BT-Drucksache 17/7919

Barrierefreies Fliegen

Vom 24. November 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7919
17. Wahlperiode 24. 11. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Markus Tressel, Markus Kurth, Cornelia Behm, Birgitt Bender,
Harald Ebner, Katrin Göring-Eckardt, Britta Haßelmann, Maria Klein-Schmeink,
Stephan Kühn, Undine Kurth (Quedlinburg), Dr. Tobias Lindner, Nicole Maisch,
Dr. Hermann E. Ott, Elisabeth Scharfenberg, Christine Scheel, Dorothea Steiner,
Daniela Wagner, Dr. Valerie Wilms und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Barrierefreies Fliegen

Am 26. Juli 2008 wurde die EG-Verordnung über die Rechte von behinderten
Flugreisenden und Flugreisenden mit eingeschränkter Mobilität (Verordnung
(EG) Nr. 1107/2006) mit dem Ziel verabschiedet, einen europaweit gültigen
Standard der Barrierefreiheit im Flugverkehr von Menschen mit Behinderung zu
etablieren, um eine weitestgehend gleichberechtigte Nutzung von Flugangebo-
ten zu ermöglichen.

Wiederholte Anträge und Kleine Anfragen verschiedener Fraktionen in den letz-
ten Jahren zeigen jedoch, dass die Umsetzung dieser Verordnung noch
erhebliche Mängel aufweist. Menschen mit Behinderung und ihre Verbände in-
formieren immer wieder über zahlreiche Barrieren, mit denen sich Menschen
mit eingeschränkter Mobilität auf Flugreisen nach wie vor konfrontiert sehen.
Hier wurde ebenfalls eine ganze Liste von Barrieren angeführt. Etliche der be-
klagten Punkte wurden in den letzten Jahren wiederholt genannt. Die Antworten
der Bundesregierung fielen jedoch oft ungenau aus und konkrete Maßnahmen
blieben weitestgehend aus. Die Bundesregierung übt sich in Ignoranz. In der
Vorbemerkung der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage im Au-
gust 2010 (Bundestagsdrucksache 17/2882) heißt es schlicht: „Seitens der Bun-
desregierung wird die Einschätzung des Luftfahrt-Bundesamtes geteilt, dass
keine systemischen oder strukturellen Defizite bei der Umsetzung der Verord-
nung Nr. 1107/2006 in Deutschland erkennbar sind.“.

Allerdings gibt es strukturelle Probleme bei der Annahme von Beschwerden
durch das Luftfahrt-Bundesamt (LBA). Zunächst wendet sich der Fluggast an
sein Flugunternehmen. Betrifft die Beschwerde eine Betreuungsleistung oder
Hilfestellung – was für die meisten Fälle im Bereich Mobilität zutrifft – besteht
für ihn kein Anspruch auf Entschädigung. Das heißt, es entsteht von vornherein
in den meisten Fällen kein rechtlicher Konflikt zwischen Fluggast und Flugun-
ternehmen. Dieser wäre jedoch Voraussetzung dafür, dass das LBA die Be-

schwerde entgegennimmt und registriert. Die Schlussfolgerung, dass alle Flug-
gäste mit eingeschränkter Mobilität mit dem Service zufrieden sind, ist daher
falsch.

In der vorliegenden Kleinen Anfrage werden wiederholt gestellte und unzu-
reichend beantwortete Fragen erneut thematisiert und Daten angefragt, die zu
einem früheren Zeitpunkt noch nicht vorlagen. Darüber hinaus fragen wir nach
Zuständigkeiten, die die Rechte der in ihrer Mobilität eingeschränkten Flug-

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gäste betreffen. Denn laut der Antwort der Bundesregierung auf Bundestags-
drucksache 17/2882, zu Frage 1 hat auch die Bundesregierung inzwischen
erkannt, „dass trotz erheblicher Fortschritte grundsätzlich weiterhin Hand-
lungsbedarf für mehr Barrierefreiheit im Luftverkehr besteht.“

Wir fragen daher die Bundesregierung:

1. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, zu verhindern, dass Be-
schwerden mit den unkonkreten Formulierungen wie „Betreuungsleistung“
oder „Hilfeleistung“ abgetan und von den Fluggesellschaften abgelehnt
werden?

2. Wie hoch ist die Anzahl der Beschwerden von Menschen mit einge-
schränkter Mobilität beim LBA aktuell (bitte jährlich und einzeln nach Tat-
bestand auflisten)?

3. Hat es inzwischen Fälle von Sanktionen gegen Flughäfen oder Airlines ge-
geben?

Wenn ja, wie viele (bitte jährlich und einzeln nach Tatbestand auflisten)?

4. Wurden inzwischen Maßnahmen getroffen, die die Durchsetzung von Be-
schwerden auch bei mangelhaften Betreuungsleistungen oder Hilfestellun-
gen ermöglichen?

Welche Maßnahmen waren das konkret?

5. In wie vielen Fällen wurden Menschen mit Behinderung trotz gültigem
Flugschein nicht an Bord genommen?

Warum passierte das in diesen Fällen?

Wurde jeweils geprüft, ob die Mitnahme aufgrund des Flugzeugs tatsäch-
lich nicht möglich war?

6. Wie sehen in der Realität die in der Verordnung (EG) Nr. 1107/2006 ge-
nannten „annehmbaren Alternativen“ zur Anbordnahme aus?

