BT-Drucksache 17/8017

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat am 9. Dezember 2011 in Brüssel

Vom 29. November 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8017
17. Wahlperiode 29. 11. 2011

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Dr. Diether Dehm, Andrej Hunko, Alexander Ulrich,
Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Christine Buchholz, Sevim Dag˘delen,
Annette Groth, Heike Hänsel, Inge Höger, Dr. Barbara Höll, Harald Koch,
Sabine Leidig, Stefan Liebich, Niema Movassat, Wolfgang Neskovic,
Paul Schäfer (Köln), Michael Schlecht, Dr. Axel Troost, Sahra Wagenknecht,
Katrin Werner und der Fraktion DIE LINKE.

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin
zum Europäischen Rat am 9. Dezember 2011 in Brüssel

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Vor dem Hintergrund der erneuten Verschärfung der Wirtschafts- und Finanz-
krise in der gesamten Europäischen Union (EU) und besonders in der Euro-Zone
bilden wirtschaftspolitische Themen den Schwerpunkt der Tagesordnung des
Europäischen Rates: Die von der EU-Kommission am 11. November 2011 vor-
gestellte Herbstprognose zur Wirtschaftsentwicklung in der EU korrigierte frü-
here Einschätzungen deutlich nach unten und warnte vor einer europaweiten
Eskalation der Schuldenkrise sowie vor einer Rezession. Insbesondere für die
Euro-Zone sagte die Kommission alarmierende Entwicklungen voraus: Insge-
samt werde die Wirtschaftsleistung der Euro-Zone im Jahr 2012 bei einer
Wachstumsrate von nur 0,5 Prozent (nach 1,5 Prozent im laufenden Jahr) stag-
nieren. In den von der Krise besonders betroffenen Staaten wie Griechenland
und Portugal rechnet die Kommission mit deutlichen Wirtschaftseinbußen und
einem weiteren Anstieg der Schuldenstände. Der Bericht der Kommission sowie
ähnliche Studien zahlreicher Wirtschaftsforschungsinstitute belegen eindeutig,
dass die bisherigen auf Ebene der EU wie der Euro-Zone ergriffenen Maß-
nahmen zur Überwindung der Krise gescheitert sind.

2. In den seit dem Oktober-Gipfel vergangenen Wochen hat sich vor allem die
Lage in Griechenland und Portugal sowie aktuell in Slowenien und Italien dra-
matisch zugespitzt: Die von Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und
Internationalem Währungsfonds (IWF) im Zusammenhang mit den „Hilfskredi-
ten“ aus dem Euro-Rettungsschirm, der Europäischen Finanzstabilisierungsfazi-
lität (EFSF), diktierten Kürzungsprogramme, haben in Griechenland und Por-
tugal bereits in diesem Jahr zu Wirtschaftseinbrüchen um 5,5 Prozent bzw.
1,9 Prozent sowie einem dramatischen Anwachsen der Schuldenstände geführt.
Sie werden auch im kommenden Jahr die Rezession verstärken. In Griechenland
wird ein erneuter Einbruch um 2,8 Prozent, in Portugal ein Rückgang von 3 Pro-
zent erwartet. Die Schuldenlast wird auf 198 Prozent des Bruttosozialprodukts
in Griechenland und auf 111 Prozent in Portugal steigen. Vor diesem Hinter-

Drucksache 17/8017 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

grund ist ein substanzieller Schuldenschnitt insbesondere für Griechenland
unumgänglich. Statt den Forderungen von Banken und Finanzinvestoren ent-
gegenzukommen, müssen Erhaltung und Wiederherstellung wirtschafts- und
sozialpolitischer Handlungsfähigkeit der betroffenen Länder Vorrang haben.

