BT-Drucksache 17/8047

Struktur und Risiken der Kapitalanlage deutscher Lebensversicherer, Pensionskassen und Pensionsfonds

Vom 30. November 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8047
17. Wahlperiode 30. 11. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Matthias W. Birkwald, Ulla Lötzer,
Dr. Axel Troost, Harald Koch, Ralph Lenkert, Richard Pitterle, Sabine Stüber,
Kathrin Vogler, Johanna Voß, Sahra Wagenknecht und der Fraktion DIE LINKE.

Struktur und Risiken der Kapitalanlage deutscher Lebensversicherer,
Pensionskassen und Pensionsfonds

Für die Organisation und Finanzierung der privaten kapitalgedeckten Alters-
sicherung sind die Lebensversicherer zentral. Zweite wichtige Säule ist die be-
triebliche Alterssicherung, die u. a. mit Pensionskassen und Pensionsfonds in
den jeweiligen Unternehmen und Betrieben organisiert wird. Neben Finanz-
dienstleistern aus der Investmentbranche stehen dabei ebenfalls die Lebensver-
sicherer im Zentrum. Als weiteres Element gibt es schließlich die steuerlich ge-
förderte Altersvorsorge über die Produkte der so genannten Riester Rente oder
der Basisrenten (Rürup-Rente).

In allen diesen Verfahren werden die Beiträge über die Kapital- und Geld-
märkte in unterschiedlichen Formen in Finanzprodukten und zum Teil in Sach-
werten angelegt, um über eine möglichst gute Verzinsung langfristig und stabil
die kumulierten Ansprüche zu bedienen. Laut Bundesaufsichtsamt für Finanz-
dienstleistungen (BaFin) bilanzierten die Lebensversicher im zweiten Quartal
2011 Kapitalanlagen im Wert von rund 745 Mrd. Euro, die Pensionskassen von
rund 110 Mrd. Euro und die Pensionsfonds von rund 1,05 Mrd. Euro. Alle Vari-
anten sind über die Kapitalanlagen wiederum eng miteinander verbunden oder
gehören gänzlich zu einer Unternehmensgruppe.

Gegen Insolvenz des Finanzdienstleisters und somit auch Finanzrisiken sollen
für die betriebliche Alterssicherung der Pensions-Sicherungs-Verein (PSVaG)
und für die Lebensversicherung der Sicherungsfonds „Protektor“ wirken. Im
Umlageverfahren werden dazu laufende Beiträge von den Mitgliedsunterneh-
men erhoben und diese ebenfalls auf den Finanzmärkten angelegt. Der PSVaG
verfügte damit Ende 2010 über Kapitalanlagen in Höhe von rund 3,6 Mrd.
Euro, Protektor weist ein Sicherungsvermögen von 716 Mio. Euro aus.

Unabhängig von den Fragen, ob das kapitalgedeckte Verfahren makroökono-
misch sinnvoll ist und ob die unterstellten sozial- und wirtschaftspolitischen
Ziele überhaupt erreicht werden können, sind alle Verfahren und die beiden
Sicherungslinien auf eine stabile Finanzmarktsituation angewiesen. Stabile,
möglichst steigende Vermögenspreise garantieren (i) einen stetigen Rückfluss

an Zinsen und Verkaufserlösen der Vermögenswerte, um die Verbindlichkeiten
zu bedienen. Sie erhöhen (ii) die Rücklagen für die PSVaG und Protektor und
sind (iii) verantwortlich dafür, dass Verluste, Abschreibungen und Insolvenzen
bisher nur sehr begrenzt anfielen. Stabilität, Solvenz und somit Funktionalität
des gesamten Systems der kapitalgedeckten Alterssicherung wird immer nur in
einer sehr bestimmten Situation möglich sein, nämlich in relativ ruhigen Zeiten
an den Kapital- und Geldmärkten und bei Nettozufluss von „frischem“ Kapital.

Drucksache 17/8047 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Diese Grundbedingung ist mit der Finanz- und Wirtschaftskrise seit 2007/2008
nicht länger gegeben. Bis dato fehlen realistische Bewertungen der Vermögens-
anlagen und des Abschreibungsbedarfs, es herrscht weitgehend Intransparenz
über die konkreten Risiken über alle Bereiche und Finanzdienstleister. Ebenso
lässt sich die Dynamik der Preisbewegungen nicht hinreichend einschätzen,
entsprechend gefährlich kann die Situation jederzeit werden. Spätestens mit der
jüngsten Zuspitzung im Euroraum steht also nicht nur der Euro als Währung
auf dem Spiel. Ein wie auch immer ausgelöster nachhaltiger Preiseinbruch bei
den Finanzanlagen der Lebensversicherer, Pensionsfonds und Pensionskassen,
dem Anstieg der Abschreibungen und daraus resultierenden Insolvenzen von
Finanzdienstleistern und Zahlungsproblemen von Unternehmen mit Pensions-
kassen, wird sich bei den Kunden als sinkende Auszahlung der Altersvorsorge
bis hin zum Totalverlust der angesparten Gelder realisieren.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele durch die BaFin und Bundesbank beaufsichtigte Lebensversiche-
rungen, Pensionskassen und Pensionsfonds agieren auf dem Markt?

a) Wie viele Unternehmen mit einem Hauptsitz außerhalb Deutschlands sind
aktiv?

b) Wie viele Kundinnen und Kunden (Versicherte) haben die genannten
Finanzdienstleister, bzw. wie viele Bürgerinnen und Bürger sind über die
unterschiedlichen Durchführungswege in das System der privaten, kapital-
gedeckten Altersvorsorge integriert?

c) Welche Einkommensgruppen partizipieren in welcher Höhe an den unter-
schiedlichen Verfahren?

d) Wie viele Personen erhalten aktuell reale Auszahlung, differenziert nach
Renten und Einmalzahlungen?

