LGBT zu behindern.

Verschiedene Menschenrechtsorganisationen haben kritisiert, dass das in
St. Petersburg beratene Gesetz gegen das Diskriminierungsverbot, gegen die
Meinungs-, die Presse- und die Versammlungsfreiheit sowie den Grundsatz der
Gleichheit vor dem Gesetz verstoße. Nicola Duckworth, Leiterin der Sektion

Europa und Mittelasien von Amnesty International, bewertet das Gesetz als
„kaum verschleierten Versuch, Diskriminierung von Lesben, Schwulen, Inter-
und Transsexuellen in Russland zu legalisieren“. Der russische Menschen-
rechtsaktivist Nikolai Alekseev befürchtet sogar, dass ein öffentliches Coming-
Out – etwa das Tragen eines Regenbogen-Pins – kriminalisiert werden könnte.
Zudem könnte die AIDS-Aufklärungs- und Präventionsarbeit zusätzlich ge-
schwächt werden.

Drucksache 17/8112 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Russland hat sowohl die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) als
auch den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR)
unterzeichnet. Beide internationalen Vereinbarungen machen deutlich, dass
eine Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit von Minderhei-
ten nicht zulässig ist. Mit der Verabschiedung des vorgelegten Gesetzes und der
Durchsetzung der bestehenden Regelungen in anderen Teilen des Landes stellt
sich Russland außerhalb des geltenden menschenrechtlichen Konsenses der
Vereinten Nationen. Zudem verstoßen die geplanten Regelungen gegen die Ver-
fassung der Russischen Föderation.

Bereits in der Vergangenheit hat Russland die Meinungs- und Versammlungs-
freiheit von Schwulen, Lesben, Bi- und Transsexuellen eingeschränkt. So
wurde wiederholt die Ausrichtung von Pride-Paraden in Moskau und in
St. Petersburg untersagt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat
am 21. Oktober 2010 diese Verbote als nicht mit der Europäischen Menschen-
rechtskonvention vereinbar erklärt. Dennoch wurden auch im Jahr 2011 Pride-
Paraden erneut verboten.

Am 23. November 2011 soll das Auswärtige Amt zusammen mit elf weiteren
Staaten der Europäischen Union (EU) und des Europarates ein Schreiben so-
wohl an den Vorsitzenden des Gesetzgebungskomitees der Stadt St. Petersburg
und an den Menschenrechtsbeauftragten von St. Petersburg gerichtet haben, in
denen man seine Sorgen über die Gesetzgebung im Hinblick auf die EMRK
zum Ausdruck gebracht hat.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie bewertet die Bundesregierung die am 16. November 2011 im Stadtrat
von St. Petersburg beratene Gesetzesänderung, mit der die „Propaganda von
Homo-, Bi- und Transsexualität gegenüber Minderjährigen“ unter Strafe ge-
stellt werden soll?

2. Hält die Bundesregierung das in St. Petersburg vorgeschlagene Gesetz für
vereinbar

a) mit dem allgemeinen Diskriminierungsverbot gemäß Artikel 26 IPbpR
und Artikel 14 in Verbindung mit Artikel 8 EMRK,

b) mit dem Recht auf Meinungsfreiheit gemäß Artikel 19 IPbpR und
Artikel 10 EMRK,

c) mit dem Recht auf Versammlungsfreiheit gemäß Artikel 21 IPbpR und
Artikel 11 EMRK,

d) mit der russischen Verfassung?

3. Stimmt es, dass die Bundesregierung sich am 23. November 2011 gemein-
sam mit anderen Staaten der EU und des Europarates an Vertreter der Stadt
St. Petersburg gewandt hat?

a) Wenn ja, welchen Inhalt bzw. Wortlaut hatte das Schreiben?

b) Welche Reaktionen hat die Bundesregierung bzw. haben die Absender
erhalten?

4. Wurde die Gesetzesänderung in St. Petersburg am 29. November 2011 im
Rahmen der Menschenrechtskonsultationen zwischen der EU und Russland
angesprochen?

Wenn ja, mit welchem Ergebnis?

Wenn nein, warum nicht?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/8112

5. Hat die Bundesregierung bilateral gegenüber der Regierung der Russischen
Föderation auf die Gesetzesänderung in St. Petersburg reagiert?

Wenn ja, wie?

Wenn nein, warum nicht?

6. Welche Auswirkungen erwartet die Bundesregierung im Falle einer Ver-
abschiedung der Vorlage für die Meinungs- und Versammlungsfreiheit
von Lesben, Schwulen, Bi- oder Transsexuellen in der Stadt St. Peters-
burg, für homosexuelle Kulturveranstaltungen, Coming-Out- und Aufklä-
rungsarbeit?

7. Welche Auswirkungen erwartet die Bundesregierung für die AIDS-Aufklä-
rungs- und Präventionsarbeit in St. Petersburg?

8. Wie bewertet die Bundesregierung die Auswirkungen des bereits im Jahr
2006 in der Region Rjasan erlassenen Gesetzes für die genannten Bereiche?

9. Welche Beschränkungen ihrer persönlichen Freiheit müssen homo- oder
transsexuelle Touristinnen und Touristen aus Deutschland in St. Petersburg
befürchten, sollte das Gesetz verabschiedet werden?

Können sie beispielsweise für öffentliches Küssen oder Handhalten oder
das Tragen eines Regenbogenpins bestraft werden?

10. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über geplante ähnliche bzw.
entsprechende Gesetzesänderungen in der Stadt Moskau und auf Födera-
tionsebene?

11. Wurde die angekündigte Gesetzesinitiative auf Föderationsebene am
29. November 2011 im Rahmen der Menschenrechtskonsultationen zwi-
schen der EU und Russland angesprochen?

Wenn ja, mit welchem Ergebnis?

Wenn nein, warum nicht?

12. Hat die Bundesregierung bilateral gegenüber der Regierung der Russischen
Föderation auf die angekündigte Gesetzesinitiative auf Föderationsebene
reagiert?

Wenn ja, wie?

Wenn nein, warum nicht?

13. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über eine geplante ähnliche
bzw. entsprechende Gesetzesänderungen in der Ukraine?

a) Beabsichtigt die Bundesregierung, sich diesbezüglich (vergleichbar mit
dem Vorgehen unter Frage 3) an die ukrainische Regierung zu wenden?

b) Wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 9. Dezember 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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