3. Die Finanzspekulationen richten sich nicht nur gegen Griechenland und Por-
tugal. Aktuell sind unter anderem auch Italien, Slowenien und Belgien betroffen.
Die Zinsen für italienische bzw. slowenische Staatsanleihen sind inzwischen auf
die kritische Höhe von 7 Prozent getrieben worden. Auch EU-Staaten, die nicht
der Euro-Zone angehören, geraten zunehmend ins Fadenkreuz der Spekulation.
Aktuell musste beispielsweise Ungarn bereits zum zweiten Mal seit Ausbruch
der Finanzkrise Verhandlungen mit dem IWF aufnehmen, nachdem in der letz-
ten Woche die Zinsen für zehnjährige Staatsanleihen auf 8 Prozent angestiegen
waren und Ratingagenturen mit einer Herabstufung der Kreditwürdigkeit des
Landes auf „Ramsch-Status“ gedroht hatten. Dies zeigt, dass die auf euro-
päischer Ebene ergriffenen Maßnahmen zur Kontrolle der Finanzmärkte keines-
wegs ausreichen. So sind beispielsweise die Vorschläge der Kommission zur
Ausgabe sogenannter Stabilitätsanleihen (Euro-Bonds), die die Empfänger-
staaten zur Erfüllung marktradikaler Reformen und Sparmaßnahmen zwingen
und der Kommission Durchgriffsrechte auf die nationalen Haushaltspolitiken
geben würden, wirtschaftlich kontraproduktiv und undemokratisch. Andere
Maßnahmen, wie die von der Kommission vorgeschlagenen Instrumente zur Be-
grenzung der Macht privater Ratingagenturen, greifen viel zu kurz. Notwendig
sind weit reichende Maßnahmen zur effektiven Eindämmung von Spekulation
gegen Staaten, zur Regulierung des Finanzsektors und zur Entkopplung der
Staatsfinanzierung von den privaten Finanzmärkten.

4. Um den von der Krise besonders betroffenen Staaten der Euro-Zone einen
Ausweg aus der Schuldenfalle zu ermöglichen und eine EU-weite Rezession ab-
zuwenden, sind Maßnahmen für eine sozial-ökologische Wirtschaftsentwick-
lung unerlässlich. Die derzeit auf EU-Ebene und in der Euro-Zone verfolgten
Strategien im Rahmen des sogenannten 6-Pack und des Euro-Plus-Pakts sind
hierfür völlig ungeeignet: Die einseitig auf „finanzpolitische Disziplin“ und
„Wettbewerbsförderung“, d. h. auf weitere Kürzungsprogramme und ver-
schärfte Standortkonkurrenz, ausgerichteten Maßnahmen wirken prozyklisch.
Sie schränken die wirtschaftspolitischen Gestaltungsspielräume der Staaten ein
und berauben sie der Möglichkeit, mit öffentlichen Investitionsprogrammen die
Konjunktur anzukurbeln. Desaströse soziale Konsequenzen durch das Anwach-
sen von Arbeitslosigkeit und prekärer Beschäftigung, durch zunehmenden
Druck auf Löhne und Renten, durch Verschärfung von sozialer Ungleichheit und
Armut sind die Folge. Sinkende Steuereinnahmen werden die Staatsschulden
weiter in die Höhe treiben. Insgesamt werden diese Strategien aufgrund ihrer
Folgen für die Binnennachfrage unweigerlich in eine europaweite Rezession
führen und die ökonomische Spaltung der EU weiter vertiefen. Außerdem feh-
len wirksame Maßnahmen, um Länder mit Außenhandelsüberschüssen zu einer
Stärkung der Binnennachfrage zu bewegen.

5. Solide Staatsfinanzen lassen sich nicht durch das Kaputtsparen der öffent-
lichen Hand schaffen, während Banken, Finanzinvestoren, Einkommensmillio-
näre und andere Profiteure der gegenwärtigen Krise von der Beteiligung an den
Krisenlasten verschont bleiben. Alle Maßnahmen zur Erhöhung der „wirtschaft-
lichen und fiskalpolitischen Konvergenz“ (so die Tagesordnung zum EU-Gip-
fel), die auf dem kommenden Gipfel debattiert werden sollen, müssen daher dem
Ziel der Wiederherstellung von EU-weiter Steuergerechtigkeit durch die Be-
steuerung hoher Vermögen und (Kapital-)Einkünfte sowie dem Schließen von
Steuerschlupflöchern verpflichtet sein.