2. Wie setzt sich aktuell die Kapitalanlage der deutschen Lebensversicher, der
Pensionskassen und Pensionsfonds zusammen?

a) Welchen Anteil haben daran die Anleihen, Beteiligungen (direkt und
indirekt über Fonds) von Banken und anderen Finanzdienstleistern?

b) Aus welchen Ländern der Eurozone werden in welcher Höhe (absolut/
relativ) Staatsanleihen gehalten?

c) Welche darüber hinausgehenden Anlagen und Ausleihungen an die öffent-
liche Hand in Länder der Eurozone werden gehalten (absolut/relativ)?

3. Aus welchen Ländern außerhalb der Eurozone in der Europäischen Union
(EU) werden Staatsanleihen von Lebensversicherern, Pensionskassen und
Pensionsfonds in welcher Höhe (absolut/relativ) gehalten?

Wie hoch ist der entsprechende Anteil von Anleihen und Beteiligungen
(direkt und indirekt über Fonds) an Banken und Finanzdienstleister?

4. Wie setzt sich die Risikokapitalanlagequote der Lebensversicherer, Pensions-
fonds, Pensionskassen nach dem Anlagekatalog der Anlagenverordnung –
AnlV aktuell zusammen?

5. Wird die geltende Risikogewichtung der Kapitalanlage angesichts der hohen
Volatilität und Turbulenzen auf den Märkten weiterhin als realistisch be-
trachtet?

a) Inwiefern sind vergleichbare Stresstests, wie bei den Banken, bei den
Lebensversicherern, Pensionskassen und Pensionsfonds durchgeführt
worden und/oder sind geplant?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/8047

b) Haben die Versicherungen, Pensionskassen und Pensionsfonds ebenfalls
Liquiditätsprobleme wie die Banken?

Wenn ja, welche bzw. unter welchen Bedingungen werden diese erwartet?

6. Werden aus den Erfahrungen der stets veränderten (verschärften) Banken-
stresstests entsprechende Rückschlüsse für die Risikobewertung der Vermö-
gensanlagen der Lebensversicherer, Pensionskassen und Pensionsfonds ge-
zogen?

a) Wenn nein, warum wird die Bewertung im Umfeld systemischer Finanz-
marktrisiken nicht angepasst?

b) Wenn eine Anpassung nicht notwendig scheint, da es keine systemischen
Effekte gebe und sich die Situation nicht grundlegend geändert habe,
warum werden dann nicht die seit 2007/2008 ausgereichten Kapitalbetei-
ligungen, Staatsgarantien und rechtlichen Veränderungen für den Finanz-
sektor signifikant zurückgenommen?

7. Wie steht die Bundesregierung zur Aussage, dass seit 2007/2008 über un-
zählige nationale/internationale Änderungen rechtlicher Bestimmungen und
Bewertungsvorschriften der Ausverkauf von Vermögenswerten und so die
flächendeckende Insolvenz der Finanzdienstleister zwar verhindert wurde,
aber eine realistische Einschätzung der Solvenz und Liquidität dieser
Akteure so unmöglich ist?

Wenn diesen Aussagen nicht zugestimmt wird, wie kann es sein, dass ständig
neue Stresstests der Finanzdienstleister notwendig sind, und es dennoch weit-
gehend unklar bleibt, wie hoch der tatsächliche Abschreibungsbedarf und der
Liquiditätsbedarf der Finanzdienstleister ist?

8. Welche Vorkehrungen werden getroffen, um das Altersvermögen der Kun-
dinnen und Kunden zu schützen, sobald signifikante Abschreibungen bei
den Kapitalanlagen der Lebensversicherer, Pensionskassen und Pensions-
fonds vorzunehmen sind?

a) Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung vor, wenn auf die
Sicherungsfunktion von PSVaG und dem viel geringer finanziell aus-
gestatteten Protektor verwiesen und unterstellt wird, die freiwilligen Zu-
sagen würden selbst dann eingehalten, wenn sie ihrer Vermögenswerte ab-
schreiben müssen und aus gleichen Gründen keine Zusatzbeiträge von den
Mitgliedsunternehmen erhalten könnten?

b) Wenn kein unmittelbares Problem gesehen wird, warum hat dann die Bun-
desregierung in der Vergangenheit in ähnlicher Situation eine politische
Garantie der Spareinlagen trotz Existenz des Einlagensicherungsfonds der
Banken, gegeben, der offensichtlich in einer systemischen Krise nicht aus-
reichen würde?

9. Wie werden sich langfristig sinkende Realzinsen auf den Finanzmärkten auf
die Verzinsung des Sparbeitrages bei den Lebensversicherungen, Pensions-
kassen und Pensionsfonds auswirken?

a) Wenn hier keine Probleme gesehen werden, warum wurde auf Rat der
Bundesregierung der Garantiezins (Höchstrechnungszins) bei Lebensver-
sicherungspolicen für Neuverträge ab 2012 auf 1,75 Prozent gesenkt?

b) Wie hat sich die Überschussbeteiligung für die Kundinnen und Kunden
bei den genannten Anbietern von Altersvorsorgeprodukten seit 2007/2008
entwickelt?

Drucksache 17/8047 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
10. Wie steht die Bundesregierung zur Forderung, in Zukunft die Staatsanlei-
hen bei den Lebensversicherern, Pensionskassen und Pensionsfonds nicht
mehr mit null zu gewichten?

Welche Folgen hätte diese Veränderung der Bilanzierung auf die „Verzin-
sung“ der kapitalgedeckten Altersvorsorgeprodukte?

Berlin, den 30. November 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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