Wie oft werden diese prozentual bei Weigerung der Anbordnahme angebo-
ten?

Wie sind hier die Verantwortlichkeiten organisiert?

7. Wie schätzt die Bundesregierung Möglichkeiten ein, Menschen, die in
ihrer Mobilität geringfügig eingeschränkt werden (zum Beispiel hörbeein-
trächtigt) auch ohne Ankündigung innerhalb der 48-Stunden-Frist an Bord
zu nehmen?

8. Sieht die Bundesregierung in Anbetracht der hohen Anzahl behinderter
Fluggäste, die die 48-Stunden-Frist nicht einhalten, ein Defizit in der Kom-
munikation dieser Frist?

9. Welche Airlines befördern konkret Begleitpersonen unentgeltlich oder nur
zum Preis von Steuern und Gebühren (bitte differenzieren)?

Welche Airlines verknüpfen die unentgeltliche Mitnahmen von Begleitper-
sonen an die Buchung bestimmter Tarife?

Um welche Tarife handelt es sich hierbei, und stellt die Möglichkeit zur
unentgeltlichen Mitnahme der Begleitperson im Vergleich zu anderen Tari-
fen tatsächlich eine finanzielle Entlastung dar?

10. Welche deutschen Airlines und welche in Deutschland operierenden Air-
lines fordern für Menschen mit Behinderung generell Begleitpersonen?
Welche von diesen verlangen für Begleitpersonen den vollen Preis?

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11. Wie lässt sich aus Sicht der Bundesregierung die Forderung nach einer Be-
gleitperson mit der Pflicht der Unterstützung durch Mitarbeiter vonseiten
der Airline laut oben genannter EG-Verordnung vereinbaren?

12. Wie lässt sich aus Sicht der Bundesregierung die Forderung nach einer Be-
gleitperson mit der Rechtslage vereinbaren, wonach das Merkzeichen „B“
im Schwerbehindertenausweis nicht mehr „die Notwendigkeit einer ständi-
gen Begleitung“, sondern die „Berechtigung zur Mitnahme einer Begleit-
person“ bescheinigt?

13. Inwiefern wurde nach der Aufforderung des LBA im Jahr 2009 die Umset-
zung der kostenlosen Hotlines überprüft?

14. Wie viele und welche deutschen Luftfahrtunternehmen bieten inzwischen
kostenlose Hotlines an, welche tun dies nicht?

15. Was unternimmt die Bundesregierung, um die Einrichtung kostenloser
Hotlines zu gewährleisten?

16. Wie viele und welche Luftfahrtunternehmen informieren auf ihren Internet-
seiten über die Reise- und Flugrechte von Menschen mit Behinderung
online (bitte im Einzelnen auflisten)?

Gibt es Unterschiede zwischen deutschen Airlines, EU- und Nicht-EU-Air-
lines?

17. Wie viele und welche dieser Informationen sind barrierefrei zugänglich
(bitte einzeln auflisten)?

18. Liegen der Bundesregierung inzwischen statistische Daten über die Anzahl
rollstuhlgerechter Bordtoiletten in Flugzeugkabinen deutscher Luftfahrtun-
ternehmen und über eine barrierefreie Ausstattung hinsichtlich der Sitz-
platzgestaltung vor?

19. Wie viele und welche deutschen Flugverkehrsgesellschaften berücksichtigen seit Inkraft­
treten der EG­Verordnung 1107/2006 die Empfehlung zu verbesserten Maßnahmen bezüg­
lich Barrierefreiheit im Flugverkehr, indem "Luftfahrtunternehmen möglichst bei der Ent­
scheidung über die Gestaltung neuer und neu einzurichtender Flugzeuge solche Bedürfnisse
berücksichtigen" sollten, vor allem bei Flugzeugen für Kurz­ und Mittelstreckenflüge? 
 20. Sieht die Bundesregierung Handlungsbedarf, damit mehr Flugverkehrsgesellschaften sich an der

Empfehlung orientieren, bei der Bestellung neuer Flugzeuge auf Belange der Barrierefreiheit zu achten?
21. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, Plänen – wie zum Beispiel die Idee der Ryanair AG,
die Toiletten weiter zu reduzieren – entgegenzuwirken?

22. Wie viel Prozent derjenigen, die als „Menschen mit Behinderung“ an Bord
genommen werden, sind seh- oder hörbeeinträchtigt (jeweils und insge-
samt)?

23. Wie viele derjenigen, die nicht an Bord genommen wurden, weil sie nicht
innerhalb der 48-Stunden-Frist ihre Behinderung angekündigt haben, sind
seh- oder hörbeeinträchtigt?

24. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die Rechte von seh- oder
hörbeeinträchtigten Reisenden verbindlicher zu machen?

25. Bei wie vielen und welchen Flugverkehrsgesellschaften werden Sicher-
heitshinweise in besonderer Form für seh- und hörbeeinträchtigte Reisende
bereitgestellt?

26. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die Mobilität für seh-
und hörbeeinträchtigte Passagiere darüber hinaus zu erhöhen?

Drucksache 17/7919 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Wie lassen sich nach Ansicht der Bundesregierung entsprechende Maßnah-
men umsetzen?

27. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, bezüglich der Mobilität
auf die wachsende Anzahl älterer Fluggäste zu reagieren, und welchen
Stellenwert misst die Bundesregierung diesbezüglich dem Thema Barriere-
freiheit im Flugverkehr bei?

Berlin, den 24. November 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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