6. Angesichts der aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise in der EU und ihrer so-
zialen Auswirkungen muss eine bezahlbare und ökologische Energieversorgung

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/8017

ohne Atomstrom für alle Menschen gesichert werden. Das erfordert den intelli-
genten und nachhaltigen Ausbau von erneuerbaren Energien sowie die Durch-
setzung verbindlicher Energieeinsparziele, vor allem durch eine ambitionierte
EU-Energieeffizienzrichtlinie mit verbindlichen Energiesparmaßnahmen für In-
dustrie- und Wirtschaftsverbände. Auch ist die Europäische Atomgemeinschaft
(Euratom) durch eine alternative Europäische Gemeinschaft zur Förderung von
erneuerbaren Energien und Energieeinsparung zu ersetzen, die Energiepolitik zu
demokratisieren und die Energieversorgung zu rekommunalisieren.

7. Die Euro-Krise hat sich längst zu einer fundamentalen Demokratiekrise der
EU ausgewachsen. Die Vorschläge der Kommission für einen stärkeren Einfluss
auf die nationalstaatlichen Haushalte, werden die Krise der Demokratie in Eu-
ropa noch verschärfen. Vor diesem Hintergrund sind auch die Vorschläge der
Kommission allein die Kontrolle über die Wirtschafts- und Finanzpolitik der
Länder zu übernehmen, die Hilfen vom Euro-Rettungsfonds EFSF und später
dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zu bekommen, als Angriff
auf die Demokratie in der EU zu werten.

8. Die Wirtschafts-, Finanz-, und Demokratiekrise in der EU macht deutlich,
dass die EU in der Verfassung des Vertrags von Lissabon keine Zukunft hat –
allem Pathos zum Trotz, mit dem sein Zustandekommen gefeiert worden war:
Anlässlich der Verabschiedung des Zustimmungsgesetzes zum Vertrag von Lis-
sabon hatte die Bundeskanzlerin am 24. April 2008 im Bundestag erklärt: „Ich
bin mir sicher: Es ist eine Grundlage, die solide und von Bestand ist. […] Anders
als andere Verträge trägt dieser Vertrag von Lissabon kein Verfallsdatum. […]
Wenn dieser Vertrag in Kraft tritt, wird die Europäische Union auf sicheren Bei-
nen stehen.“ (Plenarprotokoll 16/157, S. 16451 f.). Es hat dann noch bis zum
1. Dezember 2009 gedauert, bis der Vertrag überhaupt in Kraft getreten ist.
Schon im folgenden Jahr wurde im „vereinfachten Vertragsänderungsverfahren“
nach Artikel 48 Absatz 6 des EU-Vertrags (EUV) eine Ergänzung des Arti-
kels 136 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)
vorgenommen, um die Einführung eines „permanenten Rettungsschirms“, des
ESM, rechtlich abzusichern. Auf dem Euro-Gipfel am 26. Oktober 2011 wurde
dann der Präsident des Europäischen Rates beauftragt, „zu sondieren, inwieweit
in begrenztem Umfang Vertragsänderungen vorgenommen werden können.“
(SN 3993/5/11 REV 5 Ziff. 35, S. 10). Als solide und dauerhaft hat sich der
Lissabon Vertrag damit keineswegs erwiesen. Es tritt immer mehr zutage, dass
seine Regelungen nicht auf der Höhe der Zeit sind.

9. Am 26. Oktober 2011 wurde weiter beschlossen: „Im Dezember 2011 wird
ein Zwischenbericht vorgelegt, damit erste Orientierungen vereinbart werden
können. Dieser Zwischenbericht wird einen Fahrplan für die Art und Weise des
Vorgehens unter uneingeschränkter Wahrung der Vorrechte der Organe enthal-
ten. Ein Bericht bezüglich der Art und Weise der Durchführung der vereinbarten
Maßnahmen wird bis März 2012 vorgelegt.“ (SN 3993/5/11 REV 5 Ziff. 35,
S. 10). Aus diesen Formulierungen wird deutlich, dass die demokratischen
Rechte der mitgliedstaatlichen Parlamente außer Betracht bleiben sollen. Auch
die Bundesregierung hat sich offenbar nicht für diese Rechte eingesetzt und auch
keinen Parlamentsvorbehalt hinsichtlich der Rechte des Deutschen Bundestages
entsprechend den §§ 9, 10 des Gesetzes über die Zusammenarbeit zwischen
Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europä-
ischen Union (EUZBBG) angekündigt.

10. Nach § 10 EUZBBG bedarf die Bundesregierung vor einer etwaigen Zustim-
mung zu „Vorschlägen und Initiativen zur Aufnahme von Verhandlungen zu
Änderungen der vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union“ des Einver-
nehmens des Bundestages nach Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes (GG).
Das gilt insbesondere für die Beschlüsse des Europäischen Rates über die Prü-
fung von Vertragsänderungsvorschlägen durch einen Konvent nach Artikel 48

Drucksache 17/8017 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Absatz 3 EUV einschließlich von Entscheidungen über das Ausmaß der vom
Konvent zu bearbeitenden Vertragsänderungen.

11. Die bisher aus Kreisen der Bundesregierung öffentlich gewordenen Vorstel-
lungen zur Vertragsänderung gehen in die falsche Richtung: Sie stellen sich als
weitere Radikalisierung der neoliberalen Ausrichtung und als Schritte zur Ent-
demokratisierung der EU dar. Rezession und insbesondere schwaches Wachs-
tum der Binnennachfrage drohen bei ihrer Realisierung EU-weit zum Dauer-
zustand zu werden. Die demokratische Haushaltssouveränität als Kernbestand
jeder parlamentarischen Demokratie in den Mitgliedstaaten würde prinzipiell in
Frage gestellt. Die Vorstellungen verstoßen gegen die Grenzen des Artikels 79
Absatz 3 GG.

12. Die gegenwärtige Finanzkrise zeigt, dass, statt den Neoliberalismus auf die
Spitze zu treiben, Änderungen der EU-Verträge in ganz anderer Richtung not-
wendig sind. Insbesondere müssen die Verträge in folgender Weise geändert
werden:

a) Statt die Mitgliedstaaten auf ein System offener Märkte mit freiem Wettbe-
werb festzulegen (Artikel 119 f., 127, 170 und 173 AEUV) muss Sozialstaat-
lichkeit neben Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zum Grundwert der EU
nach Artikel 2 EUV werden. Zur Sicherung des Vorrangs der Grundrechte
vor den Kapitalfreiheiten ist eine „Soziale Fortschrittsklausel“ in die Verträge
einzufügen, wie es die deutschen und europäischen Gewerkschaften seit
langem fordern.

b) Die Bekämpfung der Ursachen der Finanzkrise kann erfolgreich nur ge-
schehen, wenn das Verbot von Kapital- und Zahlungsverkehrskontrollen auf-
gehoben wird, insbesondere auch im Verhältnis zu Drittstaaten (Artikel 63
AEUV). Weiterhin ist die Notwendigkeit der Harmonisierung von direkten
Steuern, insbesondere Unternehmens- und Kapitalsteuern mit dem Ziel wei-
teres Steuerdumping zu unterbinden, vertraglich vorzusehen.

c) Anstelle von Rettungsschirmen, die im Ergebnis nur den Finanzkonzernen
nützen, sind der grundlegende Aus- und Umbau der Struktur- und Kohäsions-
politik geboten. Die Regelungen über Beihilfeverbot und Beihilfeaufsicht
müssen unter den Gesichtspunkten von Ökologie, sozialen Kriterien und De-
zentralität reformiert werden. Statt die Mitgliedstaaten zur Kommerzialisie-
rung und Liberalisierung von Dienstleistungen zu zwingen (Artikel 101 ff.,
106 und 170 AEUV) muss die öffentliche Daseinsvorsorge von den Bestim-
mungen des Binnenmarkts-, Wettbewerbs- und Beihilferechts ausgenommen
und öffentliche Dienstleistungen als eigenständiger Pfeiler in den EU-Verträ-
gen verankert werden.

d) Für eine günstigere Kreditversorgung der Mitgliedstaaten ist eine öffentliche
Bank zu gründen, die ihrerseits durch Kredite der EZB versorgt wird.

e) Die EZB muss demokratischer Kontrolle unterworfen und die einseitige
Orientierung der Geldpolitik am Ziel der Preisstabilität (Artikel 127 AEUV)
muss überwunden werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich auf EU-Ebene zur Erhöhung der „wirtschaftlichen und fiskalpolitischen
Konvergenz“ dafür einzusetzen, dass

a) die Krisenverursacher und Profiteure zur Krisenfinanzierung herangezo-
gen werden, indem eine einmalige EU-weite Vermögensabgabe auf Ver-
mögen über 1 Mio. Euro erhoben, hohe Vermögen und Kapitaleinkünfte
stärker besteuert werden sowie eine Finanztransaktionssteuer eingeführt
wird,

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/8017

b) das gesamte europäische Bankensystem von Grund auf saniert, vergesell-
schaftet und demokratischer Kontrolle unterworfen wird, um die Banken
auf ihre wirtschaftliche und gesellschaftliche Kernfunktion (Organisation
des Zahlungsverkehrs, Einlagensicherung, Kreditvergabe für die Real-
wirtschaft) zurückzuführen,

c) bereits auf EU-Ebene beschlossene Maßnahmen zur Finanzmarktregulie-
rung (z. B. die Verordnung zu Leerverkäufen und Kreditausfallversiche-
rungen – Credit Default Swaps, CDS) schneller als bislang geplant in
Kraft gesetzt werden,

d) darüber hinaus die Finanzmärkte strikt reguliert werden, indem spekula-
tive Finanzinstrumente – etwa ungedeckte Leerverkäufe und ungedeckte
Kreditausfallversicherungen und entsprechende Akteure (Hedgefonds,
Schattenbanken etc.) – unverzüglich und ohne Ausnahmeregelungen ver-
boten werden,

e) zur Abwehr von Spekulationsattacken auf hochverschuldete Staaten Euro-
Bonds ohne marktradikale haushaltspolitische und makroökonomische
Auflagen und Durchgriffsrechte Dritter auf die Staaten aufgelegt werden
und darüber hinaus die Staatsfinanzierung vom Diktat der Finanzmärkte
befreit wird, indem eine Bank für öffentliche Anleihen eingerichtet wird,
die zu Konditionen der Europäischen Zentralbank (EZB) Kredite an die
Staaten der Euro-Zone vergibt, und somit eine geordnete Umstrukturie-
rung der öffentlichen Schulden möglich macht,

f) ein geordnetes Insolvenzverfahren für überschuldete Staaten eingeführt
wird, bei dem die politischen und sozialen Verpflichtungen des Staates ge-
genüber seiner Bevölkerung als vorrangig gegenüber den Ansprüchen der
Gläubiger anzusehen sind und bei denen die Gläubiger gemäß ihrer poli-
tischen Verantwortung für das Zustandekommen der Überschuldungskrise
und entsprechend ihrer ökonomischen Leistungsfähigkeit herangezogen
werden,

g) anstatt ökonomisch und sozial schädlicher Kürzungsprogramme ein euro-
päisches sozial-ökologisches Investitions- und Konjunkturprogramm ins-
besondere für die Krisenstaaten aufgelegt wird,

h) eine Koordinierung der Steuer-, Wirtschafts- und Sozialpolitik zur Been-
digung des Steuer-, Lohn- und Sozialdumpings in der EU verwirklicht
wird sowie eine europäische Ausgleichsunion zur Verhinderung von Leis-
tungsbilanzungleichgewichten eingerichtet wird, die chronische Export-
überschüsse sanktioniert, statt Deutschland dauerhafte Exportüberschüsse
zuzugestehen,

i) entgegen den Bestrebungen des Bundesministeriums für Wirtschaft und
Technologie eine ambitionierte EU-Energieeffizienzrichtlinie erlassen
wird, die insbesondere über die Regelungen des Artikels 6 des Entwurfs
verbindliche Energiesparmaßnahmen für die Energiewirtschaft und Indus-
trie festsetzt, die diese im eigenen Bereich sowie bei den Endkunden vor-
nehmen müssen, und dadurch einen Markt für Energieeffizienzdienstleis-
tungen schafft, und die durch verbindliche Vorschriften zur Anwendung
der Kraft-Wärme-Kopplung sowie von Wärme- und Kälteplänen diese
umweltfreundliche Technologie nachhaltig fördert,

j) Demokratie und nationalstaatliche Souveränität nicht den Finanzmärkten
geopfert werden und alle Angriffe auf die Demokratie in Europa, etwa
durch die Etablierung von Durchgriffsrechten der Kommission auf natio-
nalstaatliche Haushalte, zurückgewiesen werden,

Drucksache 17/8017 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

k) die Grundlagenverträge der EU dahingehend revidiert werden, dass ein
demokratisches, wirtschaftlich tragfähiges, soziales und friedliches Eu-
ropa geschaffen wird, und hierfür einen Konvent einzuberufen, der die
politische Zusammensetzung sowohl des Europäisches Parlaments wie
der nationalen Parlamente angemessen widerspiegelt;

2. auf nationaler Ebene

a) den Bundestag an allen, die Euro-Krise betreffenden Initiativen, Maßnah-
men und Entscheidungen umfassend zu beteiligen,

b) eine Neustrukturierung des Bankensektors einzuleiten, die die Vergesell-
schaftung und demokratische Kontrolle des Sektors gewährleistet und die
Banken auf ihre dienende Funktion für die Realwirtschaft nach Vorbild
der Sparkassen verpflichtet,

c) zur Stärkung der deutschen Binnenwirtschaft einen gesetzlichen Mindest-
lohn einzuführen, der spätestens 2013 bei 10 Euro brutto/Stunde liegen
muss, das Arbeitslosengeld II unverzüglich auf 500 Euro monatlich zu er-
höhen und die Rückabwicklung der Rentenreformen und der Arbeits-
marktreformen der Agenda 2010 einzuleiten,

d) bei der Energieversorgung Sozialtarife einzuführen, Strom- und Gassper-
ren zu verbieten, Energienetze in die öffentliche Hand zu überführen und
die Energiekonzerne zu entmachten sowie die Energieversorgung zu re-
kommunalisieren;

3. im Hinblick auf die angekündigten Änderungen der vertraglichen Grund-
lagen der EU

a) darauf zu dringen, dass die in Aussicht gestellten Arbeitsergebnisse des
Präsidenten des Europäischen Rates der Bundesregierung und den ande-
ren Regierungen unmittelbar zugeleitet und von ihr sofort nach Eingang
an den Bundestag weiter übermittelt werden,

b) sich nicht an einer Beschlussfassung im Europäischen Rat gemäß Arti-
kel 48 Absatz 3 EUV zu beteiligen, ohne dem Bundestag zuvor die Mög-
lichkeit zu Stellungnahmen unter Einräumung einer angemessenen Frist
von mindestens zwei Sitzungswochen gegeben zu haben.

III. Der Deutsche Bundestag weist ausdrücklich darauf hin, dass

1. zum jetzigen Zeitpunkt eine hinreichende Unterrichtung des Bundestages
über die Vorstellungen der Bundesregierung zur Änderung der EU-Verträge
nicht stattgefunden hat,

2. die Bundesregierung einem Antrag auf der Tagung des Europäischen Rates
am 9. Dezember 2011 zur Einsetzung eines Konvents, zu seiner Zusammen-
setzung und zu seiner Aufgabenstellung nicht zustimmen darf, sondern einen
solchen Antrag ausdrücklich abzulehnen hat, da ein Einvernehmen mit dem
Bundestag weder hergestellt noch der Versuch dazu gemacht wurde.

Berlin, den 29. November 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.